BFH-Urteil vom 20.2.1990 (VII R 121/86) BStBl. 1990 II S. 761

BFH-Urteil vom 20.2.1990 (VII R 121/86) BStBl. 1990 II S. 761

Druckschriften mit überwiegendem Anteil an kostenlos abgedruckten Kleinanzeigen sind keine Zeitungen, sondern Werbedrucke im zolltariflichen Sinne. Die Umsätze solcher Druckschriften sind nicht umsatzsteuerermäßigt.

UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1, Anlage Nr. 43 Buchst. b; GZT Tarifnr. 49.02, 49.11, Vorschrift 4 zu Kap. 49.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin – Klägerin – ist Herausgeberin der Druckschrift „XY“ (Abgabepreis 1,50 DM/August 1983). Diese enthält zum ganz überwiegenden Teil kostenlos abgedruckte Kleinanzeigen verschiedenster Art, eingeteilt in 40 verschiedene Rubriken. Ferner bietet die Druckschrift einen „XY-Service“, unter anderem mit Übersicht über Fernsehprogramme und Anfangsziffern der …. Telefonnummern, aufgeteilt nach Wohngebieten. Zu einem geringen Teil – weniger als 20 % – werden auch gewerbliche Anzeigen gegen Entgelt veröffentlicht. Das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt – FA – wandte auf die Umsätze der Druckschrift nicht – wie von der Klägerin begehrt – den ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes – UStG – 1980 i.V.m. Nr. 43 Buchst. b der Anlage dazu an – Zeitungen und andere periodische Druckschriften (aus Nr. 49.02 des Zolltarifs – ZT -), sondern den vollen Steuersatz (für „andere“ Drucke der Nr. 49.11 ZT).

Der Einspruch blieb erfolglos. Im Klageverfahren ging die Klägerin nach Erledigung der Hauptsache – inzwischen erfolgte Jahresveranlagung 1983 – zur Fortsetzungsfeststellungsklage über, die vom Finanzgericht – FG – als unbegründet abgewiesen wurde. Zwar könne die „XY“ als Zeitung im weiteren Sinne, jedenfalls aber als periodische Druckschrift angesehen werden. Sie sei jedoch ein Werbedruck oder werde zu Werbezwecken herausgegeben; damit unterfalle sie der Tarifnr. 49.11. Der Begriff „Werbung“ umfasse nicht nur die Werbung für die gewerbliche Wirtschaft. Er sei auch anwendbar, wenn Privatpersonen durch Kleinanzeigen Interessenten für bestimmte Sachen oder Dienstleistungen (z.B. Fahrzeuge, Schallplatten, (Mitfahrgelegenheiten) suchten, selbst wenn es sich dabei um einmalige Angebote handele. Unerheblich sei, ob der Abdruck der Anzeigen unentgeltlich erfolge. Für Werbeschriften sei eine Umsatzsteuervergünstigung ausgeschlossen, weil sie nicht dazu dienten, den Informationsstand und die Meinungsbildung der Bevölkerung zu fördern. Die „XY“ möge zwar auch einen gewissen Unterhaltungswert haben, doch trete dieser eindeutig hinter den gezielten Anzeigen zurück.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, unter „Werbezwecken“ im Sinne von Vorschrift 4 zu Kapitel 49 ZT sei in Übereinstimmung mit der von der Verwaltung vertretenen Auffassung nur die Werbung für entgeltliche Leistungen (geschäftliche Werbung) zu verstehen. Dementsprechend seien in der Druckschrift die (geschäftlichen) Werbeanzeigen ausdrücklich als solche gekennzeichnet. Die weitergehende Auffassung des FG führe dazu, daß die maßgebende Umsatzsteuervergünstigung praktisch vollständig außer Kraft gesetzt würde. Auch eine Förderung des Absatzes von Gütern und Dienstleistungen könne nicht angenommen werden, da es sich nicht um die Abgabe wirtschaftlicher Güter durch Betriebe handele. Im übrigen dienten die privaten Kleinanzeigen auch der Suche nach Waren und Dienstleistungen; darin könne selbst bei weiter Auslegung des Werbungsbegriffs kein „Werben“ gesehen werden. Dasselbe gelte für Rubriken wie „Erfahrungsaustausch“, „Gruppen“, „Initiativen“, „Treffen“. Die „XY“ werde vom Publikum unter anderem wegen des hohen Informationswerts angenommen und gekauft. Sie sei keine Annoncen-, sondern eine Kommunikationszeitung. In diesem Zusammenhang verweist die Klägerin auf ein von ihr eingeholtes Gutachten von Privatdozent Dr. H. am Fachbereich Kommunikationswissenschaften der Universität X über den Zeitungscharakter der Druckschrift.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Klägerin die von dieser geltend gemachte Umsatzsteuerermäßigung nicht zustand.

§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 mit Nr. 43 Buchst. b der Anlage verweist auf den Zolltarif (Tarifnr. 49.02). Die Verweisung bezieht sich auf den Gemeinsamen Zolltarif – GZT – einschließlich der Vorschrift 4 zu Kapitel 49, die Waren der Tarifnrn. 49.01 und 49.02 abgrenzt von Erzeugnissen der Tarifnr. 49.11, deren Umsätze nicht steuerbegünstigt sind (vgl. auch Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluß vom 8. Mai 1974 1 BvR 772/68, Steuerrechtskartei UStG 1967 § 12 Abs. 2 Nr. 1 R.4). Maßgebend sind die einschlägigen zolltariflichen Begriffe. Zu ihrer Auslegung sind die zolltariflichen Erläuterungen – Erl – heranzuziehen (vgl. Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, E I/12 Rdziff. 4; Senat, Urteil vom 29. Oktober 1986 VII R 110/82, BFHE 148, 90, 92).

Nach Vorschrift 4 zu Kapitel 49 GZT gehören Drucke, die zu Werbezwecken durch oder für einen darin genannten Werbungtreibenden herausgegeben werden, und Drucke, die überwiegend Werbezwecken (einschließlich Reisewerbung) dienen, nicht zu …. Tarifnr. 49.02, sondern zu Tarifnr. 49.11. Im Streitfall ist die zweite Alternative dieser zur Anwendung der zuletzt bezeichneten Tarifnummer führenden Vorschrift gegeben.

Nach den Feststellungen der Vorinstanz, die den Senat binden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -), ist davon auszugehen, daß die Druckschrift (neben gewerblichen Anzeigen und bestimmten Übersichten) ganz überwiegend Kleinanzeigen verschiedenster Art enthält; mittels dieser Anzeigen suchen Privatpersonen Interessenten für bestimmte Sachen oder Dienstleistungen (z.B. Fahrzeuge, Schallplatten, Mitfahrgelegenheiten). Soweit die Revision geltend macht, dieser Inhalt überwiege nicht, weil durch die Anzeigen Waren und Dienstleistungen auch gesucht und ferner anderweitige Angebote gemacht würden, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Suche nach „Interessenten für bestimmte Sachen oder Dienstleistungen“) widerspricht. Welche Folgerungen entsprechende Feststellungen zuließen, ist nicht zu entscheiden.

Werbung ist – auch im Sinne von Vorschrift 4 zu Kapitel 49 GZT – eine Einflußnahme zur Erfüllung des Werbeziels, und zwar jedenfalls dann, wenn der werbende Einfluß den Entschluß zum Erwerb von Gegenständen oder zur Inanspruchnahme entgeltlicher Leistungen hervorrufen soll (Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. September 1988 X R 49/81, BFHE 155, 200, 203, BStBl II 1989, 208 – Fremdenverkehrsprospekte). Dieser Werbebegriff entspricht im wesentlichen dem der Vorentscheidung zugrundeliegenden Maßstab (Interessenweckung für Güter und Dienstleistungen). Die zweite Alternative in Vorschrift 4 zu Kapitel 49 deckt nicht nur die (mittelbare) geschäftliche Werbung ab – die unmittelbare geschäftliche Werbung wird von der ersten Alternative erfaßt -, sondern, im Gegensatz zur Auffassung der Revision, auch die nichtgeschäftliche (private) Werbung. Daß insoweit der vorstehend entwickelte – weitgespannte – Werbebegriff anzuwenden ist, ergibt sich bereits aus dem Unterschied zwischen beiden Alternativen in Vorschrift 4 zu Kapitel 49: die zweite Alternative stellt, anders als die erste, nicht auf einen „Werbungtreibenden“ ab. Für die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen auch die Erläuterungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EuGH – und des Senats wichtiges Erkenntnismittel bei der Auslegung des Zolltarifs sind. Nach ihnen (ErlZT zu Tarifnr. 49.02 Teil I Rdziff. 3) können Zeitungen und andere periodische Druckschriften auch zu einem beträchtlichen Teil Anzeigen enthalten, vorausgesetzt, daß die Druckschriften nicht hauptsächlich zu diesem Zweck herausgegeben werden; dienen sie aber hauptsächlich diesem Zweck, so fallen sie unter Tarifnr. 49.11 (ErlZT zu Tarifnr. 49.11 Teil I Rdziff. 5). Auf die Art der Anzeigen – geschäftliche oder „private“ Werbung – kommt es nicht an. Auch wenn es sich nur oder überwiegend um private Kleinanzeigen handelt, ist die betreffende Druckschrift, sofern hauptsächlich zu diesem Zweck herausgegeben, der Tarifnr. 49.11 zuzuordnen. Von dieser Ansicht geht – zutreffend – auch der von der Klägerin selbst angeführte Erlaß des Bundesministers der Finanzen – BMF – vom 27. Dezember 1983 (BStBl I 1983, 567, 590 – Tz. 144) aus, der den (nichtbegünstigten) Werbedrucken unter anderem „Annoncen-Zeitungen“ zurechnet (ebenso BVerfG, Urteil vom 5. März 1974 1 BvR 712/68, BVerfGE 36, 321, 337, BStBl II 1974, 267, 272), also Druckschriften, die großenteils, häufig überwiegend, private Kleinanzeigen enthalten. Richtig ist allerdings, daß nach dem vorbezeichneten Erlaß als Werbung nur die Werbung „für entgeltliche Leistungen (geschäftliche Werbung)“ verstanden wird. Daraus läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß nach Ansicht des BMF nur die geschäftliche Werbung gemeint sei. Der Begriff „geschäftlich“ wird ersichtlich entweder als gleichbedeutend mit dem Begriff „entgeltlich“ oder als erläuterndes Beispiel (für den Hauptfall der entgeltlichen Werbung) aufgefaßt. Wäre es anders, so ließe sich die rechtliche Bewertung der „Annoncen-Zeitungen“ nicht erklären. Im übrigen wäre eine abweichende rechtliche Beurteilung durch den BMF für die Gerichte nicht bindend. Daß in den Kleinanzeigen für den Erwerb von Gegenständen bzw. die Inanspruchnahme von Leistungen gegen Entgelt geworben wird, hat das FG zwar nicht ausdrücklich, wohl aber im Zusammenhang mit der beispielhaften Aufführung der betreffenden Angebote (Fahrzeuge, Schallplatten, Mitfahrgelegenheiten und dergl.) festgestellt. Auch die Revision bringt insoweit Angriffe nicht vor.

Ob die Druckschrift unter zeitungswissenschaftlichen Gesichtspunkten als Zeitung anzusehen ist, ist nicht entscheidend (zum maßgebenden zolltariflichen Begriff ErlZT zu Tarifnr. 49.02 Teil I Rdziff. 6). Unerheblich ist auch, daß sie im Gegensatz zu Anzeigen- bzw. Offertenblättern nicht kostenlos abgegeben wird. Ein Informationswert oder „Kommunikationscharakter“ der in ihr enthaltenen Kleinanzeigen – der dann wohl auch entsprechenden Offerten in „Annoncen-Zeitungen“ zukäme – ist gleichfalls ohne Einfluß auf die Entscheidung. Ein solcher Charakter der Anzeigen ändert nichts daran, daß sie zu Werbezwecken aufgegeben und veröffentlicht werden und daß die entsprechende Druckschrift, wenn sie – wie hier – überwiegend diesen Zwecken dient, in die Tarifnr. 49.11 einzureihen ist. Erst seit dem 1. Januar 1988 erfaßt die Position 49.02 des neuen Zolltarifs – der Kombinierten Nomenklatur – neben „Zeitungen“ auch „periodische Druckschriften …., Werbung enthaltend“. Umsatzsteuerrechtlich dürfte die Änderung ohne Belang sein, da das UStG 1980 in Nr. 43 Buchst. b (n.F.) der Anlage auf diesen Teil der Tarifposition nicht Bezug nimmt. Hierüber braucht indessen nicht abschließend entschieden zu werden, da im Streitfall die Rechtslage vor dem 1. Januar 1988 maßgebend ist.


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