Unterschiedliche Fristen zur Abgabe von Steuererklärungen für steuerlich beratene und nicht beratene Steuerpflichtige; Darlegungsanforderungen

Beschluss vom 08. September 2020, XI B 17/20

ECLI:DE:BFH:2020:B.080920.XIB17.20.0

BFH XI. Senat

FGO § 116 Abs 3 S 3 , AO § 149 Abs 3 , GG Art 3 Abs 1 , FGO § 115 Abs 2 Nr 1 , FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 , AO § 149 Abs 2 , AO § 109

vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 05. Februar 2020, Az: 5 K 44/20

Leitsätze

1. NV: Macht ein Beschwerdeführer geltend, die in § 149 Abs. 3 AO vorgesehene Privilegierung von Steuerpflichtigen, die von Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten werden, sei wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG verfassungswidrig, muss er sich zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache mit der hierfür gegebenen Begründung des Gesetzentwurfs, der Rechtsprechung des BFH zur Vorgängerregelung und der zur Frage der Zulässigkeit der Regelung vorhandenen Literatur auseinandersetzen.

2. NV: Diese Darlegungsanforderungen gelten für den Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts entsprechend.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 05.02.2020 – 5 K 44/20 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die im Verwaltungsverfahren steuerlich nicht vertretene Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, beantragte beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt –FA–) mit Schreiben vom 31.07.2019, die Frist für die Abgabe der Steuererklärungen (Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuer) sowie der Bilanz für das Jahr 2018 bis zum 29.02.2020 zu verlängern. Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 02.08.2019 ab; der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 09.12.2019).
  2. Das Sächsische Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 05.02.2020 – 5 K 44/20 ab und ließ die Revision nicht zu. Es entschied, die Ablehnung der Fristverlängerung sei innerhalb der durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung rechtmäßig. Die in § 149 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) vorgesehene Privilegierung von Steuerpflichtigen, die durch Angehörige der steuerberatenden Berufe vertreten werden, sei verfassungsgemäß.
  3. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen. § 149 AO sei verfassungswidrig.
  4. Mit Schreiben vom 12.06.2020 hat das FA mitgeteilt, dass die Klägerin am 29.02.2020 ihre Steuererklärungen abgegeben habe. Die nicht zustimmungsbedürftige Umsatzsteuererklärung stehe einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Am 04.06.2020 habe das FA u.a. Bescheide wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrag 2018 erlassen und dabei von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abgesehen, weshalb die Beschwerde unzulässig geworden sei.
  5. Daraufhin hat die Klägerin mit Schreiben vom 23.07.2020 und 24.08.2020 die Hauptsache nicht für erledigt erklärt, sondern u.a. auf den bereits erstinstanzlich für den Fall, dass vor Fristablauf kein Urteil ergeht, gestellten Hilfsantrag, die Rechtswidrigkeit der Ablehnung festzustellen, hingewiesen. Das FA habe in den Erläuterungen zu den Steuerbescheiden für das Jahr 2018 angedroht, die Klägerin müsse zukünftig mit der Festsetzung von Verspätungszuschlägen rechnen, wenn sie, die Klägerin, ihre Steuererklärungen nicht oder nicht fristgemäß abgebe. Das FA habe in seinem Risikomanagement-System gespeichert, dass die Klägerin die Frist zur Abgabe der Steuererklärung nicht eingehalten habe. Dies beeinflusse für die nächsten drei Veranlagungszeiträume, ob und in welcher Höhe ein Verspätungszuschlag festgesetzt werde.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde ist unzulässig.
  2. 1. Dies ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass die Klägerin im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde in der Sache zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag übergegangen ist; denn diese Antragsumstellung ist auch noch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde möglich (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19.04.2016 – II B 66/15, BFH/NV 2016, 1059; Brandis in Tipke/Kruse, § 100 FGO Rz 48).
  3. 2. Allerdings hat die Klägerin die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt.
  4. a) Wird die Beschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, hat der Beschwerdeführer zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen eine hinreichend bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu ist schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darzulegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (vgl. BFH-Beschluss vom 26.09.2017 – XI B 65/17, BFH/NV 2018, 240, Rz 12 f., m.w.N.). Insbesondere sind Ausführungen dazu erforderlich, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (vgl. BFH-Beschluss vom 01.03.2016 – XI B 51/15, BFH/NV 2016, 957, Rz 8, m.w.N.). Macht ein Beschwerdeführer mit der Nichtzulassungsbeschwerde –wie hier– verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geltend, so ist darüber hinaus eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich und auf nahe liegende Gründe für und gegen die angegriffene Differenzierung einzugehen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 09.04.2014 – XI B 128/13, BFH/NV 2014, 1224, Rz 12; vom 18.04.2017 – V B 147/16, BFH/NV 2017, 1052, Rz 8 und 11).
  5. b) Hieran fehlt es im Streitfall.
  6. aa) Die Klägerin behauptet in der Beschwerdebegründung zwar, es bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Vereinbarkeit des § 149 AO mit Art. 3 Abs. 1 GG. Durch die Gesetzesänderung sei diese Frage neu aufgeworfen worden.
  7. bb) Sie setzt sich dabei aber weder mit der vom Gesetzgeber für die von ihm eingeräumte Ungleichbehandlung gegebenen Begründung (BTDrucks 18/7457, S. 76 f.) noch der vom FG zitierten Rechtsprechung des BFH zur Vorgängerregelung (z.B. BFH-Beschluss vom 14.06.2000 – X B 129/99, juris; BFH-Urteil vom 29.01.2003 – XI R 82/00, BFHE 201, 399, BStBl II 2003, 550, unter II.2.b aa, Rz 16) und der Literatur zur Rechtfertigung dieser Privilegierung (z.B. Seer in Tipke/Kruse, § 149 AO Rz 26; Klein/Rätke, AO, 15. Aufl., § 149 AO Rz 25; zur Vorgängerregelung bereits Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 149 AO Rz 24) auseinander.
  8. 3. Da das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) ein Unterfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung ist, kommt die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts aus denselben Gründen nicht in Frage (vgl. BFH-Beschluss vom 29.04.2020 – XI B 113/19, BStBl II 2020, 476, Rz 24).
  9. 4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).
  10. 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.