BFH-Urteil vom 1.8.1979 (I R 111/78) BStBl. 1980 II S. 77

BFH-Urteil vom 1.8.1979 (I R 111/78) BStBl. 1980 II S. 77

Eine auf Vermietung von Grundbesitz beschränkte Besitz-GmbH kann die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auch dann in Anspruch nehmen, wenn ihre Gesellschafter zugleich die beherrschenden Gesellschafter der Betriebs-GmbH (Mieterin) sind.

GewStG § 9 Nr. 1 Satz 2.

Sachverhalt

 

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, wurde 1966 gegründet. Ursprünglicher Gesellschaftszweck war die Beteiligung als persönlich haftende Gesellschafterin an einer zu gründenden KG, die ihrerseits den Erwerb und den Betrieb von … und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte betreiben sollte. Im Jahre 1969 wurde das Stammkapital der Klägerin erhöht und als ihr Gegenstand nunmehr der Erwerb und die Verwaltung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten, die der Errichtung, Vermietung und Verpachtung von … betrieben einschließlich Nebenbetrieben dienen, bestimmt. Das Stammkapital gehörte seit 4. Oktober 1969 zu je 50 v. H. der A-GmbH, im folgenden A, und der B-Gesellschaft, im folgenden B. Die von B gehaltenen Geschäftsanteile sind mit Vorzugsrechten hinsichtlich der Bestellung von Geschäftsführern und der Gewinnverteilung ausgestattet.

Die Klägerin erwarb 1968 das Erbbaurecht an einem Grundstück, auf dem sie ein … gebäude errichtete, das sie leer durch Vertrag vom 4. Oktober 1969 auf 30 Jahre zum Betrieb von … und sonstigen Nebenbetrieben an die B-GmbH vermietete. An der B-GmbH sind A und B zu je 50 v. H. beteiligt, wobei der B für ihre Geschäftsanteile doppeltes Stimmrecht zusteht.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA -) setzte durch vorläufigen einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheid 1972 den Gewerbesteuermeßbetrag auf 93.515 DM fest. Dabei kürzte das FA die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen nur um 3 v. H. des Einheitswerts des Erbbaurechts an Stelle der von der Klägerin begehrten Kürzung um den Ertrag, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfiel. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es ging davon aus, daß die Klägerin lediglich aufgrund ihrer Rechtsform gewerbesteuerpflichtig sei, weil sie nur von ihr errichtete, leere Gebäude an die B-GmbH vermietet habe und damit nur unbewegliches Vermögen nutze (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes – GewStG -, § 9 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung – GewStDV -). Um eine gewerbliche Tätigkeit der Klägerin annehmen zu können, müßte darauf zurückgegriffen werden, daß die Gesellschafter der Klägerin auch an der B-GmbH wesentlich beteiligt seien und diese Beteiligung herangezogen werde, weil die Klägerin selbst nur eigenen Grundbesitz vermiete. Damit aber würde durch die Klägerin als Kapitalgesellschaft in unzulässiger Weise auf ihre Gesellschafter durchgegriffen. Einen solchen Durchgriff lasse das Gesetz in § 9 Nr. 1 Satz 4 GewStG nur für den Fall zu, daß der Grundbesitz ganz oder zum Teil dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters diene, sich also wenigstens die Beteiligung des Gesellschafters an der Besitzkapitalgesellschaft in einem Betriebsvermögen oder Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters befinde. Dies gelte aber nicht, wenn der Gesellschafter der Besitzkapitalgesellschaft deren Grundbesitz durch eine weitere Kapitalgesellschaft nutzen lasse, an der er nicht nur wesentlich beteiligt sei, sondern die er – wie im Streitfall die Gesellschafter der Klägerin – beherrsche. Denn in diesem Fall diene der Grundbesitz nicht unmittelbar eigengewerblichen Zwecken, sondern diese gewerblichen Zwecke würden erst durch eine weitere Beteiligung an der Betriebskapitalgesellschaft vermittelt, mögen sich diese Beteiligungen auch im Betriebsvermögen der A und der B befinden. Eine gewerbliche Betätigung der Besitzgesellschaft könne nicht auf das Vorliegen einer Betriebsaufspaltung gestützt werden, da die Besitzgesellschaft als solche an der Betriebsgesellschaft nicht beteiligt sei.

In seiner Revision beantragt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Gerügt wird Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Nr. 1 Sätze 1 und 2 GewStG und §§ 1 und 9 GewStDV). Es handele sich im Streitfall um eine sogenannte uneigentliche Betriebsaufspaltung. Eine solche könne auch durch Gründung zweier Kapitalgesellschaften vorgenommen werden. Zwischen Besitz- und Betriebsgesellschaft bestehe eine wirtschaftliche Einheit, da das…grundstück als wesentliche Grundlage des Anlagevermögens der Verpächterin gleichzeitig die betriebsnotwendige Unterlage für das Unternehmen der Betriebskapitalgesellschaft darstelle. Es bestehe eine enge sachliche und personelle Verflechtung. Die hinter den beiden Unternehmen stehenden Personen hätten einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen i. S. des Beschlusses des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. November 1971 GrS 2/71 (BFHE 103, 440, BStBl II 1972, 63). Unzutreffend sei die Ansicht des FG, um eine Doppelgesellschaft annehmen zu können, müßte die Besitzgesellschaft unmittelbar an der Betriebsgesellschaft beteiligt sein. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Beschluß GrS 2/71) genüge es, daß die Gesellschafter, die das Besitzunternehmen beherrschten – und nicht das Besitzunternehmen selbst -, mittels ihrer Beteiligung an der Betriebsgesellschaft in der Lage seien, in dieser ihren Willen durchzusetzen. Nicht erforderlich sei, daß die Besitzgesellschaft als solche unmittelbar am Betriebsunternehmen beteiligt sei. Gerade bei der uneigentlichen Betriebsaufspaltung sei es typisch, daß das Besitzunternehmen nicht direkt am Betriebsunternehmen beteiligt sei. Denn bei dieser Form der Doppelgesellschaft wolle eine Personengruppe durch Gründung von zwei selbständigen Unternehmen ihre gleichgerichteten Interessen zur Verfolgung eines bestimmten wirtschaftlichen Zweckes einsetzen. Gleichartige Sachverhalte aber müßten auch steuerrechtlich gleichbehandelt werden (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26. Juni 1975 IV R 59/73, BFHE 116, 160, BStBl II 1975, 700). Aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsgesellschaft handle es sich um eine besonders qualifizierte Art der Vermietung, die über den Rahmen der reinen Vermögensverwaltung hinausgehe. Wirtschaftlich gesehen bedeute es einen erheblichen Unterschied, ob ein …grundstück an ein fremdes Unternehmen oder an ein Unternehmen im Rahmen einer Doppelgesellschaft vermietet werde.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

 

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Vorentscheidung ist frei von Rechtsirrtum. Zutreffend hat das FG als entscheidend angesehen, daß es sich bei der Klägerin um eine Kapitalgesellschaft und nicht um ein Personenunternehmen handelt. Zu den Einwendungen der Revision bemerkt der Senat das Folgende.

a) Für die Auslegung der Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ist auszugehen von dem ursprünglichen Zweck der Vorschrift, Grundstücksunternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft entsprechenden – gewerbesteuerfreien – Personenunternehmen gleichzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 27. April 1977 I R 214/75, BFHE 122, 531, BStBl II 1977, 776, mit weiteren Rechtsprechungsangaben). Personenunternehmen, die nur die in der Kürzungsvorschrift als Haupttätigkeit genannte Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes betreiben, sind grundsätzlich nicht gewerbesteuerpflichtig, weil es sich um keine gewerbliche Tätigkeit handelt. Es liegt insoweit eine reine Vermögensverwaltung nach § 9 GewStDV vor. Der Sinn dieser Vorschrift ist also, solche Unternehmen zu begünstigen, die nach der Art ihrer Tätigkeit nicht gewerbesteuerpflichtig wären und die es nur aufgrund ihrer Rechtsform sind. Ein Grundstücksunternehmen in diesem Sinne liegt dann vor, wenn die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes als solche keine gewerbliche Tätigkeit bildet, d. h. für sich betrachtet den Rahmen einer Vermögensverwaltung nicht überschreitet.

b) Bloße Vermögensverwaltung ist vor allem dann nicht mehr gegeben, wenn es sich bei dem Grundstücksunternehmen um eine Besitzgesellschaft mit qualifizierter Vermietungs- oder Verpachtungstätigkeit im Rahmen einer echten oder unechten Betriebsaufspaltung handelt (vgl. BFH-Urteile vom 29. März 1973 I R 174/72, BFHE 109, 456, BStBl II 1973, 686; vom 28. Juni 1973 IV R 97/72, BFHE 109, 459, BStBl II 1973, 688). Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH übt die sogenannte Besitzgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung vermöge ihrer engen personellen und sachlichen Verflechtung mit der Betriebskapitalgesellschaft eine gewerbliche Tätigkeit aus, weil die Besitzgesellschaft in diesem Falle durch ihre Vermietungs- oder Verpachtungstätigkeit über die Betriebsgesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt (vgl. Beschluß GrS 2/71; Urteil vom 29. Juli 1976 IV R 145/72, BFHE 119, 462, BStBl II 1976, 750, mit Rechtsprechungsübersicht). Der Große Senat hält es nach der angeführten Entscheidung für ausschlaggebend, ob die hinter den beiden Unternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben. Denn darin unterscheidet sich bei einer Betriebsaufspaltung die Tätigkeit des Besitzunternehmens von der Tätigkeit eines bloßen Vermieters. Dieser einheitliche geschäftliche Betätigungswille tritt am klarsten zutage, wenn an beiden Unternehmen dieselben Personen im gleichen Verhältnis beteiligt sind. Nach Auffassung des Großen Senats genügt es allerdings schon, daß die Person oder die Personen, die das Besitzunternehmen tatsächlich beherrschen, in der Lage sind, auch in der Betriebsgesellschaft ihren willen durchzusetzen. Auch in diesem Falle stellt die Vermietung oder Verpachtung der wesentlichen Betriebsanlagen in Verbindung mit der Beherrschung der Betriebsgesellschaft die Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit des Besitzunternehmens dar.

Nach diesen Grundsätzen kommt es, wie das FA mit Recht bemerkt, für die Annahme einer Betriebsaufspaltung mit gewerblicher Tätigkeit der Besitzgesellschaft nicht darauf an, ob sich die Anteile an der Betriebs-GmbH im Betriebsvermögen der Besitzgesellschaft – in der Rechtsform einer Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) – befinden. Werden die Anteile von den Gesellschaftern in ihrem Vermögen gehalten, so sind sie nach ständiger Rechtsprechung als notwendiges Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter im Rahmen der Mitunternehmerschaft zu behandeln (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 1960 I 131/59 S, BFHE 71, 706, BStBl III 1960, 513; vom 14. November 1969 III 218/65, BFHE 98, 189, BStBl II 1970, 302; zum Begriff des Sonderbetriebsvermögens wird verwiesen auf BFH-Urteil vom 15. Oktober 1975 I R 16/73, BFHE 117, 164, BStBl II 1976, 188, und die dort angeführten Entscheidungen). Für eine solche Zuordnung der Anteile ist jedoch kein Raum, wenn es sich bei dem Besitzunternehmen nicht um eine Mitunternehmerschaft, sondern um eine Kapitalgesellschaft handelt. Nur bei Vorliegen einer Mitunternehmerschaft besteht eine gesetzliche Grundlage für eine von der zivilrechtlichen Rechtslage absehende besondere steuerrechtliche Zuordnung (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 18. Juli 1979 I R 199/75, BFHE 128, 516, BStBl II 1979, 750).

c) Die Grundsätze der Entscheidung GrS 2/71, nach welcher es für die Annahme einer gewerblichen Betätigung des Besitzunternehmens genügt, wenn die hinter den beiden Unternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben und aufgrund des gegebenen Beherrschungsverhältnisses in der Lage sind, ihren Willen auch in der Betriebsgesellschaft durchzusetzen, betreffen, wie sich schon aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, nur solche Fälle der sogenannten unechten Betriebsaufspaltung, bei denen Besitzgesellschaft eine Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) ist. Für Kapitalgesellschaften als Besitzunternehmen gelten sie grundsätzlich nicht. Denn der Besitz-GmbH können weder, wie ausgeführt, die von ihren Gesellschaftern gehaltenen Anteile an der Betriebs-GmbH noch die mit diesem Anteilsbesitz verbundene Beherrschungsfunktion zugerechnet werden, da es sich um verschiedene Rechtsträger handelt. Eine solche Zurechnung würde einen unzulässigen steuerrechtlichen Durchgriff auf die hinter der Besitzkapitalgesellschaft stehenden Personen bedeuten (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 24. Januar 1962 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331 [340 f.], BStBl I 1962, 500).

d) Es bedürfte deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift, welche bewirkte, daß die Beherrschung der Betriebskapitalgesellschaft durch die Gesellschafter der Besitzkapitalgesellschaft die Anwendung der Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ausschlösse. Eine solche Vorschrift stellte § 9 Nr. 1 Satz 4 GewStG i. d. F. vor der Änderung durch das aufgrund der BVerfG-Entscheidung 1 BvR 845/58 ergangene Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes vom 30. Juli 1963 (BGBl I 1963, 563, BStBl I 1963, 557) dar. Nach jener früheren Fassung war die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nicht zu gewähren, wenn der Grundbesitz einem Unternehmen diente, an welchem ein Gesellschafter wesentlich beteiligt war. Eine solche Durchgriffsmöglichkeit gewährt das Gesetz nicht mehr.

2. Die Revision könnte deshalb nur dann Erfolg haben, wenn die Sache so läge, daß die Klägerin die von ihren Gesellschaftern wahrgenommene Beherrschungsfunktion tatsächlich selbst ausgeübt hätte. Für die Annahme einer solchen tatsächlichen Machtstellung (vgl. dazu BFH-Urteil IV R 145/72) hätte es unter den Umständen des Streitfalles eines entsprechenden Vertragsverhältnisses zwischen der Klägerin und ihren Gesellschaftern bedurft. Das FG hat das Vorliegen einer solchen besonderen Beziehung und einer aufgrund ihrer ausgeübten zusätzlichen Tätigkeit nicht festgestellt und das FA hat sie nicht behauptet. Es spricht auch nichts dafür, daß die Klägerin zugleich die geschäftliche Oberleitung der Betriebs-GmbH innegehabt habe. Die vom FG getroffenen Feststellungen lassen vielmehr den Schluß zu, daß die Betriebs-GmbH mittels der hierfür gesondert geregelten Stimmenmehrheit von 2 : 1 unmittelbar von der Kapitalgesellschaft B beherrscht wurde.

Aus alledem ergibt sich, daß die Klägerin als Besitzgesellschaft tatsächlich auf bloße Vermietungstätigkeit beschränkt war.