Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten; Entscheidungserheblichkeit

Beschluss vom 14. Oktober 2020, IX B 33/20

ECLI:DE:BFH:2020:B.141020.IXB33.20.0

BFH IX. Senat

FGO § 96 Abs 1 S 1 Halbs 1 , FGO § 115 Abs 2 Nr 3 , EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 4

vorgehend FG München, 25. Juni 2020, Az: 11 K 159/20

Leitsätze

1. NV: Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt u.a. dann vor, wenn das FG eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht.

2. NV: Ist das Urteil des FG auf zwei oder mehr selbständig tragende Begründungen gestützt und beruht nur eine davon auf einem Verfahrensmangel, beruht das Urteil nicht (insgesamt) auf diesem Mangel.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 25.06.2020 – 11 K 159/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) gerügte Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Gestalt eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten führt nicht zur Zulassung der Revision.

1. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt u.a. dann vor, wenn das Finanzgericht (FG) eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 17.07.2019 – II B 30, 32-34, 38/18, BFHE 265, 5, BStBl II 2019, 620, Rz 12, m.w.N.).

Die Revision darf aber nur zugelassen werden, wenn das Urteil des FG auf dem Verfahrensfehler beruhen kann. Der Verfahrensfehler muss für die Entscheidung erheblich gewesen sein. Ist das Urteil des FG auf zwei oder mehr selbständig tragende Begründungen gestützt und beruht nur eine davon auf einem Verfahrensmangel, beruht das Urteil nicht (insgesamt) auf diesem Mangel (vgl. u.a. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 303, 306; BFH-Beschluss vom 30.09.2016 – X B 27/16, BFH/NV 2017, 162, Rz 9).

2. Nach diesen Maßstäben führt der von den Klägern gerügte Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten nicht zur Zulassung der Revision.

a) Dies gilt zunächst für den von den Klägern angeführten Zeitpunkt der Erkrankung des Klägers.

aa) Das FG ist zunächst entgegen dem Akteninhalt davon ausgegangen, dass der Kläger bereits nach zwei bis drei Monaten des Ende 2014 begonnenen Pendelns nach A-Stadt aufgrund der längeren Pendelstrecke gesundheitliche Probleme bekommen habe, die zu dem Entschluss geführt hätten, zurück nach B-Stadt zu ziehen. Nach dem insoweit unbestrittenen und aktenkundigen Vorbringen der Kläger im Schriftsatz vom 21.01.2020 traten diese gesundheitlichen Probleme nicht bereits ab Ende 2014 ein, sondern erst zwei bis drei Monate nach dem behaupteten Einzug in die Wohnung in der X-Straße in C-Stadt im Februar 2016. Das FG hat damit den Umstand, dass die längere Pendelstrecke dem Kläger gesundheitliche Probleme bereitet hatte, fehlerhaft dem Zeitraum unmittelbar nach dem Ende des Jahres 2014 zugeordnet.

bb) Diese fehlerhafte Zuordnung der gesundheitlichen Probleme war jedoch nicht entscheidungserheblich. Das FG ist hinsichtlich des Ansatzes des Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft unter Anwendung der Grundsätze der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 18.01.2006 – IX R 18/03, BFH/NV 2006, 936, Rz 10, m.w.N., und vom 27.06.2017 – IX R 37/16, BFHE 258, 490, BStBl II 2017, 1192, Rz 13; BFH-Beschluss vom 28.05.2002 – IX B 208/01, BFH/NV 2002, 1284) davon ausgegangen, dass die Nutzung der Wohnung in der X-Straße in C-Stadt nicht dauerhaft erfolgen sollte. Es hat dies entscheidungserheblich auf den Umstand gestützt, dass die Kläger im Zeitpunkt der Fertigstellung der Wohnung in der X-Straße in C-Stadt bereits das Reihenmittelhaus Y-Straße in B-Stadt erworben hatten. Weiter hat das FG tragend darauf abgestellt, dass die Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der Wohnung in der Z-Straße in B-Stadt einen Maklerauftrag zur Vermietung erteilt hatten und bereits im Februar 2016 den Entschluss gefasst hatten, dauerhaft in B-Stadt und nicht in C-Stadt zu wohnen. Die Ausführungen, wonach die gesundheitlichen Probleme des Klägers ab Ende 2014 entstanden waren, stellen –wie sich an der Wahl des Wortes „auch“ in der Entscheidung zeigt– lediglich ergänzende Erwägungen dar, die für die Entscheidung nicht tragend waren.

b) Was die Ausführungen und beigefügten Belege im Schreiben der Kläger vom 18.05.2020 angeht, liegt ein Verstoß gegen den Inhalt der Akten nicht vor. In seiner Entscheidung hat das FG das Vorbringen der Kläger im Schriftsatz vom 18.05.2020 gewürdigt. Es hat die Ausführungen zu den gefahrenen Kilometern und der Wegstrecke sowie die beigefügten Belege für die Annahme einer dauerhaft genutzten Wohnung in C-Stadt und damit den Ansatz von Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als nicht ausreichend erachtet. Dazu war das FG im Rahmen seiner Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO auch befugt. Denn der Umstand, dass ein Beleg Inhalt der Akte wird, führt nur dazu, dass das FG diesen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht würdigen muss. Das FG muss nicht der von den Klägern dazu vertretenen materiell-rechtlichen Ansicht folgen.

c) Soweit die Kläger sich gegen die Einordnung ihres Vortrags zur Beauftragung des Maklers für die Vermietung der Immobilie Z-Straße in B-Stadt wenden, richtet sich ihr Vorbringen gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Würdigung eines aktenkundigen Umstands durch das FG. Damit kann die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers nicht erreicht werden.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.