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II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass der Einkommensteuerbescheid des Klägers für das Jahr 1998 nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden konnte. |
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1. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Der Grundsatz von Treu und Glauben prägt § 174 Abs. 4 AO in besonderem Maße (v.Wedelstädt, Der Betrieb –DB– 1994, 2469). Durch § 174 AO soll die Finanzbehörde die Möglichkeit erhalten, in bestimmten Fällen der materiellen Richtigkeit Vorrang einzuräumen, indem vermieden wird, dass Steuerfestsetzungen bestehen bleiben, die inhaltlich zueinander im Widerspruch stehen (FG Berlin, Urteil vom 2. Dezember 1986 V 84/85, EFG 1987, 441; im Ergebnis ebenso BFH-Urteil vom 24. November 1987 IX R 158/83, BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404). Die Regelung bezweckt den Ausgleich einer zugunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung; derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen (BFH-Urteil vom 10. März 1999 XI R 28/98, BFHE 188, 409, BStBl II 1999, 475, unter II.2. der Gründe; Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 174 AO Nr. 5). Wie der Große Senat des BFH entschieden hat, regelt die Vorschrift die verfahrensrechtlichen (inhaltlichen) Folgerungen aus einer vorherigen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten. Diese Aufhebung oder Änderung löst sodann –"nachträglich"– die Rechtsfolge des § 174 Abs. 4 AO aus, dass ein anderer Bescheid erlassen oder geändert werden kann. Die Vorschrift zieht somit die verfahrensrechtliche Konsequenz daraus, dass der andere Bescheid nunmehr eine "widerstreitende Steuerfestsetzung" enthält, wie sie das Gesetz nach seiner amtlichen Überschrift zu § 174 AO voraussetzt (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10. November 1997 GrS 1/96, BFHE 184, 1, BStBl II 1998, 83, unter C.II.1. der Gründe; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 AO Rz 48). |
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§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO schafft nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine gegenüber den Regelungen des § 174 Abs. 1 bis Abs. 3 AO eigenständige Änderungsnorm, die nicht auf die Fälle der alternativen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts beschränkt ist. Der BFH ist unter Hinweis auf den Wortlaut des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nicht der Auffassung gefolgt, die Vorschrift setze zwingend ein wechselseitiges Ausschließlichkeitsverhältnis voraus, das nur die alternative Berücksichtigung desselben Sachverhalts erlaube (vgl. BFH-Urteile in 152, 203, BStBl II 1988, 404; vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264; vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95, BFHE 183, 6, BStBl II 1997, 647). |
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2. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist –wie auch der Kläger in der Revisionsbegründung einräumt– nicht entscheidend, in welcher Reihenfolge die Steuerbescheide ergehen, die auf Betreiben des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert oder aufgehoben werden bzw. nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden sollen. Auf die Frage, ob die Änderungsmöglichkeit "nachträglich" nach Erlass des erstmaligen Einkommensteuerbescheids für das Jahr 1998 eingetreten ist, kommt es –anders als für die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hinsichtlich nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel– für § 174 Abs. 4 AO nicht an, wie sich der Vorschrift selbst entnehmen lässt (so auch BFH-Beschluss vom 11. März 2008 IV B 49/07, BFH/NV 2008, 1106, zur nachträglichen Änderung eines Änderungsbescheids). Für eine einschränkende Auslegung der Vorschrift, die auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruht (vgl. oben II.1.), besteht –wie gerade der Streitfall zeigt– kein Anlass. |
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Zweck des § 174 Abs. 4 AO ist, nach antragsgemäßer Änderung eines Steuerbescheids zu Gunsten des Steuerpflichtigen die in einem anderen Steuerbescheid gezogenen, unzutreffenden steuerlichen Folgerungen unter Durchbrechung der Bestandskraft richtig zu stellen. Die Einheitlichkeit des Lebenssachverhalts und das Interesse an seiner übereinstimmenden steuerrechtlichen Beurteilung erlauben es, einer zutreffenden Besteuerung den Vorrang vor dem Schutz des Vertrauens auf die Bestandskraft der Steuerfestsetzung zu geben (Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 174 Rz 4). Der Steuerpflichtige weiß aufgrund der positiven Verbescheidung seines Einspruchs bzw. Antrags, dass Folgerungen in einem oder mehreren anderen Steuerbescheiden für andere Veranlagungszeiträume bzw. Steuerarten zu ziehen sind. Der Steuerpflichtige ist daher nicht schutzbedürftig. |
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3. Im Streitfall stehen der aufgrund des Einspruchsverfahrens für 1997 erlassene Einkommensteuerbescheid und der Bescheid für das Jahr 1998 in unvereinbarem Widerspruch zueinander. Die Veräußerung des Restaurationsbetriebs des Klägers an seinen Bruder und der daraus resultierende Veräußerungsgewinn sind –wie unter den Beteiligten unstreitig ist– ursprünglich rechtsirrig im Einkommensteuerbescheid 1997 erfasst worden. Aufgrund des Einspruchs des Klägers wurde die Einkommensteuerfestsetzung 1997 zugunsten des Klägers geändert und die Steuer ohne Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns festgesetzt. Da die Korrektur des Einkommensteuerbescheids 1997 durch den Rechtsbehelf des Klägers ausgelöst worden ist, sind die Voraussetzungen für die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998, in dem der Veräußerungsgewinn –zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig– anzusetzen ist, gegeben. |
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Sein Wahlrecht zwischen der Versteuerung eines nach §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigten Veräußerungsgewinns im Zeitpunkt der Veräußerung oder einer Versteuerung nichtbegünstigter nachträglicher Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Zuflusszeitpunkt nach § 15 Abs. 1 EStG i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG (in voller Höhe und nicht etwa nur mit dem Ertragsanteil) hat der Kläger nicht ausdrücklich (BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 8/01, BFHE 199, 198, BStBl II 2002, 532) zugunsten der laufenden Besteuerung und spätestens mit Abgabe der Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1998 (Schmidt/ Wacker, EStG, 27. Aufl., § 16 Rz 226) bzw. Bestandskraft der Veranlagung 1998 (vgl. Reiß, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 16 Rz B 170) ausgeübt. |
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Zwar ist dieser Widerstreit erst durch den Erlass des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 1998 und damit zeitlich nach der Änderung der Steuerfestsetzung für 1997 aufgrund des Einspruchs des Klägers eingetreten (vgl. hierzu Adamek, EFG 2007, 1305). Gleichwohl liegen die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzung 1998 vor, weil § 174 Abs. 4 AO nicht darauf abstellt, ob die Änderungsmöglichkeit "nachträglich" nach Erlass des erstmaligen Steuerbescheids eingetreten ist. § 174 Abs. 4 AO stellt nach seinem eindeutigen Wortlaut auch nicht darauf ab, wer den Widerstreit der Steuerfestsetzungen verursacht hat. Vielmehr stehen Vertrauensschutzgedanken einer Änderung der Veranlagung auch dann nicht entgegen, wenn das FA die Fehlerhaftigkeit der Veranlagung selbst herbeigeführt hätte (v.Wedelstädt, DB 1988, 2228). Entscheidend ist –wie oben ausgeführt– ausschließlich, dass eine Steuerfestsetzung aufgrund eines Einspruchs oder Antrags des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten geändert worden ist. |
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Im Übrigen dürfte der Umstand, dass das FA im ursprünglichen Steuerbescheid für das Jahr 1998 keinen Veräußerungsgewinn des Klägers erfasst hat, auf der unvollständigen Steuererklärung und nicht darauf beruhen, dass das FA einem anderen, neuen Irrtum über ein vermeintlich ausgeübtes Wahlrecht unterlegen ist, das nur ausdrücklich ausgeübt werden kann und das zur Folge hat, dass die wiederkehrenden Leistungen in voller Höhe und nicht –wie erklärt– nur mit dem Ertragsanteil der Besteuerung unterliegen. Der Kläger hat keinen Veräußerungsgewinn erklärt –neben den wiederkehrenden Leistungen hat der Bruder auch einen Barpreis bezahlt, die betrieblichen Verbindlichkeiten und die aus der Veräußerung resultierenden Steuerschulden übernommen–, hat keine Anlage GSE eingereicht und den Rechtsgrund seiner Renteneinkünfte nicht benannt. |
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4. Ob die Anwendung des § 174 Abs. 4 AO ggf. in extrem gelagerten Ausnahmefällen ausgeschlossen sein kann, wenn etwa die Möglichkeit besteht, dass die Finanzbehörde ihr Änderungsrecht aufgrund eines vertrauensbegründenden Vorverhaltens verwirkt hat, kann offenbleiben. Für ein solches Verhalten des FA bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte. |
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5. Zutreffend hat das FG im Übrigen auch die Parallelen der Korrekturvorschrift § 174 Abs. 4 AO zu § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgezeigt. Auch diese ist ebenfalls nach objektiven Grundsätzen ausgestaltet; es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass aufgrund der Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids dieser auch dann in vollem Umfang auszuwerten ist, wenn die Finanzbehörde zuvor die Auswertung eines Grundlagenbescheids im Folgebescheid unterlassen hat (vgl. z.B. Senatsurteil vom 29. Juni 2005 X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749). |
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6. Da die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO greift, lässt der Senat –ebenso wie das FG– dahinstehen, ob der Kläger nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, die Zustimmung zur Änderung der Steuerfestsetzung 1998 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu erteilen. |
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