Schuldzinsenabzug aus einem Darlehen zur Finanzierung einer Bürgschaftsinanspruchnahme – BFH-Beschluss vom 22. Februar 2023, VIII B 4/22

ECLI:DE:BFH:2023:B.220223.VIIIB4.22.0

BFH VIII. Senat

EStG § 2 Abs 2 S 2, EStG § 20 Abs 9, EStG § 32d Abs 2 Nr 1 S 1 Buchst b S 1, EStG § 32d Abs 2 Nr 1 S 1 Buchst b S 2, FGO § 126 Abs 4, EStG VZ 2013

vorgehend FG Nürnberg, 18. November 2021, Az: 4 K 699/19

Leitsätze

NV: § 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 20 Abs. 9 EStG schließt den Abzug von Schuldzinsen für ein Refinanzierungsdarlehen, das der Steuerpflichtige zur Finanzierung einer Bürgschaftsinanspruchnahme aufnimmt, bei den Einkünften aus Kapitalvermögen vorbehaltlich der Regelung in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG aus.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 18.11.2021 – 4 K 699/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

  1. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
  2. Die Vorentscheidung ist nicht in entsprechender Anwendung von § 127 FGO wegen des am 30.06.2022 ergangenen geänderten Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr 2013 aufzuheben, da dieser Bescheid nach übereinstimmender Aussage der Beteiligten den Streitstoff nicht berührt (s. unter 1.). Die Revision ist auch nicht wegen der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) behaupteten qualifizierten Rechtsanwendungsfehler des Finanzgerichts (FG) gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen (s. unter 2.). Jedenfalls kommt eine Zulassung der Revision auch in entsprechender Anwendung von § 126 Abs. 4 FGO nicht in Betracht (s. unter 3.)
  3. 1. Ergeht während des Verfahrens über eine zulässige, aber unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde ein Änderungsbescheid (hier der geänderte Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2013 vom 30.06.2022), wird dieser gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens. Die Vorentscheidung ist entsprechend § 127 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Die Vorentscheidung ist jedoch nicht entsprechend § 127 FGO aufzuheben, wenn der Änderungsbescheid keine gegenüber den bisherigen Belastungen verbösernde Entscheidung enthält oder diese Entscheidung ‑‑wie hier zwischen den Beteiligten‑‑ nicht streitig ist (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16.06.2010 – X B 91/09, BFH/NV 2010, 1844, Rz 4).
  4. 2. Das FG hat im Streitjahr den Abzug von Schuldzinsen für ein Darlehen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgelehnt, das der Kläger aufgenommen hatte, um im Jahr 2012 die Erfüllung aus einer Bürgschaftsinanspruchnahme zu finanzieren. Es ist nicht erkennbar, dass dem FG bei dieser rechtlichen Würdigung die vom Kläger geltend gemachten qualifizierten Rechtsanwendungsfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO unterlaufen sein könnten.
  5. a) Das Beschwerdeverfahren gemäß § 116 FGO dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Entscheidungen zu gewährleisten (z.B. BFH-Beschluss vom 04.05.2021 – VIII B 121/20, BFH/NV 2021, 1329, Rz 15). Materiell-rechtliche Fehler des FG im Rahmen der rechtlichen oder tatsächlichen Würdigung können nur im Falle qualifizierter Rechtsanwendungsfehler im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung des FG zur Revisionszulassung führen. Unterhalb dieser Schwelle liegende, auch erhebliche Rechtsfehler des FG reichen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung und somit einen Grund für die Zulassung der Revision anzunehmen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 03.08.2017 – IX B 54/17, BFH/NV 2017, 1449; vom 03.02.2012 – IX B 126/11, BFH/NV 2012, 741, Rz 3; vom 08.05.2018 – VIII B 124/17, BFH/NV 2018, 822, Rz 21).
  6. b) Das FG hat sich bei seiner rechtlichen Würdigung darauf gestützt, dass der Kläger aus der Bürgschaftsinanspruchnahme und dem im Jahr 2012 auf ihn übergegangenen wertlosen Rückgriffsanspruch keinen steuerbaren Ausfallverlust gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) habe erzielen können, da ihm insoweit die Einkünfteerzielungsabsicht gefehlt habe. Mangels eines Veranlassungszusammenhangs zwischen den geltend gemachten Schuldzinsen und diesen oder anderen steuerbaren Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen lägen keine Werbungskosten vor. Diese Würdigung des FG ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht schlechthin unvertretbar oder willkürlich.
  7. 3. Die Revision wäre in entsprechender Anwendung von § 126 Abs. 4 FGO auch dann nicht zuzulassen, wenn der Senat mit dem Kläger einen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler des FG bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht für den Bürgenregressanspruch annehmen und der ‑‑aus Sicht des Klägers im Jahr 2012 realisierte‑‑ Ausfallsverlust aus dem Rückgriffsanspruch steuerbar wäre.
  8. a) Nach § 126 Abs. 4 FGO ist eine Revision auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts ergeben, sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig darstellt. Die Vorschrift ist im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision entsprechend anzuwenden. Der § 126 Abs. 4 FGO zugrunde liegende Rechtsgedanke ist im Rahmen aller Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO heranzuziehen (BFH-Beschlüsse vom 18.06.2015 – X B 20/15, BFH/NV 2015, 1418, Rz 11 bis 13; vom 16.12.2020 – VIII B 141/19, BFH/NV 2021, 534, Rz 3).
  9. b) Selbst wenn die geltend gemachten Schuldzinsen in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem im Jahr 2012 realisierten und gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG steuerbaren Ausfallverlust aus dem Rückgriffsanspruch des Klägers stünden und dem Grunde nach Werbungskosten wären, weil der Kläger mit dem zugrunde liegenden Darlehen die Bürgschaftszahlung und damit die Anschaffungskosten seines Rückgriffsanspruchs finanziert hätte, scheitert ein Abzug der Schuldzinsen jedenfalls an § 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 20 Abs. 9 EStG.
  10. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG tritt die Regelung in § 20 Abs. 9 EStG an die Stelle der §§ 9, 9a EStG und schließt den Abzug der tatsächlichen Werbungskosten im Zusammenhang mit Kapitalerträgen aus, die unter den gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG fallen (vgl. BFH-Urteil vom 01.07.2014 – VIII R 53/12, BFHE 246, 332, BStBl II 2014, 975, Rz 10). Stattdessen ist nach § 20 Abs. 9 EStG „als Werbungskosten“ der Sparerpauschbetrag abzuziehen. Dieser wurde dem Kläger im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 30.06.2022 in voller Höhe gewährt.
  11. Das Werbungskostenabzugsverbot gilt gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG nur dann nicht, wenn die Regelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG die Anwendbarkeit des § 20 Abs. 9 EStG ausschließt. Letzteres ist hier nicht der Fall. Denn die Voraussetzungen in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 2 EStG für einen Ausschluss des geltend gemachten Ausfallverlusts aus dem Rückgriffsanspruch aus dem gesonderten Tarif sind im Streitfall offenkundig nicht gegeben. Der Kläger ist selbst nicht Gesellschafter der A GmbH i.S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 1 EStG, für deren Darlehen er gebürgt hatte. Auch ist nach den Feststellungen des FG und dem Vortrag des Klägers nicht ersichtlich, dass der Kläger gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 2 EStG zu einem der mindestens zu 10 % beteiligten Gesellschafter in einem Näheverhältnis gestanden haben könnte.
  12. 4. Der Senat sieht von einer Darstellung des Tatbestands und weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).
  13. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.