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II. Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, soweit es hinsichtlich des Streitjahres 1999 ergangen ist. Die Streitsache wird in diesem Umfang zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das angefochtene Urteil beruht insoweit auf einem vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler. |
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1. Der erkennende Senat hat den Revisionsantrag des Klägers in dem Sinne ausgelegt, dass dieser die vollständige Aufhebung der für das Streitjahr ergangenen Änderungsbescheide begehrt. Sein hilfsweise gestellter Antrag, die in diesen Bescheiden festgesetzten Steuerbeträge auf die von ihm benannten Beträge herabzusetzen, ist als bloßes Minus von dem Aufhebungsantrag mit umfasst. Keine besondere Bedeutung hat auch der hilfsweise gestellte Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Denn dies bewirkt lediglich die Überführung des Rechtsstreits in den zweiten Rechtsgang und damit noch keine den Rechtsstreit abschließende Entscheidung. |
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2. Die Revision ist zulässig. |
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a) Der Zulässigkeit der Revision steht nicht entgegen, dass der angerufene Senat (angeblich) zu Unrecht die Revision gegen das angefochtene Urteil zugelassen hat. Das Revisionsgericht ist an die von ihm ausgesprochene Zulassung gebunden (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 71). |
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b) Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass der Kläger mit seinem Revisionsantrag abweichend von seinem beim FG gestellten Antrag, die angefochtenen Bescheide abzuändern, nunmehr deren Aufhebung beantragt. Zwar darf ein Revisionsantrag nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Eine Erweiterung des Klageantrags im Revisionsverfahren ist gemäß § 123 Abs. 1 FGO unzulässig (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 22. Mai 2006 VI R 61/05, BFH/NV 2007, 45). Auch fehlt es insoweit an der erforderlichen formellen Beschwer (Gräber/Ruban, a.a.O., § 123 Rz 2). Es ist indessen anerkannt, dass keine Bindung an den Klageantrag gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO besteht, wenn der BFH zu dem Ergebnis gelangt, der angefochtene Bescheid sei (z.B. wegen eingetretener Festsetzungsverjährung) insgesamt rechtswidrig (Senatsurteil vom 25. April 2006 X R 42/05, BFHE 212, 421, BStBl II 2007, 220). Es kann deshalb einem Revisionskläger nicht verwehrt sein, mit seinem Revisionsantrag geltend zu machen, ein solcher Ausnahmefall liege vor. So ist es im Streitfall. Der Kläger macht geltend, die von ihm abgegebene strafbefreiende Erklärung sei wirksam. Die Ansprüche auf die von ihm hinterzogenen Steuern seien erloschen und hätten daher gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StraBEG nicht festgesetzt werden dürfen (vgl. hierzu Kamps/Wulf, Finanz-Rundschau 2004, 121, 131). Nach Auffassung des Klägers hätten die allein wegen der hinterzogenen Steuern ergangenen streitigen Änderungsbescheide deshalb nicht ergehen dürfen. |
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3. Das angefochtene Urteil beruht auf Verfahrensfehlern. Es verletzt § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil das FG in seinem Urteil nur eine der beiden Kontrollmitteilungen berücksichtigt hat. |
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a) § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO verpflichtet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Diese Vorschrift ist daher dann verletzt, wenn das FG den Inhalt der ihm vorliegenden Akten nicht vollständig und einwandfrei berücksichtigt (ständige BFH-Rechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 24. Juli 2007 X B 6/07, BFH/NV 2007, 1921, m.w.N.). |
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b) Einen solchen Verstoß macht der Kläger schlüssig geltend. Er liegt auch tatsächlich vor. |
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Der Kläger trägt vor, das FG habe in seinem Urteil lediglich die Kontrollmitteilung des Finanzamts X vom 7. Oktober 2003, nicht aber die das Jahr 1999 betreffende Mitteilung dieses Finanzamts vom 3. September 2003 berücksichtigt. Bezogen auf das Jahr 1999 seien die Angaben in diesen Kontrollmitteilungen widersprüchlich. Wegen dieses Widerspruchs habe seitens des FA Aufklärungsbedarf bestanden, weshalb die Tat des Klägers (bezogen auf das Jahr 1999) vor Eingang der strafbefreienden Erklärung noch nicht entdeckt gewesen sei. |
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Dieser Vortrag begründet einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO. Ausweislich der (dem FG und dem angerufenen Senat) vorliegenden Kopien der Steuerakten wurden dem FA vom Finanzamt X zwei Kontrollmitteilungen übersandt. Aus der Mitteilung vom 3. September 2003 ergibt sich, dass der Kläger der F-GmbH im Jahr 1999 Rechnungen über insgesamt netto 388 385,74 EUR zzgl. Umsatzsteuer von 62 141,72 EUR (gemeint wohl jeweils DM statt EUR) erteilt hat. Demgegenüber weist die Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 nach den vorliegenden Kopien bezogen auf das Jahr 1999 entgegen den Feststellungen des FG lediglich Bruttorechnungsbeträge von insgesamt 174 561,83 DM und in Rechnung gestellte Umsatzsteuer von insgesamt 24 077,65 DM aus. |
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Dem steht nicht entgegen, dass in der Anlage zur Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 bezogen auf das Streitjahr 1999 lediglich in der Zeit vom 15. August bis 29. Dezember ausgestellte Rechnungen aufgelistet sind. Dies könnte die erhebliche Differenz zu den in der anderen Kontrollmitteilung genannten Gesamtbeträgen jedoch nur dann erklären, wenn aus dem Kontrollmaterial in ausreichender Weise erkennbar wäre, dass der Kläger auch in der Zeit vor dem 15. August 1999 Rechnungen gegenüber der F-GmbH ausgestellt hatte. Dies ist indessen nicht der Fall. Im Gegenteil erweckt die in der Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 enthaltene Anfrage, ob die Gesamtbeträge der Jahre 1999 … in der Gewinnermittlung enthalten seien, den Eindruck, dass die Rechnungen, die der Kläger der F-GmbH im Jahr 1999 erteilt hat, in der Anlage zu der Kontrollmitteilung vollständig aufgeführt sind. |
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c) Dieser Verfahrensfehler ist auch erheblich. |
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Ein Urteil beruht dann auf einem Verfahrensfehler, wenn die Entscheidung ohne den Mangel unter Zugrundelegung der in dem Urteil vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders ausgefallen wäre (BFH-Beschluss vom 7. Februar 1995 V B 62/94, BFH/NV 1995, 861). |
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Hiervon ist im Streitfall auszugehen. Das FG hat in materiell-rechtlicher Hinsicht den Standpunkt eingenommen, eine Tat sei i.S. des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG in dem Zeitpunkt entdeckt, zu dem der Sachbearbeiter der Finanzbehörde die in der Kontrollmitteilung ausgewiesenen Umsätze mit denen, die der Steuerpflichtige in seinen Steuererklärungen angegeben hat, vergleicht. Voraussetzung sei, dass die erklärten Umsätze in erheblichem Umfang hinter den in der Kontrollmitteilung angegebenen Umsätzen zurückbleiben. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn man von der Kontrollmitteilung vom 3. September 2003 ausginge. Darin sind Nettorechnungsbeträge von 388 385,74 EUR (gemeint wohl: DM) genannt, welche die steuerlich erklärten Nettoumsätze von 304 557 DM nicht unerheblich übersteigen. Demgegenüber sind in der Kopie der Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 bezogen auf das Jahr 1999 lediglich Nettorechnungsbeträge von 150 484,18 DM ausgewiesen, die damit deutlich hinter den steuerlich erklärten Beträgen zurückbleiben. Angesichts dieser erheblichen Diskrepanz stand unter Berücksichtigung beider Kontrollmitteilungen bezogen auf das Streitjahr 1999 im Zeitpunkt des Vergleichs der Daten der Kontrollmitteilungen mit den vom Kläger erklärten Beträgen nicht fest, dass dieser Steuern hinterzogen hat. |
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d) Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen (§ 126 Abs. 4 FGO) als zutreffend. |
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aa) Im Ergebnis zutreffend hat das FG erkannt, dass die Klage zulässig ist. Es kommt nicht darauf an, ob die Klage bereits vor der wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erhoben wurde. Denn in diesem Fall wurde die Klage mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zulässig (BFH-Urteil vom 17. Mai 1985 III R 213/82, BFHE 143, 509, BStBl II 1985, 521). |
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bb) Das angefochtene Urteil erweist sich bezogen auf das Streitjahr 1999 auch nicht deshalb als im Ergebnis richtig, weil auf der Kopie des Schreibens des FA vom 22. Oktober 2003 ein (wohl vom Büro des damaligen Steuerberaters des Klägers stammender) Vermerk angebracht ist, wonach der Kläger fernmündlich bestätigt habe, die Angaben des FA bzw. der F-GmbH seien zutreffend. Für die Frage einer Entdeckung der Tat i.S. des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG durch das FA kann dieser Vermerk nur dann Bedeutung erlangen, wenn das FA von ihm bereits vor Eingang der strafbefreienden Erklärung Kenntnis gehabt hätte. Hierzu hat das FG jedoch keine Feststellungen getroffen. |
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e) Für das weitere Verfahren weist der angerufene Senat aus Gründen der Prozessökonomie, ohne allerdings das FG binden zu wollen, auf folgende Gesichtspunkte hin: |
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Das FG wird in erster Linie durch Beiziehung der Originalakten des beklagten FA klären müssen, ob dort abweichend von den vorliegend lediglich aus Kopien bestehenden Akten die Kontrollmitteilungen vom 3. September 2003 und vom 7. Oktober 2003 vollständig wiedergegeben werden. |
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Ferner wird das FG zu prüfen haben, ob dem FA bereits vor Eingang der strafbefreienden Erklärung der Inhalt des auf der Kopie des Schreibens des FA vom 22. Oktober 2003 angebrachten Vermerks bekannt und ob aus diesem Grund die Tat bereits entdeckt war. Insoweit weist der angerufene Senat darauf hin, dass sich die Frage eines etwaigen Verbots der Verwertung dieses Beweismittels jedenfalls dann nicht stellt, wenn sich aus dem Kontrollmaterial, welches dem FA bis zur Absendung des Schreibens vom 22. Oktober 2003 vorlag, kein hinreichender Verdacht von Steuerstraftaten ergab. Ein solches Verwertungsverbot kann gegeben sein, wenn ein Beschuldigter nicht auf die ihm gemäß § 136 Abs. 1 i.V.m. § 163a StPO zustehenden Rechte hingewiesen worden ist (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 136 Rz 20 und § 163a Rz 6). Hierbei ist aber zum einen zu berücksichtigen, dass gemäß § 393 Abs. 1 Satz 1 AO die Regelungen der StPO nur gelten, soweit das FA im Rahmen der Strafverfolgung tätig wird, nicht aber, soweit es die Besteuerungsgrundlagen ermittelt. Zum anderen machen bloße Ermittlungen, die dazu dienen sollen, den erforderlichen Verdacht einer Steuerstraftat zu begründen (sog. Vorermittlungen; vgl. hierzu Nr. 121 AStBV), den betroffenen Steuerpflichtigen noch nicht zum Beschuldigten. Denn zum Beschuldigten im strafprozessualen Sinn wird der Verdächtige erst durch eine Maßnahme gemacht, die erkennbar darauf abzielt, ihn strafrechtlich zu verfolgen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 160 Rz 6). |
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