VIII B 79/18 – Korrekturbefugnis gemäß § 129 AO bei nachträglichen Ermittlungen des Finanzamts

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 15.10.2018, VIII B 79/18
ECLI:DE:BFH:2018:B.151018.VIIIB79.18.0

Korrekturbefugnis gemäß § 129 AO bei nachträglichen Ermittlungen des Finanzamts

Leitsätze

NV: Sachverhaltsermittlungen des Finanzamts, die erst nach Bekanntgabe eines Bescheids aufgrund einer später erhaltenen Kontrollmitteilung zu bestimmten Einkünften erfolgen, stehen der Korrekturbefugnis des Finanzamts aus § 129 AO nicht entgegen, wenn diese Einkünfte bei Erlass des Bescheids aufgrund einer Unachtsamkeit nicht in den Eingabewertbogen übernommen wurden.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. April 2018  5 K 1525/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

 
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Die Beschwerde ist unbegründet und die Revision nicht zuzulassen.
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1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfenen Rechtsfragen gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht erfüllt.
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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche abstrakte Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht, wenn sie anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den Bundesfinanzhof (BFH) geboten erscheinen lassen (s. zum Ganzen BFH-Beschluss vom 8. Mai 2018 VIII B 124/17, BFH/NV 2018, 822, Rz 5).
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An der Klärungsfähigkeit einer vom Beschwerdeführer aufgeworfenen abstrakten Rechtsfrage fehlt es, wenn sie auf der Grundlage der nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht entscheidungserheblich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. Dezember 2017 VI B 53/17, BFH/NV 2018, 338; vom 12. Juni 2018 VIII B 154/17, BFH/NV 2018, 945, Rz 5).
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b) Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen sind entweder nicht klärungsbedürftig oder nicht klärungsfähig in diesem Sinne.
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aa) Der Kläger sieht es sinngemäß als grundsätzlich bedeutsam an und möchte geklärt wissen, ob eine Sachverhaltsermittlung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt –FA–) im Anschluss an den Empfang einer Kontrollmitteilung (hier: nach deren Zugang am 26. September 2014), die nach Bekanntgabe eines Einkommensteuerbescheids (hier: für das Streitjahr 2013 vom 23. Juni 2014) vorgenommen wird, einer Berichtigung des Bescheids durch das FA gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO) entgegensteht, wenn das FA bei Erlass des Bescheids die erklärten und im Zusammenhang mit der Kontrollmitteilung stehenden Einkünfte nicht veranlagt habe.
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Diese Rechtsfrage kann, bei Zweifeln an ihrer hinreichenden Abstraktheit, jedenfalls anhand der Regelung des § 129 Satz 1 AO und der damit im Zusammenhang stehenden Rechtsprechung abschließend beantwortet werden.
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Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten jederzeit berichtigen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind.
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Die ständige Rechtsprechung des BFH grenzt daran anknüpfend zu der im Streitfall vorliegenden Konstellation, dass in der Einkommensteuererklärung erklärte Einkünfte nicht im Einkommensteuerbescheid veranlagt werden, ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 129 Satz 1 AO von die Berichtigung ausschließenden anderen Fehlern des FA beim Erlass des Bescheids wie folgt ab:
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Offenbare Unrichtigkeiten sind insbesondere mechanische Versehen, beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen zählen zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts. Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründet oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Diese Möglichkeit darf allerdings nicht nur theoretischer Natur sein. Vielmehr muss sie sich durch vom Gericht festgestellte Tatsachen belegen lassen. Deuten die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann berichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 2018 VI R 41/16, BFHE 260, 397, BStBl II 2018, 378, Rz 13, m.w.N.).
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Entsprechend ist –so der BFH– nicht jede versehentlich unberücksichtigte Tatsache mit einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung gleichzusetzen. Eine der Berichtigung entgegenstehende unvollständige Sachverhaltsermittlung ist erst anzunehmen, wenn für die Besteuerung wesentliche Tatsachen nicht durch ein mechanisches Versehen unberücksichtigt geblieben sind. Ermittlungsfehler gehen über mechanische Versehen bei der Heranziehung des Sachverhalts zur Steuerfestsetzung hinaus, weil ein Teil des rechtserheblichen Sachverhalts wegen fehlerhaft unterlassener oder unrichtiger Tatsachenaufklärung noch nicht bekannt ist. Ist dagegen ohne weitere Prüfung erkennbar, dass ein Teil des bekannten Sachverhalts aus Unachtsamkeit bei der Steuerfestsetzung nicht erfasst worden ist, darf diese offenbare Unrichtigkeit zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen durch Berichtigung der versehentlich fehlerhaften Steuerfestsetzung korrigiert werden (BFH-Urteile in BFHE 260, 397, BStBl II 2018, 378, Rz 14, m.w.N.; vom 26. April 1989 VI R 39/85, BFH/NV 1989, 619).
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Danach steht fest, dass Sachverhaltsermittlungen des FA, die erst nach Bekanntgabe eines Bescheids aufgrund einer später erhaltenen Kontrollmitteilung erfolgen und sich auf bestimmte Einkünfte beziehen, einer Berichtigung des Bescheids durch das FA gemäß § 129 Satz 1 AO nicht entgegenstehen können, wenn dieselben Einkünfte vom Steuerpflichtigen erklärt, aber bei Erlass des Bescheids aufgrund einer Unachtsamkeit des Bearbeiters nicht in den Eingabewertbogen übernommen wurden. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig.
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bb) Ferner wirft der Kläger sinngemäß die Frage auf, ob eine die Berichtigung gemäß § 129 Satz 1 AO ausschließende unrichtige Tatsachenwürdigung des FA vorliege, wenn das FA erklärte Einkünfte nicht in die Veranlagung einbeziehe und dabei eine mit diesen Einkünften im Zusammenhang stehende Kontrollmitteilung übersehe.
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Diese Rechtsfrage ist im Streitfall aber nicht klärungsfähig. Nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des Finanzgerichts (FG) lag dem FA die Kontrollmitteilung zu dem Vermächtnis des Klägers, aus dem dieser im Streitjahr die erklärten und versehentlich nicht veranlagten Kapitaleinkünfte erzielt hatte, erst ab dem 26. September 2014 vor. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr stammte bereits vom 23. Juni 2014. Auf Grundlage der Feststellungen des FG ist die aufgeworfene Rechtsfrage im Streitfall nicht entscheidungserheblich.
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2. Die Revision ist auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Dieser Zulassungsgrund stellt einen Spezialfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt ebenfalls das Vorliegen einer hinreichend bestimmten und im Allgemeininteresse liegenden klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus, die hier fehlt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 822, Rz 15).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Quelle: bundesfinanzhof.de