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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
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Das FG hat die Klage zu Unrecht mit der Begründung abgewiesen, dass ein inländischer Kindergeldanspruch schon deshalb ausgeschlossen sei, weil Polen nach der VO Nr. 1408/71 der zuständige Mitgliedstaat für die Gewährung von Familienleistungen sei. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der Senat keine abschließende Entscheidung treffen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG die fehlenden Tatsachenfeststellungen nachzuholen haben. |
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1. Im Revisionsverfahren war zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist. Kollisionsrechtlich ist nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a, Art. 73 der VO Nr. 1408/71 die Rechtszuständigkeit des Wohnsitzmitgliedstaats (Polen) für Familienleistungen begründet, während die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) als Beschäftigungsmitgliedstaat im Hinblick auf die Gewährung von Familienleistungen der nicht zuständige Mitgliedstaat ist. |
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Die Rechtszuständigkeit Polens nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a, Art. 73 der VO Nr. 1408/71 hat aber –anders als vom FG angenommen– nicht zur Folge, dass ein möglicherweise nach § 62 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestehender inländischer Kindergeldanspruch deshalb ausgeschlossen wird. Denn die ausschließliche Rechtszuständigkeit Polens nach der VO Nr. 1408/71 entfaltet keine Sperrwirkung für die Anwendung des Rechts des nicht zuständigen Mitgliedstaats (Deutschland). Der III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat seine gegenteilige Ansicht aufgegeben (vgl. dazu BFH-Urteile vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040, unter II.2.; zustimmend BFH-Urteile vom 11. Juli 2013 VI R 68/11, BFHE 242, 206, und vom 5. September 2013 XI R 52/10, BFH/NV 2014, 33, Rz 29). Der erkennende Senat hat sich –im Hinblick auf die EuGH-Urteile Bosmann in Slg. 2008, I-3827, Rdnr. 33 und vom 12. Juni 2012 C-611/10, C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2012, 999, Rdnrn. 56 f.)– der geänderten Auffassung aus den im Urteil des BFH in BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040, unter II.2. genannten Gründen angeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 30. Januar 2014 V R 38/11, juris). |
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2. Die Vorentscheidung ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und war deshalb aufzuheben. |
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie ist deshalb zur Nachholung der fehlenden Feststellungen an das FG zurückzuverweisen. |
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a) Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob der Kläger im Streitzeitraum möglicherweise einen Anspruch auf inländisches Kindergeld (§§ 62 Abs. 1, 63 EStG) hatte. |
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aa) Hinsichtlich eines Kindergeldanspruchs nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG wird das FG zu prüfen haben, ob der Kläger im Zeitraum von Mai 2004 bis Juli 2007 einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Etwaige für diese Veranlagungszeiträume (2004 bis 2007) ergangene Einkommensteuerbescheide entfalten für die kindergeldrechtliche Beurteilung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts keine Bindungswirkung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20. März 2013 XI R 37/11, BFHE 240, 394, unter II.2.b). |
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Im Zusammenhang mit einem Wohnsitz i.S. des § 8 der Abgabenordnung (AO) weist der Senat darauf hin, dass ein Steuerpflichtiger gleichzeitig mehrere Wohnsitze haben kann und diese auch im Inland und Ausland belegen sein können. Ohne Bedeutung ist dabei, welcher Wohnsitz den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 10. August 1983 I R 241/82, BFHE 139, 261, BStBl II 1984, 11, juris Rz 16, und vom 10. April 2013 I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, unter II.2.a, m.w.N.). |
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Im Zusammenhang mit einem gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 9 Satz 1 AO im Inland weist der Senat darauf hin, dass das FG den Sachverhalt insbesondere unter dem Gesichtspunkt des zeitlich zusammenhängenden Aufenthalts von mehr als sechs Monaten zu prüfen haben wird (§ 9 Satz 2 AO; vgl. hierzu z.B. BFH-Urteile vom 22. Juni 2011 I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001, unter II.1.b, und vom 7. April 2011 III R 89/08, BFH/NV 2011, 1324, unter II.2.). |
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Auch bei Vorliegen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland ist zu beachten, dass sich der Kindergeldanspruch danach richtet, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld im jeweiligen Monat vorlagen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 2012 V R 43/11, BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491, Rz 13). |
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bb) Soweit ein Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht in Betracht kommt, wird das FG hinsichtlich eines möglicherweise bestehenden Kindergeldanspruchs nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG festzustellen haben, ob der Kläger einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG gestellt hatte und für die Kalenderjahre 2004 bis 2007 entsprechend zur Einkommensteuer veranlagt wurde. Denkbar wäre auch, dass der Kläger aus anderen Gründen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 EStG) oder aber als beschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wurde (vgl. zur Beiziehung der Einkommensteuerakten BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 III R 59/11, BFHE 242, 228, Rz 45 f. und 49). |
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Der Senat weist darauf hin, dass bei einer möglichen Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG der Kindergeldanspruch nur in den Monaten des betreffenden Kalenderjahrs bestehen kann, in denen der Kindergeldberechtigte inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt hat (vgl. BFH-Urteile in BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491, Rz 17; vom 18. April 2013 VI R 70/11, BFH/NV 2013, 1554, Rz 11 und 14, und in BFHE 242, 228, Rz 19 ff., m.w.N.). In diesem Zusammenhang wird das FG festzustellen haben, zu welchem Zeitpunkt dem Kläger die Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG i.V.m. § 11 EStG zugeflossen sind (vgl. BFH-Urteile in BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491, Rz 33; in BFHE 242, 228, Rz 50, und vom 5. September 2013 XI R 26/12, juris, Rz 33). Auf die Mitwirkungspflicht des Klägers wird hingewiesen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 242, 228, Rz 24). |
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b) Soweit die Feststellungen des FG im zweiten Rechtsgang eine Kindergeldberechtigung des Klägers ergeben sollten, wird das FG weiter zu prüfen haben, in welcher Höhe bereits gewährte oder zu gewährende polnische Familienleistungen auf das Kindergeld anzurechnen sind (Differenzkindergeld). Eine etwaige Konkurrenzsituation mit polnischen Familienleistungen in den betreffenden Monaten des Streitzeitraums wäre entweder nach den vorrangigen unionsrechtlichen Antikumulierungsregelungen oder –soweit diese nicht einschlägig sein sollten– nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG aufzulösen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFH/NV 2013, 1973, Rz 19 f.). |
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. |
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