Vorrangige Verrechnung von Altverlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften

Urteil vom 03. Dezember 2019, VIII R 8/16

BFH VIII. Senat

EStG § 20 Abs 6 S 1 , EStG § 32d Abs 4 , EStG § 43a Abs 3 , FGO § 68 , EStG § 23 Abs 3 S 9 , EStG § 23 Abs 3 S 10 , EStG § 10d Abs 4 S 4 , EStG VZ 2009 , EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011 , EStG VZ 2012

vorgehend FG Düsseldorf, 06. Mai 2015, Az: 7 K 3885/14 E

Leitsätze

§ 20 Abs. 6 Satz 1 EStG steht der Verrechnung von Altverlusten i.S. des § 23 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (EStG a.F.) mit positiven Kapitaleinkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG bei der (Antrags-)Veranlagung gemäß § 32d Abs. 4 EStG nicht entgegen, da die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 EStG zwar zeitlich vorrangig, aber nicht endgültig ist (Anschluss an Senatsurteil vom 29.08.2017 – VIII R 23/15, BFHE 259, 336, BStBl II 2019, 54, Rz 11 ff.).

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 06.05.2015 – 7 K 3885/14 E aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

A.

  1. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 2009 bis 2012 (Streitjahre) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2008 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) sogenannte Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (EStG a.F.) in Höhe von 349.508 € für den Kläger und in Höhe von 284.358 € für die Klägerin fest.
  2. In den Streitjahren erzielten die Kläger Einkünfte aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. der Streitjahre (EStG). Die Depotbank stellte über die hierbei erzielten Gewinne nach der Verrechnung mit den im jeweiligen Streitjahr erlittenen Verlusten eine Steuerbescheinigung aus. Die Kläger stellten in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre jeweils den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG. Außerdem beantragten sie die Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. mit den von der Depotbank bescheinigten Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 Satz 1, § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG. Das FA verrechnete in den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre die Altverluste antragsgemäß mit den von der Depotbank bescheinigten Gewinnen und stellte auf dieser Grundlage den verbleibenden Verlustvortrag aus den Altverlusten jeweils zum 31.12. der Streitjahre fest.
  3. Mit Schreiben vom 09.04.2014 beantragten die Kläger, die in den Streitjahren erzielten Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG vorrangig mit den Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. und erst anschließend mit den Verlusten aus Kapitalvermögen des jeweiligen Streitjahrs zu verrechnen und die danach verbleibenden Verluste aus Kapitalvermögen der Streitjahre gesondert festzustellen. Hierzu legten sie dem FA Erträgnisaufstellungen u.a. für die Streitjahre vor. Weitere Nachweise wurden nicht erbracht. Das FA lehnte den Antrag ab. Der dagegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.
  4. Mit ihrer Klage beantragten die Kläger, das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) entsprechend ihres Begehrens zu ändern. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 1696 abgedruckt ist, wies die Klage ab. Es war der Auffassung, es sei bereits zweifelhaft, ob die Klage zulässig sei. Über einen höheren Verlustabzug könne nur im Verfahren über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs entschieden werden. Jedenfalls sei die Klage aber unbegründet. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG seien die Altverluste erst nach der vom Kreditinstitut vorgenommenen Verrechnung der in den jeweiligen Streitjahren entstandenen Gewinne und Verluste aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen.
  5. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie tragen vor, ihre Klage sei zulässig. Wegen der durch § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes vom 08.12.2010 –JStG 2010– (BGBl I 2010, 1768) eingeführten inhaltlichen Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid seien sie gezwungen, die Änderung der Einkommensteuerbescheide zu beantragen. In der Sache seien –entgegen der Auffassung des FG– die von den Klägern in den Streitjahren erzielten Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen –unter Abänderung der von der Depotbank vorgenommenen Verlustverrechnungen– vorrangig mit den Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. zu verrechnen.
  6. Mit Änderungsbescheiden vom 25.04.2016 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung in den Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre auf. Darüber hinaus änderte es die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre 2011 und 2012 in den Bescheiden vom 25.04.2016 sowie mit Änderungsbescheiden vom 09.06.2016 in hier nicht streitigen Punkten. Die Kläger teilten dem Bundesfinanzhof (BFH) mit, dass sie aufgrund der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung die Verpflichtungsklage in eine Anfechtungsklage umstellen und dass der Streitstoff durch die Änderungen nicht berührt worden sei.
  7. Die Kläger beantragen sinngemäß,
    das Urteil des FG vom 06.05.2015 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2009 und 2010 vom 25.04.2016 und die Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 vom 09.06.2016 dahingehend zu ändern, dass die in den Streitjahren 2009 bis 2012 erzielten Gewinne i.S. des § 20 Abs. 2 EStG vorrangig mit den gesondert festgestellten Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. und die danach verbleibenden Gewinne mit den in den Streitjahren erzielten Verlusten i.S. des § 20 Abs. 2 EStG verrechnet werden.
  8. Das FA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
  9. Nach seiner Auffassung widerspricht es dem Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG und dem Vereinfachungszweck der Abgeltungsteuer, die auf den Veranlagungszeitraum und das Depot bezogene Verrechnung der Kapitaleinkünfte durch das Kreditinstitut nach § 43a Abs. 3 EStG in der Einkommensteuerveranlagung wieder rückgängig zu machen.

Entscheidungsgründe

B.

  1. Der Senat konnte über die Revision verhandeln und entscheiden, obwohl für die Kläger in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen war. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger war in der rechtzeitig zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden (§ 121 Satz 1, § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

C.

  1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

I.

  1. Der Senat legt den Revisionsantrag dahingehend aus, dass sich die Revision ausschließlich gegen die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide der Streitjahre richtet. Die Kläger haben zwar darüber hinaus begehrt, die verbleibenden Verluste i.S. des § 20 Abs. 2 EStG den gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustvortrags zugrunde zu legen. Diesbezüglich geht der Senat jedoch davon aus, dass es sich nicht um einen förmlichen Antrag auf Änderung der Feststellungsbescheide handelt. Es ist im Sinne einer rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. BFH-Urteil vom 25.06.2014 – I R 29/13, BFH/NV 2015, 27, Rz 12, m.w.N.) nicht anzunehmen, dass die Kläger ihre Klage in der Revisionsinstanz in unzulässiger Weise auf die Feststellungsbescheide erweitern wollten. Vielmehr nimmt die einleitende Formulierung des Antrags ausdrücklich nur die Einkommensteuerbescheide in Bezug. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Kläger lediglich auf die –vom FA von Amts wegen zu beachtende– Rechtsfolge aus § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG hinweisen wollten.

II.

  1. Die Umstellung des Klageantrags im Revisionsverfahren von einer Verpflichtungsklage in eine Anfechtungsklage ist entgegen der Regelung des § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO, die eine Klageänderung im Revisionsverfahren ausschließt, zulässig. Sie ist aufgrund der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 164 AO) während des Revisionsverfahrens erforderlich geworden. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nach der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 68 FGO die geänderten Einkommensteuerbescheide ohne Vorbehalt der Nachprüfung geworden. Die Kläger mussten deshalb im Revisionsverfahren ihren Klageantrag von einer Verpflichtungsklage auf eine Anfechtungsklage umstellen (vgl. Senatsurteil vom 04.10.2006 – VIII R 7/03, BFHE 215, 183, BStBl II 2009, 772, unter B.II.1.).

III.

  1. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, ohne dass es einer Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO bedarf.
  2. 1. Das FA hat nach Ergehen der Vorentscheidung für die Streitjahre die Änderungsbescheide vom 25.04.2016 erlassen, mit denen jeweils der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO aufgehoben wurde. Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 164 Abs. 3 Satz 2 AO). Gegenstand des FG-Urteils sind damit Verpflichtungsanträge auf Änderung nicht mehr existierender Bescheide, so dass die Vorentscheidung aufzuheben ist (Senatsurteil vom 09.08.2016 – VIII R 27/14, BFHE 255, 51, BStBl II 2017, 821, Rz 12).
  3. 2. Jedoch haben sich durch die Aufhebung des Vorbehalts hinsichtlich der streitigen Punkte keine Änderungen ergeben. Die Kläger haben ihre Klage zwar auf eine Anfechtungsklage umgestellt, davon abgesehen aber keinen weiter gehenden Antrag als bislang gestellt. Es bedarf deshalb keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind. Sie bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats in der Sache (vgl. Senatsurteil in BFHE 255, 51, BStBl II 2017, 821, Rz 13).
  4. Die Revision ist auch in der Sache begründet, da das FG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass für eine Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG nur der nach der Verrechnung durch die auszahlende Stelle verbleibende positive Saldo der Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 2 EStG zur Verfügung steht. Die Sache ist zur weiteren Verhandlung und Entscheidung gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen, weil der Senat mangels Spruchreife nicht abschließend über die Anfechtungsklage entscheiden kann.

1. Die Klage gegen die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre ist zulässig. Die Kläger sind klagebefugt (§ 40 Abs. 2 FGO), selbst wenn sich durch die begehrte Verrechnung der Altverluste keine Auswirkungen auf die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre ergeben.

a) Nach der Rechtsprechung des BFH wird mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010, die gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG auf die Verluste aus Kapitalvermögen entsprechend anzuwenden ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 09.05.2017 – VIII R 40/15, BFHE 258, 335, BStBl II 2017, 1049, Rz 19 ff.), eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist. Daraus folgt, dass im Feststellungsverfahren des verbleibenden Verlustvortrags die Einkünfte nicht eigenständig zu ermitteln bzw. zu überprüfen sind. Dementsprechend muss der Steuerpflichtige seine Einwendungen gegen aus seiner Sicht unzutreffende Besteuerungsgrundlagen durch Einspruch bzw. Klage gegen den Einkommensteuerbescheid geltend machen. Wegen der inhaltlichen Bindungswirkung in Bezug auf die Verlustfeststellung ist der Steuerpflichtige durch einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid selbst dann beschwert, wenn es sich um einen sog. Nullbescheid handelt (Senatsurteil in BFHE 258, 335, BStBl II 2017, 1049, Rz 16 f., m.w.N.). § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 ist auf alle Verluste anzuwenden, für die –wie vorliegend für alle Streitjahre– nach dem 13.12.2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wurde (§ 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010).

b) Nach diesen Maßstäben sind die Kläger durch die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre beschwert. Sie begehren mit der vorrangigen Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. mit Gewinnen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG im Ergebnis (soweit keine weitere Verrechnung mit laufenden Einkünften aus § 20 EStG in Betracht kommt) den Ausweis höherer Verluste gemäß § 20 Abs. 2 EStG in den Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre. Diese Verluste wären gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 im Rahmen der gesonderten Verlustfeststellungen zu berücksichtigen.

2. Die Sache ist nicht spruchreif.

a) Zwar spricht der Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG für die Auffassung des FG, dass nur die nach der Verrechnung i.S. des § 43a Abs. 3 EStG „verbleibenden“ Einkünfte aus Kapitalvermögen mit Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. verrechnet werden können. Wie der Senat jedoch bereits in seinem Urteil vom 29.08.2017 – VIII R 23/15 (BFHE 259, 336, BStBl II 2019, 54) entschieden hat, ist die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 EStG vorrangig, aber nicht endgültig. Denn es muss gewährleistet sein, dass die in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG angeordnete vorrangige und zeitlich befristete Verrechnung der Altverluste nicht durch das Steuerabzugsverfahren der Kapitalertragsteuer unterlaufen wird. Danach sind aufgrund des Antrags der Kläger auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG die Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG a.F. im Veranlagungsverfahren vorrangig mit den von den Klägern im jeweiligen Streitjahr erzielten positiven Einkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG zu verrechnen. Den Klägern wird dadurch ermöglicht, die Altverluste, die gemäß § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG lediglich bis zum Veranlagungszeitraum 2013 vorgetragen werden können, vorrangig vor anderen Verlusten aus Kapitalvermögen steuerlich geltend zu machen. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG macht somit eine Ausnahme vom Grundsatz, dass zunächst die positiven und negativen Ergebnisse innerhalb der einzelnen Einkunftsart miteinander zu verrechnen sind (horizontaler Verlustausgleich), bevor verbleibende positive und negative Ergebnisse verschiedener Einkünfte ausgeglichen werden (vertikaler Verlustausgleich; vgl. Musil in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 2 EStG Rz 572, m.w.N.) und ggf. ein Verlustrück- oder Verlustvortrag gemäß § 10d EStG abgezogen wird. Diese Grundsätze hat das FG nicht beachtet, so dass seine Entscheidung auch aus diesem Grund keinen Bestand haben kann.

b) Über das Begehren der Kläger kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da das FG –aus seiner Sicht konsequent– keine Feststellungen zur Höhe der Gewinne und Verluste der Kläger aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG vor deren Verrechnung durch die auszahlende Stelle nach § 43a Abs. 3 EStG getroffen hat. Die Streitsache wird deshalb gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

3. Für den zweiten Rechtsgang weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Bei der Verlustverrechnung ist § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu beachten. Danach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt. Diese Regelung dient der Vermeidung eines doppelten Verlustabzugs (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2016 – VIII R 55/13, BFHE 256, 56, BStBl II 2017, 264). Eine solche Gefahr ist nur dann nicht gegeben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass ein nicht ausgeglichener Verlust i.S. des § 20 Abs. 2 EStG von der auszahlenden Stelle gemäß § 43a Abs. 3 Satz 3 EStG auf das nächste Kalenderjahr übertragen wird. Dies können die Kläger durch geeignete Unterlagen, insbesondere durch Erträgnisaufstellungen der Depotbank, nachweisen (vgl. Senatsurteil in BFHE 259, 336, BStBl II 2019, 54, Rz 20).

b) Hinsichtlich der Streitjahre 2009 und 2010 war die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer im Zeitpunkt der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung bereits abgelaufen. Der Ablauf der Festsetzungsverjährung war gemäß § 171 Abs. 3 AO lediglich im Umfang der gestellten Änderungsanträge gehemmt. Eine Antragserweiterung (über das ursprüngliche Änderungsbegehren hinaus) kommt für diese beiden Streitjahre im zweiten Rechtsgang somit nicht mehr in Betracht.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.