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II. Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
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1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der während des Revisionsverfahrens ergangene Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 29. April 2010 an die Stelle des Einkommensteuerbescheids für 2005 vom 24. Januar 2008 getreten ist. |
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Gemäß § 68 Satz 1 FGO wird, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird, der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH–, vgl. Senatsurteil vom 26. November 2008 X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, m.w.N.). Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zu Grunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand haben kann (siehe dazu BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43). |
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Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 127 Rz 2, 3). Im Streitfall bedarf es jedoch noch weiterer Feststellungen (siehe unten 2.h). |
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2. Das FG hat zu Unrecht die Anwendung der sog. Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG bei der Besteuerung der Renteneinkünfte des Klägers abgelehnt. Ein Teil seiner Renteneinkünfte ist gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG mit dem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 4 EStG zu versteuern. Die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG ist im Übrigen verfassungsgemäß und verstößt insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes. |
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a) Nach der sog. Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG unterliegen auf Antrag auch Leibrenten i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG der Besteuerung mit dem Ertragsanteil, soweit die Leibrenten auf bis zum 31. Dezember 2004 geleisteten Beiträgen beruhen, welche oberhalb des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass der Höchstbeitrag mindestens zehn Jahre überschritten wurde (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 2. Halbsatz EStG). |
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b) Der Kläger hat den Nachweis, dass die von ihm geleisteten Beiträge den jeweiligen Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung mindestens zehn Jahre überschritten haben, –entgegen der Auffassung des FA und des FG– erbracht. Zwar ist ausweislich der Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 30. Mai 2006 der jeweilige Höchstbeitrag nur in zwei Jahren überschritten worden. Dabei wurden aber die freiwilligen (Nach-)Zahlungen von Beiträgen in den Jahren 1972 bis 1978 für den Zeitraum von Dezember 1949 bis Februar 1954 sowie von Januar 1956 bis November 1972 nicht berücksichtigt. Bei Zugrundelegung dieser Beiträge hat der Kläger für 17 Jahre (1950 bis 1953 und 1956 bis 1968) Beitragsleistungen erbracht, die den entsprechenden gesetzlichen Höchstbeitrag überschritten haben. |
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c) Der erkennende Senat hat bereits durch Urteile vom 19. Januar 2010 X R 53/08 und vom 4. Februar 2010 X R 58/08 (jeweils unter www.bundesfinanzhof.de veröffentlicht) entschieden, dass im Gegensatz zur Auffassung des FG, das insoweit der Finanzverwaltung (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen zur Aktualisierung des Schreibens vom 24. Februar 2005 –BStBl I 2005, 429– vom 30. Januar 2008 –BStBl I 2008, 390– unter Rz 137) gefolgt ist, es nicht allein darauf ankommt, in welchem Jahr die Beiträge gezahlt wurden, sondern auch darauf, für welche Jahre die Beiträge geleistet wurden. Das sog. In-Prinzip ist damit im Rahmen der sog. Öffnungsklausel nicht uneingeschränkt anwendbar. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in den beiden Senatsurteilen jeweils unter B.III. verwiesen. |
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d) Dem Kläger ist darin zuzustimmen, dass aufgrund der sog. Öffnungsklausel nicht im konkreten Einzelfall geprüft wird, ob eine Doppelbesteuerung vorliegt, vielmehr wird sie bei Vorliegen der typisierenden Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG zugunsten des Steuerpflichtigen gesetzlich vermutet. Grund ist die gesetzgeberische Annahme, dass es ohne die sog. Öffnungsklausel (insbesondere bei Selbständigen) in seltenen Ausnahmefällen bei uneingeschränkter Anwendung der nachgelagerten Besteuerung zu einem Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung kommen könne. Die sog. Öffnungsklausel ist daher unabhängig davon anzuwenden, ob es im konkreten Einzelfall zu einer Doppelbesteuerung kommen kann (Senatsurteil vom 4. Februar 2010 X R 58/08, unter B.IV.3.). |
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e) Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG bestehen nach Auffassung des Senats nicht. Das gesetzliche Erfordernis, dass mindestens zehn Jahre Beiträge oberhalb der gesetzlichen Beitragsbemessungsgrenze geleistet worden sein müssen, um insoweit zu einer Ertragsanteilsbesteuerung zu gelangen, hat der erkennende Senat vor allem vor dem Hintergrund der Administrierbarkeit und Praktikabilität dieser Ausnahmevorschrift als verfassungsgemäß angesehen (Senatsurteil vom 4. Februar 2010 X R 58/08, unter B.IV.3.). Der gesetzlich geforderte Zehnjahreszeitraum habe den Zweck, Zufälligkeiten einzelner Jahre unberücksichtigt zu lassen, wie etwa das Überschreiten des Höchstbetrags in der gesetzlichen Rentenversicherung in einem Jahr bei gleichzeitigem Unterschreiten des Höchstbeitrags in einem anderen Jahr. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Altersversorgung normalerweise langfristig angelegt sei und ein bestimmtes Versorgungsniveau sichern solle. Das Gesetz dürfte daher den typischen Fall abbilden, dass Steuerpflichtige, die Beiträge oberhalb der Höchstbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hätten, diese Zahlungen (ungeachtet der Tatsache, dass es sog. gebrochene Erwerbsbiographien gebe) regelmäßig über einen längeren Zeitraum vorgenommen hätten (Senatsurteil vom 4. Februar 2010 X R 58/08, unter B.IV.3.). Darf der Gesetzgeber aber generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, verstößt er wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268, m.w.N.). |
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f) Unabhängig von dem Vorliegen der Voraussetzungen der sog. Öffnungsklausel, die der Vermeidung einer gesetzlich vermuteten Doppelbesteuerung dient, muss im jeweiligen Einzelfall des Weiteren geprüft werden, ob generell das Verbot der Doppelbesteuerung beachtet worden ist. Im Streitfall erscheint es dem Senat unter Beachtung der bislang von ihm herausgearbeiteten Grundsätze zur Prüfung, wann eine Doppelbesteuerung vorliegt (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.c), nicht wahrscheinlich, dass eine doppelte Besteuerung vorliegen könnte. Grund für diese Einschätzung ist, dass der Kläger bereits seit 1989 eine Rente bezogen hat und er damit mehr als 15 Jahre seine Alterseinkünfte einer Ertragsanteilsbesteuerung mit einem Ertragsanteil von 27 % unterwerfen konnte. Selbst wenn man zu seinen Gunsten davon ausginge, seine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien gänzlich aus versteuertem Einkommen geleistet worden (vgl. dazu aber Senatsurteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.c cc), dürfte sich keine Doppelbesteuerung ergeben. Dem Kläger bleibt jedoch unbenommen, dem FG im zweiten Rechtsgang entsprechende Unterlagen vorzulegen, die eine Doppelbesteuerung belegen können. |
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g) Da der Kläger die Voraussetzungen der sog. Öffnungsklausel erfüllt, können die Renten, die auf den Beiträgen des Klägers oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der Jahre 1950 bis 1953 sowie 1956 bis 1968 beruhen, mit dem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 4 EStG versteuert werden; darüber hinaus ist eine Anwendung der Ertragsanteilsbesteuerung nicht gerechtfertigt. |
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h) Die Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung Bund fußte auf der abweichenden Auffassung der Finanzverwaltung; sie muss noch entsprechend ergänzt werden. Da der erkennende Senat den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen kann, wie hoch der Anteil der Rente ist, der auf oberhalb der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze geleisteten Beiträgen des Klägers beruht, ist das Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. |
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