|
|
|
Die Klage ist hinsichtlich der geltend gemachten Hauptansprüche in vollem Umfang und hinsichtlich der Zinsansprüche zum überwiegenden Teil begründet. |
|
|
Nach den hierfür in der Senatsrechtsprechung entwickelten typisierenden Grundsätzen (dazu unten 1.), deren Anwendung nicht durch etwaige Besonderheiten des vorliegend zu beurteilenden Falles ausgeschlossen wird (unten 2.), war die Dauer des Ausgangsverfahrens sowohl in Bezug auf den Kläger (unten 3.) als auch in Bezug auf die Klägerin (unten 4.) im Umfang von jeweils mindestens zwölf Monaten unangemessen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Geldentschädigungen liegen vor (unten 5.). Demgegenüber sind die geltend gemachten Zinsansprüche nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzugs, sondern lediglich für einen Teil des von den Klägern benannten Zinszahlungszeitraums unter dem Gesichtspunkt der Rechtshängigkeit begründet (unten 6.). |
|
|
1. Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. |
|
|
Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierzu und zum Folgenden auf das Senatsurteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 (BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Rz 48 ff.) Bezug genommen. |
|
|
Nach dieser Entscheidung ist der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen, die dem Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits einerseits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen –wie dem Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes durch inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen, der Unabhängigkeit der Richter und dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter– Rechnung tragen. Danach darf die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer des Ausgangsverfahrens nicht zu eng gezogen werden; dem Ausgangsgericht ist ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens –auch in zeitlicher Hinsicht– einzuräumen. Zwar schließt es die nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG vorzunehmende Einzelfallbetrachtung aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte. Gleichwohl kann für ein finanzgerichtliches Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, die Vermutung aufgestellt werden, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt. Dies gilt nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt. |
|
|
2. Im Streitfall liegen keine Besonderheiten vor, die dazu führen könnten, von der Anwendung der genannten Regelvermutung für die Angemessenheit der Dauer finanzgerichtlicher Verfahren abzusehen. |
|
|
a) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien führt zu dem Ergebnis, dass es sich beim Ausgangsverfahren um ein durchschnittliches erstinstanzliches Klageverfahren ohne wesentliche Besonderheiten handelte. |
|
|
aa) Anders als der Beklagte meint, war das Verfahren nicht überdurchschnittlich schwierig. Der Beklagte begründet seine Auffassung damit, dass das Verfahren in mehrere weitere Klagen des Klägers bzw. der Kläger wegen diverser Abrechnungsbescheide eingebettet gewesen sei. Indes ist darauf hinzuweisen, dass es das FG selbst war, das wiederholt neue Verfahren eingetragen hat, obwohl das FA lediglich einen Änderungsbescheid erlassen hatte, der gemäß § 68 FGO kraft Gesetzes zum Gegenstand eines bereits anhängigen Klageverfahrens geworden war. Ferner hat das FG –objektiv nicht erforderliche und letztlich auch vom BFH beanstandete– Abtrennungen vorgenommen und dadurch selbst die Zahl der Verfahren erhöht. Die von den Klägern zur Beurteilung des FG gestellte Problematik der Anforderungen an die ordnungsgemäße Darstellung der in einem Abrechnungsbescheid enthaltenen Positionen erschien durch die vom FG veranlasste Aufteilung in zahlreiche verschiedene Verfahren komplexer als sie tatsächlich war. Bei sachgerechter Verfahrensführung –insbesondere der Beachtung des § 68 FGO– wäre das Verfahren deutlich einfacher zu handhaben gewesen. |
|
|
Auch das FG selbst hat –abgesehen von den beiden Hinweisverfügungen– keine Sachaufklärungsmaßnahmen für erforderlich erachtet. Es hat den Gerichtsbescheid vom 10.02.2017 sowie sein späteres verfahrensabschließendes Urteil vom 13.06.2018 hinsichtlich des klagestattgebenden Teils darauf gestützt, dass das FA die entsprechenden Mängel in den Abrechnungsbescheiden selbst eingeräumt hatte. Hinsichtlich des klageabweisenden Teils der Entscheidungen hat das FG sich auf unzureichende Darlegungen durch die Kläger berufen und eine gerichtliche Sachaufklärung für nicht möglich erachtet. Auch ein solches –relativ schlank angelegtes– Urteil deutet nicht auf einen hohen Grad an Komplexität der Sache hin. |
|
|
Zudem hatte das FG die Entscheidung des Rechtsstreits dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen und dadurch selbst zu erkennen gegeben, dass die Sache jedenfalls aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 FGO). |
|
|
bb) Die Bedeutung des Verfahrens für die Kläger dürfte ebenfalls als durchschnittlich einzuschätzen sein. Der Streitwert bewegte sich im mittleren Bereich; konkrete Darlegungen, aus denen sich eine für sie überdurchschnittliche Bedeutung des Falles ergeben hätte, haben die Kläger dem FG nicht unterbreitet. |
|
|
cc) Das eigene Verhalten der Kläger hat nicht zu einer nennenswerten Verzögerung des Ausgangsverfahrens geführt. Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 11.09.2013 beantragt hatte, über seine Anträge nicht in dem vom FG neu erfassten Klageverfahren 12 K 3200/13 AO, sondern im bereits anhängigen Verfahren 12 K 3080/12 AO zu entscheiden, kann dies nicht zu einer Verzögerung beigetragen haben. Denn die Klage 12 K 3080/12 AO war bereits mit Urteil vom 06.09.2013 als unzulässig verworfen worden, so dass keine Grundlage mehr für eine Behandlung der Anträge im dortigen Verfahren bestand. |
|
|
Soweit die Kläger nach Zugang der Ladungen zu den beiden mündlichen Verhandlungen jeweils Terminverlegungsanträge gestellt haben, hat dies nicht zu einer wesentlichen Verfahrensverzögerung geführt. Die erste mündliche Verhandlung konnte einen Monat nach dem ursprünglich anberaumten Termin stattfinden. Statt der zweiten mündlichen Verhandlung konnte ein Urteil im schriftlichen Verfahren ergehen, weil beide Beteiligte kurzfristig auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hatten. |
|
|
b) Besondere Gründe für eine Eilbedürftigkeit haben die Kläger weder innerhalb der zweijährigen Regelfrist noch mit ihren Verzögerungsrügen dem FG gegenüber geltend gemacht. |
|
|
3. Daher ist eine Betrachtung der konkreten Verfahrensabläufe unter Berücksichtigung der Regelvermutung für die Angemessenheit der Dauer finanzgerichtlicher Klageverfahren vorzunehmen. Diese führt zu dem Ergebnis, dass die Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens in Bezug auf den Kläger jedenfalls im Umfang der von ihm geltend gemachten zwölf Monate unangemessen war. |
|
|
a) Die Zeitspanne von gut zwei Jahren, für die in einem durchschnittlichen finanzgerichtlichen Klageverfahren bei typisierender Betrachtung jedenfalls keine unangemessene Verfahrensdauer anzunehmen ist, endete in Bezug auf den Kläger –der die unter dem Aktenzeichen 12 K 3200/13 AO geführte Klage zunächst allein erhoben hatte– mit Ablauf des Monats Juli 2015. |
|
|
b) In den anschließenden fünf Monaten von August bis Dezember 2015 hat das FG im Verfahren 12 K 3200/13 AO keine Aktivitäten entfaltet. |
|
|
Zwar fand im Parallelverfahren 12 K 1971/14 AO von August bis November 2015 noch ein Schriftsatzaustausch zwischen den Beteiligten statt. Dieser bezog sich aber ausschließlich auf Fragen, die für das Verfahren 12 K 3200/13 AO nicht von Bedeutung waren (Verbuchung von Zahlungen zur Einkommensteuer 2000; Einlegung eines Einspruchs gegen den Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer 1999). Anders als in den Sachverhalten, die dem Senatsurteil vom 27.06.2018 – X K 3-6/17 (BFH/NV 2019, 27) und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.11.2016 – 5 C 10/15 D (BVerwGE 156, 229, Rz 155) zugrunde lagen, handelte es sich bei dem Verfahren 12 K 1971/14 AO daher nicht um ein Leitverfahren, das vordringlich gefördert wurde und bei dem zu erwarten war, dass die dort gewonnenen Erkenntnisse auch für das nicht geförderte weitere Verfahren von Bedeutung sein würden. |
|
|
Daher ist die Dauer des Verfahrens 12 K 3200/13 AO für die fünf Monate von August bis Dezember 2015 als unangemessen anzusehen. |
|
|
c) Von Januar bis Oktober 2016 ist das Ausgangsverfahren aufgrund des Schriftverkehrs, der sich an einen rechtlichen Hinweis des Einzelrichters sowie an eine erste mündliche Verhandlung angeschlossen hat, durchgehend betrieben worden. Diese Verfahrensdauer ist daher als angemessen anzusehen. |
|
|
d) Im November und Dezember 2016 gab es im Ausgangsverfahren hingegen keine Aktivitäten. In Bezug auf diese zwei Monate ist die Verfahrensdauer unangemessen. |
|
|
e) In den Monaten Februar und März 2017 ist das Verfahren aufgrund des Erlasses des Gerichtsbescheids und des hiergegen angebrachten Antrags auf mündliche Verhandlung wiederum betrieben worden. Der Senat kann offenlassen, ob aufgrund des Erlasses des Einzelrichter-Gerichtsbescheids am 10.02.2017 auch in Bezug auf den Monat Januar 2017 eine angemessene Verfahrensdauer –unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Vorbereitungszeit– anzunehmen ist, da dies auf das Ergebnis des Verfahrens keinen Einfluss hat. |
|
|
f) Von April 2017 bis Februar 2018 ist das Verfahren beim FG nicht bearbeitet worden. |
|
|
aa) Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass die Gerichtsakten sich während dieses Zeitraums (bis Anfang Januar 2018) beim BFH befunden haben, kann dies nicht dazu führen, das Nichtbetreiben des Verfahrens als angemessen anzusehen. Die Nichtzulassungsbeschwerden beim BFH betrafen lediglich verfahrensrechtliche Randfragen in abgetrennten Verfahren, nicht aber diejenigen materiell-rechtlichen Fragen, über die in Bezug auf die verbleibenden Streitgegenstände des Verfahrens 12 K 3200/13 AO zu entscheiden war. Auch war das FG ersichtlich in der Lage, den Gerichtsbescheid vom 10.02.2017 trotz der –bereits damals– fehlenden Akten zu erlassen. Das verfahrensabschließende Urteil war tatsächlich nahezu wortgleich mit dem Gerichtsbescheid. |
|
|
Zudem hat das FG gar nicht erst versucht, die übersandten Akten kurzfristig vom BFH zurückzuerhalten. Überdies hätte man es angesichts der im Zeitpunkt der Übersendung der Akten an den BFH bereits zu verzeichnenden erheblichen Verfahrensdauer möglicherweise ohnehin für geboten halten können, ein Aktendoppel zur weiteren Förderung des –von den Nichtzulassungsbeschwerden nicht betroffenen– Ausgangsverfahrens anzulegen. Denn mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss vom 27.07.2004 – 1 BvR 1196/04, Neue Juristische Wochenschrift 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.; Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Rz 55). |
|
|
Auch das Vorbringen des FG, der Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens habe sich nach Erlass des Gerichtsbescheids aufgrund der zurückverweisenden Entscheidung des BFH im Verfahren VII B 173/16 geändert, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Zum einen trifft die Annahme, der Streitgegenstand habe sich geändert, ausweislich der Ausführungen des BFH in seinem zurückverweisenden Beschluss gerade nicht zu, da der BFH ausdrücklich ausgeführt hatte, der Streitgegenstand "Umsatzsteuer 2002" sei nicht teilbar, so dass der Trennungsbeschluss des FG gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoße. Zum anderen könnte eine Änderung des Streitgegenstands, die erst im Jahr 2018 durch Erhalt eines zurückverweisenden BFH-Beschlusses eingetreten wäre, eine unangemessene Verfahrensdauer in dem –hier zu beurteilenden– davor liegenden Zeitraum seit April 2017 nicht rückwirkend ausschließen. |
|
|
bb) Auch für den Monat Januar 2018, in dem die Akten wieder beim FG eingegangen sind, ist keine Aktivität des FG zu verzeichnen, so dass die Verfahrensdauer für diesen Monat ebenfalls als unangemessen anzusehen ist. |
|
|
cc) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Verfahrensdauer für den Monat Februar 2018 nicht deshalb als angemessen anzusehen, weil der Einzelrichter sich nach dem Vorbringen des Beklagten während des größten Teils dieses Monats im Urlaub befunden habe. Die üblichen Urlaubs- und Krankheitszeiten werden in der typisierenden Rechtsprechung des Senats schon durch die Regelvermutung berücksichtigt, wonach die Verfahrensdauer noch als angemessen anzusehen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach Eingang der Klage mit der Förderung des Verfahrens beginnt. Nach Ablauf dieser Zeitspanne, die für den faktischen Ruhensbedarf eines durchschnittlichen finanzgerichtlichen Klageverfahrens als ausreichend bemessen anzusehen ist, können Urlaubszeiten eines Richters nicht mehr zu Lasten des Verfahrensbeteiligten gehen und dessen verfassungs- und menschenrechtlich gebotenen Anspruch auf Verfahrensförderung für zusätzliche Zeiträume ausschließen. |
|
|
g) Von März 2018 bis zum Verfahrensabschluss im Juni 2018 ist das Ausgangsverfahren durchgehend gefördert worden. |
|
|
h) Im Ergebnis ist die Verfahrensdauer daher in Bezug auf den Kläger jedenfalls von August bis Dezember 2015 (fünf Monate), von November bis Dezember 2016 (zwei Monate) und von April 2017 bis Februar 2018 (elf Monate) als unangemessen anzusehen, insgesamt also für mindestens 18 Monate. |
|
|
4. Auch in Bezug auf die Klägerin war die Dauer des Ausgangsverfahrens jedenfalls im Umfang der von ihr geltend gemachten zwölf Monate unangemessen. |
|
|
Die Klägerin war ursprünglich nicht am Verfahren 12 K 3200/13 AO beteiligt. Das Verfahren 12 K 1971/14 AO, an dem erstmals auch die Klägerin beteiligt war, ging am 23.06.2014 beim FG ein. Daher hätte das FG in Bezug auf die Klägerin ab Juli 2016 –gut zwei Jahre nach Klageeingang– mit der Verfahrensförderung beginnen müssen. Einen Monat zuvor –im Juni 2016– hatte das FG die Verfahren 12 K 3200/13 AO und 12 K 1971/14 AO miteinander verbunden, so dass die Klägerin seitdem ebenfalls am Verfahren 12 K 3200/13 AO beteiligt war. Die in diesem Verfahren ab Juli 2016 eingetretenen Verzögerungen betreffen daher auch die Klägerin. |
|
|
Dies gilt im Ergebnis für die Monate November und Dezember 2016 (zwei Monate) sowie April 2017 bis Februar 2018 (elf Monate), insgesamt also für 13 Monate. |
|
|
5. Die Voraussetzungen für die Gewährung der geltend gemachten Geldentschädigungen von jeweils 1.200 EUR liegen angesichts der Verfahrensverzögerung von jedenfalls zwölf Monaten sowohl für den Kläger als auch für die Klägerin vor. |
|
|
a) Voraussetzung für die Zuerkennung einer Geldentschädigung ist gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG die Erhebung einer Verzögerungsrüge. Diese kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs. 3 Satz 2 GVG). Eine zu früh erhobene Verzögerungsrüge ist daher unwirksam (Senatsurteil vom 26.10.2016 – X K 2/15, BFHE 255, 407, BStBl II 2017, 350, Rz 45 ff.). |
|
|
aa) Beide Kläger haben mit Schreiben, die am 25.02.2016 beim FG eingegangen sind, Verzögerungsrügen erhoben. In Bezug auf den Kläger war das Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre und sieben Monate anhängig. Der von der typisierenden Regelvermutung der Senatsrechtsprechung umfasste Zeitraum von "gut zwei Jahren" war also bereits deutlich überschritten. Daher spricht nichts für die Auffassung des Beklagten, diese Verzögerungsrüge sei zu früh erhoben und daher unwirksam. Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass die Verfahrensdauer in Bezug auf den Monat Februar 2016 –in dem die Verzögerungsrüge erhoben wurde– als angemessen anzusehen ist, weil der Einzelrichter im Januar 2016 einen rechtlichen Hinweis an die Beteiligten gerichtet hatte. Denn objektiv war die Verfahrensdauer bereits unangemessen, weil in den Monaten August bis Dezember 2015 eine Verzögerung eingetreten war. |
|
|
bb) In Bezug auf die Klägerin war das Verfahren im Zeitpunkt des Eingangs ihrer Verzögerungsrüge ein Jahr und acht Monate anhängig. Damit war die Schwelle der –ohnehin nur für den Regelfall geltenden– "gut zwei Jahre" ab Klageeingang nur noch vier Monate entfernt. |
|
|
Jedenfalls in der besonderen Situation des Streitfalls, der dadurch gekennzeichnet ist, dass das vom Kläger geführte Parallelverfahren im Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge der Klägerin bereits deutlich verzögert war, durfte die Klägerin am 25.02.2016 durchaus annehmen, es bestehe "Anlass zur Besorgnis", dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werde (anders für eine bereits nach einem Jahr und zwei Monaten erhobene Verzögerungsrüge Senatsurteil in BFHE 255, 407, BStBl II 2017, 350, Rz 48). Der Verfahrensbeteiligte muss die Verzögerungsrüge nicht etwa punktgenau zu dem Zeitpunkt erheben, zu dem objektiv die Verfahrensdauer beginnt, unangemessen zu werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Verzögerungsrüge auch –und gerade– eine präventive Funktion hat, die aber nur dann in vollem Umfang zur Geltung kommen kann, wenn die Rüge dem FG als Anstoß dient, das Verfahren zu einem Zeitpunkt zu fördern, in dem die Verfahrensdauer noch als angemessen anzusehen ist. |
|
|
Dieser Würdigung steht im Streitfall nicht entgegen, dass der Einzelrichter am 20.01.2016 –einen Monat vor der Verzögerungsrüge– einen rechtlichen Hinweis an die Beteiligten gerichtet hatte, zu dem die Kläger im selben Schreiben, mit dem sie ihre Verzögerungsrüge erhoben, Stellung nahmen. Zwar bewirkte dieser rechtliche Hinweis, dass die Verfahrensdauer für den Monat der Erteilung des Hinweises und die Zeit des durch ihn ausgelösten Schriftsatzaustausches als angemessen anzusehen ist. Gleichwohl war allein aus der Erteilung dieses Hinweises nicht zu schließen, dass der Einzelrichter das Verfahren insgesamt in angemessener Zeit erledigen würde, so dass sich die Verzögerungsrüge als sachwidrig, verfrüht und damit unwirksam darstellen würde. Denn der rechtliche Hinweis beschränkte sich auf vorgelagerte verfahrensrechtliche Fragen, deren Klärung nicht zu einer abschließenden Erledigung der Klageverfahren hätte führen können. Auf die eigentlichen materiell-rechtlichen Fragen der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abrechnungsbescheide ging der Einzelrichter in seinem Hinweis hingegen nicht ein. |
|
|
b) Das Entstehen eines Nichtvermögensnachteils wird in Fällen unangemessener Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet. Anhaltspunkte dafür, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise (§ 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG) im Streitfall ausreichend wäre, sind nicht erkennbar. |
|
|
c) Auch Umstände dafür, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG genannte Regelbetrag von 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung vorliegend unbillig (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) sein könnte, sind weder von den Beteiligten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Obwohl im Gesetz ein Jahresbetrag genannt ist, ist dieser im konkreten Fall nach Monaten zu bemessen (Senatsurteil vom 19.03.2014 – X K 8/13, BFHE 244, 521, BStBl II 2014, 584, Rz 37, m.w.N.). |
|
|
d) Bei einem verzögerten Ausgangsverfahren, das durch Ehegatten geführt wurde, steht der Entschädigungsanspruch jedem Ehegatten gesondert zu (Senatsurteil vom 04.06.2014 – X K 12/13, BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933, Rz 47). |
|
|
6. Die geltend gemachten Zinsansprüche bestehen nur teilweise. |
|
|
a) Die Kläger sind der Auffassung, sie hätten seit dem 22.01.2019 Ansprüche auf Verzugszinsen (§ 288 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs –BGB–). Dies setzt indes grundsätzlich eine vorherige Mahnung voraus, die nach dem Eintritt der Fälligkeit der Schuld ausgesprochen worden sein muss (§ 286 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. auch Senatsurteil in BFH/NV 2019, 27, Rz 108). Die Kläger haben aber weder nachgewiesen noch überhaupt vorgetragen, den Beklagten vor Klageerhebung gemahnt zu haben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Absehen vom Erfordernis der Mahnung (§ 286 Abs. 2 BGB) sind hier offensichtlich nicht erfüllt. |
|
|
b) Den Klägern stehen jedoch ab dem 14.03.2019 (Tag nach der Zustellung der Entschädigungsklage an den Beklagten) Prozesszinsen unter dem Gesichtspunkt der Rechtshängigkeit zu (vgl. § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 66 Satz 2 FGO, und Senatsurteil vom 12.07.2017 – X K 3-7/16, BFHE 259, 393, BStBl II 2018, 103, Rz 58). |
|
|
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Das Unterliegen der Kläger mit einem Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs ist im Vergleich zum gesamten Streitwert des Verfahrens als geringfügig anzusehen. |
|