Pflicht zur Nutzung des beSt für Steuerberatungsgesellschaften ab dem 01.01.2023 – Schuldhafte Versäumung der Beschwerdeeinlegungsfrist – BFH-Beschluss vom 23. Januar 2024, IV B 46/23

ECLI:DE:BFH:2024:B.230124.IVB46.23.0

BFH IV. Senat

FGO § 52a Abs 4 S 1 Nr 2, FGO § 52d S 1, FGO § 56, FGO § 116 Abs 2 S 1, StBerG § 3 S 1 Nr 2, StBerG § 49, StBerG § 86b, StBerG § 86e, StBerG § 157e, FGO § 52d S 2, FGO § 52d S 3, FGO § 52d S 4

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 22. August 2023, Az: 8 K 8094/20

Leitsätze

1. NV: Berufsausübungsgesellschaften nach § 3 Satz 1 Nr. 2, § 49 des Steuerberatungsgesetzes, die in das Steuerberaterverzeichnis eingetragen sind, sind gemäß § 52d Satz 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung verpflichtet, seit dem 01.01.2023 das besondere elektronische Steuerberaterpostfach zu nutzen.

2. NV: Wird die vorübergehende technische Unmöglichkeit nicht zusammen mit oder jedenfalls unverzüglich nach der Beschwerdeeinlegung dargelegt und glaubhaft gemacht, kann aus diesem Grund eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.08.2023 – 8 K 8094/20 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

  1. Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
  2. 1. Die Klägerin hat es versäumt, die Beschwerde innerhalb der dafür bestimmten Frist in der seit dem 01.01.2023 vorgeschriebenen Form einzulegen. Denn die beim Bundesfinanzhof (BFH) am letzten Tag (25.09.2023) der einmonatigen Beschwerdeeinlegungsfrist (vgl. § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO) als Telefaxschreiben eingegangene Beschwerde entspricht nicht den ‑‑von Amts wegen zu berücksichtigenden‑‑ Anforderungen des § 52d Satz 1 und 2 FGO (dazu a). Eine wirksame Ersatzeinreichung nach § 52d Satz 3 und 4 FGO liegt nicht vor (dazu b).
  3. a) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen ‑‑damit auch die Beschwerdeschrift‑‑, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind nach § 52d Satz 1 FGO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.
  4. aa) Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO genannten ‑‑in das Steuerberaterverzeichnis (vgl. § 86b des Steuerberatungsgesetzes ‑‑StBerG‑‑) eingetragenen‑‑ Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2 (i.V.m. § 49) StBerG steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung.
  5. Der BFH hat bereits entschieden, dass Steuerberater seit dem 01.01.2023 verpflichtet sind, das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) zu nutzen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 11.08.2023 – VI B 74/22, Rz 8 ff.; vom 31.10.2023 – IV B 77/22, Rz 4 ff.). Diese Nutzungspflicht besteht ‑‑wie sich aus § 86e, § 157e StBerG ergibt‑‑ auch für jede im Steuerberaterverzeichnis (vgl. § 86b StBerG) eingetragene Berufsausübungsgesellschaft (Steuerberatungsgesellschaft) im Sinne von § 3 Satz 1 Nr. 2, § 49 StBerG. Ob dieser Gesellschaft die von ihr vorzuhaltenden technischen Einrichtungen zur Verfügung stehen und das beSt von ihr tatsächlich freigeschaltet wurde, ist insoweit unerheblich.
  6. bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze war die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ‑‑die X-GbR‑‑ als eine in das bei der Bundessteuerberaterkammer nach § 86b StBerG geführte amtliche Steuerberaterverzeichnis eingetragene Berufsausübungsgemeinschaft (§ 49 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StBerG) verpflichtet, seit dem 01.01.2023 das beSt zu nutzen.
  7. b) Eine wirksame Ersatzeinreichung der Beschwerde in Papierform liegt nicht vor.
  8. Nach § 52d Satz 3 FGO bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften (zum Beispiel durch Telefax) zulässig, wenn dem nutzungsverpflichteten Einreicher eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen (§ 52d Satz 4 FGO).
  9. aa) § 52d Satz 3 FGO greift bei technischen Problemen im Rahmen der Verwendung des vollständig eingerichteten beSt ein (z.B. BFH-Beschluss vom 11.08.2023 – VI B 74/22, Rz 24, m.w.N.). In einem derartigen Fall ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. „Unverzüglich“ bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (z.B. Beschluss des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 21.06.2023 – V ZB 15/22, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 2023, 2883, Rz 19, m.w.N., zu § 130d Satz 3 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑; Finanzgericht ‑‑FG‑‑ Nürnberg, Urteil vom 10.07.2023 – 6 K 129/23, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2023, 1396, Rz 86; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 52d FGO Rz 55; Schmieszek in Gosch, FGO § 52d Rz 11; anderer Ansicht FG München, Urteil vom 26.06.2023 – 7 K 232/23, EFG 2023, 1404, Rz 15, das die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO anwendet). Der Zeitraum des unverschuldeten Zögerns im Sinne des § 52d Satz 4 FGO ist eng zu fassen (vgl. BGH-Beschluss vom 21.06.2023 – V ZB 15/22, NJW 2023, 2883, Rz 22, zu § 130d Satz 3 ZPO). Zur Glaubhaftmachung gehört jedenfalls eine Schilderung der tatsächlichen Umstände, die eine vorübergehende technische Unmöglichkeit rechtfertigen können (vgl. BGH-Beschluss vom 21.06.2023 – V ZB 15/22, NJW 2023, 2883, Rz 21, zu § 130d Satz 3 ZPO).
  10. bb) Hieran fehlt es. Mit Schreiben des BFH vom 28.09.2023 wurde ‑‑wie von der Prozessbevollmächtigten beantragt‑‑ die regulär am 25.10.2023 ablaufende Begründungsfrist bis zum 27.11.2023 verlängert (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO) und ihr mitgeteilt, dass ihre Beschwerde vom 25.09.2023 nicht den Anforderungen des § 52d FGO genügt. Zugleich wurde auf § 52d Satz 3 und 4 FGO sowie auf § 56 FGO hingewiesen. Hierauf teilte die Prozessbevollmächtigte erst mit dem am 17.11.2023 beim BFH eingegangenen Telefaxschreiben, in dem sie ‑‑neben der Übersendung der Gerichtsakten in Kopie‑‑ eine nochmalige Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 22.12.2023 beantragte, Folgendes mit: „Auf Grund einer EDV- und Serverumstellung ist die elektronische Übermittlung des Schreibens gemäß Finanzgerichtsordnung leider aktuell nicht möglich. Unsere EDV-Beauftragten arbeiten bereits an der Klärung des Problems. Wir bitten um Entschuldigung.“ Mit weiterem Telefaxschreiben vom 21.12.2023 ‑‑eingegangen beim BFH am gleichen Tag‑‑ wiederholte die Prozessbevollmächtigte ihre Bitte auf Aktenübersendung und beantragte, die Begründungsfrist bis zum 31.01.2024 zu verlängern. Dieses Telefaxschreiben enthält die gleiche ‑‑vorstehend zitierte‑‑ Begründung, weshalb eine elektronische Übersendung des Schreibens aktuell nicht möglich sei.
  11. Hiermit hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht unverzüglich nach der Ersatzeinreichung, sondern erstmals sieben Wochen nach dem 25.09.2023 vorgetragen, dass eine „EDV- und Serverumstellung“ erfolge. Dies überschreitet bei Weitem den gesetzlich zulässigen Zeitrahmen für eine nachträgliche Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit. Die Ersatzeinreichung ist bereits aus diesem Grund unwirksam. Zudem enthält das am 17.11.2023 eingegangene Telefaxschreiben keine nachvollziehbare Schilderung der Umstände, die eine vorübergehende technische Unmöglichkeit rechtfertigen könnten. Diesem Telefaxschreiben lässt sich schon nicht entnehmen, dass bereits am 25.09.2023 eine vorübergehende technische Störung vorgelegen hat. Ebenso bleibt offen, ob tatsächlich technische Probleme bestanden haben. So begründet allein der Umstand einer „EDV- und Serverumstellung“ noch keine technische Störung. Dies lässt zunächst nur auf eine bewusst gewählte Umstellungsmaßnahme im IT-Bereich schließen. Schließlich ist zweifelhaft, ob am 25.09.2023 eine nur vorübergehende technische Störung vorlag. So existiert nach dem eigenen Vorbringen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin das „Problem“ weiterhin.
  12. c) Folglich ist die am 25.09.2023 als Telefaxschreiben beim BFH eingegangene Beschwerde nicht formgerecht erhoben worden. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit und schließt die Fristwahrung ‑‑hier die Wahrung der Einlegungsfrist nach § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO‑‑ aus.
  13. 2. Der Klägerin kann eine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist (§ 56 Abs. 1 FGO) nicht gewährt werden.
  14. a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO).
  15. Ein Verschulden im Sinne des § 56 FGO liegt ‑‑jedenfalls, wenn es sich um die Fristversäumnis eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts handelt‑‑ nur dann nicht vor, wenn dieser die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet hat (z.B. BFH-Beschluss vom 10.12.2019 – VIII R 19/17, Rz 8, m.w.N.). Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
  16. b) Selbst wenn man das am 17.11.2023 beim FG eingegangene Telefaxschreiben der Prozessbevollmächtigten als einen Wiedereinsetzungsantrag werten wollte, ist die Beschwerdeeinlegungsfrist nicht ohne Verschulden versäumt.
  17. aa) Bei einer vorübergehenden technischen Störung des beSt ist eine etwaige fehlende beziehungsweise fehlerhafte Kenntnis der sich aus § 52d FGO ergebenden Rechtslage für Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe nicht entschuldbar (vgl. BGH-Beschluss vom 15.12.2022 – III ZB 18/22, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2023, 189, Rz 9, zu § 130d ZPO). Hätte die Prozessbevollmächtigte in dieser Situation die Voraussetzungen des § 52d Satz 3 und 4 FGO beachtet, wäre die Einlegungsfrist auch ohne Übermittlung des Schriftsatzes als elektronisches Dokument gewahrt worden.
  18. bb) Die Prozessbevollmächtigte hat keinen sonstigen Sachverhalt dargelegt und glaubhaft gemacht, der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnte.
  19. 3. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
  20. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.