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II. 1. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. |
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Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. |
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2. Gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. |
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"Endgültig keinen Erfolg gehabt" hat ein Rechtsbehelf insbesondere dann, wenn er durch eine unanfechtbare Entscheidung abgewiesen oder vom Rechtsbehelfsführer zurückgenommen worden ist, ohne dass das Finanzamt dem Rechtsbehelfsbegehren in der Sache zuvor entsprochen hat (Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 31. August 2011 X R 49/09, BFHE 235, 107, BStBl II 2012, 219, Rz 18; vom 27. November 1991 X R 103/89, BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319). Ob und in welchem Umfang der Rechtsbehelf endgültig keinen Erfolg gehabt hat, richtet sich nach dem Verfahrensgegenstand und dem konkretisierten Rechtsbehelfsbegehren (BFH-Urteil in BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319). |
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a) Verfahrensgegenstand im Einspruchsverfahren ist nicht ein einzelnes Besteuerungsmerkmal oder eine bestimmte zugrundeliegende Rechtsfrage, sondern die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, die vom Finanzamt in vollem Umfang gemäß § 367 Abs. 2 AO zu prüfen ist. |
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Im Streitfall wurde der zunächst angegriffene Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10. März 2009 während des zulässigen Einspruchsverfahrens durch den Bescheid vom 10. August 2009 ersetzt. Wird der Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt nach § 365 Abs. 3 Satz 1 AO Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Dieser neue Verwaltungsakt nimmt den geänderten Verwaltungsakt in seinen Regelungsgehalt mit auf. Dem Rechtsbehelfsverfahren gegen den ursprünglichen Bescheid ist so lange die Grundlage entzogen, wie der Änderungsbescheid Bestand hat (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Der ursprüngliche Bescheid tritt nur dann wieder in Kraft, wenn der Änderungsbescheid aufgehoben wird. |
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Im vorliegenden Fall ist der Änderungsbescheid vom 10. August 2009 bis zur Einspruchsrücknahme nicht aufgehoben worden. Er ist dadurch formell bestandskräftig geworden. |
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b) Die Kläger konnten nicht davon ausgehen, dass mit der Erklärung des FA im Schreiben vom 11. November 2009, die Gewinnerhöhung in Höhe von 15.070 EUR sei zurückzunehmen, da die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht gegeben seien, der Änderungsbescheid als aufgehoben gilt. Das FA hat die Kläger auf die beiliegende Aussetzungsverfügung hingewiesen, die ins Leere gegangen wäre, wenn schon der Änderungsbescheid aufgehoben worden wäre. Der Kläger, ein rechtskundiger Rechtsanwalt, konnte insoweit nicht von einer Aufhebung des Bescheids ausgehen. Zwar hätte das FA auch ohne weiteres den Änderungsbescheid vom 10. August 2009 zunächst aufheben können, so dass das Einspruchsverfahren sich ausschließlich wieder gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10. März 2009 gerichtet hätte. Das FA hat aber die verfahrensrechtlichen Konsequenzen nicht gezogen, sondern lediglich die rechtswidrig festgesetzte Steuer von der Vollziehung ausgesetzt. |
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c) Mit der Einspruchsrücknahme wurde der Bescheid vom 10. August 2009 bestandskräftig, ohne dass das FA dem Rechtsbehelfsbegehren der Kläger in der Sache entsprochen hat. |
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Die Kläger haben vorbehaltlos ihren Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 zurückgenommen. Ihre Erklärung kann nicht dahin ausgelegt werden, dass sie nur den gegen den Änderungsbescheid eingelegten (unzulässigen) Einspruch zurücknehmen wollten. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Vielmehr haben die Kläger auf Nachfrage des FA bei der zunächst erteilten "eingeschränkten" Rücknahme vom 2. Juni 2010 mit Schreiben vom 12. August 2010 die Rücknahme gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 ausdrücklich bestätigt. |
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aa) Aus welchem Grund der Antrag auf Herabsetzung der festgesetzten Steuer endgültig erfolglos bleibt, ist ohne Bedeutung, weil die Besteuerungsgrundlagen aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung nur unselbständiger Teil der Regelung und deshalb nur der Begründung des Bescheids zugeordnet sind (BFH-Urteile in BFHE 235, 107, BStBl II 2012, 219, Rz 18, und in BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319). Demnach können im Verfahren gegen den Zinsbescheid grundsätzlich auch keine Umstände berücksichtigt werden, die gegen die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids sprechen. |
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Solange der Änderungsbescheid vom 10. August 2009 Bestand hatte, war dieser vom FA während des Einspruchsverfahrens in vollem Umfang erneut zu überprüfen (vgl. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO), und zwar unabhängig davon, ob die Kläger als Einspruchsführer einzelne ursprüngliche Streitpunkte zwischenzeitlich als erledigt ansahen. Infolgedessen ist ein Rechtsbehelf auch dann i.S. des § 237 AO erfolglos geblieben, wenn zwar der Einspruchsführer mit der von ihm vorgetragenen Begründung Erfolg hat, die festgesetzte Steuer sich aber zugunsten des Rechtsbehelfsführers nicht ändert, weil die festgesetzte Steuer aufgrund anderer Lebenssachverhalte als richtig anzusehen ist. Dementsprechend sind die Lebenssachverhalte, die einer Steuerveranlagung zugrunde liegen, austauschbar (vgl. FG Köln, Urteil vom 9. Oktober 1991 6 K 432/90, Entscheidungen der Finanzgerichte 1992, 384). |
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bb) Das Vorbringen der Kläger, dass sich das FA nicht an seine "Zusage", Nachforderungen nicht zu erheben, gehalten habe und sie deshalb auch keine Aussetzungszinsen zahlen müssten, ist kein wirksamer Widerruf der Rücknahmeerklärung des Einspruchs vom 12. August 2010. |
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Die Rücknahme kann grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden. Sie kann allenfalls in besonders gelagerten Fällen unwirksam sein, wenn sie durch eine bewusste Täuschung oder Drohung veranlasst worden ist (BFH-Beschluss vom 12. September 2014 VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161, Rz 34; BFH-Urteil vom 29. Juni 2005 II R 21/04, BFH/NV 2005, 1964) oder durch eine bewusst falsche Auskunft oder mittels rechtlich offensichtlich unzutreffender Erwägungen –insbesondere gegenüber rechtsunkundigen Steuerpflichtigen– veranlasst worden ist (BFH-Urteil vom 1. September 1988 V R 139/83, BFH/NV 1989, 206). Die Unwirksamkeit der Rücknahme kann somit nur in krassen Fällen unzulässiger Einwirkung auf die Willensbildung des Steuerpflichtigen geltend gemacht werden (BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 1964, und in BFH/NV 1989, 206, unter 1.b, m.w.N.). |
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Nach diesen Grundsätzen kann von einem wirksamen Widerruf der Einspruchsrücknahme nicht ausgegangen werden. Die Schriftsätze des FA vom 11. November 2009 und vom 19. Mai 2010 stellen keine bewusst falsche Auskunft dar. Soweit das FA die Kläger darauf hingewiesen hat, dass eine Nachforderung unterbleibt, bezog sich dieser Hinweis nach dem Inhalt der Schreiben nur auf die außerhalb der nach § 173 AO erfolgten Änderung dargestellten Gewinnerhöhungen. Wenn die Kläger der Ansicht waren, dass darüber hinaus auch eine Nachforderung aus dem Änderungsbescheid vom 10. August 2009 unterbleiben würde, befanden sie sich in einem Rechtsirrtum, der nicht zur Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung führt. Zwar ist den Klägern zuzugestehen, dass jegliche Nachforderung unterblieben wäre, wenn das FA zunächst den fehlerhaften Einkommensteuerbescheid vom 10. August 2009 aufgehoben hätte. Dies ist aber nicht geschehen. |
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cc) Es kommt auch keine Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 10. August 2009 in Betracht. Der (rechtswidrige) Erlass eines Steuerbescheids nach § 173 AO, ohne dass die Voraussetzungen vorliegen, stellt keinen Nichtigkeitsgrund i.S. des § 125 AO dar. Ob ein Verwaltungsakt an einem zu seiner Nichtigkeit führenden schwerwiegenden Fehler leidet, bestimmt sich nach der Art des Fehlers, der ihm anhaftet, und nicht danach, ob er der Behörde bewusst oder aus Versehen unterlief oder ob er vermeidbar oder unvermeidbar war (Senatsurteil vom 19. Oktober 2006 III R 31/06, BFH/NV 2007, 392, Rz 15). Der Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10. August 2009 ist auch nicht etwa deshalb nachträglich nichtig geworden, weil das FA die Rechtswidrigkeit erklärt und die Rücknahme in Aussicht gestellt hat. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann nicht durch nachfolgendes Verhalten nichtig werden, da dem ursprünglichen Verwaltungsakt dadurch kein (weiterer) Fehler anhaftet (Senatsbeschluss vom 17. März 2010 III B 177/09, BFH/NV 2010, 1238, Rz 9). |
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dd) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das FA in dem Schreiben vom 11. November 2009 ein Angebot zu einer wirksamen tatsächlichen Verständigung (Vereinbarung über die Sachbehandlung in Form der Aufhebung des Bescheids) abgegeben hat, welches die Kläger angenommen haben. Selbst wenn das Schreiben vom 11. November 2009 Bindungswirkung haben sollte, so hätte dies nur zur Folge, dass die verständigungswidrige Nichtbeachtung –Nichtaufhebung des Bescheids vom 10. August 2009– zu einem rechtswidrigen Steuerbescheid geführt hätte (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 118 AO Rz 28). Da im Verfahren gegen den Zinsbescheid grundsätzlich keine Umstände berücksichtigt werden können, die gegen die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Einkommensteuerfestsetzung sprechen, änderte selbst eine "tatsächliche Verständigung" nichts daran, dass durch die wirksame Einspruchsrücknahme der Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10. August 2009 formell bestandskräftig geworden ist und der Einspruch letztlich erfolglos war. Selbst eine spätere –nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens– Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung bliebe gemäß § 237 Abs. 5 AO unberücksichtigt. |
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3. Aufgrund der Erfolglosigkeit des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10. August 2009 ist nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO der Unterschiedsbetrag zwischen den ausgesetzten und den aufgrund bestandskräftiger Festsetzungen geschuldeten Beträgen ohne Rücksicht auf den Grund der Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs zu verzinsen. Das FG hat daher zu Recht die Klage abgewiesen. |
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 2 FGO. |
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