Sonderausgabenabzug von Beiträgen für die Krankheits- und Pflegekostenvorsorge, die an einen nicht der Versicherungsaufsicht unterliegenden Solidarverein geleistet werden – BFH-Urteil vom 23. August 2023, X R 21/22

Teilweise Parallelentscheidung zu BFH-Urteil vom 23.08.2023 – X R 15/22

ECLI:DE:BFH:2023:U.230823.XR21.22.0

BFH X. Senat

EStG § 10 Abs 1 Nr 3 S 1 Buchst b, SGB 11 § 1 Abs 1, SGB 11 § 1 Abs 3, SGB 11 § 23 Abs 1 S 1, EStG VZ 2017

vorgehend FG Münster, 09. Februar 2022, Az: 11 K 820/19 E

Leitsätze

NV: Beiträge zur Absicherung des Pflegekostenrisikos, die an einen nicht der Versicherungsaufsicht unterliegenden Solidarverein geleistet werden, können nicht als Sonderausgaben abgezogen werden, da ein solcher Verein weder zu den Trägern der sozialen Pflegeversicherung gehört noch eine private Pflicht-Pflegeversicherung anbietet.

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 09.02.2022 – 11 K 820/19 E aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2017 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Beide Kläger zahlen für ihre Absicherung im Krankheits- und Pflegefall jeweils Beiträge an einen eingetragenen Verein (V), die sich im Streitjahr wie folgt aufteilten:        Kläger     Klägerin       GesamtBasis-Krankheitskostenvorsorge       3.757 € 823 € 4.580 € Beitrag für Mehrleistungen355 € 87 € 442 € Vorsorge für das Pflegerisiko236 € 218 € 454 € 
  2. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) wurden diese Beiträge im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2017 vom 27.07.2018 nicht als Vorsorgeaufwendungen berücksichtigt. Allerdings ist im ‑‑vom FG in Bezug genommenen‑‑ in den Akten enthaltenen Ausdruck dieses Bescheids erkennbar, dass die an V geleisteten Beiträge zur Vorsorge für das Pflegerisiko in voller Höhe als Sonderausgaben abgezogen wurden.
  3. Zur Begründung für die Nichtberücksichtigung der Beiträge führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) in der Einspruchsentscheidung aus, es fehle der nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erforderliche Rechtsanspruch auf Leistungen des V.
  4. Wegen der Einzelheiten zu den Satzungen und Ordnungen des V sowie zum Vorbringen der Beteiligten wird auf den Tatbestand des in einem Parallelverfahren ergangenen Senatsurteils vom 23.08.2023 – X R 15/22 (BFH/NV 2023, 1397) verwiesen.
  5. Das FG wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 661). Die Entscheidungsgründe entsprechen weitestgehend denjenigen des Urteils des Hessischen FG vom 10.03.2022 – 1 K 1029/18 (Vorinstanz zum Senatsurteil vom 23.08.2023 – X R 15/22, BFH/NV 2023, 1397).
  6. Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Revisionsverfahren wird ebenfalls auf die Darstellung im Tatbestand des Senatsurteils vom 23.08.2023 – X R 15/22 (BFH/NV 2023, 1397) verwiesen.
  7. Die Kläger beantragen sinngemäß,
    das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2017 vom 27.07.2018 dahingehend zu ändern, dass 4.580 € für die Basis-Krankheitskostenvorsorge und 442 € für eine über die Basisabsicherung hinausgehende Krankheitskostenvorsorge als Vorsorgeaufwendungen berücksichtigt werden.
  8. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
  2. 1. Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf die Ausführungen im Senatsurteil vom 23.08.2023 – X R 15/22 (BFH/NV 2023, 1397), das ein Parallelverfahren zum dortigen Streitjahr 2016 betrifft. Im hiesigen Streitjahr 2017 hat sich die Sach- und Rechtslage im Vergleich zum Vorjahr 2016 nicht in entscheidungserheblicher Weise geändert.
  3. 2. Für den Fall, dass das FG im zweiten Rechtsgang zu einer Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen für die Krankheitskostenvorsorge als Vorsorgeaufwendungen kommen sollte, wird es erneut Feststellungen zu der Frage zu treffen haben, ob die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen zur Pflegekostenvorsorge vom FA im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2017 vom 27.07.2018 berücksichtigt worden sind oder nicht. Nach Aktenlage dürften diese Beiträge in vollem Umfang als Sonderausgaben abgezogen worden sein; das FG hat in seinem im ersten Rechtsgang ergangenen Urteil allerdings das Gegenteil festgestellt.
  4. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG sind „Beiträge zu den gesetzlichen Pflegeversicherungen (soziale Pflegeversicherung und private Pflicht-Pflegeversicherung)“ abziehbar. V gehört weder zu den Trägern der sozialen Pflegeversicherung (vgl. hierzu § 1 Abs. 1 und 3 des Elften Buches Sozialgesetzbuch ‑‑SGB XI‑‑) noch bietet er eine private Pflicht-Pflegeversicherung (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) an. Die Voraussetzungen für einen Sonderausgabenabzug sind daher insoweit nicht erfüllt (vgl. bereits Senatsurteil vom 12.08.2020 – X R 12/19, BFHE 270, 409, Rz 44; zu der ab dem 09.06.2021 geltenden Rechtslage in Bezug auf die Absicherung des Pflegerisikos durch Mitglieder von Solidargemeinschaften siehe auch § 21a und § 23 Abs. 4a SGB XI).
  5. Sollte das FA diese Beiträge gleichwohl als Sonderausgaben abgezogen haben, wird das FG im Falle eines Erfolgs der Klage im zweiten Rechtsgang insoweit eine Saldierung vornehmen müssen.
  6. 3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.