Abfindung für den Verzicht auf eine behauptete Erbenstellung – Beschluss vom 01. Dezember 2021, II B 34/21

ECLI:DE:BFH:2021:B.011221.IIB34.21.0

BFH II. Senat

ErbStG § 3 Abs 2 Nr 4 , ErbStG § 9 Abs 1 Nr 1 Buchst f , ErbStG § 37 Abs 14 , StUmgBG

vorgehend FG Düsseldorf, 24. Februar 2021, Az: 4 K 2803/19 Erb

Leitsätze

NV: Abfindungen für den Verzicht auf eine behauptete Erbenstellung werden von § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG i.d.F. des StUmgBG erfasst, wenn der Verzicht nach dem 24.06.2017 erklärt wird.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 24.02.2021 – 4 K 2803/19 Erb wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Es kann dahinstehen, ob dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die –unstreitig– versäumte Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren ist. Die Beschwerde ist nämlich unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.

2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn hinsichtlich ihrer Beantwortung Unsicherheit besteht. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage wird dagegen nicht aufgeworfen, wenn die streitige Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 30.06.2020 – II B 90/19, BFH/NV 2020, 1279, Rz 3, und vom 25.05.2021 – II B 87/20, BFH/NV 2021, 1208, Rz 3, jeweils m.w.N.).

Dieselben Grundsätze gelten für die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO als Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 1208, Rz 5, m.w.N.).

Zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen ist eine hinreichend bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu ist schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darzulegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Insbesondere sind Ausführungen dazu erforderlich, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 1208, Rz 4, m.w.N.).

b) Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung den vorstehend genannten Darlehensanforderungen genügt. Jedenfalls hat die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung bzw. bedarf keiner Entscheidung des Senats zur Rechtsfortbildung.

aa) Der Kläger begehrt sinngemäß die Beantwortung der Rechtsfrage, ob § 3 Abs. 2 Nr. 4 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) i.d.F. des Art. 4 des Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz –StUmgBG–) vom 23.06.2017 (BGBl I 2017, 1682) auch auf solche Abfindungen Anwendung findet, die für die Aufgabe einer behaupteten Erbenstellung aufgrund eines vor Inkrafttreten des Gesetzes eingetretenen Erbfalls gezahlt wird. Diese Rechtsfrage ist mit dem Gesetz offensichtlich so zu beantworten, wie es das FG getan hat. Die Rechtslage ist eindeutig.

bb) Nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG i.d.F. des StUmgBG gilt als vom Erblasser zugewendet u.a., was als Abfindung dafür gewährt wird, dass eine Rechtsstellung, insbesondere eine Erbenstellung oder ein Recht oder ein Anspruch, die zu einem Erwerb nach § 3 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des StUmgBG führen würden, nicht mehr oder nur noch teilweise geltend gemacht werden.

Diese Regelung wurde als weitere Alternative durch Art. 4 Nr. 2 StUmgBG in § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG eingefügt, nachdem bis dahin lediglich Abfindungen für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch oder für die Ausschlagung einer Erbschaft, eines Erbersatzanspruchs oder eines Vermächtnisses oder für die Zurückweisung eines Rechts aus einem Vertrag des Erblassers zugunsten Dritter auf den Todesfall oder anstelle eines anderen in § 3 Abs. 1 ErbStG genannten Erwerbs der Besteuerung unterlagen. Bis zur Neuregelung erfüllten Abfindungen an den sog. Erbprätendenten nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG (BFH-Urteil vom 04.05.2011 – II R 34/09, BFHE 233, 184, BStBl II 2011, 725).

cc) § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG i.d.F. des StUmgBG ist am 24.06.2017 in Kraft getreten (vgl. Art. 11 StUmgBG). Nach der durch Art. 4 Nr. 8 StUmgBG angefügten Übergangsvorschrift in § 37 Abs. 14 ErbStG ist u.a. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG in der am 25.06.2017 geltenden Fassung auf Erwerbe anzuwenden, für die die Steuer nach dem 24.06.2017 entsteht. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f ErbStG i.d.F. des Art. 4 Nr. 3 StUmgBG, ebenfalls von § 37 Abs. 14 ErbStG erfasst, entsteht die Steuer in den Fällen des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG mit dem Zeitpunkt des Verzichts, der Ausschlagung, der Zurückweisung oder der Erklärung über das Nichtgeltendmachen. Danach sind Abfindungen, die dafür gezahlt werden, dass eine behauptete Erbenstellung nicht mehr oder nur noch teilweise geltend gemacht wird, von § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG i.d.F. des StUmgBG erfasst, wenn der Verzicht auf die Erbenstellung nach dem 24.06.2017 erklärt wird.

dd) Die gesetzliche Regelung ist eindeutig. Sie lässt keine andere Beurteilung zu. Mit der Neuregelung ist keine Rückwirkung verbunden. Daher stellt sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Regelung nicht. Der Zeitpunkt des Erbfalls, der zu dem Streit um die Erbenstellung geführt hat, ist für die Entstehung der Steuer ohne Bedeutung. Maßgeblich ist allein der Zeitpunkt der Verzichtserklärung oder der Erklärung darüber, dass die behauptete Erbenstellung nicht mehr geltend gemacht wird. Eine Regelungslücke ist nicht erkennbar. Bis zur Neuregelung unterlagen Abfindungen für den Verzicht einer behaupteten Erbenstellung nicht der Besteuerung, danach schon.

ee) Im Streitfall ist der Vergleich erst am xx.11.2017 geschlossen worden. Darin hat der Kläger gegen Abfindung auf Einwendungen gegen den Erbvertrag verzichtet. Zu diesem Zeitpunkt war die Neuregelung bereits anwendbar. Der Kläger konnte im Zeitpunkt des Verzichts nicht mehr darauf vertrauen, dass die Abfindung nicht der Besteuerung unterliegen würde.

3. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen. Auch insoweit kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, denn die Verfahrensmängel liegen nicht vor.

a) Soweit der Kläger beanstandet, das FG habe trotz seines Vortrags, der Vergleich vom xx.11.2017 sei ein zivilrechtlicher Vertrag sui generis und nicht steuerbar, die Steuerbarkeit als unstreitig dargestellt und sich auch nicht mehr mit seinem Vortrag auseinandergesetzt, liegt kein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Sollte das FG zu Unrecht gegen das Gesamtergebnis des Verfahrens nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO angenommen haben, der Kläger bestreite die grundsätzliche Steuerbarkeit des Vorgangs nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG nicht mehr, was angesichts des anderslautenden Tatbestands schon nicht feststeht, hatte dies auf die Entscheidung im Ergebnis keine Auswirkung, denn tatsächlich hat sich das FG mit der Frage befasst, ob der Vorgang steuerbar ist.

Damit liegt gleichzeitig auch die beanstandete Verletzung des rechtlichen Gehörs i.S. von § 119 Nr. 3 FGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht vor. Das FG hat unter 1. der Entscheidungsgründe die Vereinbarung vom xx.11.2017 im Einzelnen unter den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG subsumiert und nachvollziehbar erörtert, dass und warum es die Auffassung des Klägers nicht teilt.

b) Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) wegen Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) ist ebenfalls nicht gegeben.

aa) Die Verletzung der richterlichen Hinweispflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO bedeutet regelmäßig die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet den Beteiligten das Recht, sich vor der Entscheidung des Gerichts zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage ausreichend äußern zu können.

Das Gericht verletzt daher das Recht auf Gehör, wenn die Verfahrensbeteiligten von einer Entscheidung überrascht werden, weil das Urteil auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gegründet ist, zu denen sie sich nicht geäußert haben und zu denen sich zu äußern sie nach dem vorherigen Verlauf des Verfahrens auch keine Veranlassung hatten. Art. 103 Abs. 1 GG schützt daher die Beteiligten davor, von neuen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten überfahren zu werden, die dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte.

bb) Soweit der Kläger beanstandet, das FG habe in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, ein Vergleich sei nicht möglich, war dieser Hinweis nicht falsch. Es ist nicht erkennbar, wie eine vergleichsweise Regelung hätte aussehen sollen. Anders als im Zivilrecht kennt das finanzgerichtliche Verfahren keinen Vergleich im Rechtssinne. Eine tatsächliche Verständigung, die im Einzelfall zu einer Änderung eines Bescheids und zu einer nichtstreitigen Erledigung eines finanzgerichtlichen Rechtsstreits führen kann, war im Streitfall nicht vorstellbar, denn die Beteiligten stritten über Rechtsfragen.

Ein etwaiger Erlass aus sachlichen oder persönlichen Billigkeitsgründen hätte aus Rechtsgründen nicht Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung im vorliegenden Rechtsstreit sein können. Die abweichende Festsetzung nach § 163 der Abgabenordnung (AO) sowie der Erlass nach § 227 AO sind zwar nicht antragsgebunden und von Amts wegen möglich, aber Gegenstand gesonderter Verfahren, die die Entscheidung im Festsetzungsverfahren unberührt lassen. Das FG hatte deshalb eine solche Maßnahme im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auch nicht anzuregen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

5. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ohne Angabe weiterer Gründe, insbesondere ohne Darstellung des Tatbestands.