Außenwirtschaftsrecht: Reichweite der Altvertragsklausel beim Russland-Embargo – Berücksichtigung von Verboten und Beschränkungen bei der Annahme von Zollanmeldungen – Missachtung des Vertragsstatuts als Rechtsanwendungsfehler – Urteil vom 19. Oktober 2021, VII R 7/18

ECLI:DE:BFH:2021:U.191021.VIIR7.18.0

BFH VII. Senat

EUVtr Art 29 , AEUV Art 215 , EUV 952/2013 Art 5 , EUV 952/2013 Art 27 , EUV 952/2013 Art 28 , EUV 952/2013 Art 77 , EUV 952/2013 Art 134 , EUV 952/2013 Art 172 , ZollVG § 7 , FGO § 100 Abs 1 S 4 , FGO § 155 S 1 , ZPO § 293 , ZPO § 560 , EUBes 512/2014 Art 2 Abs 3 , EUBes 512/2014 Art 2 Abs 4 , EUBes 512/2014 Art 9 Abs 1 , EGV 593/2008 Art 3 , EUV 952/2013 , EUBes 512/2014 , AWG 2013 § 1 Abs 1 , AWG 2013 § 2 , AWG 2013 § 4 , AWV 2013 § 77 Abs 1 Nr 6 , AWV 2013 § 77 Abs 4 S 1 Nr 2 , AWV 2013 § 77 Abs 3 , EUBes 872/2014 , AWG 2013 § 4 Abs 4 S 3

vorgehend FG Hamburg, 05. Dezember 2017, Az: 4 K 12/17

Leitsätze

1. Die Annahme einer Zollanmeldung ist zu widerrufen, wenn ihr Verbote und Beschränkungen entgegenstehen. Hat die Zollbehörde die Rücknahme der Annahme erklärt, obwohl die Voraussetzungen des Art. 27 UZK nicht erfüllt sind, schließt das die Umdeutung in einen Widerruf nach Art. 28 UZK nicht aus.

2. Die Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV erfasst nur solche Verträge und Vereinbarungen, mit denen konkrete vertragliche Leistungspflichten bereits vor dem 01.08.2014 begründet worden sind. Ob das der Fall ist, kann nur nach Maßgabe des jeweils einschlägigen (ggf. ausländischen) Rechts bestimmt werden.

3. Es ist Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO). An die Ermittlungspflicht sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer oder fremder das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 05.12.2017 – 4 K 12/17 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Hamburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten darüber, ob mehrere Einfuhren von Munition aus Russland unter die sog. Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) fallen und daher vom Einfuhrverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV ausgenommen sind.
  2. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Handelsunternehmen und unterhält seit dem Jahr 2005 Geschäftsbeziehungen zu einer russischen Aktiengesellschaft (sog. Closed Joint-Stock Company –C–). Am 27.07.2011 schlossen die Klägerin und C einen Vertrag über die Lieferung von insgesamt … Stück Munition zu einem Kaufpreis von … US-Dollar. Art, Umfang und Preis der zu liefernden Munition wurden in einer Anlage zum Vertrag mit insgesamt 118 Positionen aufgeführt. Die Lieferung sollte dem Vertrag zufolge in Teilmengen bis zum 31.12.2012 erfolgen; Inhalt und Umfang der einzelnen Teilmengen sollte die Klägerin bestimmen. Für den Fall der nicht rechtzeitigen Lieferung und der nicht rechtzeitigen Bezahlung wurden Vertragsstrafen festgelegt. Der Vertrag sollte den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zufolge russischem Recht unterliegen, mit seinem Abschluss am 27.07.2011 wirksam werden und bis zum 31.12.2012 wirksam bleiben.
  3. In der Folgezeit schlossen die Klägerin und die C weitere Verträge ab, sog. Supplements, mit denen die Laufzeit des Vertrags vom 27.07.2011 mehrfach verlängert und der Inhalt des Vertrags im Hinblick auf Art und Menge der zu liefernden Munition sowie im Hinblick auf die Höhe des Gesamtkaufpreises geändert und/oder ergänzt wurde. Auf diese Weise wurden insbesondere mit dem Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014 die Laufzeit des Vertrags und der Lieferzeitraum bis zum 31.12.2017 verlängert.
  4. Mit fünf Zollanmeldungen vom 14. bzw. 16.11.2016 meldete die Klägerin von der C gelieferte Munition zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr an. Die Munition war bereits im Juli 2016 in ein Zolllager überführt worden. Die Zollanmeldungen wurden zunächst angenommen; allerdings wurden die Waren der Klägerin –anders als in vorangegangen Fällen– nicht sogleich überlassen.
  5. Am 29.12.2016 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt –HZA–) nach Rücksprache mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Annahme der Zollanmeldungen gestützt auf § 2 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG), Art. 27 des Zollkodex der Union (UZK) i.V.m. § 7 Abs. 1 des Zollverwaltungsgesetzes (ZollVG) mit der Begründung zurück, dass die angemeldete Munition in Teil I Abschn. A der Ausfuhrliste erfasst sei und damit, da sie nach dem 31.12.2014 in das Wirtschaftsgebiet verbracht worden sei, dem Einfuhrverbot nach § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV unterliege. Die Verlängerung der Vertragslaufzeit mit dem Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014 werde von der vorgesetzten Dienststelle als Neuvertrag gewertet, so dass die Ausnahmeregelung des § 77 Abs. 3 AWV nicht greife.
  6. Einen Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das HZA mit Bescheid vom 16.02.2017 ab. Ein entsprechender an das FG gerichteter Antrag wurde mit Beschluss vom 01.03.2017 als unbegründet zurückgewiesen (Az. 4 V 23/17).
  7. Gegen die Bescheide vom 29.12.2016 erhob die Klägerin mit Zustimmung des HZA Sprungklage. Sie legte ein Privatgutachten von Prof. Dr. X, Institut für Osteuropäisches Recht der Universität Z, vom 29.09.2017 vor, das zu dem Ergebnis gelangte, dass es sich bei dem Vertrag vom 27.07.2011 um einen sog. Liefervertrag nach russischem Recht handele, dessen ursprünglich vertraglich vereinbarte Verpflichtungen nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Russischen Zivilgesetzbuchs im Wege der gesetzlichen Fiktion über die in dem Vertrag festgelegte Geltungsdauer hinaus bestehen geblieben seien; den Ergänzungsvereinbarungen komme keine konstitutive Wirkung zu, so dass dadurch keine neuen Liefer- und Abnahmeverpflichtungen begründet worden seien.
  8. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragte die Klägerin, den Gutachter sowie einen (weiteren) Sachverständigen für russisches Recht zu dem Beweisthema zu hören, dass der am 27.07.2011 geschlossene Vertrag nach russischem Recht eine Liefer- bzw. Abnahmeverpflichtung für die Parteien begründet habe, die nicht zum 31.12.2014 erloschen sei.
  9. Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Vertrag vom 27.07.2011 sei als Rahmenvertrag zu verstehen, der für sich genommen weder für C als Verkäuferin eine Verpflichtung zur Lieferung der Munition noch für die Klägerin als Käuferin eine Verpflichtung zu deren Abnahme begründe. Eine konkrete Lieferverpflichtung sei erst jeweils dadurch entstanden, dass die Klägerin Patronen mit einer bestimmten Beschaffenheit und in einer bestimmten Menge bestellt habe. Die insoweit erforderlichen Kenntnisse des russischen Zivilrechts habe sich das Gericht durch das von der Klägerin vorgelegte Gutachten selbst erschlossen. Dem Beweisantrag der Klägerin zur weiteren Ermittlung des anwendbaren russischen Rechts und zur Auslegung des Vertrags vom 27.07.2011 habe das Gericht daher nicht nachgehen müssen. Das Urteil ist in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern (ZfZ) Beilage 2018 Nr. 3, 41 veröffentlicht.
  10. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Zur Begründung trägt sie vor, die streitigen Einfuhren seien auf der Grundlage eines Altvertrags nach § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV erfolgt und daher von dem Importverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV ausgenommen. Bereits durch Vertrag vom 27.07.2011 sei die Pflicht zur Abnahme einer bestimmten Menge von Waren begründet worden, nicht erst durch das Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014, dem ausschließlich eine deklaratorische Wirkung zukomme. Dass Anzahl, Inhalt und Zeitpunkt der einzelnen Teillieferungen bei Vertragsschluss noch nicht bestimmt gewesen seien, stehe dem nicht entgegen. Die streitgegenständlichen Einfuhren dienten somit der Erfüllung des Vertrags vom 27.07.2011. Aus dem vorgelegten Gutachten ergebe sich, dass nach russischem Recht die vertraglich begründeten Pflichten grundsätzlich auch über eine ebenfalls vereinbarte Geltungsdauer des Vertrags hinaus bestehen blieben. Die ebenfalls vorgelegte Stellungnahme eines russischen Anwalts bestätige dies; danach beruhten Klauseln über die Dauer von Kaufverträgen in der Regel auf den Anforderungen russischer Banken, die mit der Zahlungsabwicklung beauftragt seien. Solche Klauseln seien in einem Kaufvertrag rechtlich unsinnig, aber in Russland allgemein üblich und häufig Gegenstand von Standardverträgen. In Anbetracht dieser Umstände hätte das FG den Vertrag nicht ohne weitere Nachforschungen zur russischen Rechtspraxis und ohne die Heranziehung wissenschaftlicher Expertise eigenständig auslegen und den Streitfall entscheiden dürfen. Der Verstoß gegen die Ermittlungspflicht zum ausländischen Recht nach § 293 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) werde ebenso gerügt wie die mangelnde Sachaufklärung nach § 76 FGO.
  11. Die Klägerin hat zunächst beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
  12. In der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2021 hat die Klägerin mitgeteilt, dass die Munition, die Gegenstand der streitgegenständlichen Zollanmeldungen war, im Jahr 2018 nach Erteilung entsprechender Genehmigungen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vollständig nach Kanada und Neuseeland ausgeführt worden ist. Dadurch seien die streitgegenständlichen Zollanmeldungen gegenstandslos geworden und mit ihnen sowohl die Annahmeentscheidungen des HZA als auch deren Rücknahme. Das ursprüngliche Klagebegehren habe sich damit erledigt. Sie habe aber weiterhin ein berechtigtes Interesse (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) an einer Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits. Zum einen gingen beide Vertragsparteien nach wie vor davon aus, dass der Vertrag vom 27.07.2011 weiterhin Bestand habe; denn das vereinbarte Munitions-Kontingent sei noch nicht ausgeschöpft und der Vertrag vom 27.07.2011 weder gekündigt noch einvernehmlich beendet worden. Zum anderen seien gegen die beiden Geschäftsführer der Klägerin wegen der hier streitigen Einfuhren noch im Jahr 2017 strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen § 77 Abs. 1 AWV eingeleitet worden. Diese Verfahren seien zwar im Jahr 2018 nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung mit der Begründung eingestellt worden, dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 des Strafgesetzbuchs –StGB–) vorgelegen habe; doch habe man nach diesen Ereignissen auf Anraten der Prozessbevollmächtigten von weiteren Abrufen aus dem Vertragskontingent und ebenso von einer –nach Ansicht der Klägerin ohnehin nur deklaratorisch wirkenden– Vertragsverlängerung über den 31.12.2017 hinaus abgesehen, um weitere möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen auszuschließen. Denn da das FG in seinem Urteil vom 05.12.2017 angenommen habe, dass durch das Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014 „neue schuldrechtliche Pflichten begründet“ worden seien, hätte die Gefahr bestanden, dass bereits eine erneute Vertragsverlängerung als weiterer „Erwerb“ i.S. von § 77 Abs. 1 AWV klassifiziert und dementsprechend strafrechtlich verfolgt worden wäre.
  13. Die Klägerin beantragt nunmehr,
    das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und festzustellen, dass die Bescheide vom 29.12.2016 rechtswidrig gewesen sind.
  14. Das HZA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
  15. Zur Begründung trägt das HZA vor, die Änderungen des Vertrags vom 27.07.2011, die nach dem 01.08.2014 erfolgt seien, insbesondere die Verlängerung der Vertragslaufzeit mit dem Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014, seien von dem Schutzzweck der Altvertragsregelung nicht mehr erfasst. Lieferungen auf Bestellungen, die nach Ablauf des 31.12.2014 erfolgt seien, fielen somit unter das Einfuhrverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV und seien sanktionswidrig. Insofern könne auch kein berechtigtes Interesse i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO bestehen, da keine Wiederholungsgefahr gegeben sei. Solange das Embargo in Kraft sei, könnten neue Verträge nicht unter die Altvertragsklausel fallen; würde das Embargo aber aufgehoben, bestünde beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen kein Grund mehr, die Waren nicht für die Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr freizugeben. Die Klägerin habe auch nichts Konkretes vorgetragen, was auf ein bestimmtes Handelsvorhaben mit der C schließen lasse; entsprechende Absichten seien nur pauschal behauptet, aber nicht belegt worden. Ein Rehabilitationsinteresse bestehe im Übrigen ebenfalls nicht, da mit der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft schriftlich hinreichend dokumentiert worden sei, dass eine schuldhafte und strafbare Handlung letztlich nicht vorgelegen habe.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die angefochtenen Bescheide vom 29.12.2016 rechtswidrig gewesen sind.
  2. 1. Hat sich ein Verwaltungsakt im Verlauf des Klageverfahrens erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).
  3. Ein berechtigtes Interesse i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 20.11.2018 – VIII R 45/15, BFHE 263, 175, BStBl II 2019, 306, Rz 19). Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem dieser Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen (Senatsurteil vom 15.10.2019 – VII R 6/18, BFHE 266, 36, BFH/NV 2020, 116, Rz 21, und BFH-Urteil vom 17.10.2018 – XI R 35/16, BFHE 262, 317, BStBl II 2019, 50, Rz 24, jeweils m.w.N.). Ob das der Fall ist, hängt von den jeweiligen konkreten Gegebenheiten des einzelnen Falles ab (s. Senatsurteil vom 02.11.2010 – VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Rz 15).
  4. Das Feststellungsinteresse muss, sofern es nicht offensichtlich ist, vom Kläger substantiiert dargelegt werden (BFH-Urteil vom 10.02.2010 – XI R 3/09, BFH/NV 2010, 1450, Rz 21, m.w.N.; s.a. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler –HHSp–, § 100 FGO Rz 172).
  5. Tritt die Erledigung im Revisionsverfahren ein, steht dies dem Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.2011 – VIII R 11/09, BFHE 235, 470, BStBl II 2012, 329, Rz 12; s.a. Lange in HHSp, § 100 FGO Rz 163).
  6. 2. Im vorliegenden Streitfall haben sich die angefochtenen Rücknahmebescheide vom 29.12.2016 mit der vollständigen Wiederausfuhr (Art. 270 UZK) der streitgegenständlichen Munition nach Kanada und Neuseeland im Jahr 2018 erledigt; denn eine Überlassung i.S. des Art. 5 Nr. 26 UZK zum zollrechtlich freien Verkehr gemäß Art. 77 Abs. 1 Buchst. a UZK kommt damit nicht mehr in Betracht. Dass dieser Umstand erst im Revisionsverfahren eingetreten ist, schließt den Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage –wie dargelegt– nicht aus. Die Klägerin hat ihren Antrag entsprechend geändert.
  7. Die Klägerin hat zudem ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die angefochtenen Verwaltungsakte rechtswidrig gewesen sind. Diese Feststellung hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Vertrag vom 27.07.2011 unter die sog. Altvertragsklausel in § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV fällt. Ist die Frage zu bejahen, ist die Klägerin nicht daran gehindert, auf der Grundlage des Vertrags vom 27.07.2011 trotz des Importverbots des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV weitere Einfuhren vorzunehmen. Das sich daraus ergebende wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung ist damit nach Auffassung des erkennenden Senats offensichtlich und bedarf keiner substantiierten Darlegung. Ferner wäre bei einem weiteren Versuch, auf der Grundlage des Vertrags vom 27.07.2011 Munition aus Russland einzuführen, damit zu rechnen, dass erneut Ermittlungsverfahren gegen die Geschäftsführer der Klägerin eingeleitet werden würden und diese sich im Hinblick auf die angefochtene Entscheidung des FG im Zweifel nicht mehr durch einen Verbotsirrtum gemäß § 17 Satz 1 StGB würden exkulpieren können. Somit stellt das vorliegende Verfahren auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit und der Effektivität der Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes; vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.04.2003 – 1 BvR 2129/02, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht –NVwZ– 2003, 856, unter II.2.b) die einzige Möglichkeit für die Klägerin dar, die Frage nach der Reichweite der Altvertragsklausel in Bezug auf den Vertrag vom 27.07.2011 ohne die Gefahr strafrechtlicher Konsequenzen zu klären.
  8. Demgegenüber beruht der Einwand des HZA, zwischen der Klägerin und der C habe es keine gültigen Vertragsbeziehungen gegeben, weshalb auch kein berechtigtes Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehen könne, auf einem Zirkelschluss; denn das HZA nimmt damit die im Rahmen der Feststellungsklage überhaupt erst noch zu klärende Frage vorweg.
  9. Die Revision der Klägerin ist auch begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

1. Gemäß Art. 28 Abs. 1 Buchst. a UZK wird eine begünstigende Entscheidung außer in den Fällen des Art. 27 UZK (u.a.) dann widerrufen, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen für ihren Erlass nicht erfüllt waren oder nicht mehr erfüllt sind.

a) Das FG hat zunächst zutreffend erkannt, dass im Streitfall eine Rücknahme der Annahmen der fünf Zollanmeldungen vom 14. bzw. 16.11.2016 nach Art. 27 UZK nicht in Betracht kommt. Denn nach den Feststellungen des FG sind die Zollanmeldungen nicht auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Informationen angenommen worden, sondern weil das HZA das Kaufgeschäft, das den streitigen Einfuhren zugrunde liegt, zunächst anders rechtlich bewertet hat.

Zutreffend ist auch die Annahme des FG, dass ungeachtet dessen im Streitfall grundsätzlich ein Widerruf der Annahmen der Zollanmeldungen nach Art. 28 UZK in Betracht kommt. Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass eine unzutreffende Bezeichnung der Änderungsvorschrift unbeachtlich ist, wenn zum Zeitpunkt des Verwaltungshandelns die tatbestandlichen Voraussetzungen einer anderen Änderungsvorschrift erfüllt sind (vgl. BFH-Urteil vom 21.10.2014 – VIII R 44/11, BFHE 247, 308, BStBl II 2015, 593; BFH-Beschluss vom 12.08.2013 – X B 196/12, BFH/NV 2013, 1761, m.w.N.; s.a. Loose in Tipke/Kruse, Vorbemerkungen zu §§ 172 bis 177 AO Rz 10, m.w.N.). Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Änderungsvorschriften der Abgabenordnung von den Art. 27 und 28 UZK verdrängt werden, auch für das Zollrecht. Es ist daher unschädlich, dass das HZA erklärt hat, die Annahmen der fünf Zollanmeldungen würden nach Art. 27 UZK zurückgenommen. Das schließt einen Widerruf nach Art. 28 UZK nicht aus.

b) Im Ergebnis ebenfalls zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Annahme einer Zollanmeldung zu widerrufen ist, wenn ihr Verbote und Beschränkungen entgegenstehen.

Nach Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 UZK unterliegen Waren, die in das Zollgebiet der Union verbracht werden, ab dem Zeitpunkt ihres Eingangs der zollamtlichen Überwachung und können einer Zollkontrolle unterzogen werden, die sich gemäß Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 UZK ggf. auch auf die Einhaltung von Verboten und Beschränkungen erstreckt. Dementsprechend lehnt die Zollbehörde nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 ZollVG die Annahme einer Zollanmeldung ab, wenn Verbote und Beschränkungen entgegenstehen.

Zwar bestimmt Art. 172 Abs. 1 UZK, dass Zollanmeldungen, die die Anforderungen des Titel V Kapitel 2 des UZK erfüllen, von den Zollbehörden unverzüglich angenommen werden, sofern die betreffenden Waren den Zollbehörden gestellt wurden. Das schließt vordergründig das Erfordernis einer Einhaltung von Verboten und Beschränkungen nach Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 UZK nicht mit ein; denn diese Regelung ist in Titel IV Kapitel 2 des UZK enthalten. Doch beginnt die zollamtliche Überwachung von Nicht-Unionswaren bereits mit dem Verbringen der Waren in das Zollgebiet der Union (Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 UZK) und dauert fort, bis sich der zollrechtliche Status der Nicht-Unionswaren ändert oder diese aus dem Zollgebiet der Union verbracht oder zerstört werden (Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 4 UZK). Jedenfalls dann, wenn –wie im vorliegenden Streitfall– Waren bereits in das Zollgebiet der Union verbracht worden sind, erstreckt sich damit notwendig die zollamtliche Überwachung auch auf den Zeitpunkt der Zollanmeldung, so dass die von der Zollbehörde vorzunehmende Prüfung auch bestehende Verbote und Beschränkungen mit umfasst. Ungeachtet dessen schließt der Unionszollkodex den Rückgriff auf ergänzende Vorschriften auf einzelstaatlicher Ebene gemäß Art. 5 Nr. 2 Buchst. a UZK nicht aus, so dass aus diesem Grund auch § 7 Abs. 1 Nr. 3 ZollVG neben Art. 172 Abs. 1 UZK zur Anwendung kommt (vgl. auch FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2018 – 4 K 2044/17 Z, ZfZ 2019, 236; ebenso Deimel in Dorsch, Zollrecht, Art. 172 UZK Rz 9; Rogmann in Wolffgang/Jatzke, UZK, Art. 134 Rz 22 und 25; Schoenfeld in Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, Art. 172 UZK Rz 13; Witte/Hoffmann, Zollkodex, 7. Aufl., Art. 134 Rz 32, und Witte/Henke, a.a.O., Art. 172 Rz 10; Roth, ZfZ 2019, 236, 239 f.; a.A. Lux, ZfZ 2020, 362).

2. Ob allerdings im vorliegenden Streitfall die Voraussetzungen für eine Annahme der fünf Zollanmeldungen vom 14. bzw. 16.11.2016 nicht erfüllt waren, weil die streitgegenständlichen Einfuhren dem Importverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV unterlegen haben, und ob damit der Widerruf der Annahmen der Zollanmeldungen nach Art. 28 Abs. 1 Buchst. a Alternative 1 UZK zu Recht erfolgt ist, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des FG nicht beurteilen.

a) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AWG ist der Güter-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und sonstige Wirtschaftsverkehr mit dem Ausland sowie der Verkehr mit Auslandswerten und Gold zwischen Inländern (Außenwirtschaftsverkehr) grundsätzlich frei. Er unterliegt allerdings gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AWG Einschränkungen durch Gesetze oder Rechtsverordnungen sowie durch zwischenstaatliche Vereinbarungen oder durch Rechtsvorschriften von Organen zwischenstaatlicher Einrichtungen.

Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 AWG können im Außenwirtschaftsverkehr durch Rechtsverordnung Rechtsgeschäfte und Handlungen beschränkt und Handlungspflichten angeordnet werden, um Beschlüsse des Rates der Europäischen Union über wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik umzusetzen. Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 AWG sind Beschränkungen und Handlungspflichten nach Art und Umfang auf das Maß zu begrenzen, das notwendig ist, um den in der Ermächtigung angegebenen Zweck zu erreichen. Sie sind gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 AWG so zu gestalten, dass in die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung so wenig wie möglich eingegriffen wird. Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 3 AWG dürfen Beschränkungen und Handlungspflichten abgeschlossene Verträge nur berühren, wenn der in der Ermächtigung angegebene Zweck erheblich gefährdet wird. Sie sind gemäß § 4 Abs. 4 Satz 4 AWG aufzuheben, sobald und soweit die Gründe, die ihre Anordnung rechtfertigten, nicht mehr vorliegen.

b) Eine Beschränkung von Rechtsgeschäften i.S. von § 4 Abs. 2 Nr. 1 AWG enthält § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV. Danach sind die Einfuhr und der Erwerb von in Teil I Abschn. A der Ausfuhrliste erfassten Gütern aus Russland verboten, unabhängig davon, ob die Güter dort ihren Ursprung haben. Zu den Gütern, die danach grundsätzlich einem Einfuhrverbot unterliegen, gehört gemäß Teil I Abschn. A Nr. 0003 der Ausfuhrliste auch die hier streitgegenständliche Munition.

Gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 6 AWV gilt das Einfuhrverbot in Bezug auf Russland jedoch nicht für die Einfuhr oder Beförderung von Gütern, deren Lieferung der Erfüllung von Verträgen oder Vereinbarungen dient, die vor dem 01.08.2014 geschlossen wurden (sog. Altvertragsklausel). Diese Bestimmung konkretisiert den in § 4 Abs. 4 AWG niedergelegten allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und verdrängt als speziellere, embargospezifische Regelung die allgemeine Regelung des § 4 Abs. 4 Satz 3 AWG (vgl. auch Hocke/Sachs/Pelz/Ziervogel, Außenwirtschaftsrecht, 2. Aufl., § 77 AWV Rz 17).

c) Zutreffend ist die Annahme des FG, dass unter die sog. Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV nur solche Verträge und Vereinbarungen fallen, mit denen konkrete vertragliche Leistungspflichten bereits vor dem 01.08.2014 begründet, aber noch nicht oder noch nicht vollständig erfüllt worden sind. Ob das der Fall ist, lässt sich allerdings nur auf der Grundlage des konkreten Vertragsinhalts und des jeweils maßgeblichen –ggf. ausländischen– Rechts bestimmen.

aa) Sowohl § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV als auch § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV dienen der Umsetzung des Beschlusses 2014/512/GASP des Rates der Europäischen Union vom 31.07.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (Beschluss 2014/512/GASP, Amtsblatt der Europäischen Union –ABlEU– L 229/13; s. BTDrucks 18/3257, S. 12 und 14; vgl. auch Hocke/Sachs/Pelz/Ziervogel, a.a.O., § 77 AWV Rz 6).

(1) Gestützt ist der Beschluss 2014/512/GASP der Einleitungsformel zufolge auf den Vertrag über die Europäische Union (EUV), insbesondere auf Art. 29 EUV. Gemäß Art. 29 Satz 1 EUV erlässt der Rat Beschlüsse, in denen der Standpunkt der Union zu einer bestimmten Frage geografischer oder thematischer Art bestimmt wird. Gemäß Art. 29 Satz 2 EUV tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den Standpunkten der Union im Einklang steht. Den Beschlüssen nach Art. 29 EUV kommt somit keine unmittelbare Wirkung in Bezug auf die Rechtsstellung Einzelner zu; die jeweiligen Maßnahmen müssen erst noch umgesetzt werden, entweder durch den Europäischen Rat nach Art. 215 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) oder aber durch die Mitgliedstaaten (vgl. Callies/Ruffert/Cremer, 5. Aufl., Art. 29 EUV Rz 9; Hocke/Sachs/Pelz/Sachs, a.a.O., Sanktionen und Embargos der EU, Rz 23 ff.; Arnold/Klamert in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K. Außenhandelsrecht, I. Grundlagen Rz 175; Marquardt/Gaedtke in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., EUV Art. 29 Rz 7).

(2) Gemäß Art. 2 Abs. 3 des Beschlusses 2014/512/GASP werden die Einfuhr, der Kauf oder die Beförderung von Rüstungsgütern und zugehörigen Gütern aller Art, einschließlich Waffen und Munition, Militärfahrzeugen und -ausrüstung, paramilitärischer Ausrüstung und entsprechenden Ersatzteilen aus Russland durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten oder durch Schiffe oder Flugzeuge unter ihrer Flagge untersagt.

Gemäß Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses 2014/512/GASP in der hier maßgeblichen Fassung des Beschlusses 2014/872/GASP des Rates vom 04.12.2014 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, und des Beschlusses 2014/659/GASP zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP (Beschluss 2014/872/GASP, ABlEU L 349/58) gilt dieses Verbot (u.a.) unbeschadet der Erfüllung von Verträgen, die vor dem 01.08.2014 geschlossen wurden, oder von akzessorischen Verträgen, die für die Erfüllung dieser Verträge erforderlich sind (sog. Altvertragsklausel).

Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Beschlusses 2014/512/GASP sollte dieser zunächst bis zum 31.07.2015 gelten. Die Geltungsdauer ist seitdem halbjährlich verlängert worden, zuletzt bis zum 31.07.2021 durch Beschluss 2020/2143/GASP des Rates vom 17.12.2020 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABlEU L 430/26).

Gemäß Erwägungsgrund 10 des Beschlusses 2014/512/GASP sollen die Mitgliedstaaten (u.a.) die Beschaffung von Rüstungsgütern und zugehörigen Gütern aller Art aus Russland untersagen. Gemäß Erwägungsgrund 3 des Beschlusses 2014/872/GASP dient die Neufassung (u.a.) von Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses 2014/512/GASP der Präzisierung dieser Bestimmung.

bb) Aus diesem entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang heraus ist § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV nach seinem Wortlaut, seiner Systematik und seinem Sinn und Zweck so auszulegen, dass er nur solche Verträge und Vereinbarungen erfasst, mit denen konkrete vertragliche Leistungspflichten bereits vor dem 01.08.2014 begründet worden sind.

(1) Dem jeweiligen Wortlaut nach unterscheiden sowohl § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV als auch Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses 2014/512/GASP zwischen dem Abschluss und der Erfüllung von Verträgen. Der gesetzlichen Systematik nach handelt es sich um Ausnahmen zu den in § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV bzw. Art. 2 Abs. 3 des Beschlusses 2014/512/GASP verhängten Einfuhrverboten. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ist für die Auslegung der genannten Bestimmungen wesentlich.

(2) Grundsätzlich gelten die in den Sanktionsverordnungen der Europäischen Union enthaltenen Verbote ab Inkrafttreten der jeweiligen Verordnung. Sie erfassen, sofern hierzu keine speziellen Regelungen getroffen worden sind, regelmäßig auch vor dem Inkrafttreten einer Verordnung geschlossene Verträge, so dass Handlungen, die der Erfüllung solcher Verträge dienen, untersagt sind (vgl. etwa zu Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27.05.2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit den ISIL (Da’esh)- und Al-Qaida-Organisationen in Verbindung stehen, das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– Möllendorf vom 11.10.2007 – C-117/06, EU:C:2007:596, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht –EuZW– 2007, 737; s.a. Niestedt in Krenzler/Hermann/Niestedt, a.a.O., Sanktionen Rz 37; Dahme in: Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR-Kommentar, EU-Terrorismus-Sanktionen Rz 47 ff.; gl.A. in Bezug auf § 4 AWG Simonsen in Wolffgang/Rogmann/Pietsch, a.a.O., AWG § 4 Rz 105; Friedrich in Hocke/Friedrich, Außenwirtschaftsrecht, AWG § 4 Rz 33; Hocke/Sachs/Pelz/Pelz, a.a.O., § 4 AWG Rz 41; Hohmann in Hohmann/John, Ausfuhrrecht, AWG § 2 Rz 16; offen gelassen von Thoms in Dorsch, a.a.O., § 4 AWG Rz 42).

Enthält ein Sanktionsbeschluss eine Sonderregelung für Altverträge, muss diese als Ausnahmevorschrift unter Berücksichtigung des Ziels des jeweiligen Beschlusses, den Sanktionen größtmögliche Wirksamkeit zukommen zu lassen, grundsätzlich eng ausgelegt werden (vgl. allgemein EuGH-Urteile RFA International/Kommission vom 10.02.2021 – C-56/19 P, EU:C:2021:102, Rz 54, ABlEU 2021, Nr. C 128, 3; flyLAL-Lithuanian Airlines vom 23.10.2014 – C-302/13, EU:C:2014:2319, Rz 27, EuZW 2015, 76, und Dashiqiao Sanqiang Refractory Materials/Rat vom 19.09.2013 – C-15/12 P, EU:C:2013:572, Rz 17, m.w.N., juris).

(3) Dies ist auch in Bezug auf Art. 2 Abs. 3 und 4 des Beschlusses 2014/512/GASP zu berücksichtigen.

Sinn und Zweck von Art. 2 Abs. 3 des Beschlusses 2014/512/GASP –wie auch der übrigen dort verankerten restriktiven Maßnahmen– ist es, die Russische Föderation durch wirtschaftlichen Druck zu veranlassen, die Souveränität und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine zu wahren und ihre Streitkräfte in die Gebiete zurückzubeordern, in denen sie gemäß den einschlägigen Abkommen dauerhaft stationiert sein dürfen (s. Erwägungsgrund 1 des Beschlusses 2014/512/GASP; zur Bedeutung von Einfuhrverboten vgl. allgemein auch Niestedt in Krenzler/Hermann/Niestedt, a.a.O., Sanktionen Rz 42).

Sinn und Zweck von Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses 2014/512/GASP hingegen ist es, die Vertragsfreiheit als Ausdruck der Privatautonomie so weitgehend zu schützen, wie dies ohne Gefährdung der mit dem Beschluss 2014/512/GASP insgesamt verfolgten Zwecke möglich ist (zur unionsrechtlichen Verankerung der Vertragsfreiheit s. EuGH-Urteile vom 15.04.2021 – C-798/18, EU:C:2021:280, Rz 56, NVwZ 2021, 1601, und Sky Österreich vom 22.01.2013 – C-283/11, EU:C:2013:28, Rz 42 f., m.w.N., EuZW 2013, 347; zur Bedeutung der Unternehmerischen Freiheit s. im Übrigen auch Mayer in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, EUV nach Art. 6 Rz 190 ff.; Streinz in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., EU-Grundrechte-Charta 2000 Art. 16 Rz 6 mit Fn. 21, m.w.N.). Die Regelung verschafft damit dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ als einem tragenden Grundsatz jeder Rechtsordnung (so EuGH-Urteil vom 16.06.1998 – C-162/96, EU:C:1998:293, Rz 49, EuZW 1998, 694) grundsätzlich auch im Sanktionsrecht Geltung.

Allerdings tritt die unionsrechtliche Außenwirtschaftsfreiheit jedenfalls im Verhältnis zu Drittstaaten gegenüber den außen- und sicherheitspolitischen Zielen eines Embargos regelmäßig zurück (vgl. EuGH-Urteil Bosphorus vom 30.07.1996 – C-84/95, Rz 26, EuZW 1996, 595; s. im Übrigen zur unionsrechtlichen Bedeutung der Außenwirtschaftsfreiheit auch EuGH-Urteil Centro-Com vom 14.01.1997 – C-124/95, EU:C:1997:8, Rz 40, EuZW 1997, 148; ferner Weiß in Grabitz/Hilf/Nettesheim, a.a.O., AEUV Art. 206 Rz 16, m.w.N.; Hocke/Sachs/Pelz/Pelz, a.a.O., Einführung Rz 7).

Auf dieser Grundlage ist der Begriff „Verträge“ in Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses 2014/512/GASP eng auszulegen. Er erfasst nur solche Verträge, mit denen konkrete vertragliche Verpflichtungen in Bezug auf den unmittelbaren oder mittelbaren Verkauf, die unmittelbare oder mittelbare Lieferung sowie die Verbringung oder Ausfuhr von Gütern i.S. von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/512/GASP bereits vor dem 01.08.2014 begründet worden sind. Wer vor diesem Stichtag einen entsprechenden Vertrag geschlossen hat, der an sich unter die restriktiven Maßnahmen des Art. 2 Abs. 3 des Beschlusses 2014/512/GASP fiele, soll nicht gezwungen werden, vertragsbrüchig zu werden. Das bedeutet aber umgekehrt, dass, wer bis zu diesem Stichtag noch keinen konkreten vertraglichen Anspruch in diesem Sinne erworben hat, vom Schutzzweck der Altvertragsklausel nicht erfasst wird.

Gleichermaßen ist das Tatbestandsmerkmal „akzessorische Verträge, die für die Erfüllung dieser Verträge erforderlich sind“ eng auszulegen. Erfasst werden hiervon nur Verträge, die der Umsetzung von Verträgen dienen, mit denen bereits vor dem 01.08.2014 konkrete vertragliche Leistungspflichten in Bezug auf den unmittelbaren oder mittelbaren Verkauf, die unmittelbare oder mittelbare Lieferung, die Verbringung oder Ausfuhr von Gütern i.S. von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/512/GASP begründet worden sind. Verträge, die der Umsetzung von Verträgen dienen, mit denen erst nach dem 01.08.2014 entsprechende Leistungspflichten begründet worden sind, fallen damit nicht unter die Altvertragsklausel.

(4) Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verträge oder Vereinbarungen“ in § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV gelten diese Grundsätze gleichermaßen. Die mit der Grundregel in § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV und der Ausnahmeregelung in § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV verfolgten Ziele entsprechen denen von Art. 2 Abs. 3 und 4 des Beschlusses 2014/512/GASP. Daher werden auch von § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV nur solche Verträge oder Vereinbarungen erfasst, mit denen konkrete vertragliche Leistungspflichten bereits vor dem 01.08.2014 begründet worden sind, und gleichermaßen ergänzende Verträge oder Vereinbarungen nur insoweit, als sie lediglich der Umsetzung oder Erfüllung von vor dem 01.08.2014 begründeten konkreten vertraglichen Leistungspflichten dienen. Hingegen fallen Verträge, mit denen erst nach dem 01.08.2014 eigene Leistungspflichten in Bezug auf die in § 77 Abs. 1 AWV i.V.m. Teil I Abschn. A der Ausfuhrliste genannten Güter begründet werden, nicht unter die Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV.

cc) Ob sich aus Verträgen oder Vereinbarungen, die vor dem 01.08.2014 geschlossen worden sind, bereits konkrete vertragliche Leistungspflichten in diesem Sinne ergeben, kann nur nach Maßgabe der vertraglichen Regelungen und des jeweils anwendbaren Rechts bestimmt werden.

(1) Wann ein Vertrag wirksam geschlossen worden ist, ob mit dem Vertrag bereits konkrete Pflichten begründet worden sind und ob sich diese Pflichten auf den Verkauf, die Lieferung oder die Verbringung etc. von Waren i.S. von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/512/GASP bzw. i.S. von § 77 Abs. 1 AWV beziehen, kann nur durch Auslegung des betreffenden Vertrags ermittelt werden. Weder aus Art. 2 des Beschlusses 2014/512/GASP noch aus § 77 AWV lassen sich hierzu allgemeine abstrakte Vorgaben herleiten.

Unterliegt der betreffende Vertrag ausländischem Recht, ist die erforderliche Auslegung nach dem maßgeblichen ausländischen Recht vorzunehmen. Die freie Rechtswahl durch die Vertragsparteien ist dabei wiederum Ausfluss der allgemeinen Vertragsfreiheit (Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht –Rom I-VO–; s.a. MüKoBGB/Martiny, 8. Aufl., Rom I-VO Art. 3 Rz 8, m.w.N.). § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV ist dementsprechend als Verweisung auf das für den jeweiligen Vertrag maßgebliche Recht zu verstehen.

(2) Die bei der Vertragsauslegung anzuwendenden Auslegungsmethoden sind dem ausländischen Recht zu entnehmen, und den von den Vertragsparteien im Vertragstext verwendeten Rechtsbegriffen ist die Bedeutung beizumessen, die ihnen nach der ausländischen Rechtsordnung zukommt. Das deutsche Gericht hat das ausländische Recht so auszulegen und anzuwenden, wie es die Gerichte des ausländischen Staates auslegen und anwenden würden (vgl. BFH-Urteil vom 07.12.2017 – IV R 23/14, BFHE 260, 312, BStBl II 2018, 444, Rz 28; s.a. Urteil des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 07.06.2016 – KZR 6/15, BGHZ 210, 292, Rz 70).

d) Ausgehend von diesen rechtlichen Überlegungen war das vorinstanzliche Urteil aufzuheben.

aa) Mit dem streitgegenständlichen Vertrag vom 27.07.2011 haben die Parteien eine Rechtswahl i.S. von Art. 3 Rom I-VO getroffen und die Anwendung russischen Rechts vereinbart.

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Rom I-VO unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht, wobei die Rechtswahl ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben muss. Nach Erwägungsgrund 11 der Rom I-VO ist die freie Rechtswahl der Parteien einer der Ecksteine des Systems der Kollisionsnormen im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse. Nach Erwägungsgrund 12 der Rom I-VO soll eine Vereinbarung zwischen den Parteien, dass ausschließlich ein Gericht oder mehrere Gerichte eines Mitgliedstaats für Streitigkeiten aus einem Vertrag zuständig sein sollen, bei der Feststellung, ob eine Rechtswahl eindeutig getroffen wurde, einer der zu berücksichtigenden Faktoren sein.

Demgemäß sind die in dem Vertrag vom 27.07.2011 (unter Ziff. 10.) getroffenen Vereinbarungen über die Beilegung von Streitigkeiten als Rechtswahl i.S. von Art. 3 Rom I-VO auszulegen. Dafür spricht zunächst, dass im Fall von Streitigkeiten, die sich nicht einvernehmlich klären lassen, das Internationale Handelsschiedsgericht Moskau angerufen werden soll (Ziff. 10.2 des Vertrags vom 27.07.2011); bereits dies ist ein starkes Indiz dafür, dass auch das am Sitz des festgelegten Gerichts geltende Recht zur Anwendung kommen soll (vgl. allgemein BGH-Urteil vom 26.10.1989 – VII ZR 153/88, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht –NJW-RR– 1990, 182, unter 1.; ebenso zu Art. 27 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 10.04.2014 – 2 AZR 741/13, Recht der Internationalen Wirtschaft 2014, 691, Rz 33, m.w.N.; ferner MüKoBGB/Martiny, a.a.O., Rom I-VO Art. 3 Rz 49). Ungeachtet dessen haben die Vertragsparteien mit Ziff. 10.3 des Vertrags vom 27.07.2011 –nach der gemäß Ziff. 11.3 des Vertrags vom 27.07.2011 maßgeblichen russischen Fassung– bestimmt, dass für die Beilegung von Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag das materielle Recht der Russischen Föderation Anwendung finden soll. Auch wenn es vorliegend nicht um Streitigkeiten zwischen den beteiligten Vertragsparteien geht, kommt damit doch hinreichend klar zum Ausdruck, dass eine Auslegung des Vertrags nur nach russischem Recht erfolgen darf. Eine Auslegung nach deutschem Zivilrecht oder auch nur nach deutscher Zivilrechtsmethodik ist damit ausgeschlossen.

bb) Anhand der Feststellungen des FG kann der Senat nicht beurteilen, ob mit dem Vertrag vom 27.07.2011 nach Maßgabe des russischen Rechts bereits vor dem 01.08.2014 konkrete vertragliche Leistungspflichten begründet worden sind.

(1) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Feststellungen über das Bestehen und den Inhalt ausländischen Rechts sind für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 560 ZPO). Sie sind insoweit revisionsrechtlich wie Tatsachenfeststellungen zu behandeln (s. z.B. BFH-Urteil vom 19.01.2017 – IV R 50/14, BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456, Rz 61, m.w.N.; ebenso Lange in HHSp, § 118 FGO Rz 57 f. und 65; Seer in Tipke/Kruse, § 118 FGO Rz 25 f.; Werth in Gosch, FGO § 118 Rz 21 ff.).

Wie das FG das ausländische Recht ermittelt, steht dabei grundsätzlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Anforderungen an Umfang und Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters lassen sich nur in sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt bestimmen (vgl. BFH-Urteile vom 22.03.2018 – X R 5/16, BFHE 261, 132, BStBl II 2018, 651, Rz 22 ff., und in BFHE 260, 312, BStBl II 2018, 444, Rz 33; s.a. BGH-Beschluss vom 30.03.2021 – XI ZB 3/18, NJW-RR 2021, 916, Rz 59 ff., jeweils m.w.N.). Besitzt der erkennende Richter keine ausreichenden eigenen Kenntnisse, kann er, wenn ein Staatsvertrag dies vorsieht, amtliche Auskünfte bei Behörden des betreffenden Landes einholen oder ansonsten deutsche Botschaften, Konsulate und Ministerien konsultieren; unabhängig davon besteht die Möglichkeit, ein wissenschaftliches Institut (Universitäts- oder Max-Planck-Institut) oder einen sonstigen Sachverständigen mit der Erstattung eines Rechtsgutachtens zu beauftragen (BFH-Urteil in BFHE 260, 312, BStBl II 2018, 444, Rz 39, m.w.N.; s.a. Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl., § 293 Rz 21; Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 79. Aufl., § 293 Rz 7).

An die Ermittlungspflicht sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer oder je fremder das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen Recht ist (BFH-Urteil in BFHE 261, 132, BStBl II 2018, 651, Rz 23; BGH-Urteil vom 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248, unter II.2.a). Dabei sind nicht nur die ausländischen Rechtsnormen zu ermitteln, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis; es gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an das ausländische Recht. Dieses muss mit Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen Methoden in seinem systematischen Kontext (s. BFH-Urteil in BFHE 260, 312, BStBl II 2018, 444, Rz 28) und unter Einbeziehung der Rechtsprechung der Gerichte des betreffenden Landes erfasst werden (s. BGH-Beschluss vom 17.05.2018 – IX ZB 26/17, EuZW 2018, 732, Rz 12; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.07.2012 – 10 C 2/12, BVerwGE 143, 369, Rz 14; BGH-Urteil vom 23.04.2002 – XI ZR 136/01, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis 2002, 1155, unter II.2.b, m.w.N.; s.a. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118 Rz 61).

Einfluss auf das Ermittlungsermessen der Tatsacheninstanz können darüber hinaus auch Vortrag und sonstige Beiträge der Parteien haben, wie etwa die Vorlage eines Privatgutachtens (vgl. BGH-Urteil vom 30.04.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151, unter B.I.2.b bb, m.w.N.) oder der Umstand, dass die Beteiligten die ausländische Rechtspraxis detailliert und kontrovers vortragen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456, Rz 60; vom 16.04.2015 – III R 6/14, BFH/NV 2015, 1237, Rz 13, und vom 13.06.2013 – III R 10/11, BFHE 241, 562, BStBl II 2014, 706, Rz 29).

Die revisionsrechtliche Bindungswirkung entfällt allerdings, soweit die erstinstanzlichen Feststellungen zum ausländischen Recht nicht hinreichend fundiert sind. In diesem Fall liegt ein materieller Mangel der Vorentscheidung vor (vgl. BFH-Urteile in BFHE 261, 132, BStBl II 2018, 651, Rz 24, und in BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456, Rz 61, jeweils m.w.N.). Im Übrigen ist auch aufgrund einer entsprechenden Verfahrensrüge zu prüfen, ob das FG die Ermittlungen frei von Verfahrensmängeln durchgeführt hat, insbesondere das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt und die Erkenntnisquellen genutzt hat (s. BFH-Urteile vom 13.06.2013 – III R 63/11, BFHE 242, 34, BStBl II 2014, 711, Rz 34, und in BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456, Rz 61, jeweils m.w.N.).

(2) Im vorliegenden Streitfall ist das FG den dargestellten Anforderungen an die Ermittlungspflicht zum ausländischen Recht nicht gerecht geworden. Denn es hat sich nur auf eine einzige Erkenntnisquelle bezogen, nämlich auf das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten. Das Ergebnis dieses Gutachtens, dass die mit dem Vertrag vom 27.07.2011 vereinbarten Pflichten auch über den jeweils vereinbarten Geltungszeitraum hinaus bestehen bleiben, hat das FG allerdings verworfen, um dann aber gleichwohl wiederum auf der Grundlage dieses Gutachtens eine abweichende Auslegung des Vertrags vom 27.07.2011 zu begründen. Ausführungen zur Praxis der Vertragsauslegung nach russischem Recht, insbesondere durch die russischen Gerichte, finden sich dabei weder in dem genannten Gutachten noch in den weiteren Ausführungen des FG.

In einer derartigen Situation hätte das FG von Amts wegen weitere Ermittlungen anstellen und entweder amtliche Auskünfte einholen oder aber ein weiteres Rechtsgutachten in Auftrag geben müssen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG dies nachzuholen haben.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.