Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit bei Zwangsversteigerung eines Grundstücks durch einen absonderungsberechtigten Grundpfandgläubiger

Urteil vom 07. Juli 2020, X R 13/19

ECLI:DE:BFH:2020:U.070720.XR13.19.0

BFH X. Senat

InsO § 55 Abs 1 Nr 1 , EStG § 2 Abs 1 , EStG VZ 2017

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 14. März 2019, Az: 4 K 1005/18

Leitsätze

1. Wird ein zur Insolvenzmasse gehörendes und mit einem Absonderungsrecht belastetes Betriebsgrundstück nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers ohne Zutun des Insolvenzverwalters versteigert und hierdurch –infolge Aufdeckung stiller Reserven– ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn ausgelöst, ist die auf den Gewinn entfallende Einkommensteuer eine „in anderer Weise“ durch die Verwaltung bzw. Verwertung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit.

2. Die Massezugehörigkeit des Vermögensgegenstandes sowie dessen fehlende Freigabe durch den Insolvenzverwalter stellen die entscheidenden Wertungsmomente für die Annahme von Masseverbindlichkeiten dar.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 14.03.2019 – 4 K 1005/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Mit Wirkung vom 26.10.2015 wurde über das Vermögen der Frau S (Insolvenzschuldnerin) das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet und der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zum Insolvenzverwalter bestellt.
  2. Vor Verfahrenseröffnung war die Insolvenzschuldnerin Eigentümerin des Grundstücks H in B, auf dem sich die Gaststätte „K“ befand. Diese war früher von ihr selbst betrieben worden. Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung war der Betrieb eingestellt; die Räumlichkeiten standen leer und waren nicht verpachtet.
  3. Mit Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts vom 20.01.2017 wurde das Grundstück im Rahmen einer Zwangsversteigerung auf Betreiben der finanzierenden und durch eine Grundschuld über 240.000 € im 1. Rang gesicherten Gläubigerin, der V, für ein Bargebot in Höhe von 133.000 € veräußert.
  4. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) ermittelte den Buchwert des Grund und Bodens sowie des Gebäudes zum 20.01.2017 mit 124.067 €, so dass sich ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 8.933 € ergab.
  5. Da das FA die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer in vollem Umfang als Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 der Insolvenzordnung (InsO) ansah, setzte es mit dem an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichteten Vorauszahlungsbescheid für das Streitjahr 2017 Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer in Höhe von 468 € fest.
  6. Mit seiner nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Versteigerung des Grundvermögens sei allein auf Betreiben der Gläubigerbank aufgrund ihres bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehenden Grundpfandrechts ohne seine Beteiligung und ohne seine Zustimmung erfolgt. Das Versteigerungsverfahren habe sich außerhalb der Verwertungsbefugnisse des Insolvenzverwalters nach § 165 InsO bewegt. Er sei dem Verfahren nicht beigetreten, so dass mangels Verwertungshandlung i.S. des § 55 InsO keine Masseverbindlichkeit habe begründet werden können. Dritte könnten keinen steuerauslösenden Besteuerungstatbestand verwirklichen und nicht nach ihrem Ermessen Verbindlichkeiten zulasten der Masse begründen, zumal der Erlös aus dem Zwangsversteigerungsverfahren in voller Höhe der betreibenden Gläubigerin zugeflossen und die Insolvenzmasse daher nicht vermehrt worden sei. Gerade im Hinblick auf die weiteren beteiligten Gläubiger sei die Masse vor Kosten zu schützen, denen keine Vorteile gegenüberstünden.
  7. Die Klage wies das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1114 veröffentlichtem Urteil ab: Das durch Zuschlag veräußerte Grundstück sei bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Betriebsvermögen der Insolvenzschuldnerin zur Insolvenzmasse gelangt. Dass dieses Wirtschaftsgut auf Betreiben eines absonderungsberechtigten Insolvenzgläubigers und nicht vom Kläger selbst versteigert worden sei, stehe einer Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht entgegen. Der Kläger habe von der anstehenden Versteigerung gewusst und diese geduldet. Insbesondere habe er von der Möglichkeit, das Grundstück zur Vermeidung von Masseverbindlichkeiten aus dem Insolvenzbeschlag freizugeben, keinen Gebrauch gemacht. Mit seiner Zuordnungsentscheidung, das Grundstück weiterhin in der Insolvenzmasse zu belassen, habe er –im Hinblick auf den Massebezug des steuerauslösenden Vermögensgegenstandes– konkludent eine Verwaltungsmaßnahme „in anderer Weise“ gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO getroffen. Die Auffassung, dass bei einer Verwertung von Vermögensgegenständen mit Absonderungsrechten stets eine Verwertungshandlung durch den Insolvenzverwalter selbst, verbunden mit einem zur Masse gelangenden Mehrerlös, erforderlich sei, widerspreche hinsichtlich der Notwendigkeit eines Massezuflusses der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und werde im Übrigen dem größeren Handlungsspielraum des Insolvenzverwalters nach der InsO im Vergleich zum Konkursverwalter unter Geltung der Konkursordnung (KO) nicht gerecht. Das vom Kläger angeführte BFH-Urteil vom 14.02.1978 – VIII R 28/73 (BFHE 124, 411, BStBl II 1978, 356), welches die Entstehung von Masseansprüchen verneine, sei unter Geltung der KO ergangen und habe sich auf den Sonderfall bezogen, dass ein absonderungsberechtigter Gläubiger die bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens eingeleitete Zwangsversteigerung eines Grundstücks des Gemeinschuldners weiter betrieben habe, so dass der Konkursverwalter nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Verwertung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger zu verhindern bzw. durch eine eigene Verwertungshandlung zu ersetzen. Dieser Sachverhalt sei hier aber nicht gegeben.
  8. Mit seiner Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 55 InsO geltend. Die Ansicht des FG, dass die Zwangsversteigerung einer massezugehörigen Immobilie, die ausschließlich auf Betreiben der absonderungsberechtigten Bank erfolge, gleichzeitig auch als eine Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu werten sei, die ihrerseits Masseverbindlichkeiten auslöse, sei vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt. Denn der Status des belasteten Grundstücks, das bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehört habe, habe sich bis zur Versteigerung nicht verändert. Nach dem BFH-Urteil vom 16.05.2013 – IV R 23/11 (BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759) komme es darauf an, wann und durch wen der steuerauslösende (unselbständige) Besteuerungstatbestand verwirklicht worden sei. In jenem Verfahren sei eine freihändige Veräußerung zu beurteilen gewesen, so dass Anknüpfungspunkt für die Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes eine Handlung des Insolvenzverwalters gewesen sei. Das bloße Belassen in der Masse sei damit nicht vergleichbar. Dies könne auch nicht aus der vom FG angeführten „Duldung“ der Zwangsversteigerung durch den Kläger als Insolvenzverwalter hergeleitet werden. Nichts anderes gelte im Hinblick auf die vom FG angesprochene Freigabe. Es gebe ein schutzwürdiges Interesse an dem Belassen eines mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstandes in der Masse. Ein Versteigerungstermin führe nicht zwangsläufig zu einem Zuschlag im Termin. Verbleibe der Gegenstand in der Masse, stehe dem Insolvenzverwalter wieder die freihändige Veräußerung oder eine anderweitige Verwertungsmöglichkeit in Absprache mit den absonderungsberechtigten Gläubigern als Instrument der Massemehrung zur Verfügung. Würde die Nicht-Freigabe vor einem Versteigerungstermin stets als Verwertungshandlung gewertet, wäre dies in der künftigen Praxis der Insolvenzverwaltung nur schwer umzusetzen. Im Übrigen gehörten nur solche Gegenstände zur Insolvenzmasse, die für die Masse verwertbar seien (Vermögenswert-Erfordernis). Im Streitfall habe der Insolvenzmasse kein solcher Vermögenswert zur Verfügung gestanden. Aufgrund bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetragener und noch valutierender Grundschulden habe das in Rede stehende Grundstück wertmäßig gerade nicht als Haftungsmasse für alle Gläubiger zur Verfügung gestanden. Diese Immobilie könne gleichsam als durch Belastungen wirtschaftlich verbraucht angesehen werden, gleich einem vollständig zerstörten oder nicht mehr existenten Gegenstand. Dieses Ergebnis habe sich in der Zwangsversteigerung bestätigt.
  9. Der Kläger beantragt sinngemäß,
    das angefochtene Urteil den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für 2017 vom 24.02.2017 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 04.12.2017 aufzuheben.
  10. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
  2. Zu Recht hat das FA die Einkommensteuer, soweit sie auf den Gewinn der Insolvenzschuldnerin aus der Veräußerung des Betriebsgrundstücks entfällt, in dem angefochtenen Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für 2017 vom 24.02.2017 als gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter festzusetzende Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO erfasst.
  3. 1. Entscheidend für die Qualifikation der Einkommensteuerschulden als Masseverbindlichkeiten ist im Streitfall –§ 55 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 InsO sind offensichtlich nicht einschlägig–, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegeben sind. Danach sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Vorliegend sind die Tatbestandsmerkmale des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO erfüllt.
  4. a) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG handelte es sich bei dem in Rede stehenden Gaststättengrundstück der Insolvenzschuldnerin um Betriebsvermögen, das in die Insolvenzmasse fiel.
  5. aa) Gemäß § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Vorliegend stand das Betriebsgrundstück bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 26.10.2015 im Eigentum der Insolvenzschuldnerin und wurde damit Bestandteil der Insolvenzmasse. Der Umstand, dass es mit einer Grundschuld zugunsten der V belastet war, ändert an der Massezugehörigkeit nichts. Denn durch ein Absonderungsrecht gemäß §§ 49 ff. InsO kann lediglich die vorrangige Befriedigung aus bestimmten Gegenständen, welche zur Haftungsmasse des Schuldners gehören, beansprucht werden (vgl. Fehst/Engels, in Sonnleitner, Insolvenzsteuerrecht, 2017, Kap. 2 Rz 81).
  6. bb) Dieser Wertung steht das vom Kläger angeführte „Vermögenswert-Erfordernis“ nicht entgegen.
  7. (1) Der Kläger macht geltend, im Streitfall habe kein Vermögenswert der Insolvenzmasse zur Verfügung gestanden, da die Immobilie im Hinblick auf die ihren Wert übersteigenden Belastungen wirtschaftlich verbraucht gewesen sei, und beruft sich insoweit auf das BFH-Urteil vom 21.03.2019 – III R 30/18 (BFHE 264, 106). In dieser Entscheidung hat der III. Senat des BFH ausgeführt, dass die Verwertbarkeit des Gegenstands für die Feststellung der Massezugehörigkeit keine Rolle spiele und daher auch wertlose Gegenstände als Vermögensgegenstände zur Insolvenzmasse gehörten. Sei der Gegenstand hingegen verbraucht oder veräußert, so sei er dem Gläubigerzugriff –vorbehaltlich der Gläubigeranfechtung– entzogen. Dasselbe gelte, wenn die Sache vollständig zerstört und nicht mehr existent sei, da sie dann keine Haftungsfunktion mehr erfüllen könne (Rz 14). Vor diesem Hintergrund hat der III. Senat des BFH in jenem Verfahren die rechtliche Würdigung der Vorinstanz bestätigt, die Kraftfahrzeugsteuer für das bei Insolvenzeröffnung bereits völlig zerstörte und physisch nicht mehr existente Fahrzeug sei keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Rz 15 f.).
  8. (2) Entgegen der Auffassung des Klägers sind die vorstehenden Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Streitfall nicht übertragbar.
  9. Denn das Gaststättengrundstück der Insolvenzschuldnerin war nicht wirtschaftlich –durch Aufhebung der Nutzungsmöglichkeiten– verbraucht, veräußert oder untergegangen. Vielmehr stellte es einen vorhandenen erheblichen Vermögenswert dar, wie der erzielte Veräußerungspreis in Höhe von 133.000 € zeigt. Dem Grundstück kann daher nicht generell seine Haftungsfunktion abgesprochen werden, auch wenn im konkreten Fall der Wert des Grundvermögens nicht zur vollständigen Begleichung der valutierenden Grundschulden ausgereicht hat.
  10. (3) Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung der weiteren Argumentation des Klägers. Bereits sein eigenes Verhalten belegt, dass dem Grundstück eine Funktion als Haftungsmasse zukam. Der Kläger hat sich nie dahingehend geäußert, dass die Immobilie mangels Eigenschaft als Vermögenswert nicht zur Insolvenzmasse gehöre. Er hat die Immobilie angesichts einer möglichen Veräußerung im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens und einer möglichen Belastung der Insolvenzmasse mit Einkommensteuer trotz deren angeblicher Wertlosigkeit auch nicht freigegeben. Vielmehr hat er Gründe angeführt, die gegen eine Freigabe derartiger Gegenstände durch den Insolvenzverwalter sprächen; er geht also selbst von einer Massezugehörigkeit aus. In diesem Zusammenhang hat er insbesondere erläutert, eine Freigabe könne nicht voreilig erfolgen, da ein vom absonderungsberechtigten Gläubiger veranlasster Versteigerungstermin nicht zwangsläufig mit einem Zuschlag ende und nachfolgend wieder Verwertungsmöglichkeiten durch den Insolvenzverwalter bestünden, beispielsweise die freihändige Veräußerung in Absprache mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger „als Instrument der Massemehrung“ zur Verfügung stehe. Die insoweit vom Kläger angesprochene freihändige Verwertung lässt Kostenbeiträge für die Masse erwarten (vgl. MüKoInsO/Peters, 4. Aufl., § 35 Rz 105; MüKoInsO/Kern, a.a.O, § 165 Rz 174). Auch angesichts dessen kann dem Betriebsgrundstück der Insolvenzschuldnerin die Bedeutung als Haftungsmasse nicht abgesprochen werden.
  11. b) Die auf den Veräußerungsgewinn des Insolvenzschuldners entfallende Einkommensteuer erfüllte –was die Zuordnung zu den insolvenzrechtlichen Forderungskategorien betrifft– die Voraussetzungen für die Annahme einer Masseverbindlichkeit.
  12. aa) Im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits begründete Steueransprüche sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Nach Insolvenzeröffnung begründete Steueransprüche, die als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO zu qualifizieren sind, sind gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.07.2015 – III R 32/13, BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251, Rz 19). Alle sonstigen Ansprüche sind insolvenzfrei. Die einheitliche Einkommensteuerschuld ist gegebenenfalls in eine Insolvenzforderung, eine Masseforderung und eine insolvenzfreie Forderung aufzuteilen (vgl. Senatsurteil vom 18.05.2010 – X R 60/08, BFHE 229, 62, BStBl II 2011, 429, Rz 35). Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Entscheidend ist dabei, ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit die Steuerforderung insolvenzrechtlich begründet worden ist. Dies richtet sich allein nach steuerrechtlichen Grundsätzen (ständige Rechtsprechung, so bereits BFH-Urteile vom 16.11.2004 – VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193, unter II.2.; vom 29.08.2007 – IX R 4/07, BFHE 218, 435, BStBl II 2010, 145, unter III.2.b dd (1), m.w.N., sowie in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, Rz 19). Für die insolvenzrechtliche Begründung des Einkommensteueranspruchs kommt es deshalb darauf an, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand –insbesondere die Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)– vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Entscheidend ist, wann der Tatbestand, an den die Besteuerung knüpft, vollständig verwirklicht ist (so bereits BFH-Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, Rz 19). Auf die steuerrechtliche Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (z.B. § 38 der Abgabenordnung i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG) und deren Fälligkeit kommt es dagegen nicht an (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 09.12.2014 – X R 12/12, BFHE 253, 482, BStBl II 2016, 852, Rz 26).
  13. bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das FA zu Recht die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuerschuld der Kategorie der Masseverbindlichkeit zugeordnet und dementsprechend gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter durch Vorauszahlungsbescheid festgesetzt (vgl. FG München, Urteil vom 27.07.2011 – 1 K 2410/08, EFG 2012, 71, Rz 27; FG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2016 – 11 K 613/13 E, EFG 2016, 1906, Rz 37). Im Streitfall ist nämlich der in Rede stehende Besteuerungstatbestand –Einkünfte aus Gewerbebetrieb durch Veräußerung des zum Betriebsvermögen der Insolvenzschuldnerin gehörenden Grundstücks (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG)– nach Insolvenzeröffnung verwirklicht worden.
  14. Zwar ist vorliegend der Besteuerungstatbestand nicht durch eine Veräußerung seitens des Insolvenzverwalters selbst, sondern durch das Verhalten eines absonderungsberechtigten Insolvenzgläubigers ausgelöst worden, der ein –im Laufe des Insolvenzverfahrens beantragtes– Zwangsversteigerungsverfahren betrieb. Erst mit dem Zuschlag endete aber die Zugehörigkeit des Grundstücks zum Betriebsvermögen. Durch diesen Vorgang wurden stille Reserven aufgedeckt. Auch wenn diese schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden waren (vgl. BFH-Beschluss vom 27.10.2016 – IV B 119/15, BFH/NV 2017, 320, Rz 7), scheidet die Annahme eines bereits vor Insolvenzeröffnung begründeten Steueranspruchs aus. Vielmehr ist angesichts des Zeitpunkts der Gewinnrealisierung aufgrund der Veräußerung des zur Masse gehörenden Grundvermögens –vorbehaltlich der nachfolgenden Prüfung– bei der hierauf entfallenden Einkommensteuer von einer Masseverbindlichkeit auszugehen.
  15. c) Die Einkommensteuerschulden betreffend die gewerblichen Einkünfte aus der Veräußerung des Betriebsgrundstücks sind –als weitere Voraussetzung für die Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO– „in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse“ begründet worden; sie gehören nicht zu den Kosten des Insolvenzverfahrens gemäß § 54 InsO.
  16. aa) Nach der Rechtsprechung des IV. Senats des BFH ist die aus der Veräußerung eines zur Insolvenzmasse gehörenden Betriebsgrundstücks resultierende Einkommensteuer, die auf der freihändigen Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters beruht, als sonstige Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren (vgl. BFH-Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, Rz 22). Die Anknüpfung der Besteuerung an die „Realisationshandlung“ gilt uneingeschränkt auch dann, wenn sie nicht der Steuerpflichtige selbst, sondern der Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Verwaltungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO vorgenommen hat. Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn durch die Veräußerung nach Insolvenzeröffnung stille Reserven aufgedeckt werden, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind (Rz 23 f.). Die Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn ist auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit, wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet gewesen ist und –nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös– der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen (Rz 29; vgl. auch Senatsurteile in BFHE 253, 482, BStBl II 2016, 852, Rz 46, und vom 03.08.2016 – X R 25/14, BFH/NV 2017, 317, Rz 33).
  17. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, die zur Beteiligung des Insolvenzschuldners an einer Personengesellschaft ergangen ist, werden Masseverbindlichkeiten „in anderer Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse“ begründet, wenn die Entstehung der Steuerverbindlichkeit ihre Ursache in der zur Masse gehörenden Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Personengesellschaft und der daraus entstehenden Teilhabe an deren Ergebnissen hat (vgl. Urteil in BFHE 229, 62, BStBl II 2011, 429, Rz 41 f.). An dieser Rechtsprechung hat er in seinem Urteil vom 10.07.2019 – X R 31/16 (BFHE 265, 300) –für den vergleichbaren Fall einer (treuhänderischen) Beteiligung an einer Personengesellschaft– festgehalten und betont, dass es insoweit keiner –über die allgemeine Verwaltung der Insolvenzmasse (bzw. der ihr zugehörenden Wirtschaftsgüter) hinausgehenden– besonderen Verwaltungsmaßnahme bedürfe (Rz 47). Da die (treuhänderische) Beteiligung an der Personengesellschaft in der Insolvenzmasse gebunden sei, könne der (anteilige) Gewinn aus der Personengesellschaft aufgrund der Regelung des § 80 Abs. 1 InsO grundsätzlich nicht dem Insolvenzschuldner (in dessen insolvenzfreies Vermögen) zufließen. Gleichwohl würde der Insolvenzschuldner –verneinte man Masseverbindlichkeiten– mit der hierauf entfallenden Einkommensteuer belastet. Dieses Ergebnis erscheine nicht sachgerecht (Rz 53). Regelmäßig sei ein Gleichklang zwischen der Massezugehörigkeit und der damit einhergehenden Steuerbelastung herzustellen. Die Entrichtungspflicht des Insolvenzverwalters für die anteilige Einkommensteuer ordne die Steuerlast derjenigen Vermögensmasse zu, in deren Bereich sie entstanden sei (Rz 53). Der Insolvenzverwalter könne daher die Zuordnung der entstandenen Einkommensteuer nicht in einem Schwebezustand halten, indem er weder die Freigabe erkläre noch eine ausdrückliche Verwaltungshandlung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO vornehme. Vielmehr müsse er die aus der weiteren Massezugehörigkeit der (treuhänderischen) Beteiligung an einer Personengesellschaft erwachsene Einkommensteuer als Verbindlichkeit gegen die Masse gelten lassen und hinnehmen (Rz 55).
  18. bb) Diese Rechtsgrundsätze gelten sinngemäß auch für den hier gegebenen Fall, dass ein zur Insolvenzmasse gehörendes und mit einem Absonderungsrecht belastetes Betriebsgrundstück nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers ohne Zutun des Insolvenzverwalters versteigert und hierdurch –infolge Aufdeckung stiller Reserven– ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn des Insolvenzschuldners entsteht, ohne dass ein Teil des Veräußerungserlöses zur Masse gelangt. Demzufolge ist die auf den Gewinn aus der Versteigerung des Gaststättengrundstücks der Insolvenzschuldnerin entfallende Einkommensteuer eine „in anderer Weise“ durch die Verwaltung bzw. Verwertung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit.
  19. (1) Dem Kläger ist zuzugeben, dass der IV. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759 für das insolvenzrechtliche „Begründetsein“ u.a. darauf abstellt, „durch wen“ der steuerauslösende (unselbständige) Besteuerungstatbestand i.S. des § 2 Abs. 1 EStG (vollständig) verwirklicht worden ist (Rz 23).
  20. Der Kontext dieser Urteilspassage lässt allerdings erkennen, dass der IV. Senat des BFH mit seiner Aussage lediglich der nachfolgend (Rz 24) von ihm erörterten Auffassung im insolvenzrechtlichen Schrifttum entgegentreten wollte, die aus der Aufdeckung stiller Reserven resultierende Einkommensteuer sei nur insoweit als sonstige Masseverbindlichkeit zu qualifizieren, als die stillen Reserven nach Insolvenzeröffnung entstanden seien, im Übrigen handle es sich um Insolvenzforderungen. Angesichts dessen macht der IV. Senat deutlich, dass die vollständige Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes als maßgeblicher Zeitpunkt für die Abgrenzung (zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit) anzusehen sei und die Anknüpfung der Besteuerung an die „Realisationshandlung“ uneingeschränkt auch dann gelte, wenn sie nicht der Steuerpflichtige selbst, sondern der Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Verwaltungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO vorgenommen habe (Rz 23). Dies soll erklären, dass die Realisationshandlung auch durch den Insolvenzverwalter erfolgen kann.
  21. Entgegen der Auffassung des Klägers ist mit der Benennung des Steuerpflichtigen und des Insolvenzverwalters in dem vorstehend genannten BFH-Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759 keine abschließende Aufzählung derjenigen Personen verbunden, durch deren Verhalten der Besteuerungstatbestand vollständig verwirklicht werden kann. Dies zeigt der vorliegende Fall. So ist es –wie oben dargelegt– (vgl. unter II.1.b bb) zur Gewinnrealisation erst durch die Veräußerung des Betriebsgrundstücks infolge Zuschlags gekommen. Da dies der maßgebliche Zeitpunkt für die Abgrenzung ist, scheidet eine Zuordnung der hieraus resultierenden Einkommensteuer zu der insolvenzrechtlichen Kategorie der Insolvenzforderung aus (a.A. Gottwald/Frotscher, Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015, § 42, Rz 222, für den Fall, dass der Absonderungsberechtigte zugleich Insolvenzgläubiger ist). Solches vertritt im Übrigen auch der Kläger nicht.
  22. (2) Kann vorliegend die streitige Zuordnung der Einkommensteuer zu den Masseverbindlichkeiten nicht an der Person des Handelnden festgemacht werden, da der absonderungsberechtigte Gläubiger (auch) nicht dem Bereich des Insolvenzverwalters zuzurechnen ist, sondern die Stellung eines Dritten einnimmt, so bleibt als Anknüpfungspunkt allein der Umstand bestehen, dass der Vermögensgegenstand bis zur Verwertung mit Willen des Insolvenzverwalters Teil der Insolvenzmasse gewesen ist.
  23. Dementsprechend hat der Senat in seiner oben dargestellten Rechtsprechung die –hier gegebene– Massezugehörigkeit des Vermögensgegenstandes sowie dessen fehlende Freigabe durch den Insolvenzverwalter als entscheidende Wertungsmomente angesehen. Das FG hat daher im Streitfall zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger das Gaststättengrundstück bis zum Versteigerungstermin nicht freigegeben hatte.
  24. (a) Wie bereits unter der KO anerkannt, kann der Insolvenzverwalter einzelne Gegenstände oder Rechte aus der Insolvenzmasse freigeben. Auch wenn diese Möglichkeit in der Insolvenzordnung keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat, wird sie in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO vorausgesetzt und gilt als zulässig (vgl. Fehst/Engels, a.a.O., Kap. 2 Rz 74). Bei der echten Freigabe wird der Gegenstand aus dem Insolvenzbeschlag gelöst und der Schuldner erlangt die Verfügungsmacht über ihn zurück. Die echte Freigabe kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Kosten für die Verwaltung und Verwertung des Gegenstandes den voraussichtlichen Verwertungserlös übersteigen werden (vgl. MüKoInsO/Peters, a.a.O., § 35 Rz 99).
  25. (b) Unter Berücksichtigung dessen werden bei einer Freigabe die Interessen des Insolvenzverwalters hinreichend gewahrt. Für diesen ist regelmäßig frühzeitig absehbar, ob ein Gegenstand für die Masse belastend und daher freizugeben ist (vgl. Debus/Hackl, EWiR 2019, 535, 536).
  26. Der Senat braucht vorliegend nicht zu entscheiden, ob etwas anderes gelten könnte, wenn der dem Insolvenzverwalter von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Zwangsversteigerungstermin zur Verfügung stehende Zeitraum nicht ausreichend wäre, um sämtliche für die Entscheidung zur Freigabe relevanten Daten zu ermitteln und zu bewerten. Im Streitfall lagen zwischen Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 26.10.2015 und dem Zuschlagbeschluss am 20.01.2017 mehr als zwölf Monate, so dass der Kläger genügend Zeit für eine tatsachenbasierte Entscheidung zur Freigabe des Gaststättengrundstücks aus der Insolvenzmasse hatte. Er hat auch nicht vorgebracht, er sei diesbezüglich –aufgrund zeitlicher Einschränkungen– vor dem Zwangsversteigerungstermin nicht in der Lage gewesen, sich über die maßgeblichen Verhältnisse kundig zu machen oder Versuche einvernehmlicher Verwertungslösungen zu unternehmen. Entsprechendes gilt für die –im Streitfall nicht geplante– Einbeziehung des Grundstücks in ein Insolvenzplanverfahren; insoweit hätte zudem die Möglichkeit zur einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung gemäß § 30d Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) bestanden.
  27. (c) Im Übrigen musste der Kläger in Erwägung ziehen, dass bei Nicht-Freigabe des Betriebsgrundstücks möglicherweise Masseverbindlichkeiten entstehen könnten, auch wenn zum Zeitpunkt seiner Zuordnungsentscheidung vor dem Zuschlagsbeschluss noch keine gerichtliche Entscheidung zu dem hier gegebenen Sachverhalt vorlag. Mit dem BFH-Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759 hatte sich die höchstrichterliche Rechtsprechung grundlegend geändert. In dieser Entscheidung hatte der IV. Senat selbst erwogen, die Änderung der bisherigen Rechtsprechung könne die praktische Folge nach sich ziehen, dass der Verwalter künftig von der Möglichkeit der Freigabe des belasteten Gegenstands Gebrauch machen werde, um die Masse nicht mit aus Steueransprüchen resultierenden Masseverbindlichkeiten zu belasten (Rz 36). Dementsprechend gab es in der Folgezeit Stimmen in der Literatur, die eine Freigabe zur Vermeidung von Masseverbindlichkeiten nahelegten und auch keine Verpflichtung des Insolvenzverwalters annahmen, die Verwertung durch einen Grundpfandgläubiger abzuwarten, wenn der Grundbesitz –wie vorliegend– über den Verkehrswert hinaus belastet war (vgl. K. Schmidt InsO/Sinz, 19. Aufl. 2016, InsO, § 165, Rz 34).
  28. (3) Entgegen der Auffassung des Klägers geht die vom FG –in Übereinstimmung mit den vom BFH entwickelten Rechtsgrundsätzen– vorgenommene Auslegung nicht über den Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO hinaus. Im Unterschied zu den „durch Handlungen des Insolvenzverwalters“ begründeten Masseverbindlichkeiten (Halbsatz 1) können solche auch ohne aktive Maßnahme des Insolvenzverwalters „in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet“ werden (Halbsatz 2). Vorliegend handelt es sich um die Verwertung von Insolvenzmasse, die ebenfalls vom eindeutigen Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO gedeckt wird. Würde man auch für die zweite Alternative eine aktive Maßnahme des Verwalters verlangen, käme ihr kein eigenständiger Regelungsgehalt zu, da stets schon die erste Alternative einschlägig wäre. Die zweite Alternative soll gerade Forderungen erfassen, die kausal durch die Insolvenzverwaltung, aber ohne aktive Mitwirkung des Verwalters ausgelöst werden.
  29. (a) Die Richtigkeit dieser Auslegung zeigt die folgende Kontrollüberlegung: Wäre eine vom Insolvenzverwalter selbst veranlasste Verwertung als zwingende Voraussetzung für die Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO zu fordern, wäre die durch die Zwangsversteigerung eines massezugehörigen Vermögenswertes durch einen Dritten entstehende Einkommensteuerschuld selbst dann keine Masseverbindlichkeit, wenn infolge der Zwangsversteigerung –nach Vorwegbefriedigung des Absonderungsberechtigten– ein (erheblicher) Erlös der Masse zuflösse und diese bereicherte. Diese nicht gewollte Konsequenz bestätigt den Senat in seiner im Urteil in BFHE 265, 300, geäußerten Ansicht, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Einkommensteuern, die im Zusammenhang mit einem massezugehörigen Vermögensgegenstand stehen, als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind. Dies entspricht dem regelmäßig herzustellenden Gleichklang zwischen der Massezugehörigkeit des verwerteten Vermögensgegenstandes und der damit einhergehenden Steuerbelastung.
  30. (b) Die vorstehend angenommene Fallgestaltung macht zugleich deutlich, dass eine andere als die hier vorgenommene Auslegung mit Gerechtigkeitsvorstellungen nicht vereinbar wäre. Beträfe die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer das insolvenzfreie Vermögen der Insolvenzschuldnerin, wäre diese belastet, obwohl der über die Befriedigung des Absonderungsberechtigten hinausgehende Erlös wegen der nicht gelösten Massezugehörigkeit des Vermögensgegenstandes nicht ihr, sondern vielmehr der Masse zugutekäme.
  31. (c) Dem hier gefundenen Ergebnis steht das vom Kläger bereits im Klageverfahren angeführte BFH-Urteil in BFHE 124, 411, BStBl II 1978, 356, nicht entgegen. Insbesondere ist der Senat im Hinblick auf dieses Urteil nicht zur Einleitung eines Verfahrens gemäß § 11 Abs. 3 FGO verpflichtet, da dies die abweichende Beantwortung derselben Rechtsfrage voraussetzt. Eine identische Rechtsfrage liegt nicht vor, wenn die frühere Entscheidung zwar zu derselben Rechtsnorm ergangen ist, aber einen Sachverhalt betraf, der mit dem des erkennenden Senats nicht vergleichbar ist (vgl. Gräber/Teller, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 11 Rz 4).
  32. Wie schon das FG zutreffend erkannt hat, ist das Urteil in BFHE 124, 411, BStBl II 1978, 356 noch unter Geltung der KO ergangen und hat sich auf den Sonderfall bezogen, dass ein absonderungsberechtigter Gläubiger die vor Eröffnung des Konkursverfahrens eingeleitete Zwangsversteigerung eines Grundstücks des Gemeinschuldners weiter betrieb. Hier hat es der VIII. Senat als entscheidend angesehen, dass der Konkursverwalter nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Verwertung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger zu verhindern bzw. durch eine eigene Verwertungshandlung zu ersetzen. Insoweit unterscheidet sich der vom VIII. Senat entschiedene Fall vom vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt, in dem das Zwangsversteigerungsverfahren erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeleitet worden ist, so dass der Kläger als Insolvenzverwalter eigene Verwertungsmöglichkeiten gehabt hätte.
  33. Dem Insolvenzverwalter steht –neben der Zwangsversteigerung eines unbeweglichen Gegenstandes der Insolvenzmasse auf sein Betreiben gemäß § 165 InsO i.V.m. §§ 172 ff. ZVG (vgl. Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 83. Lieferung 02.2020, § 165 InsO, Rz 9; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 165, Rz 1 f.)– die aus der allgemeinen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis entspringende Befugnis zu freihändiger Verwaltung und Veräußerung zu. Dies gilt sowohl bei Lastenfreiheit des Gegenstandes als auch dann, wenn ein Dritter ein auf Befriedigung zielendes beschränktes Recht an ihm hat und zur Absonderung berechtigt ist. Im letzteren Falle endet die Befugnis zur eigenen Verwaltung und zu freihändiger Veräußerung erst, wenn der Absonderungsberechtigte die Zwangsvollstreckung betreibt und das Objekt unter Beschlag gerät (vgl. Nerlich/Römermann/Becker, 41. EL Juni 2018, InsO, § 165, Rz 18; Flöther, a.a.O., § 165, Rz 7, 7b). Danach hätte der Kläger bis zur Eröffnung des Zwangsversteigerungsverfahrens auf Antrag der V von der Möglichkeit eigener Verwertungshandlungen Gebrauch machen können.
  34. Masseverbindlichkeiten scheiden auch nicht deshalb aus, weil vorliegend der Versteigerungserlös nicht in die Insolvenzmasse geflossen ist. Im Einklang mit der Rechtsprechung des IV. Senats (vgl. Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, Rz 29 f.) kommt es hierauf nicht an (so schon Senatsurteil in BFHE 253, 482, BStBl II 2016, 852, Rz 46). Im Übrigen wird zwar der Erlös aus dem Zwangsversteigerungsverfahren nach dem ZVG außerhalb des Insolvenzverfahrens erzielt. Ein nach Befriedigung der Absonderungsberechtigten verbleibender Überschuss fließt jedoch in die Insolvenzmasse zurück und ist damit Gegenstand der Verteilung im Insolvenzverfahren (vgl. Nerlich/Römermann/ Becker, a.a.O., § 165, Rz 14). Insoweit genügt der mit der Massezugehörigkeit verbundene potenzielle Massezufluss.
  35. 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.