VI R 36/17 – Anforderungen an einen lohnsteuerpflichtigen Sachbezug in Form eines Frühstücks

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 3.7.2019, VI R 36/17
ECLI:DE:BFH:2019:U.030719.VIR36.17.0

Anforderungen an einen lohnsteuerpflichtigen Sachbezug in Form eines Frühstücks

Leitsätze

1. Stellt der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern unbelegte Backwaren wie Brötchen und Rosinenbrot nebst Heißgetränken zum sofortigen Verzehr im Betrieb bereit, handelt es sich bei den zugewandten Vorteilen grundsätzlich nicht um Arbeitslohn, sondern um nicht steuerbare Aufmerksamkeiten.

2. Unbelegte Backwaren wie Brötchen und Rosinenbrot mit einem Heißgetränk stellen kein Frühstück i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SvEV dar. Für die Annahme eines (einfachen) Frühstücks muss jedenfalls ein Aufstrich oder Belag hinzutreten.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 31.05.2017 – 11 K 4108/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

 
I.
1 
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft, die EDV-Dienstleistungen erbringt und Software entwickelt. Daneben bietet sie Schulungen an.
2 
Die Klägerin bestellte im Streitzeitraum (Dezember 2008 bis Dezember 2011) arbeitstäglich ca. … Brötchen (Laugenbrötchen, Käsebrötchen, Käse-Kürbis-Brötchen, Rosinenbrötchen, Schokobrötchen, Roggenbrötchen etc.) sowie Kroamstuten (im Folgenden zusammenfassend "Backwaren"). Die Backwaren standen in der Kantine den gesamten Tag für Mitarbeiter sowie für Kunden und Gäste der Klägerin zum unentgeltlichen Verzehr zur Verfügung. Einen Belag (wie z.B. Butter, Konfitüre, Käse oder Aufschnitt) für die Backwaren stellte die Klägerin nicht bereit. Die Mitarbeiter, Kunden und Gäste der Klägerin konnten sich zudem ganztägig unentgeltlich aus einem Heißgetränkeautomaten bedienen.
3 
Die Arbeitszeit begann morgens um 8:00 Uhr. Zwischen ca. 9:30 Uhr und 11:00 Uhr hatten die Arbeitnehmer eine etwa halbstündige Pause, die die Klägerin als bezahlte Arbeitszeit behandelte. Die Pause diente der Kommunikation und dem Austausch der einzelnen Abteilungen (Entwicklung, Vertrieb, Support). Die Mitarbeiter sollten miteinander ins Gespräch kommen, Kontakte pflegen und stellenübergreifende Problemlösungen finden. In dieser Zeit waren auch die Führungskräfte und der Vorstand der Klägerin zeitweilig zugegen, um sich im Gespräch mit den Mitarbeitern über Probleme im Unternehmen auszutauschen. Während der Pausen wurde der Großteil der von der Klägerin unentgeltlich zur Verfügung gestellten Backwaren verzehrt.
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Im Rahmen einer bei der Klägerin für den Streitzeitraum durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass es sich bei der unentgeltlichen Überlassung der Backwaren und der Möglichkeit, Heißgetränke zu sich zu nehmen, um ein Frühstück handele, das mit den amtlichen Sachbezugswerten zu versteuern sei. Die Klägerin beantragte daraufhin die Pauschalierung der Lohnsteuer gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In der Sache war sie allerdings der Meinung, die Backwaren ohne Belag und ein Heißgetränk seien kein Frühstück.
5 
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) folgte der Auffassung des Prüfers und forderte von der Klägerin für den Streitzeitraum Lohnsteuer und Nebenabgaben (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuern) nach.
6 
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 1673 veröffentlichten Gründen statt.
7 
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
8 
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9 
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 
II.
10 
Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat die Lohnsteuernachforderung im Ergebnis zu Recht um die Beträge herabgesetzt, die auf die von der Klägerin ihren Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Backwaren nebst Heißgetränk entfielen. Es handelt sich hierbei um Aufmerksamkeiten, die schon dem Grunde nach nicht zu Arbeitslohn führen. Entgegen der Auffassung des FA stellen die unbelegten Backwaren nebst Heißgetränk kein als Arbeitslohn einzustufendes und nach § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 1 der Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) zu bewertendes Frühstück dar.
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1. Gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25 % erheben, soweit er arbeitstäglich Mahlzeiten im Betrieb an die Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt abgibt. Voraussetzung ist, dass die Mahlzeiten nicht als Lohnbestandteile vereinbart sind.
12 
Die pauschale Lohnsteuer ist eine von der Steuer des Arbeitnehmers abgeleitete Steuer, die dem Grunde nach durch eine Tatbestandsverwirklichung des Arbeitnehmers entsteht (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 06.05.1994 – VI R 47/93, BFHE 174, 363, BStBl II 1994, 715, und vom 30.11.1989 – I R 14/87, BFHE 159, 82, BStBl II 1990, 993). Die Übernahme der pauschalen Lohnsteuer durch den Arbeitgeber setzt mithin voraus, dass für den Arbeitnehmer eine in Geldeswert bestehende Einnahme i.S. des § 19 EStG vorliegt.
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2. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG –neben Gehältern und Löhnen– auch andere Bezüge und Vorteile, die "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG). Zum steuerbaren Arbeitslohn zählen auch Sachbezüge i.S. des § 8 Abs. 2 EStG. Ein solcher Sachbezug kann nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG insbesondere in "Kost" bestehen.
14 
Diese Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile vom 07.05.2014 – VI R 73/12, BFHE 245, 230, BStBl II 2014, 904, Rz 15, und vom 19.11.2015 – VI R 74/14, BFHE 252, 129, BStBl II 2016, 303, Rz 10).
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Diese Grundsätze kommen auch zur Anwendung, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Speisen und Getränke unentgeltlich oder verbilligt zur Verfügung stellt (Senatsentscheidungen vom 07.12.1984 – VI R 164/79, BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164; vom 05.05.1994 – VI R 55-56/92, BFHE 174, 425, BStBl II 1994, 771; vom 04.08.1994 – VI R 61/92, BFHE 175, 271, BStBl II 1995, 59; vom 19.11.2008 – VI R 80/06, BFHE 223, 410, BStBl II 2009, 547, und vom 21.01.2010 – VI R 51/08, BFHE 228, 85, BStBl II 2010, 700), und zwar ungeachtet der Tatsache, dass Verpflegungsaufwendungen grundsätzlich den für die Einkünfteermittlung unbeachtlichen Bereich der Lebensführung betreffen (Senatsurteil vom 18.08.2005 – VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30).
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3. Nach diesen Maßstäben kommt im Streitfall eine Lohnsteuerpauschalierung nicht in Betracht. Denn es handelt sich bei den zum Verzehr im Betrieb bereitgestellten Backwaren nebst Heißgetränk schon dem Grunde nach nicht um Arbeitslohn.
17 
a) Die kostenlose Überlassung der Backwaren und Heißgetränke im Streitzeitraum stellte zwar für die Arbeitnehmer der Klägerin einen Vorteil dar. Dieser war jedoch keine Gegenleistung der Klägerin für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft. Hierfür spricht im Streitfall insbesondere, dass die Klägerin die Backwaren und Heißgetränke nur zum sofortigen Verzehr im Betrieb bereitstellte. Sie wurden allen Arbeitnehmern ohne Unterschied gewährt. Der Verzehr fand in der Regel außerdem nicht während echter Pausen, sondern in der (bezahlten) Arbeitszeit statt. Die Arbeitnehmer sollten beim Verzehr der Backwaren und Heißgetränke in der Kantine zusammen kommen und sich über berufliche Angelegenheiten untereinander sowie mit der "Führungsetage" austauschen.
18 
Bei dieser Sachlage war die Überlassung der Backwaren nebst Heißgetränk mit Aufwendungen des Arbeitgebers zur Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und zur Schaffung günstiger betrieblicher Arbeitsbedingungen vergleichbar, denen keine Entlohnungsfunktion zukommt. Aufgrund dieser Überlegungen hat der erkennende Senat schon bisher z.B. die unentgeltliche Abgabe von Getränken an Arbeitnehmer zum Verbrauch im Betrieb als nicht steuerbare Aufmerksamkeiten angesehen (Senatsurteile vom 17.07.1959 – VI 107/57 U, BFHE 69, 406, BStBl III 1959, 412; vom 24.01.1975 – VI R 242/71, BFHE 114, 496, BStBl II 1975, 340, und vom 21.03.1975 – VI R 94/72, BFHE 115, 268, BStBl II 1975, 486).
19 
Der Senat sieht sich bei dieser Beurteilung in Einklang mit der Auffassung der Finanzverwaltung. Nach R 19.6 Abs. 2 Satz 1 der Lohnsteuer-Richtlinien in der im Streitzeitraum und auch weiterhin geltenden Fassung gehören Getränke und Genussmittel, die der Arbeitgeber den Arbeitnehmern zum Verzehr im Betrieb unentgeltlich oder teilentgeltlich überlässt, nicht zum Arbeitslohn. Der Senat hält dies für eine im Grundsatz zutreffende Auslegung des Arbeitslohnbegriffs. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die so zugewandten Vorteile –wie im Streitfall– nur ein geringes Ausmaß erreichen.
20 
b) Das FG hat sich bei seiner insoweit abweichenden Würdigung zu Unrecht auf das Senatsurteil in BFHE 175, 271, BStBl II 1995, 59 berufen. Der Senat hat dort unter B.II. der Gründe entschieden, dass der Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmer außerhalb von herkömmlichen Betriebsveranstaltungen bewirtet, in der Regel Arbeitslohn zuwendet und nur ausnahmsweise dann etwas anderes gilt, wenn Speisen und Getränke anlässlich und während eines außergewöhnlichen Arbeitseinsatzes aus durch den Arbeitsablauf bedingten Gründen unentgeltlich überlassen werden. Daran hält der Senat weiterhin fest. Jenes Urteil betraf allerdings einen mit dem Streitfall nicht vergleichbaren Sachverhalt. Der Arbeitgeber bewirtete dort zehnmal im Jahr ausgewählte leitende Angestellte in einer Gaststätte zum Mittagessen. Ein ähnlicher Sachverhalt ist vorliegend nicht zu beurteilen.
21 
c) Bei den von der Klägerin zur Verfügung gestellten Backwaren und Heißgetränken handelte es sich insbesondere auch nicht um eine Mahlzeit, wie sie ein Frühstück, Mittagessen oder Abendessen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 SvEV darstellt, die grundsätzlich zu Arbeitslohn führt und dann gemäß § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 SvEV zu bewerten ist. Das FG hat insoweit zutreffend darauf erkannt, dass ein Heißgetränk mit unbelegten Backwaren kein Frühstück darstellt. Nach der Verkehrsanschauung muss für die Annahme eines (einfachen) Frühstücks jedenfalls ein Aufstrich oder Belag hinzutreten. Dabei ist die Art der Brötchen –entgegen der Auffassung des FA– ohne Bedeutung. Es würde auch der Praktikabilität der Rechtsanwendung im Massenfallrecht der Lohnsteuer widersprechen, wollte man für die Anforderungen, die an ein Frühstück zu stellen sind, nach der Art der dargereichten Brötchen differenzieren.
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Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des FA, aufgrund veränderter Essgewohnheiten könne schon ein Kaffee (to go) und ein unterwegs verzehrtes unbelegtes Brötchen als Frühstück angesehen werden. Es handelt sich hierbei vielmehr um einzelne Lebensmittel, die erst durch Kombination mit weiteren Lebensmitteln (z.B. Butter, Aufschnitt, Käse oder Marmelade) zu einem Frühstück werden.
23 
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Quelle: bundesfinanzhof.de