Verzinsung eines Erstattungsanspruchs

Beschluss vom 21. Januar 2021, VII B 121/20

ECLI:DE:BFH:2021:B.210121.VIIB121.20.0

BFH VII. Senat

ZK Art 241 S 1 , EWGV 2913/92 Art 241 S 1 , ZK Art 12 Abs 5 Buchst a Nr i , EWGV 2913/92 Art 12 Abs 5 Buchst a Nr i , FGO § 115 Abs 2 Nr 1 , EUV 952/2013 , FGO § 115 Abs 2 Nr 2 , AEUV Art 267

vorgehend FG Düsseldorf, 22. Juli 2020, Az: 4 K 1163/18 Z

Leitsätze

NV: Die Verzinsung von Einfuhrabgaben, die infolge einer Änderung der KN erstattet werden, ist nicht gemäß Art. 241 Satz 1 ZK ausgeschlossen.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 22.07.2020 – 4 K 1163/18 Z wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) führte im Jahr 2013 LCD-Monitore und Rückfahrvideosysteme in das Zollgebiet der Union ein. Sie erwirkte zwei verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTAe), in denen diese Waren in die Unterpos. 8528 59 40 90 0 der Kombinierten Nomenklatur (KN) eingereiht wurden. Dagegen legte die Klägerin jeweils Einspruch ein.
  2. Sie meldete dessen ungeachtet nach Erteilung der vZTAe entsprechende Waren unter der Unterpos. 8528 59 40 90 0 KN zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Die Anmeldungen wurden im Rahmen der Zollabfertigung nicht näher geprüft. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt –HZA–) setzte mit Einfuhrabgabenbescheiden vom 05.08., 07.08., 16.08., 19.08., 06.09., 21.10., 20.11., 21.11. und 27.11.2013 Zoll (14 %) und Einfuhrumsatzsteuer fest.
  3. Am 22.11.2013 erklärte das Hauptzollamt X, dass sich die Einspruchsverfahren wegen einer Änderung des Zolltarifs aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 953/2013 des Rates vom 26.09.2013 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif –VO 953/2013– (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 263/4) erledigt hätten.
  4. Am 10.02.2014 beantragte die Klägerin die Erstattung von Einfuhrabgaben gemäß Art. 236 Abs. 1 des Zollkodex (ZK) mit der Begründung, die Monitore seien unter der Codenr. 8528 59 40 20 0 KN (0 % Einfuhrzoll) einzureihen. Dem kam das HZA teilweise nach und erstattete mit Bescheid vom 07.11.2016 Einfuhrzoll in Höhe von […] €. Die Erstattung wurde innerhalb von drei Monaten vollzogen.
  5. Außerdem beantragte die Klägerin die Festsetzung von Erstattungszinsen, was das HZA ablehnte. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
  6. Das Finanzgericht (FG) urteilte, es bestehe zwar keine Verzinsungspflicht nach Art. 241 Satz 2 ZK. Allerdings ergebe sich ein Verzinsungsanspruch unmittelbar aus dem Unionsrecht. Ein Verstoß gegen Unionsrecht liege im Streitfall darin, dass die Waren zunächst unstreitig unzutreffend eingereiht worden seien. Art. 241 Satz 1 ZK sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) einschränkend auszulegen. Die Vorschrift sei nur in gewöhnlichen Situationen anzuwenden. Der Ausschluss der Verzinsung betreffe demnach Fehler, die wegen des auf rascher Abwicklung basierenden Abfertigungssystems aufträten und später beseitigt würden. Aufgrund der unzutreffenden vZTAe liege dem Streitfall jedoch keine gewöhnliche Situation zugrunde, weil die Zollbehörden die Waren im Zuge der Auskunftsverfahren eingehend geprüft hätten und ihnen ein materiell-rechtlicher Fehler bei der Einreihung unterlaufen sei. Die fehlerhafte Anmeldung durch die Klägerin habe erkennbar auf den unzutreffenden vZTAe beruht, auch wenn diese nach dem damals anzuwendenden Recht nur die Zollbehörden gebunden hätten.
  7. Dagegen wendet sich das HZA mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde, die es mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) begründet. Es sei zu klären, ob eine fehlerhafte Anwendung von unionsrechtlichen Vorschriften, die mit höherrangigem Unionsrecht in Einklang stünden, zu einem unionsrechtlichen Zinsanspruch führe, auch wenn der Verstoß gegen das Unionsrecht nicht durch ein Gericht, sondern durch die Zollbehörde festgestellt und korrigiert worden sei. Klärungsbedürftig sei auch, ob ein Rechtsanwendungsfehler vorliege, der zu einem unionsrechtlichen Zinsanspruch führen könne, wenn es für die Verwaltungsentscheidung erforderlich sei, rechtliche Unklarheiten durch eine EU-Verordnung auszuräumen. Schließlich sei darüber zu entscheiden, ob Art. 241 ZK auch Anwendung finde, wenn die erstatteten Einfuhrabgaben nicht aufgrund der Schnelligkeit des Abfertigungsverfahrens zu Unrecht erhoben worden seien. Außerdem habe das FG Hamburg zwischenzeitlich den EuGH um Entscheidung ersucht, ob die Erstattung unberechtigt erhobener Abgaben außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zu einem unionsrechtlichen Zinsanspruch führen könne und ob eine Abgabenerhebung, die sich erst nach einer Auslegungsentscheidung durch den EuGH als unzutreffend erwiesen habe, zu Zinsansprüchen führe (Beschlüsse des FG Hamburg vom 01.09.2020 – 4 K 67/18, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern –ZfZ– 2021, 49, und vom 20.08.2020 – 4 K 56/18, ZfZ 2021, 60).
  8. Nach dem EuGH-Urteil Littlewoods Retail u.a. vom 19.07.2012 – C-591/10 (EU:C:2012:478, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2012, 1018) könne ein Rechtsanwendungsfehler grundsätzlich zu einem unionsrechtlichen Zinsanspruch führen. Dies gelte auch in Fällen, in denen das zugrunde liegende Unionsrecht nur mittelbar, nämlich in Form einer durch den Mitgliedstaat zutreffend in nationales Recht umgesetzten Richtlinie zur Anwendung gekommen sei. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass alle Steuererstattungsansprüche, zu denen der EuGH auf einen Zinsanspruch erkannt habe, durch ein vorangegangenes Gerichtsverfahren festgestellt worden seien. Im Streitfall sei die Abhilfe jedoch durch das Hauptzollamt X im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren erfolgt. Ein Zinsanspruch werde weder im sekundären Unionszollrecht noch in der Abgabenordnung begründet, wenn Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Verwaltungsweg korrigiert würden. Da der Gesetzgeber in der VO 953/2013 festgestellt habe, dass die zutreffende Einreihung technisch unmöglich geworden sei, stelle die sich daraus ergebende Abgabenberechnung keinen Verstoß gegen das Unionsrecht dar, wenn sie sich erst als unzutreffend erweise, nachdem der Gesetzgeber die Rechtslage bereinigt habe. Es mangele daher an einem Rechtsanwendungsfehler, der einen unionsrechtlichen Zinsanspruch begründen könne. Außerdem sei zu klären, ob eine für die Entscheidung über die Höhe der Abgaben zwingend erforderliche Rechtsverordnung, die zur Erstattung von Abgaben führe, dem Zinsanspruch entgegenstehe. Zudem müsse auch bei Vorgängen im Rahmen der ATLAS-Anwendung „Nacherhebung, Erstattung oder Erlass“ als Masseverfahren mit einer gewissen Fehleranfälligkeit gerechnet werden. Das ausgewogene Prinzip, sowohl bei Erstattungen als auch bei Nacherhebungen keine Zinsen zu erheben, habe seine Berücksichtigung in Art. 241 ZK gefunden. Mit Art. 116 Abs. 6 des Unionszollkodex sei eine im Wesentlichen gleichlautende Vorschrift in Kraft getreten.
  9. Die Zulassung der Revision sei auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Die Vorentscheidung weiche vom EuGH-Urteil Wortmann vom 18.01.2017 – C-365/15 (EU:C:2017:19, ZfZ 2017, 42) ab, in dem der EuGH entschieden habe, dass eine allgemeine Zinspflicht unmittelbar aus dem Unionsrecht nicht gegeben sei, wenn dieser Art. 241 ZK entgegenstehe. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn sich Rechtsanwendungsfehler aus dem auf rascher Abwicklung basierenden Abfertigungsverfahren ergäben. Das FG sei demgegenüber davon ausgegangen, dass Art. 241 ZK der allgemeinen Zinspflicht nicht entgegenstehe. Die Vorentscheidung weiche zudem auch von dem Vorlagebeschluss des FG Hamburg in ZfZ 2021, 49 ab, auch wenn die Entscheidung des FG Hamburg zeitlich nach der Vorentscheidung ergangen sei.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
  2. 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil die Frage nach einer Verzinsung des Erstattungsbetrags durch die EuGH-Rechtsprechung geklärt und daher so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat.
  3. a) Mit Urteil Wortmann (EU:C:2017:19, ZfZ 2017, 42) hat der EuGH im Zusammenhang mit der Erstattung von Antidumpingzoll aufgrund der teilweisen Nichtigkeit der der Erhebung zugrunde liegenden Verordnung entschieden, dass Art. 241 ZK in diesem Fall keine Anwendung findet. Diese Vorschrift betrifft den Fall, dass es sich nach der Überlassung der betreffenden Waren durch die Zollbehörde erweist, dass die ursprüngliche Festsetzung der Einfuhrabgaben nach unten angepasst werden muss und daher die entrichteten Einfuhrabgaben ganz oder teilweise zu erstatten sind. Der Vorschrift liegt die Überlegung zugrunde, dass die Zollbehörden die Zollanmeldungen in den meisten Fällen erst nachträglich prüfen, so dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass diese Prüfung zur Erstattung bereits entrichteter Einfuhrabgaben führt.
  4. Davon ausgehend scheidet eine Verzinsung aus, wenn die Zollanmeldung vor ihrer Annahme nicht überprüft wurde und die Unrichtigkeit der Abgabenfestsetzung der Schnelligkeit des Abfertigungsgeschehens geschuldet ist. Art. 241 ZK steht einer Verzinsung allerdings dann nicht entgegen, wenn die Erstattung der Einfuhrabgaben aufgrund eines Wegfalls der Rechtsgrundlage für deren Festsetzung erfolgt. Dies ist auch dann der Fall, wenn –wie im Streitfall– nach der Annahme der Zollanmeldung die KN geändert wird, aus der sich der für die Abgabenberechnung maßgebliche Zollsatz ergibt.
  5. Gleichermaßen stellt auch eine vZTA i.S. des Art. 12 Abs. 1 ZK eine solche Rechtsgrundlage dar, weil sich der Einführer auf sie in der Zollanmeldung berufen kann und die Zollbehörden gemäß Art. 12 Abs. 2 ZK hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung der Waren daran gebunden sind. Dem steht nicht entgegen, dass der Zollanmelder unter Geltung des ZK nicht verpflichtet war, sich in der Zollanmeldung auf die vZTA zu berufen. Denn jedenfalls war ein Zollanmelder berechtigt, sich auf eine für die eingeführten Waren erteilte vZTA zu berufen. Stellt sich später heraus, dass diese –wie im Streitfall– aufgrund einer Änderung der KN letztlich materiell-rechtlich nicht richtig gewesen ist, ist auch dies ein Fall der fehlenden Rechtsgrundlage, so dass Art. 241 Satz 1 ZK einer Verzinsung nicht entgegensteht.
  6. b) Die Rechtssache hat auch nicht deshalb grundsätzliche Bedeutung, weil die Abhilfe im Streitfall im außergerichtlichen Verfahren erfolgt ist, während dem EuGH-Urteil Wortmann (EU:C:2017:19, ZfZ 2017, 42) ein Fall zugrunde lag, in dem der EuGH die Antidumpingverordnung teilweise für nichtig erklärt hatte. Denn auch dann, wenn eine vZTA aufgrund einer Änderung der KN gemäß Art. 12 Abs. 5 Buchst. a Ziff. i ZK ungültig geworden ist, entfällt die gesicherte Rechtsposition des Zollanmelders und somit auch die Rechtsgrundlage für die in der Zollanmeldung vorgenommene Einreihung der Waren. Soweit die KN durch die VO 953/2013 geändert worden ist, gilt dies gemäß Art. 288 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) unmittelbar in jedem Mitgliedstaat und bedarf keiner gerichtlichen Entscheidung, um Rechtswirkung zu entfalten.
  7. 2. Die Vorentscheidung weicht nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO von dem EuGH-Urteil Wortmann (EU:C:2017:19, ZfZ 2017, 42) ab. Denn im Streitfall beruht die Erstattung der Einfuhrabgaben nicht darauf, dass die Zollanmeldungen ungeprüft angenommen worden sind. Vielmehr hat die Klägerin die Einreihung entsprechend der ihr für die Waren erteilten vZTAe vorgenommen (s.o.). Eine Anwendung des Art. 241 ZK und demzufolge einen Ausschluss der Verzinsung hat der EuGH in seinem Urteil Wortmann (EU:C:2017:19, ZfZ 2017, 42) jedoch nur für den Fall einer nachträglichen Prüfung der Zollanmeldung angenommen, während er die Verzinsung eines Erstattungsanspruchs aufgrund des Wegfalls der für die Abgabenfestsetzung maßgeblichen Rechtsgrundlage –ebenso wie das FG– ausdrücklich nicht ausgeschlossen hat.
  8. Soweit sich das HZA auf ein Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg beruft, legt es keine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO dar. Die Abweichung der Vorentscheidung von der in einem Vorabentscheidungsersuchen eines anderen nationalen Gerichts an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV vertretenen Rechtsauffassung kann schon grundsätzlich die Zulassung der Revision nicht tragen (vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 23.04.2009 – X B 229/08, juris, zu einem Vorlagebeschluss an den Großen Senat des BFH nach § 11 FGO). Der Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO setzt in der Fallgruppe der Rechtsprechungsdivergenz die Abweichung des angefochtenen Urteils von einer anderen gerichtlichen Entscheidung über die nämliche Rechtsfrage voraus. Mit einem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV „entscheidet“ das vorlegende Gericht jedoch nicht über Rechtsfragen, was schon daraus zu ersehen ist, dass das Gericht in seinem späteren Urteil in dieser Sache nicht an die von ihm in dem Vorabentscheidungsersuchen vertretenen Rechtsansichten gebunden ist (BFH-Beschluss vom 21.03.2018 – I B 63/17, BFH/NV 2018, 838, Rz 13).
  9. 3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.