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| II. Die Revision ist begründet. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuer- und des Umsatzsteueränderungsbescheids 1987 sowie des geänderten Gewerbesteuermessbescheids 1987 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war. |
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| 1. Gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird; die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO im Fall der Steuerhinterziehung zehn Jahre. Danach begann im Streitfall die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 1988; ohne Ablaufhemmung hätte sie am 31. Dezember 1998 geendet. Dass eine Steuerhinterziehung vorlag und deshalb die verlängerte Festsetzungsfrist von zehn Jahren zur Anwendung kommt, ist angesichts der über Jahre hinweg grob unrichtigen Angaben zur Höhe der gewerblichen Einkünfte und der Kapitaleinkünfte in den Steuererklärungen nicht zweifelhaft und wird von der Klägerseite auch nicht in Abrede gestellt. |
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| 2. Die Festsetzungsfrist verlängerte sich im Streitfall nach § 171 Abs. 9 AO über den 31. Dezember 1998 hinaus. Im Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteueränderungsbescheids 1987 am 31. Mai 1999 bzw. des Umsatzsteueränderungsbescheids 1987 am 29. Oktober 1999 war noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. |
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| a) Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 AO, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO). Wer in den Fällen des § 370 AO (d.h. der hier vorliegenden Steuerhinterziehung) unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit (unter bestimmten weiteren Voraussetzungen) straffrei (§ 371 Abs. 1 AO). |
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| b) Eine wirksame Selbstanzeige i.S. des § 371 Abs. 1 AO setzt voraus, dass die bisher unrichtigen, unvollständigen oder ganz unterbliebenen Angaben wahrheitsgemäß nachgeholt werden. Straffreiheit tritt nicht ein, wenn zum Zeitpunkt der Berichtigung einer der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO vorliegt oder wenn die Steuern nicht innerhalb angemessener Frist nachgezahlt werden (§ 371 Abs. 3 AO). § 371 AO will dem Täter selbst nach einer vollendeten Steuerhinterziehung noch die Möglichkeit geben, seinen steuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und eventuelle Verfehlungen nachträglich zu berichtigen. Dem Staat soll dadurch der Zugriff auf bisher unbekannte Steuerquellen ermöglicht werden. Eine wirksame Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO setzt daher voraus, dass der Steuerpflichtige eine gewisse Tätigkeit entfaltet, die zu einer Berichtigung und Ergänzung der bisherigen Angaben führt. Er muss hierdurch einen wesentlichen Beitrag zur Ermöglichung einer zutreffenden nachträglichen Steuerfestsetzung leisten (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 16. Juni 2005 5 StR 118/05, BFH/NV 2005, Beilage 4, 380). Durch die Berichtigung und Ergänzung der bisherigen oder die Nachholung von bisher unterbliebenen Angaben durch den Steuerpflichtigen muss das FA in der Lage sein, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären (vgl. BGH-Beschluss in BFH/NV 2005, Beilage 4, 380). |
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| c) In der Literatur wird eine "Selbstanzeige in Stufen" diskutiert (vgl. hierzu Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz 54 und 293; Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht, 2. Aufl., Teil II: Selbstanzeige unter 6.3.3; Joecks in Franzen/Gast/ Joecks, Steuerstrafrecht mit Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, 7. Aufl., § 371 Rz 52, 77a f.; Klein/Jäger, AO, 10. Aufl., § 371 Rz 20). Jedenfalls in Fällen, in denen der Steuerpflichtige eine Selbstanzeige dem Grunde nach erstattet, die hinterzogenen Steuern zu seinen Ungunsten schätzt und die Finanzbehörde um die Gewährung einer Nachfrist bittet, soll Straffreiheit eintreten und eine nachträgliche Korrektur "nach unten" unproblematisch sein (Schauf in Kohlmann, a.a.O., § 371 AO Rz 54 und 293). |
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| d) Im Streitfall kann offenbleiben, ob sich der Senat der Auffassung anschließen könnte, eine "Selbstanzeige in Stufen" sei generell möglich, sie führe zur Straffreiheit und verhindere den Eintritt eines Sperrgrundes i.S. von § 371 Abs. 2 AO. Nicht zu entscheiden braucht der Senat ebenfalls die Frage, ob das Schreiben des Klägers vom 6. November 1998 auch hinsichtlich des Jahres 1987 die Voraussetzungen der ersten Stufe einer gestuften Selbstanzeige erfüllen würde, obwohl der Kläger in diesem Schreiben die nicht erklärten Zinsen nur für die strafrechtlich relevanten Jahre geschätzt hat. |
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| e) Die Ablaufhemmung i.S. von § 171 Abs. 9 AO kann jedenfalls auch aufgrund einer "Selbstanzeige" eintreten, welche die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO für die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige (noch) nicht erfüllt. |
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| Die Selbstanzeige nach § 371 AO will –aus fiskalischen Gründen– Steuerhinterziehern eine "goldene Brücke" bauen. Liegt eine wirksame Selbstanzeige i.S. von § 371 AO vor, tritt –auch bei vollendeter Steuerhinterziehung– Straffreiheit ein. Liegt die Tat mehrere Jahre zurück und sind gar Auslandssachverhalte berührt, ist es für den selbstanzeigewilligen Steuerpflichtigen –wie auch der Streitfall zeigt– schwierig, wenn nicht gar unmöglich, Zahlenangaben sofort vorzulegen, die eine Berichtigungserklärung i.S. des § 371 Abs. 1 AO erfordert (vgl. Schauf in Kohlmann, a.a.O., § 371 AO Rz 53.3). Diesem Problem hat die Finanzverwaltung bis 2004 (also auch in dem Jahr, in dem der Kläger Selbstanzeige erstattet hatte) Rechnung getragen und in ihren Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) –AStBV (St)– dem Erstatter der Selbstanzeige Gelegenheit gegeben, eine unvollständige und damit unwirksame Selbstanzeige zu vervollständigen und Straffreiheit zu erlangen (vgl. Nr. 120 Abs. 1 Satz 1 AStBV (St) a.F.). Seither sehen die Anweisungen allerdings vor, dass die Bußgeld- und Strafsachenstelle die Ermittlungen selbst durchzuführen oder zu veranlassen hat, falls die Angaben für eine wirksame Selbstanzeige nicht ausreichen und der Sachverhalt weiter aufklärungsbedürftig ist. |
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| Die Ablaufhemmung soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Finanzbehörde in bestimmten Fällen auch dann noch eine Steuerfestsetzung ermöglichen, wenn dies aus bestimmten Gründen während der regelmäßigen Festsetzungsfrist nicht möglich ist (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 151). § 171 Abs. 9 AO räumt der Finanzbehörde die Möglichkeit ein, innerhalb eines Jahres die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, wenn der Steuerpflichtige selbst erklärt, unzutreffende Angaben gemacht und so Steuern hinterzogen zu haben. Maßgeblich für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO kann daher nur sein, dass der Steuerpflichtige den entsprechenden Lebenssachverhalt so aufdeckt, dass die Finanzbehörde in die Lage versetzt wird, insoweit ihrer Ermittlungspflicht nachzukommen. Erfüllt der Steuerpflichtige dann seine weiterhin bestehenden Mitwirkungspflichten nicht, kann die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen, auf die sich die "Selbstanzeige" des Steuerpflichtigen bezieht, notfalls auch schätzen. Aus diesem Grund und angesichts der Tatsache, dass Steuerpflichtige, deren Tat mehrere Jahre zurückliegt, häufig nicht in der Lage sind, sämtliche Angaben für eine vollständige Selbstanzeige i.S. des § 371 AO zu machen, sowie der gesetzgeberischen Intention, durch die Ablaufhemmung zu erreichen, dass Sachverhalte, auf die sich die Selbstanzeige bezieht, auch tatsächlich bei der Besteuerung berücksichtigt werden können, ist es gerechtfertigt, an eine zur Ablaufhemmung führende Selbstanzeige geringere Anforderungen zu stellen als an eine die Straffreiheit bewirkende Selbstanzeige. Nicht nur eine zur Straffreiheit nach § 371 AO führende Selbstanzeige, mit der der Steuerpflichtige seine unrichtigen oder unvollständigen Angaben in vollem Umfang berichtigt oder ergänzt, kann die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO auslösen. Ausreichend für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO ist, dass die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden kann. Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird (vgl. auch Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 2004, 468; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 84; Frotscher in Schwarz, AO, § 171 Rz 73a und 73b). Dadurch wird der nachzuversteuernde Sachverhalt gegenständlich bestimmt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 10. Juni 2005 VIII B 324/03, Steuer-Eildienst 2005, 2149). Zwar ist die Finanzbehörde aufgrund einer unvollständigen Selbstanzeige noch nicht in der Lage, die zutreffende Steuerschuld festzusetzen. Der Fristlauf wird daher in solchen Fällen in Gang gesetzt, obwohl die Finanzbehörde noch nicht alle für eine Berichtigung des unrichtigen Steuerbescheids erforderlichen Angaben besitzt. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Steuerpflichtige durch die Abgabe einer Selbstanzeige "dem Grunde nach" die der Finanzbehörde maximal zur Verfügung stehende Zeit für den Erlass eines Änderungsbescheids von einem Jahr einseitig verkürzen könnte. Vielmehr hat diese es in der Hand, wie lange sie auf die noch fehlenden Angaben des Steuerpflichtigen nach einer nicht vollständigen Selbstanzeige wartet oder aber eigene Ermittlungen –beispielsweise durch eine Außenprüfung– durchführt bzw., falls diese keinen Erfolg versprechen, die Besteuerungsgrundlagen aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen schätzt. |
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| f) Die vom FG vorgenommene Auslegung des § 171 Abs. 9 AO würde zu Wertungswidersprüchen führen. Gegenüber einem in vollem Umfang ehrlich gewordenen Steuerpflichtigen könnte die Finanzbehörde die hinterzogene Steuer im Rahmen des § 171 Abs. 9 AO festsetzen. Berichtigt der Steuerpflichtige die unvollständigen oder unrichtigen Angaben hingegen nur teilweise, würde die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO nicht greifen. Zudem ist zu beachten, dass auch eine Anzeige nach § 153 AO die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 9 AO auslöst. Führt aber die pflichtgemäße Korrektur von Angaben, die zunächst nur fahrlässig falsch gemacht wurden, zu einer Ablaufhemmung, muss gleiches auch für die beschränkte Korrektur vorsätzlich falscher Angaben gelten. |
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| 3. Im Streitfall hat der Kläger im Schreiben vom 6. November 1998 und somit noch vor Ablauf der gesetzlichen Festsetzungsfrist den nachzuversteuernden, das Streitjahr betreffenden Sachverhalt gegenständlich bestimmt. Er hat erklärt, dass er (auch) im Jahr 1987 hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen unrichtige bzw. unvollständige Angaben in seiner Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärung gemacht hat. Damit hat er der Finanzbehörde seine Tat in Grundzügen mitgeteilt. Der Einkommensteueränderungsbescheid 1987 vom 31. Mai 1999 und der geänderte Umsatzsteuerbescheid 1987 vom 29. Oktober 1999 sind vor dem Ende der Ablaufhemmung am 6. November 1999 und damit in nicht verjährter Zeit erlassen worden. Zwar wurde der geänderte Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 1987 erst am 19. November 1999 und damit nach Ablauf der Jahresfrist nach § 171 Abs. 9 AO zur Post gegeben. Wegen der wirksamen Änderung des Einkommensteuerbescheids 1987 konnte das FA jedoch den Gewerbesteuermessbescheid 1987 nach § 35b GewStG i.V.m. § 171 Abs. 10 AO ändern. |
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| 4. Da der Kläger den nachzuversteuernden, das Streitjahr betreffenden Sachverhalt gegenständlich bestimmt und somit auch für 1987 eine zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO führende "Selbstanzeige" noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO beim FA eingereicht hat, brauchte der Senat die Frage nicht zu entscheiden, ob eine sich auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt beziehende Selbstanzeige überhaupt auf bestimmte Jahre eingeschränkt werden kann. |
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