|
|
|
Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
|
|
1. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es die mündliche Verhandlung durchgeführt und eine verfahrensabschließende Entscheidung getroffen hat, obwohl P unter Vorlage eines ärztlichen Attests eine krankheitsbedingte Terminverlegung beantragt hatte. |
|
|
a) Einem Verfahrensbeteiligten wird das rechtliche Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl der Beteiligte einen Antrag auf Terminverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gehört zu diesen erheblichen Gründen auch die krankheitsbedingte Verhinderung eines Prozessbevollmächtigten (vgl. aus jüngerer Zeit nur Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 14.12.2017 – V B 57/17, BFH/NV 2018, 345, Rz 3, m.w.N.). |
|
|
Grundsätzlich sind die erheblichen Gründe für eine Terminverlegung nur "auf Verlangen" des Vorsitzenden glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO). Strengere Anforderungen gelten allerdings, wenn der Terminverlegungsantrag "in letzter Minute" gestellt wird und dem Gericht keine Zeit bleibt, den Antragsteller zur Glaubhaftmachung aufzufordern. In diesem Fall müssen die Beteiligten von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann. In derartigen eiligen Fällen ist daher entweder die Vorlage eines ärztlichen Attests erforderlich, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit der erkrankten Person ergeben muss; ersatzweise muss der Beteiligte die Erkrankung so genau schildern und glaubhaft machen, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob sie so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.03.2005 – IX B 171/03, BFH/NV 2005, 1578, unter 1.a, und in BFH/NV 2018, 345, Rz 4). |
|
|
Dabei reicht die ärztliche Bescheinigung der "Verhandlungsunfähigkeit" grundsätzlich aus, weil ein Arzt für diese Beurteilung sachkompetenter ist als ein entsprechend informierter Richter (BFH-Beschluss vom 07.11.2017 – III B 31/17, BFH/NV 2018, 214, Rz 8, m.w.N.). Gleiches gilt, wenn der Arzt unter Nennung eines bestimmten Tages ausdrücklich erklärt, der Patient sei nicht in der Lage, einen Gerichtstermin wahrzunehmen (BFH-Beschluss vom 10.08.2011 – IX B 175/10, BFH/NV 2011, 1912, Rz 2). Demgegenüber genügt die Vorlage einer bloßen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich nicht (BFH-Beschlüsse vom 05.07.2004 – VII B 7/04, BFH/NV 2005, 64, unter II.2.; vom 19.11.2009 – IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454, und vom 08.09.2015 – XI B 33/15, BFH/NV 2015, 1690, Rz 13). |
|
|
b) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich das Vorgehen des FG, die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des erkrankten P durchzuführen, als verfahrensfehlerhaft. |
|
|
aa) Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, ob vorliegend –so das FG– überhaupt ein "in letzter Minute" gestellter Terminverlegungsantrag anzunehmen ist, bei dem auch ohne Hinweis des Gerichts erhöhte Anforderungen an die sofortige Glaubhaftmachung der erheblichen Gründe gelten. |
|
|
Solche Anträge sind in der bisherigen Rechtsprechung vor allem dann angenommen worden, wenn sie erst am Sitzungstag selbst gestellt wurden und dem Gericht keine Zeit blieb, den Antragsteller zur Glaubhaftmachung aufzufordern (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14.05.1996 – VII B 237/95, BFH/NV 1996, 902; in BFH/NV 2005, 1578, unter 1.a, und in BFH/NV 2018, 345, Rz 4). |
|
|
Wurde der Terminverlegungsantrag hingegen bereits am Vortag des Terminstages gestellt, stellt der BFH grundsätzlich keine erhöhten Anforderungen an die Glaubhaftmachung (vgl. BFH-Beschluss vom 15.02.2013 – IX B 178/12, BFH/NV 2013, 762, Rz 4). Bei am Vortag gestellten Anträgen hat der BFH vielmehr nur beim Vorliegen zusätzlicher Umstände einen "Antrag in letzter Minute" angenommen. Dies war z.B. der Fall bei Anträgen, die erst nach Dienstschluss des Vortags gestellt wurden (BFH-Beschluss vom 08.11.2016 – I B 137/15, BFH/NV 2017, 433, Rz 14: Eingang des Antrags um 19:26 Uhr; BFH-Beschluss vom 26.11.2013 – I B 2/13, BFH/NV 2014, 542: Eingang des Antrags um 16:08 Uhr), oder wenn der Antragsteller für das Gericht nicht erreichbar war (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 64, unter II.2.: der Kläger gibt weder eine Telefon- noch eine Telefaxnummer an, so dass dem Gericht keine Rückfrage möglich ist; BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 454: das FG hat erfolglos versucht, den Kläger telefonisch zu erreichen). |
|
|
Solche besonderen Umstände lagen im Streitfall nicht vor. Der Antrag war an einem Montag um 15:08 Uhr –also vor Dienstschluss– gestellt worden. Auch lagen dem FG alle Kontaktdaten der Kanzlei des P vor. Das FG war daher nicht daran gehindert, P bzw. dessen Kanzlei noch kurzfristig zur Glaubhaftmachung aufzufordern. |
|
|
bb) Letztlich kann dies aber offenbleiben, da P auch die –strengeren– Maßstäbe an die Glaubhaftmachung des erheblichen Grundes erfüllt hat, die bei Anträgen "in letzter Minute" gelten. |
|
|
Das FG hat die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgenommene Grunddifferenzierung zwischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einerseits und Attesten über die Verhandlungsunfähigkeit andererseits verkannt. Vorliegend hatte P ein ärztliches Attest vorgelegt, in dem ihm ausdrücklich die Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt wurde. Zusätzlich enthielt das Attest noch die Aussage, P sei zur Zeit nicht in der Lage, seine Interessen in einer Verhandlung vernünftig wahrzunehmen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Schon eine dieser Aussagen hätte zur Glaubhaftmachung ausgereicht (vgl. zur fehlenden Verhandlungsfähigkeit BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 214; zur fehlenden Fähigkeit, einen Gerichtstermin wahrzunehmen, vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1912). Demgegenüber hat das FG in seinem Urteil ausschließlich Entscheidungen angeführt, denen Sachverhalte zugrunde lagen, in denen dem Gericht lediglich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt worden war (vgl. die vom FG zitierten BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2010, 454, und in BFH/NV 2015, 1690). |
|
|
Anders als das FG meint, ist die Formulierung des von Dr. A ausgestellten Attests, er "halte" P für verhandlungsunfähig, nicht zu "vage". Da der Arzt in Bezug auf die Verhandlungsfähigkeit sachkompetenter ist als ein Richter, ist die auf eine bestimmte Person und einen bestimmten Tag bezogene Aussage eines Arztes, er halte den Patienten für verhandlungsunfähig, regelmäßig gleichbedeutend mit der Aussage, der Patient sei verhandlungsunfähig. Denn auch die letztgenannte Formulierung gäbe erkennbar lediglich die subjektive –allerdings sachverständige– Sicht des Arztes wieder. Sollte das FG Zweifel an dem Wahrheitsgehalt eines ärztlichen Attests haben, kann es eine amtsärztliche Untersuchung des P fordern, darf aber in aller Regel nicht aus eigener –im angefochtenen Urteil zudem nicht dargelegter– Fachkompetenz vom genauen Gegenteil des im Attest bescheinigten Sachverhalts ausgehen. |
|
|
cc) Das FG durfte aus dem ihm bekannten Sachverhalt auch nicht –unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2001 – 8 B 69/01 (Neue Juristische Wochenschrift 2001, 2735)– ohne vorherigen Hinweis darauf schließen, P sei chronisch erkrankt, so dass ihn entsprechende Vorsorgepflichten träfen und die Erkrankung keinen "erheblichen Grund" i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO mehr darstelle. |
|
|
Bei wiederholter Vorlage privatärztlicher Atteste, die dem Gericht nicht als ausreichend erscheinen, bleibt es dem Gericht unbenommen, die Vorlage eines amtsärztlichen Attests zu verlangen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 214, Rz 8, m.w.N.). Es geht aber nicht an, ohne jeden weiteren tatsächlichen Anhaltspunkt allein aus dem Umstand, dass einem Prozessbevollmächtigten innerhalb von vier Wochen in zwei unterschiedlichen Verfahren ärztlicherseits jeweils die Verhandlungsunfähigkeit attestiert wurde, auf eine chronische Erkrankung zu schließen. P hat im Beschwerdeverfahren hinreichend dargelegt, auf welchen Umständen die beiden –jeweils kurzfristigen– Erkrankungen beruhten. |
|
|
2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. |
|
|
3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. |
|
|
4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab. |
|