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II. Die Beschwerde ist für das Streitjahr 2006 begründet; sie führt insoweit zur Gewährung der beantragten AdV. Hinsichtlich des Jahres 2007 ist die Beschwerde unbegründet. |
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1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts u.a. aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. aus neuerer Zeit Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 6. Februar 2013 XI B 125/12, BFH/NV 2013, 615, unter II.2.b, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). |
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Nach diesen Maßstäben hat das FG zutreffend ernstliche Zweifel an der Anwendbarkeit des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO verneint (dazu unten 2.). Es hat aber verkannt, dass hinsichtlich der Wahrung der Festsetzungsfrist ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des geänderten Einkommensteuerbescheids für 2006 bestehen (unten 3.). |
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2. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das FA die Einkommensteuerbescheide für 2006 und 2007 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern durfte. Die ursprünglichen Bescheide waren –was zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig ist– materiell-rechtlich unrichtig. Der zuständigen Stelle im FA sind Tatsachen (dazu unten a) nachträglich bekannt geworden (unten b). Die Grundsätze von Treu und Glauben führen nicht dazu, dass ausnahmsweise von der Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO abzusehen wäre (unten c). |
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a) Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO ist jeder Lebenssachverhalt, der Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Entscheidungen vom 30. Oktober 2003 III R 24/02, BFHE 204, 10, BStBl II 2004, 394, unter II.1., und vom 19. Oktober 2011 X R 29/10, BFH/NV 2012, 227, unter II.1.a). |
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Vor dem materiell-rechtlichen steuergesetzlichen Hintergrund, dass nur tatsächlich gezahlte Altersvorsorgeaufwendungen den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes erfüllen, ist im vorliegenden Fall als "Tatsache" der Umstand anzusehen, dass der Antragsteller in den Streitjahren lediglich Altersvorsorgeaufwendungen (einschließlich der Zuschüsse des Arbeitgebers) in Höhe von 10.296 EUR (2006) bzw. 10.865 EUR (2007) geleistet hatte, nicht aber die wesentlich höheren in den Steuererklärungen insgesamt als Altersvorsorgeaufwendungen angegebenen Beträge. |
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b) Diese Tatsache ist dem FA nachträglich bekannt geworden. |
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Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die vorangegangene Steuerfestsetzung abgeschlossen war (BFH-Urteil vom 22. April 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951, unter II.1.c), im Streitfall also die Zeichnung des Eingabewertbogens zum Erlass der Abhilfebescheide auf die jeweils gegen die Erstbescheide eingelegten Einsprüche hin. Die Kontrollmitteilung der Mittelbehörde ging erst nach Zeichnung dieser Eingabewertbögen im zuständigen Veranlagungsbezirk ein. |
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Hinsichtlich des Grades der erforderlichen Kenntnis ist zu differenzieren: Der Inhalt der in der zuständigen Dienststelle geführten Steuerakten gilt als bekannt, ohne dass es insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters ankommt (BFH-Urteil vom 3. Mai 1991 V R 36/90, BFH/NV 1992, 221, unter II.1.b, m.w.N.). Bei Tatsachen, die sich nicht aus den Akten ergeben, ist hingegen die positive Kenntnis des zuständigen Bearbeiters erforderlich; ein Kennenmüssen reicht hier nicht aus (BFH-Urteil vom 19. November 2008 II R 10/08, BFH/NV 2009, 548, unter II.1.). |
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Vorliegend ergab sich die Höhe der in den Streitjahren tatsächlich vom Antragsteller geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen weder aus den Akten noch war sie dem zuständigen Bearbeiter positiv bekannt. Die eingereichten Lohnsteuerbescheinigungen ließen nicht erkennen, dass es sich bei den dort eingetragenen Altersvorsorgeaufwendungen um Beiträge zum Versorgungswerk handelte. Anders als die Antragsteller meinen, folgt eine entsprechende Tatsachenkenntnis des zuständigen Sachbearbeiters auch nicht daraus, dass aus den Steuererklärungen die berufliche Tätigkeit des Antragstellers als Arzt erkennbar war. Denn auch nichtselbständig tätige Ärzte unterliegen grundsätzlich der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Ihre Befreiung von dieser Versicherungspflicht durch Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk ist nur unter den –vom Gesetzgeber zunehmend eingeschränkten– Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI möglich und setzt sowohl einen entsprechenden Antrag des Pflichtversicherten (§ 6 Abs. 2 SGB VI) als auch eine positive Bescheidung dieses Antrags durch den Rentenversicherungsträger (§ 6 Abs. 3 SGB VI) voraus. Umgekehrt enthielten die Jahreskontoausweise des Versorgungswerks keine Hinweise darauf, dass es sich um Pflichtbeiträge für einen von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreiten Arbeitnehmer handelte und in den bescheinigten Beträgen ein hälftiger Arbeitgeberzuschuss enthalten war. |
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Der Umstand, dass dem Bearbeiter bei einer sorgfältigen Analyse der Steuererklärungen Zweifel an der Richtigkeit der dort gemachten Angaben hätten kommen können bzw. müssen, ändert nichts daran, dass ihm die maßgebende Tatsache –objektiv– nachträglich bekannt geworden ist. Dieser Umstand ist allerdings im Rahmen der Prüfung, ob eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist, zu berücksichtigen. |
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c) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Änderung eines Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trotz Vorliegens aller Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm in Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass die Berufung des FA auf die Erfüllung der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht als treuwidrig anzusehen ist (BFH-Entscheidungen vom 28. Juni 2006 XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835, und vom 6. Februar 2013 X B 164/12, BFH/NV 2013, 694, unter II.2.b). Demgegenüber scheidet in Fällen beiderseitiger Pflichtverletzungen eine Änderungsmöglichkeit aus, wenn der Verstoß des FA deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585, unter II.6.). |
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aa) Vorliegend hat das FA bei Bearbeitung der Steuererklärungen der Antragsteller seine Ermittlungspflichten verletzt. Sowohl der Umstand, dass Ärzte sich in vielen –wenngleich nicht in allen– Fällen von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien lassen, als auch die –allerdings nur durch Vornahme einer Rechenoperation erkennbare– betragsmäßige Übereinstimmung der Summe der in den Zeilen 61 und 65 eingetragenen Beträge mit dem in Zeile 63 eingetragenen Betrag hätten Anlass zu einer entsprechenden Nachfrage geben müssen. Die zahlreichen anderweitigen Rückfragen des Sachbearbeiters zu der –durchaus umfangreichen– Steuererklärung 2007 zeigen, dass der Bearbeiter die ihm vorgegebene Intensivprüfung vorgenommen hat und ihm im Rahmen dieser Intensivprüfung zahlreiche andere Unstimmigkeiten aufgefallen sind. |
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bb) Jedoch haben auch die Antragsteller ihre Mitwirkungspflichten verletzt. |
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(1) Gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 AO sind Angaben in Steuererklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Daran fehlt es, da der Antragsteller seine tatsächlich nur einmal geleisteten Beiträge zum Versorgungswerk doppelt in den Steuererklärungen angegeben hatte. Die in der doppelten Eintragung derselben Aufwendungen liegende Pflichtverletzung entfällt ersichtlich auch nicht deshalb, weil die Antragsteller –was für das Jahr 2006 ohnehin streitig ist– ihren Steuererklärungen die Jahreskontoausweise des Versorgungswerks beigefügt hatten. |
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(2) Nicht zu folgen vermag der Senat der Argumentation der Antragsteller, sie hätten ihre Mitwirkungspflichten (Steuererklärungspflichten) nicht verletzt, weil die Fehler allein einem weitestgehend selbständig arbeitenden Steuerfachgehilfen unterlaufen seien und Fehler einer solchen Hilfsperson –anders als Fehler des Steuerberaters selbst– ihnen nicht zurechenbar seien. |
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Das –aus den Grundsätzen von Treu und Glauben abzuleitende und daher einen Ausnahmetatbestand darstellende– Änderungsverbot bewirkt, dass das FA trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO an einer Erhöhung der Steuerfestsetzung gehindert ist. Bei Zugrundelegung der Grundsätze von Treu und Glauben kann der Steuerpflichtige seine verfahrensrechtliche Position aber nicht dadurch verbessern, dass er seine Steuererklärung durch einen Steuerberater fertigen lässt und der Steuerberater insoweit vorbereitende Tätigkeiten seinem Büropersonal überträgt (vgl. hierzu bereits Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 694, unter II.2.c). |
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Ergänzend weist der Senat auf § 3 der Berufsordnung der Bundessteuerberaterkammer (BO-BStBK) hin: Danach sind Steuerberater verpflichtet, ihre Tätigkeit in eigener Verantwortung auszuüben; sie bilden sich ihr Urteil selbst und treffen ihre Entscheidungen selbständig. Die Beschäftigung von Mitarbeitern ist gemäß § 17 BO-BStBK nur zulässig, soweit diese weisungsgebunden unter der fachlichen Aufsicht und beruflichen Verantwortung des Steuerberaters tätig werden. Auch soweit diese berufsrechtlichen Anforderungen in der Kanzlei des Steuerberaters der Antragsteller nicht erfüllt sein sollten, wären die Antragsteller im Anwendungsbereich der Grundsätze von Treu und Glauben daran gehindert, sich zu ihren eigenen Gunsten auf derartige Organisationsmängel zu berufen. |
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cc) Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Verletzung der Ermittlungspflichten auf Seiten des FA jedenfalls nicht schwerer wiegt als die Verletzung der Steuererklärungspflichten der Antragsteller, so dass die Grundsätze von Treu und Glauben der Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht entgegenstehen. |
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Maßgebend hierfür ist zum einen, dass allein die Antragsteller –jedenfalls auf einer abstrakten Ebene– über die volle Kenntnis des Sachverhalts verfügten. Sie wussten sowohl, dass der Antragsteller ausschließlich Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk, nicht aber Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung leistete, und dass die Eintragungen in den Lohnsteuerbescheinigungen sich auf die Beiträge zum Versorgungswerk bezogen. Ferner wussten sie, dass die in den Jahreskontoausweisen des Versorgungswerks bescheinigten Beträge mit den aus den Lohnsteuerbescheinigungen ersichtlichen Beträgen identisch sein mussten, weil der Antragsteller keine über die Pflichtbeiträge hinausgehenden Einzahlungen geleistet hatte. |
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Der beim FA zuständige Bearbeiter der Steuererklärung hatte von diesen Umständen des Sachverhalts hingegen –anders als die Antragsteller– keine positive Kenntnis. Ihm ist nur anzulasten, dass er sich Kenntnis hätte verschaffen können, wenn er den aufgezeigten Ermittlungsansätzen nachgegangen wäre. Hinzu kommt, dass die betragsmäßige Übereinstimmung der Eintragungen in den Zeilen 61 und 65 einerseits und in der Zeile 63 andererseits vom Sachbearbeiter nur durch Addition zweier vierstelliger Zahlen erkannt werden können, was nicht jedem auf den ersten Blick möglich ist. |
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Zwar hatte der Sachbearbeiter für das Jahr 2007 einen Prüfhinweis zu Zeile 63 der Steuererklärung zu bearbeiten. Der Text des Prüfhinweises war aber nicht auf die Vermeidung einer doppelten Berücksichtigung von Beiträgen an das Versorgungswerk gerichtet, sondern stand in Zusammenhang mit Beiträgen zu Zusatzversorgungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes und war daher für die Steuererklärung der Antragsteller nicht einschlägig. Zudem waren gerade die Eintragungen der Antragsteller für das Jahr 2007 durchaus plausibel, weil in Zeile 63 des Erklärungsvordrucks ausdrücklich auch "Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen" zu erfassen waren und sowohl für die Eintragungen in den Zeilen 61 und 65 (Lohnsteuerbescheinigung) als auch für die Eintragung in Zeile 63 (Jahreskontoausweis) entsprechende Belege vorlagen. |
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Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Auffassung der Antragsteller, aus § 16 der Satzung des Versorgungswerks ergebe sich, dass bei Leistung von Pflichtbeiträgen an das Versorgungswerk (Zeilen 61 und 65) die Zahlung zusätzlicher freiwilliger Beiträge (Zeile 63) ausgeschlossen sei. Das Gegenteil ist der Fall, da gemäß § 21 der Satzung freiwillige Mehrzahlungen bis zum allgemeinen Jahreshöchstbetrag zulässig sind und in der Praxis auch häufig geleistet werden. Dieser Jahreshöchstbetrag liegt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 der Satzung i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes beim Zweieinhalbfachen der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung und ist durch die Pflichtbeiträge des Antragstellers bei Weitem nicht ausgeschöpft worden. Die Eintragung in Zeile 63 war daher aus Sicht des FA auch insoweit –dem Grunde nach– plausibel, als sie zusätzlich zu Eintragungen in den Zeilen 61 und 65 erfolgte. |
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Die Antragsteller haben im Verlaufe des Verfahrens mehrfach vorgetragen, sie hätten auf die unklaren Jahreskontoausweise des Versorgungswerks ebenso vertrauen dürfen wie das FA. Wenn danach aber beide Seiten gleichermaßen in die Irre geleitet worden sind und jedenfalls keine überwiegende Pflichtverletzung des FA erkennbar ist, liegt kein Ausnahmefall vor, in dem trotz Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO die Anwendung dieser Vorschrift nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen ist. |
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3. Es bestehen jedoch insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des geänderten Einkommensteuerbescheids für 2006, als das FG angenommen hat, dieser Bescheid habe die Festsetzungsfrist gewahrt, weil den Antragstellern eine leichtfertige Steuerverkürzung vorzuwerfen sei. |
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a) Im Zeitpunkt des Ergehens des Änderungsbescheids (23. Februar 2012) war die reguläre Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum 2006 bereits abgelaufen. Die Antragsteller hatten ihre Steuererklärung im Jahr 2007 abgegeben; die vierjährige Festsetzungsfrist endete daher mit Ablauf des 31. Dezember 2011. |
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b) Die Festsetzungsfrist würde sich gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf fünf Jahre verlängern und wäre durch den Änderungsbescheid vom 23. Februar 2012 gewahrt worden, wenn die Steuer, die aufgrund der doppelten Geltendmachung der Altersvorsorgeaufwendungen in der Steuererklärung 2006 zunächst nicht festgesetzt worden war, als leichtfertig verkürzt (§ 378 Abs. 1 Satz 1 AO) anzusehen wäre. |
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Leichtfertigkeit bedeutet einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, im Gegensatz dazu aber auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2002 IV R 37/01, BFHE 200, 495, BStBl II 2003, 385, unter II.2., m.w.N.). Um den subjektiven Tatbestand einer leichtfertigen Steuerverkürzung feststellen zu können, muss das FG den Steuerpflichtigen jedenfalls in Grenzfällen persönlich anhören, wenn sich nicht bereits aus dokumentierten Äußerungen, Urkunden oder sonstigen Indizien die Leichtfertigkeit eindeutig ergibt (BFH-Urteil vom 17. November 2011 IV R 2/09, BFH/NV 2012, 1309, unter II.4.b cc). |
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c) Danach bestehen auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstands ernstliche Zweifel daran, ob der Antragsteller leichtfertig gehandelt hat. Zwar enthält die Steuererklärung objektiv falsche Angaben. Ob der Antragsteller oder sein Steuerberater aber auch den subjektiven Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung erfüllt hat, ergibt sich weder aus dokumentierten Äußerungen, Urkunden oder sonstigen Indizien noch hat das FG seine Würdigung auf eine persönliche Anhörung des Antragstellers oder seines Steuerberaters gestützt. |
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Zwar weist das FA im Ansatz zutreffend darauf hin, jeder Steuerpflichtige und jeder Steuerberater –oder Steuerfachgehilfe– müsse wissen, dass dieselben Aufwendungen nicht doppelt geltend gemacht werden dürften. Angesichts der fehlenden Erläuterungen sowohl in der Lohnsteuerbescheinigung als auch in den Jahreskontoauszügen liegt aber die Würdigung nahe, dass –aus Sicht des Steuerberaters– nicht schon der Umstand, dass zusätzlich zur Lohnsteuerbescheinigung noch freiwillige Beiträge an das Versorgungswerk geltend gemacht wurden, sondern erst die betragsmäßige Übereinstimmung der Beträge zu einer Überprüfung hätten Anlass geben müssen. Ebenso wie bei der Würdigung des Grades der Verletzung der Ermittlungspflichten des Sachbearbeiters des FA (dazu oben 2.c cc) ist aber auch bei der Prüfung des Verschuldens des Steuerberaters zu würdigen, dass das Erkennen der betragsmäßigen Übereinstimmung die Addition vierstelliger Zahlen voraussetzte, deren Ergebnis nicht ohne weiteres ins Auge springt. Ob den Antragstellern bei der –ihnen trotz Einschaltung eines Steuerberaters eigenverantwortlich obliegenden– Überprüfung der vorbereiteten Steuererklärung der doppelte Ansatz der Altersvorsorgeaufwendungen hätte ins Auge springen müssen, ist Tatfrage und bedarf der weiteren Aufklärung im noch anhängigen Hauptsacheverfahren. |
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