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II. Die Revision ist begründet. Die vierjährige Festsetzungsfrist lief im Streitfall gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO wegen Nichtanzeige des Erwerbs mit Ablauf des Jahres 1996 an und mit Ablauf des Jahres 2000 ab. Der aufgehobene Bescheid vom 1. Dezember 1999 war daher noch innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen. Die Voraussetzungen gemäß § 174 Abs. 4 AO für den Erlass des neuen Steuerbescheides lagen vor. Der zwischenzeitlich eingetretene Ablauf der Festsetzungsfrist ist nach Abs. 4 Satz 3 der Vorschrift unbeachtlich. Der neue Bescheid ist noch im Jahr der Aufhebung des ersten Bescheides ergangen. Da das FG demgegenüber die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 4 AO verneint hat, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
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1. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG konnte der Steuerpflichtige beim Erwerb von Vermögen, dessen Nutzung einem anderen zustand, verlangen, die Versteuerung bis zum Erlöschen des Nutzungsrechts auszusetzen. Stellte der Steuerpflichtige einen solchen Antrag, war die Aussetzung durch Verwaltungsakt zu verfügen (so die Finanzverwaltung in Kartei der Oberfinanzdirektion Koblenz zur Erbschaftsteuer 1959, § 31 Karte 1 Tz 2 und 8; Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 24. Mai 2007 II R 58/05, BFH/NV 2007, 1665, zu dem insoweit vergleichbaren § 25 Abs. 1 Buchst. a ErbStG 1974). Der Steuerpflichtige erreichte mit seinem Aussetzungsantrag, dass die Versteuerung so vorgenommen wird, als ob das Vermögen ihm erst im Zeitpunkt des Erlöschens des Nutzungsrechts angefallen wäre (so Megow, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl. 1969, S. 481). Die Steuerschuld für den Erwerb des mit dem Nutzungsrecht belasteten Vermögens gilt erst als mit dem Zeitpunkt des Erlöschens des Nutzungsrechts entstanden. Dies ergab sich zunächst aus § 14 Abs. 2 ErbStG und ergibt sich ab 1974 aus § 9 Abs. 2 ErbStG in den späteren Fassungen (vgl. zur Weitergeltung der Regelung: Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 9 Rz 118; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 9 Rz 58). |
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Ging das mit dem Nutzungsrecht belastete Vermögen vor dem Erlöschen auf einen anderen über, so war die Steuer für diesen Übergang nicht zu erheben; vielmehr trat die gleiche Behandlung ein, wie wenn derjenige, dem das Vermögen zur Zeit des Erlöschens gehört, das Vermögen unmittelbar von dem ursprünglichen Erblasser erworben hätte. Für die Besteuerung ist dann das Verwandtschaftsverhältnis desjenigen zu dem ursprünglichen Erblasser maßgeblich, der zum Zeitpunkt des Erlöschens Eigentümer ist (Troll, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar 1959, § 31 Rz 8). Die Versteuerung erfolgt jeweils mit dem Wert des unbelasteten Vermögens zur Zeit des Erlöschens (Megow, a.a.O., S. 481). |
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Der mit dem Erlöschen des Nutzungsrechts einhergehende Erwerb war und ist der zuständigen Steuerbehörde anzumelden bzw. anzuzeigen (§ 26 Abs. 1 ErbStG/§ 30 Abs. 1 ErbStG n.F.), und zwar unabhängig davon, ob sich das bis dahin belastete Vermögen noch in der Hand des ersten Erwerbers befindet oder in der Hand eines Erwerbers nach § 31 Abs. 2 ErbStG. Ein Wegfall der Anmeldungs- bzw. Anzeigepflicht nach Abs. 3 der Vorschriften schied auch bei einer amtlich eröffneten letztwilligen Verfügung aus, da sich der Erwerb durch Erlöschen des Nutzungsrechts wegen des ungewissen Todeszeitpunkts des Nutzungsberechtigten und wegen des im Hinblick auf § 31 Abs. 2 ErbStG ungewissen Erwerbers nicht unzweifelhaft aus einer letztwilligen Verfügung ergeben kann. |
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2. Ist das belastete Vermögen vor Erlöschen des Nutzungsrechts durch Erbfolge auf einen anderen übergegangen und geht die Behörde in Unkenntnis der Regelung des § 31 Abs. 2 ErbStG davon aus, den neuen Eigentümer als Gesamtrechtsnachfolger für den Erwerb des zunächst belasteten Vermögens in Anspruch nehmen zu müssen, ist ein solchermaßen begründeter, fristgemäß ergangener Erbschaftsteuerbescheid zwar wirksam, aber rechtswidrig. Wird er auf Einspruch des neuen Eigentümers aufgehoben, kann die Behörde gemäß § 174 Abs. 4 AO innerhalb eines Jahres nach der Aufhebung den neuen Eigentümer noch gemäß § 31 Abs. 2 ErbStG als Erwerber des Vermögens unmittelbar vom ursprünglichen Erblasser zur Steuer heranziehen. |
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a) Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Einspruchs durch die Finanzbehörde zugunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben wird, so können aus dem Sachverhalt gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nachträglich durch Erlass eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Voraussetzung ist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 4 AO –von einer hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme abgesehen–, dass der aufgehobene Bescheid noch innerhalb der Festsetzungsfrist für die spätere richtige Steuerfestsetzung ergangen war (so Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 AO Rz 52; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl. 2006, § 174 Rz 64). Ansonsten ist gemäß Satz 3 der Vorschrift der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden. |
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b) § 174 Abs. 4 AO enthält eine gegenüber den Abs. 1 bis 3 der Vorschrift eigenständige Änderungsnorm, die nicht die Korrektur widerstreitender Festsetzungen betrifft (vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., § 174 Rz 51) und deren Grundgedanke darin besteht, dass der Steuerpflichtige, der die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides zu seinen Gunsten erwirkt hat, auch die mit der Aufdeckung der irrigen Beurteilung verbundenen steuerrechtlichen Nachteile hinnehmen muss (so BFH-Urteil vom 10. März 1999 XI R 28/98, BFHE 188, 409, BStBl II 1999, 475, unter II. 2.). Dem aufgrund der irrigen Beurteilung aufgehobenen und dem neuen (erstmaligen oder Änderungs-)Bescheid muss dabei der nämliche Sachverhalt im Sinne eines steuererheblichen Lebensvorgangs, an den das Gesetz steuerrechtliche Folgerungen knüpft, zugrunde gelegen haben bzw. zugrunde liegen. Entscheidend ist, dass aus demselben –unveränderten und nicht durch weitere Tatsachen ergänzten– Sachverhalt die richtigen steuerrechtlichen Folgerungen in einem anderen Steuerbescheid, aber –von Abs. 5 der Vorschrift abgesehen– gegenüber demselben Steuerpflichtigen zu ziehen sind (so BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95, BFHE 183, 6, BStBl II 1997, 647, unter B. 1. b). |
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c) In den Fällen des § 31 Abs. 2 ErbStG setzt sich der steuererhebliche Lebensvorgang aus drei Elementen zusammen. Zunächst muss Vermögen, das beim Erwerb mit einem Nutzungsrecht zugunsten eines Anderen belastet war, erworben und die Versteuerung bis zum Erlöschen des Nutzungsrechts auf Antrag des Steuerpflichtigen ausgesetzt worden sein. Sodann muss das belastete Vermögen vor Erlöschen des Nutzungsrechts durch Erbfolge auf einen Dritten übergegangen und darf dieser Übergang nicht etwa (fälschlich) bestandskräftig besteuert worden sein. Schließlich muss das Nutzungsrecht erloschen sein. Dieser steuererhebliche Lebensvorgang ist irrig beurteilt, wenn die Behörde darin einen Erwerb des Dritten als Gesamtrechtsnachfolger des zwischenzeitlich Verstorbenen sieht und gegen den Dritten einen entsprechenden, nach dem Verwandtschaftsverhältnis dieses Verstorbenen zum ursprünglichen Erblasser ausgerichteten Bescheid erlässt. Er wird nach Aufhebung dieses Bescheides ohne Ergänzung durch weitere Tatsachen oder anderweitige Veränderungen im Tatsächlichen richtig beurteilt, wenn der Dritte als Erwerber unmittelbar vom ursprünglichen Erblasser besteuert wird. Da das FG dies –ausgehend von einer an den Tatbeständen des § 174 Abs. 1 bis 3 AO angelehnten Auslegung des Abs. 4 der Vorschrift– verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben. |
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3. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtmäßig und die Klage daher abzuweisen. Die Versteuerung für den Erwerb des beim Tod des E mit dem Nießbrauchsrecht der H belasteten Vermögens war gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG wirksam ausgesetzt worden. Der Tatbestand des § 174 Abs. 4 AO ist erfüllt. |
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a) Der nach § 31 Abs. 1 ErbStG erforderliche Aussetzungsantrag war vom damaligen Steuerberater der Erben des E unter Nachweis seiner Bevollmächtigung durch beide Erben wirksam gestellt worden. Die Aussetzung ist auch durch Verwaltungsakt erfolgt. Dem gegenüber dem Ehemann der Klägerin ergangenen Erbschaftsteuerbescheid war der Vermerk angefügt, die mit dem Nießbrauch belasteten Wertpapiere würden gemäß § 31 ErbStG außer Ansatz gelassen; die Versteuerung werde bei Erlöschen des Nießbrauchsrechts der H "berichtigt". Dieser Vermerk bringt hinreichend deutlich die Aussetzung der Versteuerung zum Ausdruck, und zwar ungeachtet dessen, dass das Wort "berichtigt" in diesem Zusammenhang verfehlt ist. Die Eigenschaft dieses Vermerks als eines mit dem Erbschaftsteuerbescheid verbundenen weiteren Verwaltungsakts ergibt sich daraus, dass die Aussetzung der Versteuerung eine zusätzliche hoheitliche Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalles mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen darstellt (vgl. nunmehr § 118 Abs. 1 Satz 1 AO). |
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Die Aussetzung der Versteuerung durfte im Jahr 1965 gemäß § 15 Abs. 1 und 2 ErbStDV auch wie der Steuerbescheid, mit dem sie verbunden war, einheitlich gegenüber allen Miterben ergehen und nur einem von ihnen –nämlich dem S– bekanntgegeben werden. Eine derartige Befugnis bestand beim Erlöschen des Nutzungsrechts der H im Jahr 1993 nicht mehr (Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts vom 17. April 1974, BGBl I 1974, 933). Daher ist die nach § 31 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 ErbStG bzw. nunmehr § 9 Abs. 2 ErbStG n.F. zu erhebende Steuer zutreffend einzeln gegen die Inhaber der Wertpapiere bei Erlöschen des Nutzungsrechts festgesetzt worden. |
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b) Das FA hatte nach Erlöschen des Nießbrauchsrechts durch den Tod der H zunächst fälschlich angenommen, die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des S mit der Folge in Anspruch nehmen zu müssen, dass sich die Steuerklasse und die Höhe des Freibetrages nach dem Verwandtschaftsverhältnis des S zu E richteten. Nachdem es aufgrund des Einspruchs der Klägerin diesen Fehler erkannt und den Bescheid aufgehoben hatte, erließ es –wie im Zusammenhang mit der Aufhebungsverfügung angekündigt– innerhalb eines Jahres den nunmehr angefochtenen neuen Erbschaftsteuerbescheid, der zutreffend an die Klägerin als Erwerberin unmittelbar von E erging. Damit zog das FA aus dem nämlichen Sachverhalt nachträglich durch Erlass eines neuen Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen (§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO). Der Ansatz der zunächst belasteten Aktien mit ihrem Wert zum Zeitpunkt des Erlöschens der Belastung sowohl im aufgehobenen als auch im neuen Steuerbescheid war rechtens (s. oben). Dieser Nachteil der Aussetzung der Versteuerung war bei der Willensbildung darüber zu berücksichtigen, ob der nach § 31 Abs. 1 ErbStG erforderliche Antrag gestellt werden sollte oder nicht. |
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c) Die Festsetzungsfrist für die Versteuerung des Erwerbs der Klägerin unmittelbar von E war zwar bei Erlass des angefochtenen Bescheides bereits abgelaufen; dies ist jedoch gemäß § 174 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AO unbeachtlich, da der aufgehobene Bescheid noch innerhalb dieser Frist ergangen und bei Erlass des angefochtenen Bescheides die Ein-Jahres-Frist des Satzes 3 der Vorschrift gewahrt worden ist. |
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aa) Die nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vierjährige Festsetzungsfrist für die mit dem angefochtenen Bescheid erhobene Steuer lief gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1996 an und mit Ablauf des Jahres 2000 ab. Ein späterer Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO scheidet aus, da die Klägerin –wie das FG festgestellt hat– durch die Depotbank noch innerhalb der dreijährigen Anlaufhemmung nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Vorschrift vom Wegfall des Nutzungsrechts der H und damit vom Freiwerden der Aktien erfahren hatte. |
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bb) Die mit Ablauf des Todesjahres der H beginnende dreijährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beruht darauf, dass die Klägerin den Wegfall des Nutzungsrechts der H nicht angezeigt hat, obwohl sie dazu gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG n.F. verpflichtet war. Danach ist jeder der Erbschaftsteuer unterliegende Erwerb vom Erwerber anzuzeigen. Ob der Klägerin die Anzeigepflicht bewusst war, ist unerheblich. Die Rechtsfolgen einer unterlassenen Anzeige treten unabhängig davon ein, ob der Klägerin ihre Anzeigepflicht bewusst war oder nicht (vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, a.a.O., § 30 Rz 6; Pahlke in Christoffel/Geckle/Pahlke, ErbSt, § 30 Rz 3). Insoweit gelten dieselben Erwägungen, wie sie der BFH mit Urteil vom 25. März 1992 II R 46/89 (BFHE 167, 448, BStBl II 1992, 680, 684) zur Grunderwerbsteuer angestellt hat. Die Anzeigepflicht ist eine objektive, die unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten besteht. |
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cc) Die Anzeigepflicht der Klägerin entfiel auch nicht aufgrund des § 30 Abs. 3 ErbStG n.F. Der Erwerb der Klägerin von E im Jahr 1993 ergab sich nicht unzweifelhaft aus der vom Amtsgericht eröffneten letztwilligen Verfügung des E. Es war zwar gewiss, dass das Nutzungsrecht der H eines Tages erlöschen werde, aber ungewiss, wann das dazu erforderliche Ereignis eintritt und wem beim Eintritt des Ereignisses das Vermögen gehört. Angesichts der unterlassenen Anzeige kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass das FA zwischen der vorletzten Anfrage bei der Meldebehörde im Oktober 1992, ob H noch lebe, und der letzten Anfrage im April 1998 fünfeinhalb Jahre verstreichen ließ. Die eigenen Überwachungsmaßnahmen des FA ließen die Anzeigepflicht der Klägerin unberührt. Derartige Maßnahmen entlasten einen Erwerber nur dann, wenn diese Maßnahmen der Finanzbehörde die Kenntnis vom Erwerb verschaffen, und nur insoweit, als es um den Anlauf der Festsetzungsfrist geht. |
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