Aufwendungen für Doppelbett mit einseitig motorisch verstellbarem Einlegerahmen sind nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig

FG Baden-Württemberg Urteil vom 24.4.2013, 2 K 1962/12

Aufwendungen für Doppelbett mit einseitig motorisch verstellbarem Einlegerahmen sind nicht als außergewöhnliche Belastung (Krankheitskosten) abzugsfähig

Tenor

 

I. Die Klage wird abgewiesen.

 

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob Aufwendungen für die Anschaffung eines Doppelbettes mit einseitig motorisch verstellbarem Einlegerahmen als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.
2
Der seit dem Jahr 2007 geschiedene Kläger ist als selbständiger Unternehmensberater erwerbstätig. Am 28. Dezember 2009 hatte der Kläger einen schweren Skiunfall in Österreich. Dabei zog er sich Kombinationsverletzungen der linken Schulter und des linken Beines zu. Es handelte sich um eine Trümmerfraktur des linken Kniegelenks und des Unterschenkels bis oberhalb des Sprunggelenks sowie eine schwere Schädigung des Kapsel- und Sehnenapparats der linken Schulter. Diese Verletzungen erforderten einen Krankenhaus- und Rehaaufenthalt. Zur alsbaldigen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers hielt der behandelnde Arzt Dr. B die häusliche Nutzung eines medizinischen Krankenbetts für erforderlich.
3
Ausweislich der Rechnung vom 19. Januar 2010 erwarb der Kläger bei einem Fachgeschäft in X ein Doppelbett, Rotbuche massiv, einseitig mit einem Motoreinlegerahmen zur Verstellbarkeit des Oberkörperteils, des Ober- und Unterschenkelteils sowie des Nackenteils. Ansonsten sind die Bestandteile (Matratzen, Molton, Schoner) des Doppelbetts identisch. Es handelte sich  um ein Ausstellungsstück, dessen ermäßigter Preis i.H.v. 6.313 Euro nach Angaben des Verkäufers denjenigen eines funktionsgleichen Einzelbettes bei einer vier- bis sechswöchigen Lieferzeit um 72 Euro überstieg.
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In der Einkommensteuererklärung 2010 machte der Kläger Aufwendungen für ein Bett i.H.v. 6.313 Euro als außergewöhnliche Belastung geltend, die das beklagte Finanzamt (FA) in dem Einkommensteuerbescheid vom 13. Februar 2012 nicht zum Abzug zuließ.
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Hiergegen legte der Kläger am 5. März 2012 mit der Begründung Einspruch ein, ungeachtet der strittigen Rückwirkung des Steuervereinfachungsgesetzes (StVereinfG) 2011 seien dessen Anforderungen erfüllt und die Aufwendungen für das Krankenbett voll umfänglich als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Am 9. Mai 2012 bat der Kläger erfolglos um Erörterung der Streitsache mit dem FA.
6
Durch Entscheidung vom 15. Mai 2012 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Der Einspruch sei bereits entscheidungsreif. Eine Erörterung der Streitsache vor Entscheidung über den Rechtsbehelf gem. § 364 a Abgabenordnung (AO) werde abgelehnt, da diese nicht zur Aufhellung der Sach- und Rechtslage beitragen könne. Die geltend gemachten Aufwendungen seien nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, da die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in der anzuwendenden Fassung des StVereinfG 2011 nicht vorlägen. Danach sei der Nachweis der Zwangsläufigkeit für medizinische Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S.v. § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB ) Fünftes Buch (V) anzusehen seien, durch amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu erbringen. Dieser Nachweis müsse vor Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestellt worden sein. Hieran fehle es vorliegend. Die Bestätigung des österreichischen Arztes reiche nicht aus.
7
Mit der am 11. Juni 2012 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung der Klage lässt er im Wesentlichen folgendes vortragen: Die Aufwendungen für das Krankenbett seien als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig. Er erbringe seine Leistungen als selbständiger Unternehmensberater nahezu ausschließlich in eigener Person. Der schwere Unfall habe seine wirtschaftliche Existenz gefährdet, da im Normalfall ein mehrmonatiger Krankenhausaufenthalt erforderlich gewesen wäre. Alle Maßnahmen hätten nur dem Ziel gedient, die berufliche Tätigkeit zumindest in geringem Umfang wieder aufnehmen zu können. Durch die unverzügliche Lieferung des Bettes sei dies möglich gewesen.
8
Streitig seien die Zwangsläufigkeit der Maßnahme sowie die Voraussetzungen für den Nachweis. Zum Zeitpunkt des Unfalls hätten für die Zwangsläufigkeit einer entsprechenden Anschaffung die allgemeinen Beweisregeln Gültigkeit gehabt. Das FA stufe das Krankenbett als medizinisches Hilfsmittel ein, welches gleichzeitig ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sei. Mithin komme § 64 Abs. 1 Nr. 2 e EStDV zur Anwendung. Dies sei unzutreffend. Ein Krankenpflegebett sei nach herrschender Meinung kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand. Die Zwangsläufigkeit sei demnach gem. § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV durch die Verordnung eines Arztes nachzuweisen gewesen. Diese liege durch die Verordnung des Bettes durch den behandelnden Chirurgen vor. Auch wenn man das Bett als allgemeinen Gebrauchsgegenstand ansehe, hätte die Verordnung des Arztes wesentliche Indizkraft. § 64 EStDV i.d. F. des StVereinfG 2011 sei im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar. § 64 EStDV werde durch § 33 Abs. 4 EStG legitimiert. Dieser sei mit seiner Verkündung in Kraft getreten und gelte erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2011. Bis dahin fehle es an einer Ermächtigungsgrundlage, so dass sich die Frage einer Rückwirkung gar nicht stelle. Dessen ungeachtet sei dem Einwand des FA, der erforderliche qualifizierte Nachweis i.S.v. § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV liege nicht vor, entgegen zu halten, dass eine Verordnung nach Nr. 1 vorliege. Ein Nachweis nach Nr. 2 wäre nur notwendig, wenn das Bett einem Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens gleich zu setzen wäre. Dann müsste aber eingewandt werden, dass die Erfüllung dieser Vorgabe mangels gesetzlicher Regelung im Zeitpunkt des Unfalls und mangels verfügbarer Zeit objektiv unmöglich gewesen wäre. Bei unfallbedingten Ereignissen könnten nicht dieselben Maßstäbe wie im Fall des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. April 2012 VI R 74/10 – Kur – (BStBl II 2012, 577) angelegt werden.
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Nach der Bestätigung des Bettenlieferanten sei das Bett zwar kein klassisches Krankenhauspflegebett. Es sei jedoch auch für den Pflege- und Rehabereich für Endkunden konzipiert. Das Bett erfülle somit die Eigenschaften eines Krankenpflegebettes. Mangels gesetzlicher Definition sei daher zu folgern, dass das angeschaffte Bett nicht nur die Eigenschaften eines Krankenpflegebettes erfülle, sondern auch ein solches sei.
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Nach der vom FA geforderten Bestätigung der Krankenversicherung vom 6. Februar 2013 fielen die streitigen Aufwendungen für das Hilfsmittel nicht in den von ihm versicherten Leistungskatalog. Die Krankenversicherung könne keine Stellungnahme dazu abgeben, ob eine Einstufung des Bettes als Hilfsmittel i.S.d. § 33 Abs. 1 SGB V zutreffend sei oder nicht.
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Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 13. Februar 2012 zu ändern und Aufwendungen für die Anschaffung eines Krankenpflegebettes i.H.v. 6.313 Euro abzüglich der zumutbaren Belastung i.H.v. 637 Euro als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung seines Antrags auf Klageabweisung nimmt es auf die Einspruchsentscheidung vom 15. Mai 2012 Bezug und führt ergänzend folgendes aus: Es werde weiterhin die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem angeschafften Bett um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handle. Nach dem Urteil des Bundessozialgericht vom 16. September 1999 B 3 KR 1/99 R sei ein Gegenstand allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, wenn er von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht sei. Die Produktbeschreibung des Herstellers im Internet des vom Kläger angeschafften motorbetriebenen Einlegerahmens Innova M4 Memory spreche jedenfalls dafür, dass es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handle. Aus dieser Werbung sei ersichtlich, dass das Bett einem umfassenden Komfort und einem allgemeinen menschlichen Grundbedürfnis, nämlich einem gesunden und erholsamen Schlaf, dienen wolle. Es handle sich daher bei diesem Lattenrost nicht um einen Gegenstand, der spezifisch für die Bekämpfung einer Krankheit oder für den Ausgleich einer Behinderung gedacht sei. Ein solcher Lattenrost werde auch für Gesunde hergestellt sowie von diesen gekauft und genutzt. Der Vertrieb des Lattenrostes finde im normalen Bettenfachhandel und sogar online im Internet, z.B. bei Amazon, statt. Dort könne der betreffende Lattenrost mit einer Lieferfrist von drei bis vier Tagen erworben werden.
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Auch in der Rechtsprechung der Sozialgerichte würden motorbetriebene Lattenroste als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens deklariert. So vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Urteil des 4. Senats vom 21. Februar 2005 L 4 KR 138/03 sowie im Urteil der 24. Kammer des Sozialgerichts Dortmund vom 14. Dezember 1990 S 24 Kn 120/89. Nach dem vom Kläger zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19. Februar 2009 9 K 1765/07 sei bei einem Pflegebett die kranken- und behindertengerechte Veränderung nach Art und Ausmaß so umfassend, dass der Gegenstand einem dem gleichen Zweck dienenden Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht mehr gleichgestellt werden könne. Ein derart umgestaltetes Bett liege im vorliegenden Fall nicht vor. Wie oben ausgeführt, handle es sich bei dem motorbetriebenen Lattenrost um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Dies gelte erst recht für die weiteren angeschafften Teile des Bettes wie Bettgestell, die beiden Schaumstoffmatratzen, den Einlegerahmen Innova KSK, die Moltonauflagen und die Filzschoner. Diese Bestandteile wiesen allesamt keine besonderen Eigenschaften auf, die für ein Krankenpflegebett sprächen. Es könne daher nicht von einem Krankenpflegebett ausgegangen werden.
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Im Übrigen habe für die Anschaffung des zweiten Bettsystems keine Zwangsläufigkeit i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG bestanden. Es sei nicht ersichtlich, dass sich der Kläger dem nicht habe entziehen können. Die vorgetragene Begründung, die Anschaffung eines Einzelbettes sei nur unwesentlich günstiger gewesen als diejenige eines Doppelbettes, führe jedenfalls nicht zur Zwangsläufigkeit i.S.d. Gesetzes. Das gleiche gelte hinsichtlich des Umstandes, dass es sich um ein schnell lieferbares Ausstellungsstück gehandelt habe.
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Des Weiteren müsste sich der Kläger den durch die Neuanschaffung des Bettes ergebenden Vorteil „Neu-gegen-Alt“ anrechnen lassen. Der erforderliche qualifizierte Nachweis i.S.v. § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV liege nicht vor. Nach § 84 Abs. 3 f EStDV i.d.F. des  StVereinfG 2011 sei § 64 Abs. 1 EStDV in allen Fällen anzuwenden, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt sei. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Urteil vom 19. April 2012 VI R 74/10 (a.a.O.) hierzu aktuell ausdrücklich entschieden, dass diese Regelung verfassungsrechtlich unter keinem Gesichtspunkt zu beanstanden sei.
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Im Übrigen habe der Kläger die vom Gericht angeforderte Verordnung des Krankenpflegebettes vom 9. Januar 2010 nicht vorlegen können, da diese angeblich nicht mehr auffindbar sei. Der Geschehensablauf lasse es fraglich erscheinen, ob eine entsprechende Verordnung jemals vorhanden gewesen sei. In der von der österreichischen Klinik am 3. August 2011 ausgestellten ärztlichen Bescheinigung werde lediglich ausgeführt, dass für die häusliche Behandlung die Anschaffung eines motorisch betriebenen Bettes notwendig gewesen sei. Von einer hierfür früher ausgestellten ärztlichen Verordnung sei jedoch nicht die Rede. Bei dieser Beweislage sei davon auszugehen, dass eine entsprechende ärztliche Verordnung für die Anschaffung eines Krankenbettes nicht ausgestellt worden sei.
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Die dem Gericht vom Kläger vorgelegte Bestätigung vom 29. Februar 2012 der Sanatorium Dr. B GmbH, Y / Österreich, die von Dr. B unterzeichnet ist, hat u.a. folgenden Inhalt:
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Zur Fortführung der selbständigen Tätigkeit war eine zügige Verlegung nach Hause gegeben. Dazu war die Anschaffung eines medizinischen Krankenbetts zwingende Voraussetzung. Wir haben dies am 9. Januar 2010 verordnet und am 3. August 2011 zur Vorlage beim FA erneut bestätigt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
21
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FA hat die streitigen Aufwendungen für die Anschaffung eines Doppelbettes zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastung i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt.
22
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 29. September 1989 III R 129/86, BStBl II 1990, 418).
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Nach der Rechtsprechung erwachsen Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen stets zwangsläufig. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (z.B. Urteile des BFH vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BStBl II 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BStBl II 1987, 427, und vom 20. März 1987 III R 150/86, BStBl II 1987, 596).
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Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (Urteile des BFH vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BStBl II 2001, 543, sowie vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BStBl II 1999, 227, m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (Urteil des BFH vom 1. Februar 2001 III R 22/00, a.a.O.). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen medizinisch indiziert sind (vgl. des BFH vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BStBl II 1997, 805).
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Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall  in bestimmten Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 3, 23, 31 bis 33 SGB V) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen. Bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei medizinischen Hilfsmitteln, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S.v. § 33 Abs. 1 SGB V anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich.
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Die Voraussetzungen der qualifizierten Nachweispflicht des § 64 Abs. 1 Nr. 2 e EStDV sind im Streitfall gegeben. Denn bei dem vom Kläger angeschafften Doppelbett handelt es sich um ein Hilfsmittel im weiteren Sinne, das – wie z.B. ein orthopädischer Stuhl – auch von gesunden Steuerpflichtigen aus Gründen der Vorsorge oder zur Steigerung der Bequemlichkeit genutzt wird. Das vom Kläger genutzte Bett mit motorbetriebenem Einlegerahmen ist wie ein normales, d.h. von einer großen Zahl von Menschen genutztes, Bett ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V. Die Eigenschaft als Gebrauchsgegenstand ging auch nicht dadurch verloren, dass dieser Gegenstand durch gewisse Veränderungen oder durch eine bestimmte Qualität oder Eigenschaft medizingerecht für Kranke oder Behinderte gestaltet wurde. Dies ist nur dann anders, wenn die Veränderung aus medizinischen Gründen nach Art und Ausmaß so umfassend ist, dass der Gegenstand einem dem gleichen Zweck dienenden Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht mehr gleichgestellt werden kann. Maßgebend für die Abgrenzung ist vor allem, ob der veränderte Gegenstand ausschließlich bei Kranken bzw. Behinderten Verwendung findet, oder ob er auch von Gesunden benutzt und ohne weiteres gegen einen dem selben Zweck dienenden handelsüblichen Gegenstand ausgetauscht werden kann (vgl. hierzu Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 25. Januar 1995 3/1 RK 63/93, SoZR 3-2500 § 33 Nr. 13; Neue Zeitschrift für Sozialrecht – NZS – 1995, 412).
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Im Streitfall handelt es sich bei dem Doppelbett um einen einheitlichen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der auch von Gesunden zur Befriedigung ihres Ruhe- und Schlafbedürfnisses genutzt wird. Lediglich das Oberkörperteil, das Ober- und Unterschenkelteil sowie das Nackenteil des motorbetriebenen Einlegerahmens sind verstellbar. Ansonsten sind die Bestandteile des Doppelbettes identisch. Insbesondere ist das vom Kläger genutzte Bett nicht in der Höhe verstellbar. Die bloße Verwendung eines motorbetriebenen Einlegerahmens macht das Bett noch nicht zu einem Hilfsmittel, das ausschließlich von kranken oder behinderten Menschen beansprucht wird. Vielmehr ist das Doppelbett auch äußerlich erkennbar auf Grund der gleichen Höhe der beiden Lattenrostrahmen bis zur Matratzenoberkante ein einheitlicher Gegenstand, der auch von Gesunden als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens genutzt wird.
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Dem formalisierten Nachweisverlangen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 e EStDV ist auch im Streitjahr 2010 zu entsprechen. Denn nach § 84 Abs. 3 f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in allen Fällen, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden (Urteil des BFH vom 19. April 2012 VI R 74/10, a.a.O.). Die hiergegen vom Kläger erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
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Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 ist hinreichend bestimmt und mit § 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) vereinbar. Auch hat sich der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung von § 64 Abs. 1 i.d.F. des StVereinfG 2011 im Rahmen seiner Befugnisse gehalten. Die strenge Formalisierung des Nachweises der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall ist nicht unverhältnismäßig. Auf Grund der Neutralität und Unabhängigkeit des Amts- und Vertrauensarztes ist dieses Nachweisverlangen im steuerlichen Massenverfahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um die nach Artikel 3 Abs. 1 GG gebotene Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber beim Nachweis von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln (im engeren Sinne) auf ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten verzichtet und eine vorherige Verordnung durch den behandelnden Arzt oder Heilpraktiker genügen lässt. Denn insoweit wird verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten Rechnung getragen (Geserich, Finanzrundschau 2011, 1067).
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Auch die in § 84 Abs. 3 f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist – entgegen der Rechtsauffassung des Klägers – verfassungsrechtlich unbedenklich.
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Sie ist von der Ermächtigung des § 33 Abs. 4 i.d.F. des StVereinfG 2011 gedeckt und deshalb gem. Art. 80 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich zulässig. Artikel 80 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber nicht, Ermächtigungen zum Erlass rückwirkender Verordnungen zu erteilen. Dabei reicht es aus, wenn sich die Ermächtigung dazu aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 8. Juni 1977 2 BvR 499/74 sowie 1042/75, Sammlung der Entscheidungen des BVerfG – BVerfGE – 45, 142). Davon ist vorliegend auszugehen. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Anwendungsregelung sicherstellen, dass die vor den Entscheidungen des BFH vom 11. November 2010 VI R 16/09 sowie VI R 17/09 (BStBl II 2011, 966, 969) geübte Rechtspraxis ohne zeitliche Lücke aufrechterhalten wird (Bundestags-Drucksache 17/6146, S. 17). Überdies hat er selbst und nicht der Verordnungsgeber die rückwirkende Geltung des formalisierten Nachweisverlangens gem. § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in Artikel 2 Nr. 9 des StVereinfG 2011 angeordnet (Urteil des BFH vom 19. April 2012 VI R 74/10, a.a.O.).
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§ 84 Abs. 3 f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 verstößt auch im Übrigen nicht gegen Verfassungsrecht. Zwar ist eine echte Rückwirkung, die hier insoweit vorliegt, als die Änderung der EStDV durch das StVereinfG 2011 – wie vorliegend – Veranlagungszeiträume betrifft, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung des StVereinfG 2011 bereits abgeschlossen waren und für die die Steuer bereits entstanden ist (§ 36 Abs. 1 EStG), nach der Rechtsprechung des BVerfG unzulässig (vgl. Beschluss des BVerfG vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2010, 1098). Der von einem Gesetz Betroffene muss grundsätzlich darauf vertrauen können, dass eine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgeanordnung nachteilig verändert wird (vgl. Beschluss des BVerfG vom 22. März 1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343, 353; Urteil des BVerfG vom 27. September 2005 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114, 258, 300).
33
In der Rechtsprechung des BVerfG ist jedoch anerkannt, dass das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot unterbrochen werden kann (vgl. Urteil vom 23. November 1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, 263). So tritt das Rückwirkungsverbot namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil die Rechtslage unklar oder verworren war oder eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Steuerrechtsfrage nach Änderung der Rechtsanwendungspraxis rückwirkend gesetzlich festgeschrieben wird.
34
Hiernach durfte der Verordnungsgeber das formalisierte Nachweisverlangen rückwirkend anordnen. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Urteile des BFH vom 11. November 2010 VI R 16/09 sowie VI R 17/09 (a.a.O.) einer gefestigten Rechtsprechung (Urteile des BFH vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BStBl II 1980, 295; vom 11. Januar 1991 III  R 70/88, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1991, 386 vom 11. Dezember 1987 III R 95/85, BStBl II 1988, 275; vom 9. August 1991 III R 54/90, BStBl II 1991, 920; vom 9. August 2001 III R 6/01, BStBl II 2002, 240; vom 23. Mai 2002 III R 52/99, BStBl II 2002, 592; sowie vom 15. März 2007 III R 28/06, BFH/NV 2007, 1841) und der einheitlichen Praxis der Finanzverwaltung und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis auch auf Seiten der Steuerpflichtigen entsprach. Ein berechtigtes Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage konnten die Steuerpflichtigen, so auch der Kläger, jedenfalls bei einer Anschaffung des Hilfsmittel im Januar 2010, d.h. vor der Rechtsprechungsänderung, nicht bilden.
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Es widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage erfolgt ist, deren Ergebnis er aber für nicht sachgerecht hält. Nicht die Rücksicht auf die rechtsprechende Gewalt und deren Befugnis zur Letztentscheidung über die bestehende Gesetzeslage, sondern nur das sonstige Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte der Steuerpflichtigen, begrenzt hier die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers bei der Bestätigung der alten Rechtspraxis durch entsprechende gesetzliche Klarstellung (Urteil des BFH  vom 19. April 2012 VI R 74/10, a.a.O., m.w.N.).
36
Der Kläger vermag auch nicht mit Erfolg einzuwenden, es sei ihm auf Grund der Dringlichkeit der Anschaffung des Bettes nicht möglich gewesen, den erforderlichen qualifizierten Nachweis zu erbringen. Denn er hätte den Amtsarzt bzw. den Medizinischen Dienst der Krankenkasse um kurzfristige Prüfung der Hilfsmitteleigenschaft des von ihm ausgesuchten Bettes bitten können. Notfalls hätte der Kläger die erforderliche Prüfungszeit durch Nutzung eines Mietbettes überbrücken können.
37
Die zwischen den Beteiligten ebenfalls streitige Frage, ob im Erwerbszeitpunkt des Bettes im Januar 2010 bereits eine entsprechende ärztliche Verordnung vorlag, bedarf demnach keiner Entscheidung mehr.
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Nach alledem ist die Entscheidung des FA, die Aufwendungen nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zuzulassen, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision ist nicht wie hilfsweise beantragt zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Insbesondere sind die hier streitigen Rechtsfragen – wie nachgewiesen – bereits höchstrichterlich geklärt.