VI R 21/17 – Im Wesentlichen Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 01.08.2019  VI R 32/18 – Lohnsteuerpauschalierung bei zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachten Leistungen des Arbeitgebers

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 1.8.2019, VI R 21/17
ECLI:DE:BFH:2019:U.010819.VIR21.17.0

Im Wesentlichen Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 01.08.2019  VI R 32/18 – Lohnsteuerpauschalierung bei zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachten Leistungen des Arbeitgebers

Leitsätze

1. NV: Ohnehin geschuldeter Arbeitslohn i.S. der entsprechenden Vorschriften –wie beispielsweise § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 oder § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG– ist derjenige Lohn, den der Arbeitgeber verwendungsfrei und ohne eine bestimmte Zweckbindung (ohnehin) erbringt.

2. NV: Zusätzlicher Arbeitslohn liegt vor, wenn dieser verwendungs- bzw. zweckgebunden neben dem ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet wird. Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer auf den zusätzlichen Arbeitslohn einen arbeitsrechtlichen Anspruch hat (Änderung der Rechtsprechung).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.11.2016 – 2 K 1180/16 sowie die Einspruchsentscheidung vom 22.01.2016 aufgehoben und der Haftungsbescheid des Beklagten über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Dezember 2009 bis Dezember 2014 vom 18.09.2015 dahingehend geändert, dass die Haftungsschuld, soweit sie auf die Zuschüsse zur Internetnutzung und zu den Wegekosten entfällt, herabgesetzt wird.

Die Berechnung der Haftungsschuld wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte, die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens haben die Beteiligten je zur Hälfte zu tragen.

Tatbestand

 
I.
1 
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Sozietät mehrerer Steuer- und Rechtsberatung leistender Personen mit im streitigen Zeitraum zwischen … und … Arbeitnehmern.
2 
Die Klägerin änderte mit Wirkung ab dem 01.06.2013 die bis dahin bestehenden Arbeitsverträge mit … namentlich bekannten Mitarbeitern dahin, dass die monatliche regelversteuerte Grundvergütung in jeweils unterschiedlicher Höhe einvernehmlich reduziert wurde. Gleichzeitig wurden in entsprechender Höhe (ggf. in –je nach Arbeitnehmer– wechselnder Zusammensetzung) verschiedene (im Revisionsverfahren nicht mehr in Streit stehende) Zusatzleistungen gewährt sowie aufgrund gesonderter Zusagen "freiwillig und ohne Begründung einer Rechtspflicht auf weitere Zahlungen" eine Internetpauschale sowie ein Zuschuss für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eingeräumt. Den Zuschuss für die Internetnutzung versteuerte die Klägerin pauschal mit 25 %, den Wegekostenzuschuss mit 15 %.
3 
Im Anschluss an eine für Dezember 2009 bis Dezember 2014 durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die Auffassung, eine Pauschalierung der streitigen Internetpauschale und des Wegekostenzuschusses gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 und Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei nicht zulässig, da sich die Neugestaltung der Arbeitsverträge insoweit als eine steuerschädliche Gehaltsumwandlung darstelle, und erließ einen entsprechenden Lohnsteuer-Haftungsbescheid gegenüber der Klägerin.
4 
Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 1102 veröffentlichten Gründen ab.
5 
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
6 
Sie beantragt,
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 23.11.2016 – 2 K 1180/16 sowie die Einspruchsentscheidung vom 22.01.2016 aufzuheben und den Haftungsbescheid des FA über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Dezember 2009 bis Dezember 2014 vom 18.09.2015 dahingehend zu ändern, dass die Haftungsschuld, soweit sie auf die Zuschüsse zur Internetnutzung und zu den Wegekosten entfällt, herabgesetzt wird.
7 
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 
II.
8 
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-teils und im beantragten Umfang zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Klägerin die an ihre Arbeitnehmer gezahlten Zuschüsse für die Internetnutzung sowie für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeits- bzw. erster Tätigkeitsstätte nicht pauschal versteuern durfte.
9 
1. Gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG kann der Arbeitgeber abweichend von Abs. 1 die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25 % erheben, soweit er den Arbeitnehmern zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn Zuschüsse zu den Aufwendungen für die Internetnutzung zahlt.
10 
2. Für zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistete Zuschüsse u.a. zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte (bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2013) bzw. erster Tätigkeitsstätte (ab dem Veranlagungszeitraum 2014) kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG mit einem Pauschsteuersatz von 15 % erheben, soweit diese Bezüge den Betrag nicht übersteigen, den der Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG als Werbungskosten geltend machen könnte, wenn die Bezüge nicht pauschal besteuert würden.
11 
3. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die maßgeblichen Aufwendungen den Arbeitnehmern, die monatliche Zuschüsse von der Klägerin erhielten, tatsächlich entstanden sind und dass die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für die Zusatzleistungen bei den Arbeitnehmern betreffend die Internetpauschale und die Wegekosten tatsächlich vorlagen. Der Senat sieht deshalb insoweit von weiter gehenden Ausführungen ab.
12 
4. Die Beteiligten streiten vielmehr allein darüber, ob das den genannten Vorschriften gemeinsame Tatbestandsmerkmal "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" vorliegend erfüllt ist.
13 
a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs werden Zuschüsse des Arbeitgebers "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" geleistet, wenn sie zu den Lohnzahlungen hinzukommen, die entweder durch Vereinbarung, eine dauernde Übung oder sonst arbeitsrechtlich geschuldet sind. Danach ist der "ohnehin geschuldete Arbeitslohn" der lohnsteuerrechtlich erhebliche Vorteil, der arbeitsrechtlich geschuldet ist; das ist der Arbeitslohn, auf den zumindest im Zeitpunkt der Zahlung ein verbindlicher Rechtsanspruch besteht (Senatsurteile vom 19.09.2012 – VI R 54/11, BFHE 239, 85, BStBl II 2013, 395, Rz 10 ff., und VI R 55/11, BFHE 239, 91, BStBl II 2013, 398, Rz 11, sowie vom 01.10.2009 – VI R 41/07, BFHE 227, 40, BStBl II 2010, 487, Rz 17 ff., m.w.N.; kritisch Thomas, Deutsches Steuerrecht –DStR– 2013, 233, und 2018, 1342; Obermair, DStR 2013, 1118; Plenker, Der Betrieb 2013, 1202; Steiner in Lademann, EStG, § 3 Rz 251). Der zusätzlich hierzu geleistete Lohn ist danach derjenige, auf den der Arbeitnehmer arbeitsrechtlich keinen Anspruch hat, der folglich freiwillig vom Arbeitgeber erbracht wird.
14 
b) Hieran hält der erkennende Senat nach nochmaliger Prüfung nicht länger fest.
15 
Er geht vielmehr davon aus, dass der zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn i.S. der entsprechenden Vorschriften –wie § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 oder § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG– der Arbeitslohn ist, den der Arbeitgeber nur verwendungs- bzw. zweckgebunden leistet. Der ohnehin geschuldete Arbeitslohn i.S. der entsprechenden Vorschriften ist mithin derjenige, den der Arbeitnehmer verwendungsfrei und ohne eine bestimmte Zweckbindung (ohnehin) erhält. Im Allgemeinen unterliegt dieser Lohn der Regelbesteuerung. Demgegenüber ist der hinzutretende verwendungsgebundene (zusätzliche) Lohn in den vorgenannten Vorschriften insofern begünstigt, als er vom Arbeitgeber mit einem Pauschsteuersatz besteuert oder –wie in anderen Fällen (§ 3 Nrn. 15, 33, 34, 34a, 37 und 46 EStG)– steuerfrei erbracht werden kann, sofern die persönlichen und sachlichen Begünstigungsvoraussetzungen erfüllt sind und insbesondere der –gesetzlich angeordnete und arbeitsvertraglich vereinbarte– besondere Verwendungszweck gewahrt wird. Zur weiteren Begründung nimmt der Senat auf sein Urteil in Sachen VI R 32/18 vom heutigen Tage, das zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt ist, Bezug.
16 
5. Das Zusätzlichkeitserfordernis ist auf den Zeitpunkt der Lohnzahlung zu beziehen.
17 
a) Dies folgt aus dem in § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 4 i.V.m. § 38a Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG verankerten Zuflussprinzip als allgemeinem Grundsatz.
18 
b) Ein arbeitsvertraglich vereinbarter Lohnformenwechsel ist deshalb nicht begünstigungsschädlich. Setzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den "ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" für künftige Lohnzahlungszeiträume arbeitsrechtlich wirksam herab, kann der Arbeitgeber diese Minderung durch verwendungsgebundene Zusatzleistungen steuerbegünstigt ausgleichen. Diese treten nunmehr zum Zahlungszeitpunkt zum ohnehin –nur noch in geminderter Höhe– geschuldeten Lohn hinzu und werden somit "zusätzlich" zu diesem erbracht. Auch insoweit verweist der Senat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in Sachen VI R 32/18.
19 
6. Nach diesen Maßstäben hat das FG der Klägerin die Pauschalierung der Lohnsteuer für die streitigen Zuschüsse zu den Aufwendungen für die Internetnutzung sowie den Fahrtkosten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeits- bzw. erster Tätigkeitsstätte zu Unrecht versagt. Denn die Klägerin hat diese –entgegen der Auffassung des FG– zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt.
20 
a) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen hatten die Klägerin und verschiedene Arbeitnehmer den Bruttolohn ab Juni 2013 arbeitsrechtlich wirksam herabgesetzt und im Gegenzug die Zahlung der streitgegenständlichen Zuschüsse für die Internetnutzung sowie für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeits- bzw. erster Tätigkeitsstätte vereinbart. Insofern liegt insbesondere keine begünstigungsschädliche Gehaltsumwandlung i.S. einer Anrechnung bzw. Verrechnung vor. In den ergänzenden Vereinbarungen ist zudem nicht vorgesehen, dass die Klägerin bei Wegfall einer Zusatzleistung den "Lohnverzicht" durch eine Gehaltserhöhung auszugleichen hatte.
21 
b) Entgegen der Ansicht des FG ist der Lohnformenwechsel nicht willkürlich. Diese Auffassung der Vorinstanz berücksichtigt zum einen die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien nicht hinreichend. Denn diese sind grundsätzlich frei, ihre arbeitsrechtlichen Beziehungen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. Zum anderen übersieht das FG, dass der Gesetzgeber den Arbeitsvertragsparteien mit einem ausdifferenzierten Regelungswerk die lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtliche "Optimierung" des Arbeitsverhältnisses –auch im Interesse einer Verfahrensvereinfachung sowie zur Förderung der verwendungsgebundenen Zwecke (z.B. BTDrucks 12/1368, S. 5 f.; Wagner in Hermann/Heuer/Raupach, § 40 EStG Rz 3)– an die Hand gegeben hat.
22 
c) Zudem ist die vorliegende Gestaltung auch nicht rechtsmissbräuchlich. Im Streitfall ist der Tatbestand des § 42 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) bereits deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin lediglich von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, bestimmte begünstigte Lohnleistungen zu pauschalieren. Gegenteiliges wird vom FA im Revisionsverfahren auch nicht vorgebracht, so dass der Senat von weiteren Ausführungen hierzu absieht.
23 
7. Die Berechnung der festzusetzenden Steuern wird nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen.
24 
8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und Abs. 2 FGO.

Quelle: bundesfinanzhof.de