Zum Begriff einer vGA i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG und i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG – BFH-Beschluss vom 30. Mai 2023, VIII B 15/22

ECLI:DE:BFH:2023:B.300523.VIIIB15.22.0

BFH VIII. Senat

KStG § 8 Abs 3 S 2, EStG § 20 Abs 1 Nr 1 S 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2, FGO § 116 Abs 3 S 3, KStG VZ 2014 , EStG VZ 2014

vorgehend FG Münster, 17. Dezember 2021, Az: 12 K 2233/18 E

Leitsätze

NV: Eine vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG setzt nicht voraus, dass der dem Anteilseigner gewährte Vermögensvorteil der Minderung des Unterschiedsbetrags bei der Gesellschaft bei einer vGA gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG entspricht.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 17.12.2021 – 12 K 2233/18 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

  1. Die Beschwerde ist unbegründet.
  2. Die Revision ist weder wegen der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachten Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) noch gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zur Rechtsfortbildung zuzulassen.
  3. 1. Die behauptete Divergenz der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.02.1989 – I R 44/85 (BFHE 156, 177, BStBl II 1989, 475) liegt nicht vor.
  4. a) Die Zulassung der Revision wegen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung als u.a. der BFH oder ein anderes FG vertritt. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der bezeichneten Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (BFH-Beschlüsse vom 03.07.2019 – VIII B 86/18, BFH/NV 2019, 1130, Rz 4; vom 19.05.2020 – VIII B 126/19, BFH/NV 2020, 1264, Rz 10; vom 26.06.2021 – VIII B 46/20, BFH/NV 2021, 1511, Rz 33). Eine Abweichung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO kann nicht nur vorliegen, wenn das FG ausdrücklich einen abstrakten Rechtssatz abweichend von einem solchen Rechtssatz eines anderen Gerichts formuliert. Es genügt, wenn das FG in fallbezogenen Rechtsausführungen abweicht und sich dies aus den Entscheidungsgründen hinreichend deutlich ergibt (BFH-Beschlüsse vom 21.03.2019 – VIII B 129/18, BFH/NV 2019, 812, Rz 8; in BFH/NV 2020, 1264, Rz 10; in BFH/NV 2021, 1511, Rz 33).
  5. b) Das FG ist in der Vorentscheidung weder ausdrücklich noch in fallbezogenen Rechtsausführungen von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BFH-Urteils in BFHE 156, 177, BStBl II 1989, 475 abgewichen.
  6. aa) Die Kläger entnehmen dieser Entscheidung den tragenden Rechtssatz, es sei für die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) auf der Ebene des Anteilseigners gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG) erforderlich, dass der dem Anteilseigner gewährte Vermögensvorteil zu einer korrespondierenden Minderung des Gewinns gemäß § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 EStG bei der Kapitalgesellschaft führe. Ob eine Gewinnminderung bei der Körperschaft in diesem Sinne vorliege, sei auf der Grundlage einer materiell-rechtlich zutreffenden Steuerbilanz der Gesellschaft zu ermitteln.
  7. bb) Der I. Senat des BFH hat in dem Urteil in BFHE 156, 177, BStBl II 1989, 475 aber nicht den von den Klägern der Entscheidung entnommenen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass für den Bezug einer vGA auf Ebene des Anteilseigners gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erforderlich sei, dass der Vorteil bei der Gesellschaft zu einer korrespondierenden Gewinnminderung führe. Folglich ist das FG bei seiner Entscheidung auch nicht von diesem Rechtssatz abgewichen, indem es ausgeführt hat, eine solche korrespondierende Gewinnminderung sei nicht Bestandteil des Begriffs der vGA in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.
  8. Das BFH-Urteil in BFHE 156, 177, BStBl II 1989, 475 ist zu einer vGA auf der Ebene der Gesellschaft gemäß des § 6 Abs. 1 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968 (heute § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) ergangen. Der I. Senat des BFH hat darin unter 1. eine vGA auf der Gesellschaftsebene als „eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, sich auf die Höhe des Einkommens auswirken und nicht im Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung stehen“ definiert. Unter 3. des Urteils in BFHE 156, 177, BStBl II 1989, 475 hat der I. Senat des BFH ferner ausgeführt, der Ansatz einer vGA auf der Gesellschaftsebene setze eine Bereicherung des Gesellschafters oder den Zufluss eines Vermögensvorteils bei dem Gesellschafter nicht notwendigerweise voraus. Mit dem BFH-Urteil vom 07.08.2002 – I R 2/02 (BFHE 200, 197, BStBl II 2004, 131) hat der I. Senat für den Begriff der vGA auf der Gesellschaftsebene gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG den Vermögensvorteil des Gesellschafters insoweit wieder berücksichtigt, als eine vGA gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auch erfordere, dass die Unterschiedsbetragsminderung bei der Körperschaft die Eignung haben müsse, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auslösen zu können (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil in BFHE 200, 197, BStBl II 2004, 131, unter II. [Rz 7 bis 10]; Wassermeyer, Der Betrieb 2002, 2668, unter III. bis V.).
  9. Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Begriffe einer vGA in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einerseits und § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG andererseits, die sich aus der ‑‑u.a. mit dem Urteil des I. Senats des BFH in BFHE 156, 177, BStBl II 1989, 475 eingeleiteten‑‑ Entwicklung zur Definition des Begriffs der vGA ergeben, nimmt der erkennende Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf das BFH-Urteil vom 25.05.2004 – VIII R 4/01 (BFHE 207, 103, unter II.2.a, 2.b cc [Rz 13, 14, 24 bis 34]) Bezug.
  10. 2. Soweit die Kläger die Zulassung der Revision zur Rechtsfortbildung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO begehren, legen sie die Voraussetzungen des Zulassungsgrunds nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügend dar.
  11. a) Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO stellt einen Spezialfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar. Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 24.06.2014 – XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584, Rz 35; vom 23.07.2019 – XI B 29/19, BFH/NV 2019, 1363, Rz 12). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine klärungsbedürftige und klärbare abstrakte Rechtsfrage darlegt, für die die Rechtsfortbildung geprüft werden soll (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 24.07.2017 – XI B 25/17, BFH/NV 2017, 1591, Rz 25; vom 02.01.2018 – XI B 81/17, BFH/NV 2018, 457, Rz 16, und vom 14.07.2020 – XI B 1/20, BFH/NV 2020, 1258, Rz 13).
  12. b) Die Kläger erwähnen zwar den Zulassungsgrund in ihrer Beschwerdebegründung. Ihr Vorbringen konzentriert sich aber auf den eingangs abgehandelten Zulassungsgrund der Divergenz. Sie formulieren zudem keine klärungsbedürftige und im Streitfall klärungsfähige abstrakte Rechtsfrage. Sollten die Kläger im Wege der Rechtsfortbildung eine abstrakte Beschränkung des Begriffs der vGA in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG dergestalt anstreben, dass ein Vermögensvorteil beim Anteilseigner nur ein solcher sein kann, dem eine Gewinnminderung bei der Gesellschaft korrespondiert, wäre zwar eine solche Frage aufgeworfen. Die Kläger erläutern aber nicht, inwieweit diese Rechtsfrage klärungsbedürftig sein soll. Hierzu müssten sie sich mit der unter 2. angesprochenen Rechtsprechung des I. Senats und des VIII. Senats des BFH zur Unterschiedlichkeit der Begriffe einer vGA in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einerseits und in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG andererseits, die eine solche Korrespondenz nicht verlangen, und den in der Rechtsprechung hierfür herangezogenen Argumenten auseinandersetzen.
  13. 3. Soweit die Beteiligten darüber streiten, ob die Änderungen der Gewinn- und Einkommensermittlung bei der Gesellschaft durch den Außenprüfer für oder gegen das Vorliegen einer vGA sprechen, kann dieses Vorbringen im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden, da das FG zu diesen Änderungen im angefochtenen Urteil keine detaillierten Feststellungen getroffen hat. Der Vortrag kann gemäß § 118 Abs. 2 FGO daher nicht berücksichtigt werden.
  14. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.