VI R 60/08 – Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach Verwendung eigener Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person zur Finanzierung ihrer Heimunterbringung – Einkünfte und Bezüge – Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltsempfängers

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 26.3.2009, VI R 60/08

Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach Verwendung eigener Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person zur Finanzierung ihrer Heimunterbringung – Einkünfte und Bezüge – Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltsempfängers

Tatbestand

 
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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (2005) als Ehegatten zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
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Im Streitjahr wohnte die zu jener Zeit 94 Jahre alte Mutter des Klägers (M) in einem Pflegeheim. Die eigenen Mittel der M –bestehend aus einer Altersrente und einer Pension– in Höhe von 11 538,48 EUR reichten nicht aus, um die Kosten der Heimunterbringung zu decken. Zur Begleichung der ungedeckten Heimkosten leistete der Kläger (wie auch seine Schwester) im Streitjahr in monatlichen Zahlungen zu je 195,71 EUR insgesamt einen Betrag in Höhe von 2 348,52 EUR.
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Diesen Betrag machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung 2005 als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) versagte den Abzug mit der Begründung, die grundsätzlich nach § 33 des Einkommensteuergesetzes in seiner im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) zu berücksichtigenden Aufwendungen blieben wegen der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG ohne steuerliche Auswirkung.
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Mit ihrem Einspruch begehrten die Kläger den Abzug nach § 33a EStG mit der Begründung, die eigenen Einkünfte der M in Höhe von 11 538,48 EUR seien unbeachtlich, denn der Träger der Sozialhilfe habe diese vollständig einbehalten und zur Heimunterbringung verwandt. In seiner Teil-Einspruchsentscheidung vom 28. Juni 2007 vertrat das FA die Auffassung, M verfüge über eigene Einkünfte und Bezüge i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG, welche die Summe aus abziehbarem Höchstbetrag und anrechnungsfreiem Betrag (7 680 EUR + 624 EUR = 8 304 EUR) überstiegen. Deshalb scheide auch ein Abzug nach § 33a Abs. 1 EStG aus. Im anschließenden Klageverfahren berief sich das FA zudem auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 2. Dezember 2002 (BStBl I 2002, 1389).
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Verweis des § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG auf § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 4 EStG bedeute, dass nur zweckgebundene Einkünfte und Bezüge nicht zu berücksichtigen seien, die über den typischen Unterhalt hinausgingen und für einen besonderen Bedarf zuflössen. Dies sei bei Altersrente und Pension, die M zugeflossen seien, nicht der Fall. Denn diese Mittel stünden M grundsätzlich für deren Lebensunterhalt zur Verfügung. Wenn der Träger der Sozialhilfe von den Einkünften der M die Kosten für die Heimunterbringung abgezogen habe, sei dies rechtlich unbeachtlich und könne nicht anders beurteilt werden, als wenn M aus den ihr zugeflossenen Altersbezügen selbst die Heimkosten beglichen hätte.
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Die Kläger beantragen sinngemäß, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2005 vom 20. September 2006 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 28. Juni 2007 dahingehend zu ändern, dass ein Betrag in Höhe von 2 348,52 EUR als außergewöhnliche Belastung i.S. von § 33a Abs. 1 EStG anerkannt wird.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 
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II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen für Heimunterbringung nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.
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1. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht im Streit, dass ein Abzug der streitigen Aufwendungen nach § 33 EStG schon deshalb ausscheidet, weil diese Aufwendungen die zumutbare Belastung i.S. von Abs. 3 der Vorschrift nicht übersteigen. Dies ungeachtet dessen, dass nach § 33a Abs. 5 EStG in den Fällen der Abs. 1 bis 3 der Regelung wegen der in diesen Vorschriften bezeichneten Aufwendungen der Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG nicht in Anspruch nehmen kann, also kein Wahlrecht zwischen einem Abzug nach § 33 EStG oder nach § 33a EStG hat. Deshalb bedarf es auch keiner Entscheidung, ob bzw. inwieweit hier überhaupt der Anwendungsbereich des § 33 EStG eröffnet ist, weil in Folge der Heimunterbringung der M durch die Pauschalregelungen des § 33a EStG nicht abgegoltene zusätzliche Aufwendungen entstanden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 24. Februar 2000 III R 80/97, BFHE 191, 280, BStBl II 2000, 294).
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2. Die Anwendbarkeit des § 33a EStG (vgl. BFH-Urteil in BFHE 191, 280, BStBl II 2000, 294) und die grundsätzliche Abziehbarkeit der von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen nach dieser Vorschrift unterstellt, ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass im Streitfall auch die vom Träger der Sozialhilfe zur Finanzierung der Heimunterbringung verwendeten Altersbezüge der im Heim untergebrachten M als Einkünfte und Bezüge i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG zu berücksichtigen sind und deshalb ein Abzug nach § 33a EStG ausscheidet.
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a) Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird gemäß § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 7 680 EUR im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Hat die unterhaltene Person andere Einkünfte oder Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 4 EStG, so vermindert sich nach § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG der Betrag von 7 680 EUR u.a. um den Betrag, um den diese Einkünfte und Bezüge den Betrag von 624 EUR im Kalenderjahr übersteigen.
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Der Begriff der "Einkünfte" in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, auf den § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 2002 ausdrücklich verweist, entspricht (auch) im Streitjahr 2005 der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG. Zu den Einkünften zählen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG auch Leibrenten mit ihrem in § 22 EStG ausgewiesenen Besteuerungs- bzw. Ertragsanteil. Bei der Ermittlung der Einkünfte können keine Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen berücksichtigt werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566). Allerdings sind –auch nach Auffassung der Finanzverwaltung– bei der Ermittlung der anrechenbaren Einkünfte (auch bei Anwendung des § 33a EStG) die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung von den Einkünften abzuziehen (vgl. für das Streitjahr Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2005, H 33a.1, Sozialversicherungsbeiträge, mit Hinweis auf BMF-Schreiben vom 18. November 2005, BStBl I 2005, 1027). Die Verwaltungsanweisungen enthalten die Folgerungen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260). Nach dieser Entscheidung des BVerfG (unter B.II.3.) ist im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enthaltene Relativsatz "die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind" nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf Einkünfte zu beziehen. Dies betrifft jedenfalls die Beiträge, die, wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, von Gesetzes wegen der Einkünfte erzielenden Person nicht verfügbar sind und deshalb nicht der Bestreitung des Unterhalts dienen.
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Unter Bezügen sind nach ständiger Rechtsprechung alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu verstehen, also auch nicht steuerbare oder –z.B. in den §§ 3 und 3b EStG– für steuerfrei erklärte Einnahmen, die nicht bereits im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkunftsermittlung erfasst werden, sofern sie zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind (BFH-Urteile vom 6. April 1990 III R 131/85, BFHE 160, 490, BStBl II 1990, 885; vom 24. November 1994 III R 37/93, BFHE 176, 114, BStBl II 1995, 527; vom 26. September 2000 VI R 85/99, BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684; vom 14. Mai 2002 VIII R 57/00, BFHE 199, 194, BStBl II 2002, 746; BFH-Beschluss vom 16. Juni 2006 III B 43/05, BFH/NV 2006, 2056). Zweckgebundene Bezüge, die dem Unterhaltsberechtigten für seinen üblichen Lebensunterhalt tatsächlich nicht zur Verfügung stehen und seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit deshalb nicht erhöhen, zählen nach der Rechtsprechung des III. Senats des BFH nicht dazu (z.B. BFH-Urteile vom 22. Juli 1988 III R 175/86, BFHE 154, 115, BStBl II 1988, 939; vom 11. Juli 1990 III R 111/86, BFHE 162, 231, BStBl II 1991, 62, und vom 19. Juni 2002 III R 28/99, BFHE 199, 355, BStBl II 2002, 753). Zu den Bezügen, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, zählt auch der Kapitalanteil einer Leibrente (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 1980 VI R 98/77, BFHE 132, 34, BStBl II 1981, 158; Schmidt/ Loschelder, EStG, 28. Aufl., § 33a Rz 34).
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b) Nach diesen Maßstäben zählen auch die von M bezogene Altersrente und Pension zu den nach § 33a Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Einkünften und Bezügen der unterhaltenen Person.
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aa) Für die Berücksichtigung der Altersbezüge der M ist –wovon offenkundig auch die Beteiligten ausgehen– nicht von Belang, inwieweit sie auf einen Kapital- und auf einen Ertragsanteil entfallen. Denn die Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der M ist im Streitfall nicht davon abhängig, inwieweit die Altersbezüge der M als Einkünfte oder als Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusehen sind.
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bb) Die vom FG in Höhe von insgesamt 11 538,48 EUR festgestellten und von den Klägern in ihrer Revisionsbegründung nochmals in dieser Höhe bestätigten Altersbezüge der M standen dieser auch für ihren üblichen Lebensunterhalt tatsächlich zur Verfügung und sind deshalb nicht zum Zweck ihrer Anrechnung nach den §§ 33a Abs. 1 Satz 4, 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu vermindern.
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(1) Die Altersbezüge der M waren nicht noch weiter um (zweckgebundene) Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu kürzen. Das FG hat zwar keine Feststellungen zu den von M zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträgen getroffen. Nachdem sich jedoch die Kläger nicht mit Verfahrensrügen gegen die vom FG festgestellte Höhe der Einkünfte und Bezüge gewandt haben, sondern nur aus dem Umstand, dass die Altersbezüge für den Heimaufenthalt der M verwendet worden sind, andere rechtliche Folgerungen als das FG gezogen haben, versteht der erkennende Senat die Feststellungen des FG dahin, dass es sich um einen nicht um gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge zu kürzenden Betrag handelt; der Senat sieht sich insoweit nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
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(2) Die anzurechnenden Altersbezüge der M sind auch sonst nicht weiter zu kürzen. Das FG hat im Streitfall weder Umstände festgestellt, die für einen außergewöhnlichen, hier insbesondere alters- oder krankheitsbedingten Mehrbedarf der M sprechen könnten, noch eine partielle Zweckbindung der Altersbezüge der M im Hinblick auf einen besonderen Lebensbedarf. Die Kläger, die auch insoweit keine Verfahrensrügen gegen die Feststellungen des FG erhoben haben, haben eine solche Zweckbindung nicht vorgetragen. Dem entspricht, dass eine Altersrente bzw. Pension regelmäßig zur Abdeckung des allgemeinen Lebensbedarfs gezahlt wird. Im Übrigen setzt die –vom Senat zugunsten der Kläger unterstellte– Anwendbarkeit des § 33a EStG voraus, dass es sich um Aufwendungen für den Unterhalt einer unterhaltsberechtigten Person handelt. Damit sind nur die üblichen, für den laufenden Lebensunterhalt des Empfängers bestimmten Leistungen gemeint; zu den üblichen Aufwendungen rechnen regelmäßig auch die Kosten für die altersbedingte Unterbringung in einem normalen Altenheim (vgl. BFH-Urteil in BFHE 191, 280, BStBl II 2000, 294, m.w.N.). Der von den Klägern –anstelle von § 33 EStG– begehrten Anwendung des § 33a EStG stünde deshalb die Annahme außergewöhnlichen –etwa pflegebedingten– Sonderbedarfs der M entgegen.
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Der erkennende Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, inwieweit er sich der Rechtsprechung des III. Senats des BFH (z.B. in BFHE 154, 115, BStBl II 1988, 939, unter 4.b – zu Mehrbedarfszuschlag und Telefonhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz) anschließen könnte, dass bei der Bestimmung der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsempfängers solche Bezüge auszuscheiden sind, die ihm zweckgebunden für die Abdeckung eines nach Art und Höhe über das Übliche hinausgehenden besonderen und außergewöhnlichen Lebensbedarfs zufließen. Offen bleiben kann auch, inwieweit es gleichheitsrechtlichen Bedenken begegnen könnte, nur im Hinblick auf speziellen Lebensbedarf zweckgebunden gewährte Sozialleistungen aus den anzurechnenden Bezügen auszuscheiden, nicht aber selbst erwirtschaftete Mittel, die für einen vergleichbaren "Sonderbedarf" verwendet werden.
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cc) Der Umstand, dass die Altersbezüge der M auf Veranlassung des Trägers der Sozialhilfe zur Finanzierung der Heimunterbringung der M verwendet worden sind, schließt deren Anrechnung nach den §§ 33a Abs. 1 Satz 4, 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht aus. Die Anrechnung hängt in dieser Situation allein davon ab, ob die konkrete Mittelverwendung den Lebensunterhalt des Unterhaltsempfängers betrifft. Ist dies –wie hier– der Fall, so sind auch solche Mittel Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsempfängers. Ob die Verwendung der Mittel für den Lebensunterhalt durch den Unterhaltsempfänger selbst oder durch einen Dritten –hier den Träger der Sozialhilfe– veranlasst worden ist, ist nach dem Maßstab der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsempfängers nicht von Bedeutung. Deshalb ist der Streitfall nicht anders zu beurteilen, als wenn M ihre Altersbezüge selbst zur Begleichung der Heimkosten verwendet hätte.

Quelle: bundesfinanzhof.de


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