BFH-Urteil vom 29.4.1987 (I R 118/83) BStBl. 1988 II S. 168

BFH-Urteil vom 29.4.1987 (I R 118/83) BStBl. 1988 II S. 168

1. Eine Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 hindert unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nur die Änderung eines Steuerbescheides gemäß § 173 Abs. 1 AO 1977. Sie steht jedoch der Änderung des Bescheides aufgrund einer anderen Vorschrift (z. B. § 164 Abs. 2 AO 1977) nicht entgegen.

2. Eine Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ist kein Verwaltungsakt, der eine allgemeine Änderungssperre für die in der vorangegangenen Außenprüfung festgestellten Sachverhalte auslöst.

AO 1977 § 118 Abs. 1, § 157 Abs. 2, § 164 Abs. 1 und 2, § 171 Abs. 4, § 173 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1 und 2, § 202 Abs. 1 Sätze 1 und 3.

Vorinstanz: FG des Saarlandes

Sachverhalt

 

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die ein Gebäudereinigungsinstitut betreibt. Sie wurde beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA -) seit Juli 1972 unter der StNr. 359/8675 geführt. Für die Streitjahre 1976 bis 1978 wurde sie zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung entsprechend den Angaben in den eingereichten Jahressteuererklärungen veranlagt.

Anfang 1980 führte das FA bei der Klägerin für die Streitjahre eine Außenprüfung durch. Dabei vertrat der Außenprüfer die Auffassung, die dem Gesellschafter-Geschäftsführer RZ, der mit 95 v. H. am Stammkapital der Klägerin beteiligt war, zugeflossenen Gehaltserhöhungen sowie die für ihn und seine Ehefrau, die im Betrieb der Klägerin angestellt war, abgeschlossenen Direktversicherungen stellten teilweise verdeckte Gewinnausschüttungen dar. Außerdem behandelte der Prüfer die Aufwendungen für eine in der Gemeinde O angemeldete Betriebsstätte der Klägerin als verdeckte Gewinnausschüttungen. In der Schlußbesprechung vom 7. März 1980 wurde in diesen Punkten keine Einigung erzielt. Das FA sandte der Klägerin den Prüfungsbericht mit einem Begleitschreiben vom 29. April 1980 zu. Das Begleitschreiben trägt die StNr. 359/8675 und ist an die Firma RZ – Gebäudereinigung – A-Straße 34, N, gerichtet. Es enthält den Betreff „Steuerliche Betriebsprüfung“ und den Text:

„Sehr geehrter Herr Z!

Ich teile Ihnen gemäß § 202 Abs. 1 AO mit, daß die Betriebsprüfung nicht zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat. Umstände, die zu Steuererstattungen oder Steuerrückforderungen führen, haben sich nicht ergeben.

Hochachtungsvoll

gez. A.“

Ungeachtet dieses Schreibens erließ das FA am 29. Juli 1980 geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1976 bis 1978, Gewerbesteuermeßbescheide 1976 bis 1978, Bescheide über die Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals zum 31. Dezember 1976, 31. Dezember 1977 und 31. Dezember 1978 und am 16. Juli 1980 einen Zerlegungsbescheid 1978, mit dem die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags abgelehnt wurde. Die Einsprüche und die Klage blieben erfolglos.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 173 und 202 der Abgabenordnung (AO 1977), des § 6 Abs. 1 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968 und der §§ 12 AO 1977 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG).

Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 11. Februar 1987 einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1977 und geänderte Feststellungsbescheide gemäß § 47 KStG 1977 zum 31. Dezember 1977 und zum 31. Dezember 1978 erlassen. Die Klägerin hat die geänderten Bescheide in das Revisionsverfahrens übergeleitet (§ 121 i. V. m. §§ 68, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) zum 4. März 1983 und die Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 1980 aufzuheben sowie die geänderten Körperschaftsteuer-, Gewerbesteuermeß- und Eigenkapitalfeststellungsbescheide 1976 bis 1978 vom 29. Juli 1980 bzw. vom 11. Februar 1987 insoweit aufzuheben, als darin verdeckte Gewinnausschüttungen angesetzt wurden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Der Änderung der angefochtenen Steuerbescheide gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 steht die an die „Firma RZ – Gebäudereinigung -“ gerichtete Mitteilung des FA vom 29. April 1980 nicht entgegen, wonach die durchgeführte Betriebsprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt habe.

a) Gemäß § 173 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO 1977 hindert eine Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 nur die Anwendung des § 173 Abs. 1 AO 1977. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die mit keinen Revisionsrügen angefochten wurden und die deshalb den erkennenden Senat binden (§ 118 Abs. 2 FGO), ergingen jedoch die ursprünglichen Steuerbescheide, deren Änderung der Gegenstand der Außenprüfung war, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977). Sie konnten deshalb am 29. Juli 1980 gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 geändert werden, ohne daß dem die Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 vom 29. April 1980 entgegenstünde. Die in § 173 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 getroffene Regelung findet nämlich nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift nur auf beabsichtigte Änderungen i. S. des § 173 Abs. 1 AO 1977 Anwendung. Daraus folgt im Umkehrschluß, daß die Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 Änderungen aufgrund einer anderen Vorschrift nicht hindert. Sind deshalb die ursprünglichen Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen, so ist ihre Änderung nach § 164 Abs. 2 AO 1977 auch dann noch uneingeschränkt möglich, wenn zwischenzeitlich eine Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ergangen ist.

b) Die Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ist kein Verwaltungsakt, der eine allgemeine Änderungssperre für die in der vorangegangenen Außenprüfung festgestellten Sachverhalte auslöst. Dies folgt aus dem Zusammenhang der in § 202 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AO 1977 getroffenen Regelungen.

Nach § 202 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ergeht über das Ergebnis einer Außenprüfung grundsätzlich ein schriftlicher Bericht (Prüfungsbericht). In ihm sind die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie die Änderungen der Besteuerungsgrundlagen darzustellen. Nur dann, wenn die Außenprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen führt, genügt eine entsprechende schriftliche Mitteilung (§ 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteile vom 27. März 1961 I 276/60 U, BFHE 73, 58, BStBl III 1961, 290; vom 17. Juli 1985 I R 214/82, BFHE 144, 333, BStBl II 1986, 21) ist der Prüfungsbericht kein Verwaltungsakt (ebenso: Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 202 Anm. 1; Giesberts, Die steuerliche Betriebs- und Außenprüfung, 2. Aufl., 1981, Tz. 30, 238; Plath, Abgabenordnung, § 202 Anm. 2; Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 202 AO 1977 Anm. 8, 9; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 202 AO 1977 Anm. 2; Zwank in Koch, Abgabenordnung – AO 1977, 3. Aufl., § 202 Anm. 12). Nach § 118 AO 1977 ist Verwaltungsakt nur jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung des Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Ein Prüfungsbericht ist jedoch auf keine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 118 AO 1977 Anm. 10; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 10. Aufl., 1973, S. 199). Er dient vielmehr der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 164; BFHE 73, 58, BStBl III 1961, 290) und ist im übrigen nur vorbereitende Grundlage für möglicherweise zu erlassenden Änderungsbescheide. Deshalb ist auf einen Prüfungsbericht § 157 Abs. 2 AO 1977 entsprechend anzuwenden.

Für die in § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 vorgesehene Mitteilung muß Ähnliches gelten. Sie ist eine besondere Form der Erfüllung der nach § 202 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 bestehenden Verpflichtung, einen Prüfungsbericht zu erstellen und dem Steuerpflichtigen zu übersenden. Dies folgt aus den Worten „so genügt es“. Sie ist andererseits kein Verwaltungsakt, weil sie keine Regelung enthält, sondern nur – wie ein Prüfungsbericht – Auskunft über das tatsächliche Ergebnis der durchgeführten Außenprüfung gibt. Die Mitteilung ist auch im Hinblick auf § 171 Abs. 4 und § 173 Abs. 2 AO 1977 kein Verwaltungsakt, weil sie die dort genannten Rechtsfolgen nicht regelnd anordnet. Statt dessen knüpfen die Rechtsfolgen der genannten Vorschriften an die Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 als ein im Tatsächlichen liegendes Tatbestandsmerkmal an. Der Senat folgt damit nicht der Auffassung von Tipke/Kruse (a. a. O., § 202 AO 1977 Anm. 5), Thiel (Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht – JbFSt – 1977/78, 97, 109), Frotscher in Schwarz (a. a. O., § 202 Anm. 8), Jost (Steuerwarte – StW – 1980, 77) und Giesberts (a. a. O., Tz. 246). Er folgt der Auffassung von Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler (a. a. O., § 202 AO 1977 Anm. 232).

c) Die am 29. Juli 1980 festgesetzten Steuern waren unbeschadet eines möglicherweise zuvor eingetretenen Wegfalls der Ablaufhemmung gemäß § 146a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 nicht verjährt. Die Verjährungsfrist für die vor dem 1. Januar 1977 entstandenen Steuern betrug 5 Jahre (Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – EGAO 1977 -, § 144 Abs. 1 AO). Die Festsetzungsfrist für die nach dem 31. Dezember 1976 entstandenen Steuern betrug 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Beide Fristen waren am 29. Juli 1980, bezogen auf die den Streitfall betreffenden Steuern 1976 bis 1978, noch nicht abgelaufen.


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