Vorsteuerabzug bei geänderter Verwendungsabsicht für ein noch zu erstellendes gemischt genutztes Gebäude

Beschluss vom 10. Februar 2021, XI B 24/20

ECLI:DE:BFH:2021:B.100221.XIB24.20.0

BFH XI. Senat

UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 S 1 , UStG § 15a , UStG § 16 Abs 2 S 1 , AO § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 , FGO § 115 Abs 2 Nr 1 , FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 , FGO § 118 Abs 2 , EGRL 112/2006 Art 168 , UStG VZ 2007 , UStG VZ 2008 , UStG VZ 2009 , UStG VZ 2010 , UStG VZ 2011

vorgehend Hessisches Finanzgericht , 09. März 2020, Az: 1 K 295/18

Leitsätze

NV: Die in einem nachfolgenden Besteuerungszeitraum erstmals gefasste und dokumentierte Absicht, weitere Flächen eines noch zu erstellenden gemischt genutzten Gebäudes unternehmerisch zu nutzen, betrifft das im jeweiligen Zeitpunkt des Leistungsbezugs im Umfang der vormals getroffenen und dokumentierten Zuordnungsentscheidung entstandene Recht, Vorsteuer abzuziehen, nicht. Dem stehen weder das EuGH-Urteil Gmina Ryjewo vom 25.07.2018 – C-140/17 (EU:C:2018:595) entgegen noch die die Dokumentation der Ausübung des Zuordnungswahlrechts betreffenden BFH-Beschlüsse vom 18.09.2019 – XI R 3/19 (BFHE 266, 459) und vom 18.09.2019 – XI R 7/19 (BFHE 266, 472).

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 09.03.2020 – 1 K 295/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

a) Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 23.06.2017 – X B 151/16, BFH/NV 2017, 1434; vom 29.08.2017 – XI B 57/17, BFH/NV 2018, 22; vom 02.01.2018 – XI B 81/17, BFH/NV 2018, 457; vom 01.03.2019 – X B 45/18, BFH/NV 2019, 545; vom 16.06.2020 – X B 153/19, BFH/NV 2020, 1257; jeweils m.w.N).

b) Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen (Beschwerdebegründungsschrift, S. 7) sind entweder nicht klärungsbedürftig oder in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärbar.

aa) Die Rechtsfrage, ob „ein Steuerpflichtiger materiell-rechtlich sein Vorsteuerabzugsrecht auch nach Ablauf der Abgabefrist der Umsatzsteuererklärung für das betreffende Kalenderjahr dadurch erhöhen [kann], dass er Flächen eines Gebäudes entgegen seiner ursprünglichen Absicht umsatzsteuerpflichtig vermietet“, ist in dem vom Kläger angestrebten Revisionsverfahren nicht klärbar.

(1) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge sind für den Besteuerungszeitraum abzusetzen, in den sie fallen (§ 16 Abs. 2 Satz 1 UStG).

(a) Bei Bezug eines einheitlichen Gegenstands, der –wie hier– gemischt, also für unternehmerische und private Zwecke, verwendet wird oder werden soll, steht nach der Rechtsprechung des BFH und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) dem Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht zu. Er kann das Grundstück in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen, insgesamt seinem Unternehmen zuordnen, oder entsprechend dem unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen zuordnen (vgl. EuGH-Urteile Lennartz vom 11.07.1991 – C-97/90, EU:C:1991:315; Armbrecht vom 04.10.1995 – C-291/92, EU:C:1995:304, BStBl II 1996, 392; Bakcsi vom 08.03.2001 – C-415/98, EU:C:2001:136; HE vom 21.04.2005 – C-25/03, EU:C:2005:241, BStBl II 2007, 24; Puffer vom 23.04.2009 – C-460/07, EU:C:2009:254; Eon Aset Menidjmunt vom 16.02.2012 – C-118/11, EU:C:2012:97; Medicom und Maison Patrice Alard vom 18.07.2013 – C-210/11, C-211/11, EU:C:2013:479; Trgovina Prizma vom 09.07.2015 – C-331/14, EU:C:2015:456; BFH-Urteile vom 07.07.2011 – V R 42/09, BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76; vom 07.07.2011 – V R 21/10, BFHE 234, 531, BStBl II 2014, 81; vom 19.07.2011 – XI R 29/09, BFHE 234, 556, BStBl II 2012, 430; vom 18.04.2012 – XI R 14/10, BFH/NV 2012, 1828; vom 11.07.2012 – XI R 17/09, BFH/NV 2013, 266; vom 20.03.2014 – V R 27/12, BFH/NV 2014, 1097; BFH-Beschlüsse vom 25.02.2014 – V B 75/13, BFH/NV 2014, 914; vom 18.09.2019 – XI R 3/19, BFHE 266, 459; vom 18.09.2019 – XI R 7/19, BFHE 266, 472).

(b) Die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen erfordert als innere Tatsache eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76; vom 15.12.2011 – V R 48/10, BFH/NV 2012, 808; in BFH/NV 2012, 1828; in BFH/NV 2013, 266; BFH-Beschlüsse vom 14.03.2017 – V B 109/16, BFH/NV 2017, 922; in BFHE 266, 459; in BFHE 266, 472). Dabei ist die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs regelmäßig ein gewichtiges Indiz für, hingegen die Unterlassung des Vorsteuerabzugs ein ebenso gewichtiges Indiz gegen die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFHE 266, 459; in BFHE 266, 472; jeweils m.w.N.).

(c) Aus dem Grundsatz des Sofortabzugs der Vorsteuer folgt, dass die Zuordnungsentscheidung schon bei Anschaffung oder Herstellung des Gegenstands zu treffen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76; in BFH/NV 2012, 808; in BFH/NV 2012, 1828; in BFH/NV 2013, 266; BFH-Beschlüsse in BFHE 266, 459; in BFHE 266, 472).

(2) Im Streitfall hat der Kläger –nach den den Senat i.S. des § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des Finanzgerichts, die unwidersprochen blieben– im Zeitpunkt des jeweiligen Leistungsbezugs der Streitjahre (2007 bis 2011) das noch zu erstellende Gebäude im Umfang von 67,72 % seinem nichtunternehmerischen Bereich (Privatvermögen) und im Umfang von 32,28 % seinem Unternehmen zugeordnet und für die Erzielung steuerpflichtiger Umsätze vorgesehen. Von der Möglichkeit, das Gebäude insgesamt dem Unternehmensvermögen zuzuordnen, hat er danach keinen Gebrauch gemacht. Die Zuordnung wurde in der Umsatzsteuerjahreserklärung für 2007 gegenüber dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt) eindeutig dokumentiert und von diesem bei Erlass des Umsatzsteuerbescheids entsprechend berücksichtigt. An dieser Zuordnung hat der Kläger auch in den jeweiligen Zeitpunkten des Bezugs von Lieferungen und Leistungen bis einschließlich 2011 festgehalten und dies gleichfalls in den betreffenden Steuererklärungen eindeutig dokumentiert. Die vom Kläger erstmals im Jahr 2012 (das nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist) gefasste und dokumentierte Absicht, weitere Räumlichkeiten des weiterhin noch zu erstellenden Gebäudes –nunmehr insgesamt 49 % der Gesamtfläche– unternehmerisch zu nutzen, betrifft das in den Jahren 2007 bis 2011 im jeweiligen Zeitpunkt des Leistungsbezugs im Umfang der vom Kläger getroffenen und dokumentierten Zuordnungsentscheidung entstandene Recht, Vorsteuer abzuziehen, nicht. Da der Kläger in den Jahren 2007 bis 2011 jeweils eine zeitnahe Zuordnungsentscheidung getroffen und dokumentiert hat, käme es in dem von ihm angestrebten Revisionsverfahren mithin nicht auf die Frage an, ob ein Steuerpflichtiger sein Vorsteuerabzugsrecht auch nach Ablauf der Abgabefrist der Umsatzsteuererklärung für das betreffende Kalenderjahr dadurch erhöhen kann, dass er Flächen eines Gebäudes entgegen seiner ursprünglichen Absicht umsatzsteuerpflichtig vermietet.

(3) Aus dem vom Kläger in Bezug genommenen EuGH-Urteil Gmina Ryjewo vom 25.07.2018 – C-140/17 (EU:C:2018:595) ergibt sich nichts anderes. Denn dort hatte die betreffende Gemeinde –anders als der Kläger im Streitfall nach Maßgabe seiner in den Jahren 2007 bis 2011 getroffenen Zuordnungsentscheidung– nicht ausdrücklich die Absicht bekundet, das Gebäude zu einem bestimmten Prozentsatz für eine besteuerte Tätigkeit nutzen zu wollen, aber auch nicht ausgeschlossen, dass dieser Gegenstand zu einem solchen Zweck genutzt werde. Gleiches gilt für die die Dokumentation der Ausübung des Zuordnungswahlrechts betreffenden EuGH-Vorlagen des Senats (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 266, 459; in BFHE 266, 472). Auch dort hatten die Unternehmer nicht erklärt, den Gegenstand zu einem bestimmten Prozentsatz dem Unternehmensvermögen zuzuordnen.

bb) Die vom Kläger für den Fall, dass die unter 1.b aa näher bezeichnete Frage bejaht werden sollte, ferner aufgeworfene Rechtsfrage, ob „die Korrektur materiell-rechtlich nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG durchzuführen oder … hierzu § 15a UStG entsprechend anzuwenden“ ist, ist gleichfalls nicht klärbar. Sie wäre in einem künftigen Revisionsverfahren nicht zu beantworten, da sie sich nur stellen würde, wenn die Änderung der ursprünglichen Absicht des Klägers, das zu erstellende Gebäude unternehmerisch zu nutzen, das Recht, Vorsteuer in den Jahren 2007 bis 2011 abziehen zu können, nachträglich erweitern würde. Das ist hier jedoch nicht der Fall.

cc) Die weitere Rechtsfrage, die der Kläger mit seiner Beschwerde aufwirft, ob „die nachträgliche Erhöhung des Vorsteuerabzugsrechts aufgrund der Erhöhung der umsatzsteuerpflichtig vermieteten Flächen eines Gebäudes verfahrensrechtlich ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [der Abgabenordnung (AO)]“ darstellt, ist nicht klärungsbedürftig. Es ist durch die Rechtsprechung des BFH bereits geklärt, dass Absichtsänderungen nicht zurückwirken und deshalb nicht dazu führen, dass Steuerbeträge nachträglich als Vorsteuer abziehbar sind (vgl. BFH-Urteile vom 16.05.2002 – V R 56/00, BFHE 199, 37, BStBl II 2006, 725; vom 25.11.2004 – V R 38/03, BFHE 208, 84, BStBl II 2005, 414; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 175 Rz 79). Neue Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung erforderlich machen, sind weder vorgebracht noch erkennbar.

dd) Soweit die Ausführungen der Beschwerde dahingehend verstanden werden könnten, dass der Kläger eine Berichtigung der Vorsteuer gemäß § 15a UStG begehrt, ist darüber in den Streitjahren nicht zu entscheiden.

2. Die Fortbildung des Rechts i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO erfordert keine Entscheidung des BFH im Streitfall.

a) Zur Rechtsfortbildung ist die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zuzulassen, wenn der Streitfall Veranlassung gibt, Leitsätze zur Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen, Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen oder wenn gegen eine bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung Argumente vorgetragen werden, die der BFH noch nicht erwogen hat. Für diesen Zulassungsgrund gilt ebenso wie für den der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, dass die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegen und eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage betreffen muss (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 02.04.2014 – XI B 16/14, BFH/NV 2014, 1098; vom 13.09.2016 – X B 146/15, BFH/NV 2016, 1747; vom 31.05.2017 – V B 5/17, BFH/NV 2017, 1202; jeweils m.w.N.).

b) Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen (Beschwerdebegründungsschrift, S. 7), sind indes entweder nicht klärungsbedürftig oder nicht klärbar (s. dazu unter 1.a).

3. Der Kläger hat auch mit seinem –zudem außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO eingegangenen– Schriftsatz vom 04.02.2021 keine weiteren Gründe i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO, die die Zulassung der Revision rechtfertigen würden, vorgebracht.

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.