BFH-Beschluß vom 14.3.1989 (I B 50/88) BStBl. 1989 II S. 590

BFH-Beschluß vom 14.3.1989 (I B 50/88) BStBl. 1989 II S. 590

Ordnet das FA eine Außenprüfung „bei einer“ Bauherrengemeinschaft i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 an, so ist es ernstlich zweifelhaft, ob auf Grund der Anordnung die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 genannten Personen die Außenprüfung gemäß § 7 Abs. 1 VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 zu dulden verpflichtet sind.

AO 1977 § 118, § 122 Abs. 1, § 193 Abs. 2 Nr. 2, § 197 Abs. 1 Satz 1, § 200; VO zu § 180 Abs. 2; AO 1977 § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 5, § 7.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

 

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs-GmbH, die im Streitfall als Treuhänderin und Steuerberatungsgesellschaft F-BHG auftrat. In der F-BHG hatten sich 17 Bauherren zusammengeschlossen, die je ein Reihenhaus-Baugrundstück mit einem darauf im Bauherrenmodell errichteten Reihenhaus erwarben. Die Reihenhäuser wurden 1983 bezugsfertig und anschließend überwiegend vermietet.

Nach § 1 Nr. 2 Buchst. k des zwischen der Antragstellerin und den Bauherren abgeschlossenen Treuhandvertrages vom 20. August 1982 war als Aufgabe der Antragstellerin u.a. vereinbart:

„Unterstützung des Treugebers bei der Geltendmachung und Durchsetzung steuerlicher Rechte im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben durch Sachverhaltsaufklärung sowie Sachverhaltsnachweise nach Maßgabe der dem Treuhänder vorliegenden oder vom Baubetreuer bereitzustellenden Unterlagen sowie Vertretung des Treugebers im Rahmen der Erklärungspflichten bei der einheitlichen Gewinn- oder Einkünftefeststellung gegenüber dem Finanzamt; Entgegennahme von Verwaltungsakten der Finanzbehörden, insbesondere Prüfungsanordnungen, Prüfungsberichte und Feststellungsbescheide, die im Zusammenhang mit der Durchführung des Bauvorhabens stehen, auch nach Beendigung des Treuhandvertrages.“

Mit Verfügung vom 22. September 1987 ordnete der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt – FA -) „bei der F-BHG, bestehend aus den in der Anlage aufgeführten Bauherren“ eine steuerliche Betriebsprüfung gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) an. Die Verfügung wurde an die Antragstellerin gerichtet. Prüfungsbeginn sollte am 16. November 1987 sein. Die Prüfung sollte in A, Y-Straße 48, durchgeführt werden. Prüfungsgegenstand sollte die Umsatzsteuer 1982 bis 1983 und die Feststellung der Einkünfte 1982 bis 1983 sein. Am Schluß der Verfügung heißt es wörtlich:

„Die Prüfungsanordnung ergeht an Sie als Treuhänder und Steuerberater.

Prüfungsanordnung und Prüfungsdurchführung erfolgen im Auftrag des Finanzamts A (§ 195 Satz 2 AO 1977, § 5 Abs. 1 Satz 2 BpO-St). Die Prüfung ist erforderlich, weil die für die Besteuerung maßgeblichen Verhältnisse in tatsächlicher Hinsicht einer Aufklärung bedürfen und diese Feststellungen nach Art und Umfang der Bauherrengemeinschaft an Amtsstelle nicht getroffen werden können (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977).

Der Bevollmächtigte hat eine Durchschrift dieser Prüfungsanordnung erhalten.“

Gegen die Prüfungsanordnung erhob die Antragstellerin Beschwerde, über die am 13. Oktober 1987 noch nicht entschieden war. Gleichzeitig beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung der Verfügung. Diesen Antrag lehnte das FA mit Schreiben vom 13. Oktober 1987 ab.

Am 4. Januar 1988 beantragte die Antragstellerin deshalb beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der Verfügung vom 22. September 1987. Diesen Antrag wies das FG durch Beschluß vom 4. Mai 1988 als unbegründet zurück. Die Beschwerde wurde zugelassen.

Die Antragstellerin hat am 20. Mai 1988 Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.

Sie beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Beschlusses des FG Köln vom 4. Mai 1988 6 V 1/88 die Vollziehung der Prüfungsanordnung vom 22. September 1987 auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zu einer Entscheidung des Senats in der Sache selbst entsprechend dem Antrag der Antragstellerin (§ 132 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, 426, BStBl II 1978, 579). Solche Zweifel sind im Streitfall schon deshalb gegeben, weil Unklarheit darüber besteht, ob das FA eine Außenprüfung rechtswirksam „bei“ der Antragstellerin angeordnet hat.

2. Im Streitfall hat das FA die angefochtene Prüfungsanordnung vom 22. September 1987 auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestützt. Nach dieser Vorschrift ist eine Außenprüfung „bei“ anderen als den in Absatz 1 genannten Steuerpflichtigen zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhaltes nicht zweckmäßig ist. Die Zulässigkeit einer Außenprüfung „bei“ einem Steuerpflichtigen besagt, daß dieser die Außenprüfung in dem in ihrer Anordnung näher umschriebenen Umfang zu dulden verpflichtet ist (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juli 1985 I R 214/82, BFHE 144, 333, BStBl II 1986, 21). Ihn treffen die in § 200 AO 1977 geregelten Mitwirkungspflichten. Die Anordnung ist deshalb an den Steuerpflichtigen zu richten, der die Prüfung zu dulden verpflichtet ist (Inhaltsadressat). Von dem Inhaltsadressaten ist der Bekanntgabeempfänger zu unterscheiden. Er bestimmt sich nach § 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 i.V.m. § 122 Abs. 1 AO 1977. Danach kann die Prüfungsanordnung auch einem Bevollmächtigten des Inhaltsadressaten bekanntgegeben werden. Wird sie einer Person bekanntgegeben, die weder der Inhaltsadressat ist noch von dem Inhaltsadressaten zur Empfangnahme bevollmächtigt wurde, so wirkt die Bekanntgabe nicht gegenüber dem Inhaltsadressaten. Die Voraussetzungen des § 122 Abs. 1 AO 1977 sind in einem solchen Fall nicht erfüllt.

3. In der angefochtenen Prüfungsanordnung ordnete das FA eine steuerliche Betriebsprüfung „bei der F-BHG“ an. Der Verfügungssatz i.S. des § 118 AO 1977 besagt bei einer dem Wortlaut entsprechenden Auslegung, daß die F-BHG Inhaltsadressat der Anordnung ist. Sie soll die auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestützte Prüfung des FA dulden. Eine Duldungsverpflichtung auch der Antragstellerin ist in dem Verwaltungsakt vom 22. September 1987 nicht geregelt. Die Prüfungsanordnung kann deshalb nicht in dem Sinne vollzogen werden, daß die steuerliche Betriebsprüfung „bei der Antragstellerin“ durchgeführt wird.

Zwar wurde die angefochtene Prüfungsanordnung der Antragstellerin bekanntgegeben. Da jedoch jeder Verwaltungsakt auch einem Bevollmächtigten bekanntgegeben werden kann, besagt die Bekanntgabe noch nichts darüber, daß die Antragstellerin der Inhaltsadressat der Anordnung ist. Der Inhaltsadressat muß sich aus dem Inhalt der Regelung i.S. des § 118 AO 1977 ergeben.

Zwar heißt es in der Begründung der Prüfungsanordnung, diese ergehe an die Antragstellerin als Treuhänder und Steuerberater (offenbar der F-BHG). Jedoch ergibt sich auch aus diesem Hinweis nicht die Anordnung, daß die Außenprüfung gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 5 und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung (VO) zu § 180 Abs. 2 AO 1977 vom 19. Dezember 1986 (BGBl I 1986, 2663, BStBl I 1987, 2) „bei“ der Antragstellerin durchgeführt werden soll. Die Formulierung „die Prüfungsanordnung ergeht …“ kann sowohl im Sinne einer vermeintlichen Bevollmächtigten – als auch im Sinne einer Inhaltsadressatenbezeichnung verstanden werden. Da aber der entsprechende Hinweis nur in der Begründung der Prüfungsanordnung enthalten ist, kann die unklare Begründung den an sich objektiv klaren und eindeutigen Verfügungssatz nicht in sein Gegenteil verkehren.

4. Die Antragstellerin kann auch nicht deshalb als Inhaltsadressat der Prüfungsanordnung behandelt werden, weil sie selbst die Anordnung möglicherweise in diesem Sinne verstanden hat (vgl. Nr. 3 der Beschwerdebegründung der Antragstellerin im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren vom 29. September 1987). Zwar wird jeder Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Dies bedeutet jedoch nur, daß auf den objektiven Erklärungswert des bekanntgegebenen Verfügungssatzes abzustellen ist. Auf das subjektive Verständnis des Empfängers kommt es insoweit nicht an. Schon aus Gründen des § 171 Abs. 4 AO 1977 muß objektive Klarheit darüber bestehen, wer die Prüfung zu dulden verpflichtet ist. Wird nämlich die Prüfung nur „bei“ einer gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 beteiligten Person angeordnet, so ist zumindest zweifelhaft, ob der Beginn einer solchen Prüfung die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist gegenüber den Bauherren auslöst (vgl. die zur Reichsabgabenordnung ergangenen BFH-Urteile vom 6. Mai 1975 VII R 109/72, BFHE 116, 2, BStBl II 1975, 723; vom 18. Mai 1977 I R 36/75, BFHE 122, 248, BStBl II 1977, 652; vom 22. Oktober 1986 I R 107/82, BFHE 148, 507, BStBl II 1987, 293).

5. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 FGO bestehen an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Prüfungsanordnung insoweit, als das FA die Antragstellerin als Inhaltsadressaten der Prüfungsanordnung ansieht und diese „bei“ ihr zu vollziehen beabsichtigt. Insoweit ist deshalb die Vollziehung der Prüfungsanordnung auszusetzen. Damit bleibt Raum für die Prüfung der Rechtsfrage, ob nicht nur die F-BHG Inhaltsadressat der Prüfungsanordnung ist und die Anordnung gegenüber der Antragstellerin als Bevollmächtigte der F-BHG wirksam bekanntgegeben wurde (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Auch kann offenbleiben, ob die Beauftragung des FA gemäß § 195 Satz 2 AO 1977 nicht deshalb rechtswidrig ist, weil sie von dem unzuständigen FA A ausgesprochen wurde (§ 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 2 VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977).

Zwar hat der erkennende Senat dem Antragsbegehren der Antragstellerin bei wörtlicher Auslegung nicht in vollem Umfang entsprochen. Er geht jedoch davon aus, daß die vorgenommene Beschränkung der Aussetzung der Vollziehung der sinngemäßen Auslegung des Antrags der Antragstellerin entspricht. Deshalb ist eine teilweise Ablehnung des Antrags nicht erforderlich.


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