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II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) rechtmäßig ist. Die Klägerin hat gegen das FA keinen Anspruch auf Erstattung des Umsatzsteuerbetrags, der ihr von der E zu Unrecht in Rechnung gestellt und der E gezahlt worden ist. |
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1. Die Klägerin kann ihren Erstattungsanspruch nicht auf § 37 Abs. 2 AO stützen. Nach dieser Vorschrift hat nur derjenige einen Erstattungsanspruch aus Überzahlungen, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Das sind hinsichtlich der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer allein die Rechnungsaussteller, die ihre Rechnungen nach § 17 UStG berichtigt haben. |
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a) § 37 Abs. 2 AO regelt keinen Rückzahlungsanspruch des Leistungsempfängers, der die in der ihm gestellten Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer dem Rechnungsaussteller gezahlt hat (Urteil des FG des Saarlandes vom 24. April 2013 1 K 1156/12, EFG 2013, 1637; Urteil des FG Münster vom 3. September 2014 6 K 939/11 AO, EFG 2014, 1934; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz 60). Die in der Literatur vereinzelt vertretene Auffassung, bei der Umsatzsteuer müsse der Leistungsempfänger als derjenige angesehen werden, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, wenn der Steuerpflichtige zur Rückabwicklung nicht in der Lage ist (vgl. von Streit, "Rs. C-35/05 – Reemtsma, C-427/10 – Banca Antoniana und andere – Wann bleibt der Steuerpflichtige auf der Mehrwertsteuer sitzen?", in EU-Umsatzsteuer-Berater 2012, 38, 41), steht nicht nur zu dem klaren Wortlaut des § 37 Abs. 2 AO in Widerspruch, sondern auch zur Zielsetzung der Norm, dem Fiskus zur Vereinfachung im Massengeschäft komplexe Prüfungen des "wahren" Leistungserbringers zu ersparen (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1990 VII R 99/89, BFHE 162, 279, BStBl II 1991, 47, 48, bestätigt im Urteil vom 26. November 1996 VII R 49/96, BFH/NV 1997, 537). |
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b) Im Streitfall hat die E die 4,8 Mio. EUR auf ihre Rechnung, nämlich in Erfüllung ihrer eigenen Umsatzsteuerschuld gegenüber dem FA, gezahlt. Damit ist sie, die E, diejenige, der nach Berichtigung der Rechnungen nach § 17 UStG durch den Insolvenzverwalter der Anspruch auf Erstattung der nunmehr rechtsgrundlos gewordenen Zahlungen an das FA gemäß § 37 Abs. 2 AO zusteht. Daran ändert nichts, dass mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der E der Insolvenzverwalter in Ausübung des auf ihn gemäß § 80 InsO übergegangenen Verfügungsrechts den Anspruch auf Erstattung in die Insolvenzmasse geltend gemacht hat. Dem Insolvenzschuldner ist lediglich das Verfügungs- und Verwaltungsrecht über sein Vermögen entzogen, ihm verbleibt aber die Rechtsinhaberschaft, d.h. er bleibt Steuerschuldner und im Fall einer rechtsgrundlosen Steuerzahlung Rechtsträger des Erstattungsanspruchs (vgl. Senatsentscheidungen vom 26. November 2014 VII R 32/13, BFHE 247, 494, BStBl II 2015, 561; vom 1. September 2010 VII R 35/08, BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336). |
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c) Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, besteht auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten keine Notwendigkeit, § 37 Abs. 2 AO in der von der Klägerin gewünschten Weise auszulegen, also den Erstattungsanspruch bei Insolvenz des Leistenden auf den Leistungsempfänger zu übertragen. Eine solche Auslegung lässt sich auch nicht mit den Ausführungen des EuGH in der Reemtsma-Entscheidung rechtfertigen. |
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aa) Anders als das FG des Saarlandes (Urteil in EFG 2013, 1637) hat der Senat zwar keinen Zweifel, dass die von den Beteiligten erörterten Rechtsgrundsätze dieser Entscheidung, der ein grenzüberschreitender Sachverhalt zum Verfahren der Vorsteuervergütung entsprechend § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. der Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige zugrunde lag, für den vorliegenden Fall einschlägig sind. Denn der EuGH hat im Urteil Marks & Spencer vom 11. Juli 2002 C-62/00 (EU:C:2002:435, Rz 34), dem ein reiner Inlandsachverhalt zugrunde lag, festgestellt: "Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es beim Fehlen einer Gemeinschaftsregelung über die Erstattung rechtsgrundlos erhobener nationaler Abgaben Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten der Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität)." |
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Abgesehen davon ergibt sich aus der Reemtsma-Entscheidung (EU:C:2007:167, Rz 38), dass die dort erörterte Achte Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften –ABlEG– Nr. L 331/11), die die Regelung in Art. 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 (ABlEG Nr. L 145/1) ausdrücklich in Bezug nimmt, keine Erstattungsvorschrift für die Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter Umsatzsteuer durch den Aussteller vorsieht und demzufolge die Mitgliedstaaten die Berichtigungsvoraussetzungen für diese Fälle festzulegen haben. Daraus lässt sich ableiten, dass die zu den nationalen Regelungen getroffenen Aussagen des Urteils auch für den vorliegenden Fall zu beachten sind. |
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bb) Jedenfalls aber lässt sich der Entscheidung kein unionsrechtliches Gebot entnehmen, einen Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus zu gewähren, wenn –wie im Streitfall– eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann. |
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Der EuGH führt vielmehr aus, dass die Grundsätze der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer im Regelfall beachtet werden, wenn –wie nach deutschem Steuerrecht– nur der Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörde entrichtet hat, die Erstattung der Mehrwertsteuer verlangen und der Dienstleistungsempfänger lediglich zivilrechtlich Klage gegen den Dienstleistungserbringer auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann. Denn ein solches System ermögliche es dem Dienstleistungsempfänger, der mit der irrtümlich in Rechnung gestellten Steuer belastet war, die rechtsgrundlos gezahlten Beträge erstattet zu bekommen. Nur für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer vom Leistenden unmöglich oder übermäßig erschwert wird, fordert der EuGH, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel vorsehen müssen, die es dem Leistungsempfänger ermöglichen, zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. |
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Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten überlässt es der EuGH dem jeweiligen Mitgliedsstaat, die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, autonom zu regeln (EuGH-Urteil Reemtsma, EU:C:2007:167, Rz 40). |
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2. Wie das FG überzeugend ausgeführt hat, werden die Regelungen, die das deutsche Umsatzsteuer- und Abgabenrecht zum Schutz des Leistungsempfängers bereithält, der die zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller gezahlt hat, den Anforderungen, die der EuGH an eine systemgerechte Abwicklung zu Unrecht erhobener und gezahlter Umsatzsteuer stellt, grundsätzlich gerecht. |
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a) Zwar ist ihm nach der gegenwärtigen Rechtsprechung der zur Neutralisierung der wirtschaftlichen Belastung mit der Umsatzsteuer führende Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG –unabhängig von einer späteren Rechnungsberichtigung– versagt, wenn die erbrachten Leistungen –wie im Streitfall– in Deutschland nicht steuerbar waren. Denn das Recht auf Vorsteuerabzug besteht nur für diejenigen Steuern, die geschuldet werden, d.h. mit einem der Umsatzsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen; das Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist (EuGH-Urteil Genius vom 13. Dezember 1989 C-342/87, EU:C:1989:635, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 632, Rz 13, 19). |
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b) Allerdings bieten die Billigkeitsregelungen der §§ 163 (abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen) und 227 AO (Erstattung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis) eine hinreichende Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug –jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis– geltend zu machen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 30. April 2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744), um auf diesem Weg den im Insolvenzverfahren nicht zu realisierenden Teil der gegen den Rechnungsaussteller gerichteten, zivilrechtlichen Forderung vom Finanzamt gutgebracht zu bekommen. |
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aa) Der Verweis auf eine solche Billigkeitsentscheidung genügt den Anforderungen des EuGH zum Ausgleich der Belastung des Leistungsempfängers. Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsweg zu gewähren sein, wenn der Gesetzeswortlaut die Entstehung eines Anspruchs auf Vorsteuerabzug an Voraussetzungen knüpft, deren Erfüllung im Einzelfall vom leistungsempfangenden Unternehmer unter Beachtung der Wertungen des Gesetzgebers nicht verlangt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 2008 XI R 57/06, BFH/NV 2009, 1156, m.w.N.). |
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bb) Ob der Klägerin eine Erstattung ihrer Vorsteuer im Wege eines Billigkeitserweises zuerkannt werden kann, hat der Senat im vorliegenden Rechtsstreit über den Abrechnungsbescheid des FA nicht zu entscheiden. Es liegt bei der Klägerin, einen solchen Anspruch ggf. beim Finanzamt X geltend zu machen. Denn nur zu diesem Finanzamt steht die Klägerin in einem Steuerschuldverhältnis, in dem Ansprüche nach den Vorschriften der AO geltend gemacht werden können. |
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cc) Ein Billigkeitserweis erscheint im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden auch nicht von vornherein ausgeschlossen, auch wenn nicht unberücksichtigt bleiben dürfte, dass der BFH der Reemtsma-Entscheidung (EU:C:2007:167) jedenfalls dann keine Erstattungsverpflichtung des Fiskus zu entnehmen vermochte, wenn die Steuer gar nicht an ihn entrichtet worden war (Urteil in BFH/NV 2009, 1156; vgl. auch Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438, am Ende). Ob diese Feststellung auch auf den Fall der vorliegenden Erstattung des FA an die Insolvenzmasse nach Rechnungsberichtigung ausgedehnt werden kann, könnte davon abhängen, ob der Fiskus zur Erstattung verpflichtet war oder ob er ausnahmsweise die Zustimmung zur Rechnungsberichtigung und damit die Erstattung hätte verweigern können, weil sie zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Insolvenzmasse geführt hätte (vgl. EuGH-Urteil Danfoss und Sauer-Danfoss vom 20. Oktober 2010 C-94/10, EU:C:2011:674, Rz 20 ff.; Anm. Büchter-Hole zum Urteil des FG des Saarlandes 1 K 1156/12 in EFG 2013, 1640, rechte Spalte). Es erscheint nicht fernliegend, dazu ein neuerliches Vorabentscheidungsersuchen, nicht zuletzt im Hinblick auf das vom Insolvenzverwalter hervorgehobene Gläubigergleichbehandlungsgebot des Insolvenzrechts, an den EuGH zu richten. |
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Eine Entscheidung über einen solchen Billigkeitserweis wäre aber nicht im Verfahren über den streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid zu treffen, sondern –wie dargelegt– in einem beim Finanzamt X durchzuführenden Verfahren über eine Billigkeitsentscheidung gemäß §§ 163, 227 AO. |
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dd) Jedenfalls könnte dem Verweis auf eine Billigkeitsentscheidung nicht entgegengehalten werden, dass es sich bei der Entscheidung nach § 163 AO grundsätzlich um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. dazu Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603, zu § 131 der Reichsabgabenordnung; BFH-Urteil vom 21. August 1997 V R 47/96, BFHE 183, 304, BStBl II 1997, 781), die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 102 FGO). Erfordern nämlich gemeinschaftsrechtliche Regelungen eine Billigkeitsmaßnahme –was (zumindest) unter Berücksichtigung der vorstehenden Kriterien zunächst festzustellen wäre–, ist das in § 163 AO eingeräumte Ermessen des FA auf null reduziert (BFH-Urteil in BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744, m.w.N.). |
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 i.V.m. § 139 Abs. 4 FGO. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 139 Abs. 4 FGO aufzuerlegen, da er das Verfahren durch Sachvortrag und durch die Stellung eines eigenen Sachantrags gefördert hat (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Mai 2009 IV B 143/08, BFH/NV 2009, 1452). |
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