BFH-Urteil vom 24.3.1987 (VII R 113/84) BStBl. 1988 II S. 163

BFH-Urteil vom 24.3.1987 (VII R 113/84) BStBl. 1988 II S. 163

Bei einem kombinierten Auskunfts- und Vorlageersuchen des FA hat der ersuchte Dritte – hier: ein Kreditinstitut – Anspruch auf Ersatz aller seiner mit dem Ersuchen zusammenhängenden Aufwendungen, d.h. auch jener, die ihm im Zusammenhang mit der Vorlage von Urkunden entstanden sind.

AO 1977 §§ 93, 97, 107.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

 

Die Steuerfahndungsstelle des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt – FA -) richtete unter dem Datum vom 5. Juni 1979 an die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ein Kreditinstitut, ein Ersuchen mit folgendem Inhalt:

„In dem steuerlichen Ermittlungsverfahren gegen … bitte ich, den Steuerfahndungsbeamten … in alle vorhanden gewesenen Konten des vorbezeichneten Steuerpflichtigen, und zwar gleich welcher Art (Sparkonten, Konten in laufender Rechnung, Darlehens-, Hypotheken- oder sonstige Kreditkonten, etwaige auf andere Namen lautende Konten, über die er verfügungsberechtigt ist oder war) Einsicht zu gewähren. Ich bitte, die notwendigen Auskünfte zu erteilen, Wertpapierdepots und Schließfächer anzugeben, die erforderlichen Unterlagen, insbesondere Depot- und Kontoauszüge sowie Kreditakten vorzulegen und schließlich mitzuteilen, ob der Steuerpflichtige Geldbewegungen über ein ‚Konto pro Diverse‘ oder ein ähnliches Konto vorgenommen hat. Das Ersuchen ergeht aufgrund § 93 der Abgabenordnung.“

Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung nachgekommen war, bat sie das FA mit Schreiben vom 4. Juli 1979, die ihr durch dieses Auskunftsersuchen entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 231,65 DM zu erstatten. Das FA lehnte diese Erstattung mit Bescheid vom 8. August 1979 ab.

Auf die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) den Ablehnungsbescheid des FA sowie die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) auf und verurteilte das FA, an die Klägerin eine Kostenentschädigung in Höhe von 209,05 DM zu zahlen.

Entscheidungsgründe

 

Die Revision des FA hat keinen Erfolg. Das FG hat im Ergebnis der Klage zu Recht zum größten Teil stattgegeben.

Das FG ist ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß der Entschädigungsanspruch der Klägerin nach § 107 AO 1977 dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Über die Höhe des Anspruchs besteht zwischen den Beteiligten nach der Vorentscheidung kein Streit mehr.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 107 Satz 1 AO 1977. Danach sind Auskunftspflichtige und Sachverständige zu entschädigen, die die Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren zu Beweiszwecken herangezogen hat. Diese Vorschrift regelt unmittelbar dem Grunde nach die Pflicht der Finanzbehörde zur Entschädigung (Senatsurteil vom 23. Dezember 1980 VII R 91/79, BFHE 132, 385, 388, BStBl II 1981, 392). Die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift sind hier erfüllt.

Das FA hat die Klägerin zu Beweiszwecken als Auskunftspflichtige in einem Besteuerungsverfahren herangezogen. Es kann unentschieden bleiben, ob für die Entschädigungspflicht der Behörde nach § 107 AO 1977 davon schon deswegen auszugehen ist, weil das FA sein Ersuchen vom 5. Juni 1979 ausdrücklich auf § 93 AO 1977 gestützt hat, oder ob es jeweils auf den Inhalt des tatsächlichen Tuns der ersuchten Person ankommt (so wohl Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 107 AO 1977 Anm. 8; Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – Kassel vom 7. Oktober 1982 IV/V E 3002/82, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht – WM – 1983, 224; a.A. wohl die Vorentscheidung und Urteil des FG Nürnberg vom 28. Juni 1979 VI 140/78, WM 1979, 1169). Im vorliegenden Fall steht nach der Vorentscheidung jedenfalls fest, daß das FA an die Klägerin ein Auskunftsersuchen nach § 93 AO 1977 gerichtet hat und die Klägerin aufgrund dieses Ersuchens tatsächlich auch Auskünfte erteilt hat.

Gegen diese Feststellung des FG wendet sich die Revision nicht. Sie trägt aber vor, die Klägerin sei auch als Vorlagepflichtige i.S. des § 97 AO 1977 tätig geworden und könne daher nach dem Wortlaut des § 107 AO 1977 jedenfalls für ihre Aufwendungen im Rahmen dieser Tätigkeit Ersatz nicht beanspruchen. Der Vorentscheidung ist mittelbar zu entnehmen, daß die Klägerin sowohl als Auskunfts- als auch als Vorlagepflichtige tätig geworden ist. Das FG ist aber zu Recht davon ausgegangen, daß dies dem Entschädigungsanspruch der Klägerin nicht entgegensteht.

Die Richtigkeit dieser Auffassung ergäbe sich ohne weiteres aus § 107 AO 1977, falls diese Vorschrift auf den Fall der Vorlagepflicht des § 97 AO 1977 entsprechend anzuwenden wäre. Ihr Wortlaut (vgl. auch § 92 AO 1977) spricht gegen diese Annahme (so Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 107 AO 1977 Anm. 10; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 107 AO 1977 Anm. 1; Koch, Abgabenordnung – AO 1977, 3. Aufl., § 107 Anm. 4/1; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 107 Anm.; anderer Ansicht Schwarz, Abgabenordnung, § 107 Anm. 2 und 7; Beschluß des FG Düsseldorf vom 25. Februar 1980 XVI (XIII) 61/75 UM, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1980, 318). Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner Entscheidung. Denn jedenfalls hat in einem Fall wie dem vorliegenden der Ersuchte Anspruch auf Entschädigung für alle seine aufgrund des Ersuchens getätigten Aufwendungen, d.h. auch für die Aufwendungen, die wegen der Vorlage von Büchern usw. entstanden sind.

Das FA hat die Klägerin in erster Linie um Auskunft ersucht. Dafür spricht nicht nur, daß das Ersuchen allein auf § 93 AO 1977 gestützt ist. Auch der Wortlaut des Ersuchens macht klar, daß die Pflicht zur Vorlage der erforderlichen Urkunden im Dienste der Auskunftspflicht steht. Bei einem Auskunftsersuchen wie dem vorliegenden, in dem das FA eine Person in einer Verfügung ohne jede Unterscheidung im Tatsächlichen um Auskunft und Vorlage von Urkunden ersucht, besteht ein ununterscheidbarer Zusammenhang zwischen Auskunfts- und Vorlagepflicht. Jedenfalls bietet der Streitfall keine Anhaltspunkte dafür, wie zwischen Maßnahmen, die für die Auskunft, und solchen die für die Vorlage von Urkunden erforderlich waren, unterschieden werden könnte. Die Vorlagepflicht erhält unter diesen Umständen den Charakter einer Hilfspflicht zur Auskunftspflicht. Die Aufwendungen in bezug auf die Vorlage sind dann als solche für die Erteilung der Auskunft anzusehen, für die § 107 AO 1977 eine Entschädigungspflicht vorsieht.

Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich auch aus den folgenden Überlegungen. Nach § 97 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 soll das FA die Vorlage von Büchern usw. in der Regel nur verlangen, wenn der Vorlagepflichtige eine Auskunft nicht erteilt hat oder wenn diese unzureichend ist oder gegen ihre Richtigkeit Bedenken bestehen. Das spricht dafür, daß in einem Fall, in dem sich das FA an die Sollvorschrift des § 97 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 nicht hält und ein einheitliches Auskunfts- und Vorlageersuchen erläßt, das Auskunftsersuchen die ihm nach der letztgenannten Vorschrift grundsätzlich zukommende Priorität hat, der Pflicht zur Vorlage also nur der Charakter einer Hilfspflicht zur Auskunftspflicht zukommt.

Der nach § 93 AO 1977 Auskunftspflichtige hat überdies die Pflicht, sich vor Erteilung der Auskunft entsprechend kundig zu machen. Das ergibt sich aus § 93 Abs. 3 Satz 2 AO 1977. Danach hat sich der Auskunftspflichtige vor Erteilung der Auskunft durch Einsicht in seine Bücher usw. zu informieren. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die mit dieser Informationspflicht verbundenen Aufwendungen dem Auskunftspflichtigen nach § 107 AO 1977 zu ersetzen sind, weil sie Aufwendungen im Zusammenhang mit der Auskunftspflicht sind. Von diesen Aufwendungen sind aber in einem Fall, in dem wie hier das FA eine Person durch ein einheitliches Ersuchen um Auskunft und Vorlage ersucht, Aufwendungen praktisch nicht zu unterscheiden, die einem Vorlagepflichtigen i.S. des § 97 AO 1977 entstehen, wenn er die vorzulegenden Bücher usw. heraussucht. In einem solchen Fall gehen Auskunfts- und Vorlagepflicht ununterscheidbar ineinander über. Es wäre daher ungerechtfertigt, den Entschädigungsanspruch des § 107 AO 1977 davon abhängig zu machen, daß der Auskunftspflichtige den – praktisch oft gar nicht möglichen – Nachweis führt, welche seiner Aufwendungen zur Auskunfts- und welche zur Vorlagepflicht gehören.


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