BFH-Beschluß vom 3.2.1987 (VII B 129/86) BStBl. 1987 II S. 305

BFH-Beschluß vom 3.2.1987 (VII B 129/86) BStBl. 1987 II S. 305

Das FG ist, auch wenn die Revision gegen sein Urteil nur kraft Zulassung stattfindet, im Falle von Fragen zur Auslegung oder Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht nicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften verpflichtet. Sieht das FG von der Vorlage an den Gerichtshof ab, so liegt darin kein Verfahrensmangel; insbesondere werden die Parteien nicht ihrem gesetzlichen Richter entzogen.

EWGV Art. 177; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 3.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

 

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) übersiedelte 1984 aus Belgien in die Bundesrepublik Deutschland. Er führte am 13. Juli 1984 seinen Personenkraftwagen aus Belgien ein und erwirkte am 26. Oktober 1984 die verkehrsrechtliche Zulassung des Fahrzeugs. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Fahrzeug in Belgien zugelassen und auch besteuert gewesen. Die gegen die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt – FA -) vorgenommene Besteuerung des Haltens in der Zeit vom 13. Juli bis 26. Oktober 1984 gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) aus der Erwägung ab, die vom Kläger gerügte Doppelbesteuerung des – endgültig eingeführten – Fahrzeugs verstoße weder gegen primäres noch gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht. Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Rechtssache wegen der eindeutigen Rechtslage keine grundsätzliche Bedeutung habe.

Der Kläger legte wegen Nichtzulassung der Revision Beschwerde ein. Er begründet sie damit, die Nichtzulassung der Revision verbaue ihm die Überprüfung seiner Rechtsauffassung aus der Sicht des europäischen Rechts; diesem schweren Mangel könne nur die Revision abhelfen, weil die Revisionsinstanz bei ähnlichen Zweifeln gemäß Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) zur Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) verpflichtet wäre. Dessen Rechtsprechung scheine seine – des Klägers – Rechtsauffassung zu bestätigen. Auf ein in den Herkunftsstaat zurückgeführtes Fahrzeug seien alle Regeln des Warenverkehrs und die hier geltenden Verbote doppelter Steuer- und Abgabenbelastung anzuwenden.

Nachträglich hat der Kläger noch ausgeführt, das Abschneiden eines zusätzlichen Rechtsweges ohne nähere Begründung sei eine Grundsatzfrage; ihre Richtigkeit müsse durch ein höchstes Gericht überprüfbar sein, zumal es an einer eindeutigen Rechtslage wegen der Implikationen des Gemeinschaftsrechts fehle.

Entscheidungsgründe

 

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

In der Beschwerdeschrift hat der Kläger einen Verfahrensmangel geltend gemacht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), der in der Nichtzulassung der Revision liegen soll. Darauf, daß das FG die Revision nicht zugelassen hat, kann aber die angefochtene Entscheidung – über die Klage – nicht beruhen, wie sich auch daraus ergibt, daß das FG seine letzte Entscheidung über die Zulassung erst aufgrund der Nichtzulassungsbeschwerde trifft (vgl. § 115 Abs. 5 Satz 1, § 130 Abs. 1 FGO). Das FG war auch nicht etwa zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH – für den Bereich von Vorabentscheidungen gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Oktober 1986 2 BvR 197/83, Abschn. B I 1 a – Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (RIW/AWD) 1987, 62 -) – verpflichtet. Das FG ist, auch wenn eine zulassungsfreie Revision (§ 116 FGO) nicht eingelegt werden kann, kein Gericht, dessen Entscheidungen nicht mit Rechtsmitteln nach innerstaatlichem Recht angefochten werden können. Denn wegen Nichtzulassung der Revision ist die Nichtzulassungsbeschwerde statthaft und damit eine Rechtsmittelmöglichkeit gegeben (vgl. zur übereinstimmenden Rechtslage im Verwaltungsstreitverfahren Bundesverwaltungsgericht – BVerwG -, Beschlüsse vom 7. Dezember 1983 3 B 90.82, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG 451.90 Nr. 43, vom 20. März 1986 3 B 3.86, Buchholz a. a. O., Nr. 59 = Europarecht 1986, 282, und vom 22. Juli 1986 3 B 104.85, RIW/AWD 1986, 914), mittels der die spezifische Zielsetzung von Art. 177 Abs. 3 EWGV gewahrt ist (vgl. EuGH-Urteil vom 24. Mai 1977 Rs. 107/76, EuGHE 1977, 957, 972, hinsichtlich der Möglichkeit der Einleitung eines Verfahrens zur Hauptsache auf eine letztinstanzliche Entscheidung im Verfahren wegen einstweiliger Verfügung). Daraus folgt, daß das FG nicht gemäß Art. 177 Abs. 3 EWGV (grundsätzlich) zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, sondern als Instanzgericht dazu nur befugt ist (Art. 177 Abs. 2 EWGV). Unterläßt das FG die Einholung einer Vorabentscheidung, so liegt darin kein Verstoß gegen Verfahrensrecht (anders ohne nähere Begründung Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, 1986, Anm. 210), insbesondere wird dadurch kein Beteiligter seinem gesetzlichen Richter entzogen.

Soweit sich der Kläger – nachträglich – auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache berufen hat, kann sein Vorbringen schon wegen Verspätung nicht berücksichtigt werden (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 FGO). Der Senat weist jedoch darauf hin, daß eine grundsätzliche Bedeutung nicht in der (negativen) Entscheidung über die Zulassung gesehen werden kann, da bei Zulassung des Rechtsmittels nicht über diese, sondern über die Rechtssache als solche zu entscheiden wäre. Deren grundsätzliche Bedeutung hat der Kläger indessen nicht wie erforderlich dargelegt.


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