III R 34/11 – Verbindung einzelner Maschinen zu einer Gesamtanlage "Fertigungsstraße" als Anschaffungs- oder Herstellungsvorgang

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.4.2012, III R 34/11

Verbindung einzelner Maschinen zu einer Gesamtanlage "Fertigungsstraße" als Anschaffungs- oder Herstellungsvorgang

Tatbestand

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I. Nachdem die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Mai 2002 von der X Aktiengesellschaft (AG) einen Auftrag für eine mehrjährige Serienproduktion erhalten hatte, errichtete sie noch im Jahr 2002 aus einzelnen Maschinen verschiedener Hersteller unterschiedliche Fertigungsstraßen zur Produktion von Achszapfen, Gelenkwellen und sonstigen Kleinteilen. Die einzelnen Maschinen einer solchen Fertigungsstraße arbeiten an sich unabhängig voneinander, sie sind jedoch durch ein Förderband miteinander verbunden, das am Anfang durch eine Beladeeinrichtung bestückt wird und das anschließend die Werkstücke jeweils hinter oder über den Abnahmestationen der jeweiligen Maschinen entlang führt, wo sie mittels Greifarmen, Kränen, Pufferstationen etc. programmgesteuert entnommen und später auf ähnliche Weise wieder eingefügt werden (Verkettung).
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Zeitgleich mit Erteilung des Serienauftrags vereinbarten die AG und die Klägerin, dass die AG das Vorhaben in drei Phasen begleiten sollte, nämlich bei der Detail- und Realisierungsplanung für die Fertigung bis zur 26. Kalenderwoche 2002 (Phase 1), von der Vorserienphase (0-Serie) bis zum Produktionsstart in der 48. Kalenderwoche 2002 (Phase 2) und beim Produktionsanlauf nach Inbetriebnahme der Maschinen bis September 2003 (Phase 3). Die letzte Phase, die sog. Anlaufbegleitung, sollte insbesondere dazu dienen, das Zusammenspiel der einzelnen Maschinen nach der Verkettung zu optimieren, um die angestrebten Stückzahlen für eine wirtschaftlich rentable Großserienproduktion zu erreichen. Für die "Planungsleistungen" wurde ein "Planungshonorar" vereinbart, das in mehreren Teilzahlungen fällig war. Den Probebetrieb, die Vorserienphase und den Produktionsanlauf nahm die Klägerin planmäßig bis Dezember 2002 auf. Entsprechend aktivierte sie die einzelnen Maschinen in ihrem Anlageverzeichnis. Das Wirtschaftsjahr 2003 bezeichnete die Klägerin in ihrer Bilanz als erstes voll produktives Geschäftsjahr.
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Nach zwischenzeitlichen Anpassungen der Zahlungsmodalitäten bezahlte die Klägerin die letzten hier streitigen 200.000 EUR des Gesamtplanungshonorars erst Anfang 2004 und machte diese Kosten sodann in ihrem Investitionszulagenantrag für das Jahr 2004 geltend.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte diese Kosten nicht an und kürzte dementsprechend die Bemessungsgrundlage der von der Klägerin für 2004 beantragten Investitionszulage im Investitionszulagenbescheid 2004 vom 14. Juli 2005. Der Einspruch blieb erfolglos. Die Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 163 veröffentlichten Gründen ab.
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht, dass es sich vorliegend um Herstellungsvorgänge handele, da sie die erworbenen Maschinen in einem weiteren Prozess zu den verschiedenen Produktionsstraßen zusammengebaut und diese damit hergestellt habe. Als sog. "unechte Gemeinkosten" seien die Kosten der Anlaufbegleitung aber auch bei Annahme von Anschaffungsvorgängen berücksichtigungsfähig.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Investitionszulage 2004 unter Abänderung des Bescheides vom 14. Juli 2005 um 50.000 EUR zu erhöhen.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die streitigen Aufwendungen sind nicht in die Bemessungsgrundlage der Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 2004 einzubeziehen.
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1. Die Investitionszulage wird auf Antrag des Investors u.a. für begünstigte Investitionen wie die Anschaffung und die Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens i.S. des § 2 Abs. 1 und Abs. 2 des Investitionszulagengesetzes 1999 (InvZulG 1999) festgesetzt.
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a) Aus dem Einkommensteuerrecht übernommene Begriffe –wie Anschaffung oder Herstellung– sind auch im Investitionszulagenrecht grundsätzlich nach den für die Einkommensbesteuerung maßgebenden Grundsätzen auszulegen, soweit sich nicht aus dem InvZulG, seinem Zweck und seiner Entstehungsgeschichte etwas anderes entnehmen lässt (ständige Rechtsprechung, Senatsurteil vom 26. Januar 2006 III R 5/04, BFHE 212, 381, BStBl II 2006, 771, m.w.N.).
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b) Anschaffen bedeutet dabei den Erwerb eines bestehenden Wirtschaftsguts, eines bereits vorhandenen Wertes; entsprechend besteht das Herstellen im Schaffen oder Schaffenlassen eines noch nicht existierenden Wirtschaftsguts. Im Unterschied zur Anschaffung liegt (bilanz- und bilanzsteuerrechtlich) eine Herstellung immer dann vor, wenn der Steuerpflichtige das Wirtschaftsgut auf eigene Rechnung und Gefahr herstellt oder herstellen lässt und das Herstellungsgeschehen beherrscht (vgl. z.B. Senatsurteil vom 2. September 1988 III R 53/84, BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009, m.w.N.).
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c) Werden –wie im Streitfall– Maschinen einzeln von verschiedenen Herstellern erworben und sodann in der Folge durch den Erwerber –bzw. in seinem Auftrag durch einen Dritten– zu einer Gesamtanlage verbunden, kommt es für die Frage, ob eine Anschaffung der einzelnen Maschinen oder ein Herstellen der kompletten Anlage als einheitliches (übergeordnetes) Wirtschaftsgut vorliegt, entscheidend darauf an, ob die einzelnen Maschinen trotz ihrer Verbindung weiterhin selbständig bewertbar sind, d.h. ob sie nach der Verkehrsanschauung in ihrer Einzelheit von Bedeutung und bei einer Veräußerung greifbar sind (vgl. z.B. Senatsurteil vom 28. März 1996 III R 34/93, BFH/NV 1996, 707; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 310).
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aa) Beim Verbinden einzelner Wirtschaftsgüter ist demzufolge von der Anschaffung einzelner und nicht von einer Herstellung eines Wirtschaftsguts auszugehen, wenn alle oder einzelne Teile auch ohne die Verbindung im Betrieb sinnvoll und zweckbestimmungsgemäß einsetzbar wären und die Verbindung nur vorübergehend und nicht von entscheidender Bedeutung für die Funktion der einzelnen Teile ist. Eine Herstellung liegt dagegen vor, wenn die Anschaffung dieser Teile oder Materialien nur mit der Zweckbestimmung erfolgt, erst in der Verbindung dieser Teile das für den Betrieb bestimmte Wirtschaftsgut entstehen zu lassen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 9. November 1990 III R 50/88, BFHE 163, 259, BStBl II 1991, 425).
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bb) Die Verkehrsanschauung wird dabei durch mehrere Kriterien bestimmt. Neben dem Zweck, den zwei oder mehrere bewegliche Sachen gemeinsam zu erfüllen haben, sind vor allem von Bedeutung: die Festigkeit einer etwaigen Verbindung (§ 93 des Bürgerlichen Gesetzbuches), der Zeitraum, auf den eine solche Verbindung oder die gemeinsame Nutzung angelegt ist, sowie das äußere Erscheinungsbild. Ist Letzteres dadurch bestimmt, dass die Gegenstände für sich allein betrachtet unvollständig erscheinen oder dass gar ein Gegenstand ohne den/die anderen ein negatives Gepräge hat, ist regelmäßig von einem einheitlichen Wirtschaftsgut auszugehen (vgl. Senatsurteile vom 28. September 1990 III R 77/89, BFHE 164, 156, BStBl II 1991, 361, und III R 178/86, BFHE 162, 177, BStBl II 1991, 187; in BFH/NV 1996, 707).
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2. Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage ist sodann die Summe der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im Wirtschafts- oder Kalenderjahr abgeschlossenen begünstigten Investitionen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 InvZulG 1999). Abgeschlossen sind Investitionen in dem Zeitpunkt, in dem die Wirtschaftsgüter angeschafft oder hergestellt worden sind (§ 2 Abs. 4 Satz 3 InvZulG 1999). Die Anschaffungs- und Herstellungskosten sind in diesem Zeitpunkt zu ermitteln und –unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlung– in dem Wirtschaftsjahr begünstigt, in dem die Investition abgeschlossen ist. Sie umfassen jedoch nicht nur die Aufwendungen, die bis zu diesem Zeitpunkt entstanden sind, sondern auch Kosten, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Anschaffung des Wirtschaftsguts bzw. in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dessen Herstellung stehen, d.h. zwangsläufig im Gefolge der Anschaffung bzw. mit der Herstellung anfallen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. Oktober 2001 I R 32/00, BFHE 197, 58, BStBl II 2002, 349). Somit können auch Kosten, die erst nach dem Investitionsabschluss anfallen, noch zu den Anschaffungs- und Herstellungskosten rechnen, soweit dieser Zusammenhang besteht (vgl. Rosarius, Die neue Investitionsförderung, 4. Aufl. 2002, Tz. 4.1.1.3 und 4.1.2.4). Bei Anschaffungskosten wird es von der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn die in späteren Jahren entstehenden Teile der Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts nicht in die Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage im Jahr der Anschaffung, sondern in die Bemessungsgrundlage des Entstehungsjahres einbezogen werden (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen –BMF– vom 28. Juni 2001 IV A 5-InvZ 1271-21/01, BStBl I 2001, 379, Rz 148).
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3. Das FG-Urteil entspricht den vorstehenden Rechtsgrundsätzen. Die streitigen Kosten der Anlaufbegleitung sind danach nicht in die Bemessungsgrundlage der für das Wirtschaftsjahr 2004 festzusetzenden Investitionszulage einzubeziehen.
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a) Die Frage, wann nach der Verkehrsanschauung im Falle der Verbindung einzeln angeschaffter Wirtschaftsgüter von einem einheitlichen (übergeordneten) Wirtschaftsgut auszugehen ist, liegt auf tatsächlichem Gebiet und ist von dem FG als Tatsacheninstanz im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO – vgl. auch Senatsurteile vom 8. Februar 1996 III R 126/93, BFHE 180, 480, BStBl II 1996, 542, und III R 127/93, BFH/NV 1996, 850).
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Im Streitfall ist die Würdigung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die begünstigte Investition nicht die jeweilige Fertigungsstraße als einheitliches Wirtschaftsgut ist, sondern die einzelnen Maschinen, aus denen sich eine Fertigungsstraße zusammensetzt, begünstigt sind. Dabei hat das FG im Sinne der Rechtsprechung maßgeblich auf die fortbestehende Eigenständigkeit einer jeden Maschine –sowohl was ihre Funktion im Rahmen des Fertigungsprozesses als auch was das äußere Erscheinungsbild einer Fertigungsstraße anbelangt– abgestellt und auch die Verbindung der verschiedenen Maschinen im Zuge der Verkettung nicht als unüberwindliches Hindernis angesehen.
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Auch die Klägerin ist ursprünglich von Anschaffungsvorgängen ausgegangen und hat dementsprechend sowohl die einzelnen Maschinen –und nicht die kompletten Fertigungsstraßen– aktiviert als auch in ihrem Investitionszulagenantrag für 2002 als Begünstigungsfall hinsichtlich der angeschafften Maschinen jeweils "a" für Anschaffung angegeben.
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b) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) waren die Maschinen im Wirtschaftsjahr 2004 seit über einem Jahr montiert; die Produktion war nach Probebetrieb und Vorserienphase planmäßig im Dezember 2002 angelaufen. Weiter hat das FG festgestellt, dass die Phase der Anlaufbegleitung durch die AG insbesondere dazu dienen sollte, das Zusammenspiel der einzelnen Maschinen nach der Verkettung im Wege einer Feinjustierung so zu optimieren, dass die angestrebten Stückzahlen für eine wirtschaftlich rentable Serienproduktion erreicht wurden. Bei dieser Sachlage ist es ebenfalls nicht zu beanstanden, dass das FG eine Einbeziehung der erst nach Investitionsabschluss angefallenen Kosten für die Anlaufbegleitung mangels unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs mit der Anschaffung der –zu diesem Zeitpunkt bereits produzierenden– Maschinen verneint hat. Die streitigen Kosten der Anlaufbegleitung sind nicht zwangsläufig im Gefolge der Anschaffung angefallen, sondern dienten dem Interesse der Klägerin an einer wirtschaftlich rentablen Produktion.
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c) Die streitigen Kosten sind darüber hinaus aber auch deshalb nicht im Rahmen der Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 2004 zu berücksichtigen, weil es –anders als die Klägerin offenbar meint– nach den Ausführungen unter II.2. insoweit auf das Jahr des Investitionsabschlusses und nicht auf das Jahr der Zahlung ankommt. Von einem erst im Jahr 2004 erfolgten Investitionsabschluss geht die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung indes selbst nicht mehr aus.
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Waren jedoch die Investitionen bereits vor Beginn des Wirtschaftsjahres 2004 abgeschlossen, konnten hiermit im Zusammenhang stehende Kosten nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 5 Satz 1 InvZulG 1999 nicht mehr in die Bemessungsgrundlage der Investitionszulage für das Wirtschaftsjahr 2004 einbezogen werden.
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Soweit die Finanzverwaltung in Abweichung von dem Gesetzeswortlaut die Geltendmachung von Kosten in einem späteren Jahr nicht beanstandet, gilt dies nur für Anschaffungskosten, die nach Ablauf des Wirtschaftsjahres der Lieferung entstehen. Auch diese müssen dann jedoch jedenfalls im Entstehungsjahr geltend gemacht werden (BMF-Schreiben in BStBl I 2001, 379, Rz 148).
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Rechtlich entstanden sind die hier streitigen Kosten in Höhe von 200.000 EUR bereits mit Abschluss der vertraglichen Vereinbarung über die "Planungsleistungen" zwischen der Klägerin und der AG zeitgleich mit Erteilung des Auftrags für die Serienproduktion im Mai 2002. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG waren die von der AG aufgrund dieser Vereinbarung geschuldeten Leistungen in drei Phasen bis September 2003 zu erbringen. Wirtschaftlich entstanden war die letzte Teilzahlung danach im Jahr 2003. Auf die –nach Anpassung der Zahlungsmodalitäten– erst im Januar 2004 gegebene Fälligkeit kommt es insoweit nicht an. Da mithin eine Geltendmachung der Kosten im Streitjahr auch nach Auffassung der Verwaltung nicht in Betracht kommt, braucht der Senat im Streitfall nicht zu entscheiden, ob er sich ihrer Sichtweise anschließt.

Quelle: bundesfinanzhof.de


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