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II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FA war zwar zum Erlass des Umsatzsteuer-Änderungsbescheids 2008 vom 15. März 2013 berechtigt, die Übertragung des Miteigentumsanteils an dem Buch stellt jedoch –wie das FG zu Recht entschieden hat– eine Lieferung dar, die nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG steuerfrei ist. |
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1. Das FA war nach § 132 AO i.V.m. § 174 Abs. 4 AO –auch noch im Rahmen des Klageverfahrens– zum Erlass des Umsatzsteuer-Änderungsbescheids 2008 vom 15. März 2013 berechtigt. |
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a) Die Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten gelten auch während eines finanzgerichtlichen Verfahrens (§ 132 AO), sodass eine nach dem Gesetz bestehende Änderungsmöglichkeit durch ein schwebendes finanzgerichtliches Verfahren nicht eingeschränkt wird. |
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b) Diese gesetzliche Änderungsmöglichkeit besteht vorliegend nach § 174 Abs. 4 AO. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. |
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c) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor: |
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aa) Der "bestimmte Sachverhalt" als maßgeblicher Lebensvorgang besteht vorliegend in der jeweils hälftigen Veräußerung des Buches in 2008 und 2010. Diesen Sachverhalt berücksichtigte das FA nicht nur im Streitjahr, sondern erfasste ihn auch im 2. Quartal 2010 als eine dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Lieferung. |
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bb) Die Beurteilung des FA erweist sich insoweit als irrig, als es unter Berücksichtigung von Abschn. 3.5 Abs. 3 Nr. 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) und der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 27. April 1994 XI R 91-92/92, BFHE 174, 559, BStBl II 1994, 826, unter II.1., Rz 15, m.w.N.) von einer sonstigen Leistung ausgehen musste und die Übertragung des Bruchteilseigentums in 2010 dann nicht mehr steuerbar ist (§ 3a Abs. 2 UStG). Die Umsatzsteuerfestsetzung 2010 wurde daher aufgrund eines Rechtsbehelfs des Klägers geändert und eine Besteuerung im Veranlagungszeitraum 2010 unterlassen. |
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cc) Rechtsfolge ist, dass das FA –korrespondierend zur Änderung des sog. Ausgangsbescheids in 2010– die richtigen steuerlichen Konsequenzen ziehen und den streitgegenständlichen Änderungsbescheid erlassen durfte. Die im Verhältnis zum Ausgangsbescheid richtige steuerliche Konsequenz besteht darin, die Übertragung des Miteigentumsanteils als sonstige Leistung dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. |
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Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Steuerbescheid infolge der irrigen Beurteilung unrechtmäßig sein muss und daher eine lediglich von der Behörde angenommene, tatsächlich aber nicht bestehende Unrichtigkeit die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 4 AO nicht rechtfertige (BFH-Urteil vom 4. März 2009 I R 1/08, BFHE 225, 312, BStBl II 2010, 407, Rz 54, unter Hinweis auf von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 174 Rz 95, sowie FG Düsseldorf, Urteil vom 17. März 1998 9 K 1307/95 G, EFG 1998, 1308). Der Fall einer lediglich subjektiven Unrichtigkeit liegt hier nicht vor, weil das FA mit der bisherigen BFH-Rechtsprechung von einer sonstigen Leistung ausgehen konnte. |
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dd) Einer Änderung nach § 174 Abs. 4 AO steht das Verböserungsverbot des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO nicht entgegen, da es sich bei der Änderung nach § 174 Abs. 4 AO nicht um eine Entscheidung im Rechtsbehelfsverfahren, sondern um eine eigenständige Änderung handelt (BFH-Urteile vom 19. Mai 2005 IV R 17/02, BFHE 209, 384, BStBl II 2005, 637, sowie vom 26. Oktober 1989 IV R 25/88, BFHE 159, 37, BStBl II 1990, 373). Dasselbe gilt für das finanzgerichtliche Verböserungsverbot. Dieses verwehrt dem FG lediglich, den Kläger bezogen auf die mit der Klage angegriffene Steuerfestsetzung schlechter zu stellen (BFH-Urteil vom 13. Juni 2012 VI R 92/10, BFHE 237, 302, BStBl II 2013, 139, unter II.4.a, m.w.N.). |
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2. Die Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an dem Buch stellt eine Lieferung dar. |
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a) Lieferungen eines Unternehmers sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Unionsrechtlich beruht § 3 Abs. 1 UStG auf Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), der die Lieferung von Gegenständen als Übertragung der Befähigung definiert, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. |
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b) Die bisherige Rechtsprechung des V. und des XI. Senats des BFH (zuletzt im BFH-Urteil in BFHE 174, 559, BStBl II 1994, 826, unter II.1., Rz 15, davor in den BFH-Urteilen vom 22. Juni 1967 V 185/63, BFHE 89, 366, BStBl III 1967, 662; vom 18. Januar 1968 V 28/65, BFHE 91, 502, Der Betrieb 1968, 966, und vom 20. Juni 1968 V 116/65, BFHE 93, 291, BStBl II 1968, 788), die Finanzverwaltung (Abschn. 3.5 Abs. 3 Nr. 2 UStAE) sowie Teile des Schrifttums (Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 94 Rz 161; Husmann in Rau/ Dürrwächter, UStG, § 1 Rz E 77) sind der Auffassung, dass es sich bei der Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Gegenstand um eine sonstige Leistung handele. |
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c) Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung und nach Zustimmung des XI. Senats des BFH (Beschluss vom 16. Dezember 2015 XI ER-S 3/15) zur Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung in dem Urteil in BFHE 174, 559, BStBl II 1994, 826 geht der erkennende Senat davon aus, dass der Miteigentumsanteil an einem Gegenstand geliefert wird. |
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aa) Eine Beurteilung der Übertragung des Miteigentumsanteils an einem Gegenstand als sonstige Leistung wäre nicht mit dem Unionsrecht vereinbar: Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a sowie Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und Art. 137 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL können nicht nur Gebäude, sondern auch "Gebäudeteile" Gegenstand einer Lieferung sein. Dies setzt voraus, dass in Bezug auf einen Gegenstand gleichzeitig mehrere Lieferungen bewirkt werden können. Dementsprechend hat der EuGH in dem Urteil Centralan Property Ltd. (EU:C:2005:773) sowohl die Einräumung eines Besitzrechts an einem bebauten Grundstück als auch die eng damit verbundene Übertragung des "Resteigentums" an einen anderen Erwerber jeweils als Lieferung beurteilt (EuGH-Urteil Centralan Property Ltd., EU:C:2005:773, Rz 26/27 und Rz 64). Die Aufspaltung der Verfügungsmacht an einem körperlichen Gegenstand mit der Folge, dass mehrere Personen das Recht innehaben, über einen Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, entspricht damit der Rechtsposition eines Miteigentümers, der nach § 747 Satz 1 BGB über seinen Miteigentumsanteil frei verfügen kann. Miteigentum nach Bruchteilen ist seinem Wesen nach dem Alleineigentum gleichartig, sodass der Miteigentümer dieselbe Rechtsposition hat wie ein Eigentümer (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Mai 2007 V ZB 6/07, BGHZ 172, 209, unter III.3.a). |
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bb) Bestätigt wird diese Auffassung dadurch, dass das Miteigentum als Bruchteil an einem körperlichen Gegenstand –ebenso wie das Volleigentum als dessen wesensgleiches Minus– im Wirtschaftsleben wie ein körperlicher Gegenstand behandelt wird (Stadie, UStG, 3. Aufl., § 3 Rz 7; Nieskens in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 3 Rz 1455; Frye in Rau/ Dürrwächter, a.a.O., § 6a Rz 138). |
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cc) Dementsprechend wird im Schrifttum ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass ein Miteigentumsanteil an einer Sache "Gegenstand" einer Lieferung sein könne (vgl. Heuermann in Sölch/Ringleb, § 3 Rz 312; Martin in Sölch/Ringleb, § 3 Rz 43; Nieskens in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 3 Rz 1455; Frye in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 6a Rz 138; Leipold, in Sölch/ Ringleb, § 4 Nr. 28 Rz 3; Leonard in Bunjes, § 3 Rz 39; Lippross, Umsatzsteuer, 23. Aufl., 2.3.2a; Stadie, a.a.O., § 3 Rz 7; Hahn in Weymüller, Umsatzsteuergesetz, § 3 Rz 57.1; FG Niedersachsen, Urteil vom 13. Dezember 2012 16 K 305/12, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2014, 163; Ruppe/ Achatz, Kommentar zum österreichischen Umsatzsteuergesetz, 4. Aufl., § 3 Rz 25, unter Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Oktober 2004 2000/14/0185, Beilage zur Österreichischen Steuer-Zeitung 2005, 255 zum sog. time sharing). |
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d) Im Streitfall übertrug die Klägerin der Galerie die Befugnis, über das Buch wie ein Miteigentümer zu verfügen. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass JF als Betreiber der Galerie nicht nur Besitz am Buch eingeräumt wurde, sondern diesem auch gestattet war, das Buch begutachten und kunsthistorisch erforschen zu lassen. Im Hinblick darauf, dass bereits bei der Veräußerung des Miteigentumsanteils ein Weiterverkauf durch die Galerie beabsichtigt war, durfte diese das Buch in einem Verkaufskatalog anbieten und schließlich sogar im März 2010 weiterverkaufen, obwohl sie erst durch den Kauf des restlichen Anteils von 50 % vom 1. Mai 2010 zur alleinigen Eigentümerin am Buch wurde. |
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3. Bei der Veräußerung des hälftigen Miteigentumsanteils handelt es sich, wie das FG zu Recht entschieden hat, um eine nach § 4 Abs. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a UStG steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. |
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a) Nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: "1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet, 2. der Abnehmer ist a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, … und 3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung." |
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Unionsrechtlich beruht die Steuerfreiheit im Streitjahr auf Art. 138 MwStSystRL (vor dem 1. Januar 2007: Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer –Richtlinie 77/388/EWG–). Danach befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt. |
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b) Vorliegend hat JF im Auftrag der Galerie das Buch in München abgeholt und es im Juli 2008 nach London gebracht. Die Galerie ist gerichtsbekannt seit 1970 in Großbritannien als Unternehmerin tätig. Schließlich unterliegt der Erwerb des Buches auch nach den (harmonisierten) Vorschriften der Erwerbsbesteuerung in Großbritannien (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i MwStSystRL, vor dem 1. Januar 2007: Art. 28a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG). Hingegen ist nicht erforderlich, dass der innergemeinschaftliche Erwerb tatsächlich besteuert worden ist (BFH-Urteil vom 8. November 2007 V R 72/05, BFHE 219, 422, BStBl II 2009, 55, unter Hinweis auf das EuGH-Urteil Teleos vom 27. September 2007 C-409/04 u.a., EU:C:2007:548, Rz 69 ff.). |
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c) Der Unternehmer hat die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV beleg- und buchmäßig nachzuweisen (BFH-Urteil vom 19. März 2015 V R 14/14, BFHE 250, 248, BStBl II 2015, 912, sowie vom 14. November 2012 XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596). Das FG ist in dem angegriffenen Urteil davon ausgegangen, dass der Belegnachweis erbracht wurde, während Feststellungen dazu fehlten, ob der Kläger die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers ordnungsgemäß i.S. von § 17c Abs. 2 UStDV aufgezeichnet habe, sodass offenbleibt, ob auch der Buchnachweis erbracht wurde. |
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d) Der Senat sieht gleichwohl von einer Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das FG zur Nachholung der fehlenden Feststellungen ab, weil das Vorliegen der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung (§ 6a Abs. 1 UStG) objektiv feststeht. |
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aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH und der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BFH sind die Nachweispflichten keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung. Trotz Nichtvorliegens der formellen Nachweispflichten ist eine Lieferung steuerfrei, wenn die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung unbestreitbar feststehen (EuGH-Urteil Collée vom 27. September 2007 C-146/05, EU:C:2007:549, Rz 31 und 33; BFH-Urteile in BFHE 250, 248, BStBl II 2015, 912; in BFHE 219, 422, BStBl II 2009, 55; vom 24. Juli 2014 V R 44/13, BFHE 246, 207, BStBl II 2014, 955; vom 21. Mai 2014 V R 34/13, BFHE 246, 232, BStBl II 2014, 914; vom 14. November 2012 XI R 17/12, BFHE 239, 516, BStBl II 2013, 407; vom 12. Mai 2011 V R 46/10, BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957). |
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bb) So liegen die Verhältnisse im Streitfall: Das Buch wurde ausweislich der Exportbestätigung von JF von diesem im Handgepäck nach London gebracht, dort von einem Papierexperten begutachtet, in der Galerie von Februar bis Mai 2010 ausgestellt und schließlich von dort aus an eine amerikanische Sammlung verkauft. Dieser Ablauf wird auch vom FA nicht in Zweifel gezogen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2014 hat es daher auf Nachfrage des Gerichts erklärt, dass das direkte Verbringen des Buches von München nach London nicht bestritten werde. Da auch die Unternehmereigenschaft der Galerie und die Erwerbsbesteuerung in Großbritannien feststehen, liegen die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG unstrittig vor. |
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4. Der Senat entscheidet durch Urteil, da die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO). |
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. |
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