|
|
|
II. Im Streitfall hat zum 1. Mai 2013 ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel stattgefunden; Beklagte und Revisionsklägerin ist nunmehr die Familienkasse Bayern Nord (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040, Rz 11; vom 28. Mai 2013 XI R 38/11, BFH/NV 2013, 1774, Rz 14). Das Rubrum des Verfahrens ist deshalb zu ändern. |
|
|
Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur antragsgemäßen Aufhebung der Vorentscheidung und insoweit zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
|
|
1. Entgegen der Auffassung des FG war die Familienkasse befugt, die zugunsten des Klägers ergangene Kindergeldfestsetzung aufzuheben. Rechtsgrundlage hierfür ist § 174 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). |
|
|
a) Nach § 174 Abs. 2 Satz 1 AO ist ein fehlerhafter Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise in mehreren Steuerbescheiden zugunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies gilt allerdings nur, wenn die Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist (§ 174 Abs. 2 Satz 2 AO). Daher ist die Änderung bzw. Aufhebung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 2 AO nur möglich, wenn der Steuerpflichtige selbst (allein oder überwiegend) die fehlerhafte Berücksichtigung verursacht hat und aus diesem Grund nicht auf die Bestandskraft des ihn im Ergebnis begünstigenden Steuerbescheides vertrauen kann (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 24. Juni 2004 XI B 63/02, BFH/NV 2005, 1, unter II.2.; BFH-Urteil vom 3. März 2011 III R 45/08, BFHE 233, 6, BStBl II 2011, 673, Rz 16, jeweils m.w.N.). |
|
|
Diese Norm gilt gemäß § 155 Abs. 4 AO sinngemäß für Kindergeldfestsetzungen, da das Kindergeld nach § 31 Satz 3 EStG "als Steuervergütung" gezahlt wird. |
|
|
b) Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 AO für eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung lagen vor. |
|
|
aa) Im Streitfall ist ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Bescheiden zugunsten des Klägers berücksichtigt worden. |
|
|
(1) Zunächst hat die Familienkasse Kindergeld festgesetzt. |
|
|
Dies ergibt sich aus § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438), wonach das bis zum 31. Dezember 1995 nach den Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes gewährte Kindergeld als nach den Vorschriften des EStG festgesetzt gilt. Da das FG festgestellt hat, dass dem Kläger seit der Geburt seiner Kinder in den Jahren 1988 bzw. 1993 Kindergeld gewährt wurde, liegt die nach § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 fingierte Neufestsetzung des Kindergeldes vor, die Gegenstand einer Änderung sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2000 VI R 100/99, BFH/NV 2001, 21, unter 1.a bb). |
|
|
Auch wenn § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) aufgehoben worden ist, ist die Regelung ihrer Wirkung nach zeitlich nicht beschränkt (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach –HHR–, § 78 EStG Rz 2, m.w.N.), so dass auch die im Streitfall gegebene Festsetzungsfiktion nicht durch die Aufhebung des § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 entfallen ist. |
|
|
(2) Dass die Familienkasse in dem Zeitraum Januar 1996 bis Dezember 1998 keine Auszahlungen vornahm, steht entgegen der Auffassung des FG der Annahme einer Festsetzung von Kindergeld nicht entgegen. |
|
|
Denn die Festsetzung des Kindergeldes entfaltet Bindungswirkung für die Zukunft (vgl. BFH-Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380, Rz 13, m.w.N.), weshalb es für ihre Aufhebung eines entsprechenden Bescheides bedarf. Die bloße Unterbrechung der Auszahlung des Kindergeldes durch die Familienkasse ist keine Aufhebung in diesem Sinne. Denn diese Unterbrechung hatte ihren Grund lediglich darin, dass die Zahlung ab dem 1. Januar 1996 nach § 73 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 i.V.m. § 52 Abs. 63 EStG durch den privatrechtlichen Arbeitgeber erfolgte. Hierfür war jedoch eine Festsetzung nach § 70 Abs. 1 EStG Grundlage (HHR/Bergkemper, § 73 EStG Rz 16). Auf dieser Basis nahm die Familienkasse mangels einer bis dahin erfolgten Aufhebung mit Beginn des Jahres 1999 wieder die laufenden Auszahlungen vor. |
|
|
(3) Daneben hat für den Streitzeitraum auch die Stadt Kindergeld dadurch konkludent festgesetzt, dass sie auf den bei ihr gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Kindergeld für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 10. Oktober 1996, in dem dieser unter Ziffer 8. die Frage, ob er oder eine andere Person für die Kinder anderweitig Kindergeld beantragt oder erhalten habe, ausdrücklich verneint hatte, Kindergeld an den Kläger ausgezahlt hat. Davon ist auch das FG ausgegangen. |
|
|
Die Festsetzung durch die Stadt ergibt sich jedenfalls aus § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG in der seinerzeit geltenden Fassung, wonach § 157 AO, der an sich eine schriftliche Bescheiderteilung vorsieht, nicht galt, soweit dem Antrag entsprochen wurde (vgl. zur Abgrenzung BFH-Beschluss vom 31. März 2005 III B 189/04, BFH/NV 2005, 1305). Der Gesetzgeber hat damals u.a. für diesen Fall auf eine schriftliche Bescheiderteilung verzichtet, um das bei der Arbeitsverwaltung eingespielte Verfahren der Kindergeldzahlung im Interesse der Bürger und der Verwaltung beibehalten zu können (vgl. BTDrucks 13/1558, 161). Die Bekanntgabe der konkludenten Kindergeldfestsetzung erfolgte durch die erste Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes und der Bekanntgabe des Auszahlungsbetrages (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 24. April 1998 4 K 1755/97, juris; Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 70 Rz B 7) und blieb über den 1. Januar 2007 hinaus bestehen (vgl. Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. Januar 2013 4 K 1779/10, EFG 2013, 1555). |
|
|
Aus dem Umstand, dass bei einem Wechsel des Arbeitgebers die bisherige Kindergeldfestsetzung nicht berührt werden soll (vgl. z.B. HHR/Wendl, § 72 EStG Rz 33; Blümich/Treiber, § 72 EStG Rz 76; DA 72.3.1 Abs. 7 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes –DA-FamEStG–, BStBl I 2009, 1030; s. nunmehr aber DA 72.3.2 DA-FamEStG), ergibt sich im Streitfall schon deshalb nichts anderes, weil der Stadt die Kindergeldfestsetzung der Familienkasse nicht bekannt war, nachdem der Kläger ihr diese unter Ziffer 8. des Antrags verschwiegen hatte. Schon deshalb ist in der Auszahlung des Kindergeldes durch die Stadt zugleich eine weitere Kindergeldfestsetzung mit Bekanntgabewille zu sehen, mit der die Stadt dem bei ihr gestellten Antrag vom 10. Oktober 1996 i.S. des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG a.F. entsprochen hat. |
|
|
bb) Diese mehrfache Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhaltes, nämlich die doppelte Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder des Klägers, i.S. des § 174 Abs. 2 Satz 1 AO war mit der geltenden Rechtslage unvereinbar. Denn gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt, woraus sich u.a. ergibt, dass das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht doppelt gewährt werden darf (BFH-Urteil vom 1. Juli 2003 VIII R 94/01, BFH/NV 2004, 25, unter II.1., m.w.N.). |
|
|
cc) Nach den tatsächlichen den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger die doppelte Festsetzung des Kindergeldes zumindest überwiegend verursacht. |
|
|
Denn diese ist darauf zurückzuführen, dass der Kläger jedenfalls seiner besonderen Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht nachgekommen war, indem er den Arbeitgeberwechsel gegenüber der Familienkasse nicht anzeigte (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 18. Juni 2009 15 K 37/09 Kg, EFG 2009, 1519, unter 2.a; Urteil des FG Köln vom 17. September 2009 10 K 4058/08, EFG 2010, 380, unter 3.b bb). Aufgrund dieser von dem Kläger selbst verursachten unvereinbaren Mehrfachberücksichtigung konnte er nicht auf die Bestandskraft der Kindergeldfestsetzung vertrauen. Anhaltspunkte für einen Verursachungsbeitrag der Familienkasse sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. |
|
|
dd) Anders als es das FG meint, war die Familienkasse auch nach dem Wechsel des Klägers in den öffentlichen Dienst im Oktober 1996 zu einer Aufhebung der Kindergeldfestsetzung befugt. |
|
|
Denn die Befugnis nach § 174 Abs. 2 AO steht der Behörde zu, die den fehlerhaften Bescheid erlassen hat (vgl. im Ergebnis BFH-Urteil vom 9. Mai 2012 I R 73/10, BFHE 238, 1, BStBl II 2013, 566, Rz 20 ff., zu § 174 Abs. 1 AO; Urteil des FG Düsseldorf in EFG 2009, 1519, unter 2.; Urteil des FG Köln in EFG 2010, 380, unter 2.b). |
|
|
c) Ob darüber hinaus die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG gegeben sind, lässt der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen. Selbst wenn die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nicht auf § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG hätte gestützt werden können, stünde einer rechtmäßigen Aufhebung nicht entgegen, dass die Familienkasse diese Norm in dem Aufhebungsbescheid als Rechtsgrundlage angegeben hat. Denn insoweit handelte es sich um eine unzutreffende, jedoch auswechselbare Begründung. Entscheidend ist lediglich, dass die Festsetzung –wie hier– materiell-rechtlich ergehen durfte (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 1992 VIII R 37/90, BFH/NV 1993, 87, unter II.1.b, m.w.N.). |
|
|
2. Da mithin die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 AO gegeben sind und der Familienkasse die sachliche Befugnis zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung zustand, kommt es darauf an, ob für den Zeitraum Januar 1999 bis Dezember 2004 die Festsetzungsfrist abgelaufen war. Dies bestimmt sich nach den §§ 169 ff. AO, die gemäß § 155 Abs. 4 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG ebenfalls sinngemäß anzuwenden sind. |
|
|
a) Die Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Beurteilung, ob der Kläger eine gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zur Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre führende Steuerhinterziehung (§ 370 AO) begangen hat, was naheliegt. |
|
|
b) Sollte sich dabei ergeben, dass die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Aufhebungsbescheids vom 27. Juli 2009 noch nicht abgelaufen war, wäre der Kläger nach § 37 Abs. 2 AO verpflichtet, das an ihn seit Januar 1999 gezahlte Kindergeld zu erstatten. |
|
|
Denn ist eine Steuervergütung, zu der das Kindergeld –wie bereits ausgeführt– gemäß § 31 Satz 3 EStG gehört, ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, hat derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Diese Rechtsfolgen treten gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 AO auch dann ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung –wie hier aufgrund des Aufhebungsbescheides– später wegfällt. |
|
|
c) Soweit das FG meint, für die Zeiträume vor dem 1. Januar 2004 sei eine den Rückforderungsanspruch ausschließende Zahlungsverjährung eingetreten, geht dies fehl. |
|
|
aa) Denn die gemäß § 228 Satz 2 AO fünf Jahre betragende Verjährungsfrist beginnt gemäß § 229 Abs. 1 Satz 2 AO bei einer den Zahlungsanspruch begründenden Aufhebung der Festsetzung nicht vor dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Aufhebung wirksam geworden ist. Da der mit dem Aufhebungsbescheid vom 27. Juli 2009 verbundene Rückforderungsbescheid durch seine Bekanntgabe im Jahr 2009 wirksam wurde (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 1 AO), begann die Zahlungsverjährung erst mit dem Ablauf des Jahres 2009. |
|
|
bb) Etwas anderes folgt auch nicht aus der vom FG in diesem Zusammenhang angeführten Literaturansicht, wonach die Fälligkeit in den Fällen einer Doppelzahlung bereits mit der ungerechtfertigten Auszahlung beginne (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz 122; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 229 AO Rz 1c). |
|
|
Diese Ausführungen betreffen die im Streitfall nicht gegebene Konstellation, dass eine einmal festgesetzte Steuererstattung bzw. Steuervergütung mehrfach an den Gläubiger geleistet wird, mangels entsprechender Festsetzung ohne Rechtsgrund gezahlt worden ist und mithin der Rückforderungsanspruch gemäß § 220 Abs. 2 Satz 1 AO im Zeitpunkt der Auszahlung entstanden ist. In diesen Fällen steht § 229 Abs. 1 Satz 2 AO einer Zahlungsverjährung nicht entgegen, weil sich der hier in Betracht kommende Rückforderungsanspruch ohne seine vorherige Festsetzung und ohne Aufhebung einer etwa entgegenstehenden Festsetzung allein durch die Auszahlung ergibt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 7. Februar 2002 VII R 33/01, BFHE 197, 569, BStBl II 2002, 447, unter II.2.b; vom 12. Mai 2009 IX R 2/08, BFH/NV 2009, 1404, unter II.a). |
|
|
Wird dagegen –wie hier– eine rechtswidrige und damit anfechtbare Steuerfestsetzung aufgehoben, wird der Rückforderungsanspruch mit der Bekanntgabe des Änderungs- oder Aufhebungsbescheides fällig (§ 220 Abs. 2 Satz 2 AO), so dass die Zahlungsverjährung entsprechend der Regelung des § 229 Abs. 1 Satz 2 AO beginnt (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 37 AO Rz 54; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 229 AO Rz 3). |
|