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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das FG die Unrechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen hinsichtlich der mit slowakischen Steuerzeichen versehenen Zigaretten angenommen hat. Hinsichtlich dieser Zigaretten ist der Kläger durch Inbesitznahme der entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbrachten Zigaretten nach § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der Tabaksteuer geworden. |
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1. Werden Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder versandt, entsteht die Steuer mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet (§ 19 Satz 1 TabStG). Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat (§ 19 Satz 2 TabStG). Nach den Feststellungen des FG, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat und die daher für den erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend sind, sind die vom Kläger bezogenen Zigaretten außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens aus einem anderen Mitgliedstaat in das Steuergebiet verbracht worden. Zudem waren im Zeitpunkt des Überschreitens der Grenze an den Kleinverkaufspackungen keine deutschen Steuerzeichen angebracht, wie dies nach § 12 Abs. 1 TabStG erforderlich gewesen wäre. Außer Frage steht, dass die Zigaretten nicht dem ausschließlich privaten Konsum der an ihrem Verbringen Beteiligten dienen sollten. Vielmehr waren sie für den Weiterverkauf im Steuergebiet bestimmt. Für die zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbrachten Zigaretten ist somit gemäß § 19 Satz 1 TabStG im Zeitpunkt ihres Grenzübertritts die Tabaksteuer entstanden. |
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2. Entgegen der Auffassung des FG ist der Kläger –neben den am eigentlichen Vorgang des Verbringens beteiligten Personen– nach § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der im Steuergebiet entstandenen Tabaksteuer geworden, denn er ist als Empfänger der Zigaretten anzusehen, an denen er im Steuergebiet Besitz erlangt hat. |
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a) Eine Definition des Empfängerbegriffs ist den tabaksteuerrechtlichen Vorschriften nicht zu entnehmen. In seiner Entscheidung in NStZ 2010, 644 hat der BGH den Begriff des Empfängers dahingehend ausgelegt, dass eine Person nicht Empfänger sein kann, die den Besitz an den Tabakwaren erst erlangt hat, wenn der Verbringungs- bzw. Versendungsvorgang durch das "zur Ruhe kommen" der Zigaretten bereits beendet ist. |
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Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Begriff des Empfängers in einem weiteren Wortverständnis dahin zu deuten, dass Empfänger auch derjenige sein kann, der in das Steuergebiet geschmuggelte Tabakwaren, die nach der Beendigung des Vorgangs des Verbringens bzw. Versendens nach Deutschland in hierfür bestimmten Verstecken gelagert worden sind, vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt, d.h. von diesem in Empfang nimmt, um sie im Steuergebiet an andere Personen zu veräußern. Denn als Empfänger kann nach allgemeinem Sprachgebrauch jede Person verstanden werden, an die etwas Bestimmtes (Warensendung, Nachrichten, Signale etc.) gerichtet ist bzw. der etwas Bestimmtes übermittelt wird. Nach dem Verständnis des BGH wäre selbst der Adressat einer Postsendung nicht als Empfänger anzusehen, dem aus einem im Steuergebiet angelegten Lager unversteuerte Zigaretten zum Weiterverkauf oder zur Verteilung an Zwischenhändler geliefert werden. Für eine solche einschränkende Deutung lässt sich dem Begriff des Empfängers nichts entnehmen. Zudem ist bei der Auslegung des in § 19 Satz 2 TabStG verwendeten Empfängerbegriffs zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit den in § 19 TabStG getroffenen Regelungen die Umsetzung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen –insbesondere der Art. 7 und Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG– beabsichtigte, so dass eine richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift geboten ist. Dem kann nicht –wie in der Literatur vertreten wird (Allgayer/Sackreuther, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht 2014, 235)– entgegengehalten werden, § 19 TabStG sei nach seinem vermeintlich eindeutigen Wortlaut und der Systematik einer solchen richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich. Wie bereits dargelegt, lässt sich der Begriff des Empfängers unterschiedlich deuten. Lässt der Gesetzestext mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu und ist nur eine mit dem Unionsrecht vereinbar, so ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, nach der die Norm nicht als unionsrechtswidrig einzustufen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 15. Februar 2012 XI R 24/09, BFHE 236, 267, BStBl II 2013, 712; vom 8. September 2010 XI R 40/08, BFHE 231, 343, BStBl II 2011, 661, und vom 29. Juni 2011 XI R 15/10, BFHE 233, 470, BStBl II 2011, 839). Dabei ist eine richtlinienkonforme Auslegung auch zulasten des Steuerpflichtigen möglich (EuGH-Urteil vom 5. Juli 2007 C-321/05 -Kofoed- Slg. 2007, I-5795, m.w.N.; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 4 Rz 31). |
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b) In seiner Entscheidung hat der EuGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf den vom BFH dargestellten Streitfall Art. 7 RL 92/12/EWG Anwendung findet und dass nach Art. 7 Abs. 3 RL 92/12/EWG die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem sich die betreffenden Waren befinden u.a. von der Person oder dem Wirtschaftbeteiligten geschuldet werden, bei der oder bei dem sie bereitgestellt werden, so dass jeder Besitzer der Waren Schuldner der Verbrauchsteuer ist. Daraus folgt, dass nach den unionsrechtlichen Vorgaben von einer Steuerschuldnerschaft des in diesem Verfahren in Anspruch genommenen Beteiligten auszugehen ist, denn bei ihm sind nach Auffassung des EuGH die Zigaretten nach Art. 7 Abs. 2 RL 92/12/EWG mit der Folge bereitgestellt worden, dass er an ihnen zu gewerblichen Zwecken Besitz erlangt hat. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Zigaretten nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12/EWG zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden. |
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c) Für den Fall, dass unversteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung vorgefunden werden, hat der EuGH entschieden, dass der Besitz der betreffenden Ware eine Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr i.S. des Art. 6 Abs. 1 RL 92/12/EWG darstellt (EuGH-Urteil vom 5. April 2001 C-325/99, Slg. 2001, I-2729). Nach Auffassung des EuGH ist diese Vorschrift dahin auszulegen, dass der bloße Besitz einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware die Steuerschuldnerschaft begründet, wenn feststeht, dass die Ware noch nicht nach den geltenden gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Vorschriften versteuert worden ist. Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf Art. 7 und Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG übertragen. Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, dass eine in ihrem Steuergebiet vorgefundene und aus einem anderen Mitgliedstaat stammende verbrauchsteuerpflichtige Ware, für die die Steuer zwar entstanden, jedoch noch nicht entrichtet worden ist, nicht unversteuert bleibt. Wie der Senat bereits entschieden hat, geht es dem Unionsrecht bei der Bestimmung des (verbrauchsteuerrechtlichen) Abgabenschuldners darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen unmittelbarer Obhut eine Ware sich befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann (BFH-Urteil vom 10. Oktober 2007 VII R 49/06, BFHE 218, 469, ZfZ 2008, 85). |
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d) In Bezug auf Art. 7 und Art. 9 RL 92/12/EWG hat der EuGH geurteilt, dass eine Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen, mit der die Eigenschaft als Schuldner der Verbrauchsteuer auf den ersten Besitzer der Waren begrenzt würde, im Widerspruch zum Zweck der RL 92/12/EWG stünde, denn sie würde die Erhebung der mit dem Überschreiten einer Grenze der Union verbundenen Verbrauchsteuern unsicherer machen. Diese Argumentation ist auf die Auslegung des § 19 Satz 2 TabStG übertragbar. Aus den Ausführungen des EuGH lässt sich schließen, dass die Mitgliedstaaten keine nationale Regelung treffen dürfen, die es ausschließt, Personen als Schuldner der Verbrauchsteuer in Anspruch zu nehmen, die nicht die ersten Besitzer der Waren im Bestimmungsland gewesen sind (im Ergebnis so auch Rüsken in ZfZ 2014, 255, nach dem das EuGH-Urteil so zu verstehen sei, dass es das Unionsrecht gebiete, auch einen Zwischenhändler als Steuerschuldner anzusehen). Zwar ist der vom EuGH gebildete Leitsatz in Bezug auf die Steuerschuldnerschaft von Personen, die nicht die ersten Besitzer der in das Bestimmungsland verbrachten Waren sind, offener formuliert als die entsprechenden Ausführungen in der Begründung des Urteils, doch entnimmt der erkennende Senat der Begründung eine hinreichende Antwort auf die Vorlagefrage in dem Sinne, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des § 19 Satz 2 TabStG geboten ist. Damit ist die Entscheidung des BGH in NStZ 2010, 644 zumindest aus verbrauchsteuerrechtlicher Sicht als überholt anzusehen. Anlass zur Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes besteht nicht. |
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Empfänger i.S. des § 19 Satz 2 TabStG kann demnach –wie im Streitfall– auch eine Person sein, die erst nach der Beendigung des Vorgangs des Verbringens aus einem anderen Mitgliedstaat im Steuergebiet Besitz an nicht mit deutschen Steuerzeichen versehenen Zigaretten erlangt hat. Da sich dieses Auslegungsergebnis lediglich auf die tabaksteuerrechtlichen Folgen der vom Kläger vorgenommenen Handlungen bezieht, ist mit einer solchen Deutung keine Entscheidung darüber getroffen, ob § 19 TabStG im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) bzw. § 374 AO aus strafrechtlicher Sicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes genügt. |
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3. Da der Kläger durch die Übernahme der unversteuerten Zigaretten im Steuergebiet Besitz an ihnen erlangt hat, ist er als Empfänger der Zigaretten anzusehen. Infolgedessen ist er hinsichtlich der mit slowakischen Steuerzeichen versehenen Zigaretten gemäß § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der zuvor entstandenen Tabaksteuer geworden. Das HZA hat ihn somit zu Recht als Steuerschuldner in Anspruch genommen, so dass das erstinstanzliche Urteil insoweit keinen Bestand haben kann. |
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. |
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