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II. Die Revision des FA ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass das FA den Feststellungsbescheid 1993 vom 20. Dezember 2001 nicht mehr durch den angefochtenen Änderungsbescheid vom 13. Mai 2005 ändern durfte. |
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1. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO lagen –wie das FG zutreffend erkannt hat– nicht vor. |
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Nach dieser Vorschrift darf ein Steuerbescheid, soweit er –wie im Streitfall– nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, zuungunsten des Steuerpflichtigen nur geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird. |
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a) Das FG hat offengelassen, ob die Klägerin im Rahmen ihres Einspruchsschreibens vom 17. Januar 2002 einen Antrag i.S. von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gestellt oder eine Zustimmung im Sinne dieser Vorschrift –die Grenzen zum "Antrag" sind fließend (vgl. Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 172 AO Rz 22)– erteilt hat. Allerdings neigt auch der erkennende Senat zu der Auffassung, dass es eher ungewöhnlich ist, neben dem Einspruchsverfahren einen Antrag nach § 172 AO zu stellen, und dass deshalb in diesem Fall besondere und eindeutige Umstände gegeben sein müssen, um von der Existenz eines solchen Antrags ausgehen zu können (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 7. November 2001 XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745). Jedenfalls ist das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass –einen entsprechenden Antrag bzw. eine Zustimmung unterstellt– die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. November 2004 erklärt hat, nicht nur ihren Einspruch, sondern auch diesen Antrag zurücknehmen bzw. die darin erklärte Zustimmung widerrufen zu wollen. Willenserklärungen sind grundsätzlich Gegenstand der tatsächlichen Feststellung. Die Würdigung einer Willenserklärung durch das FG kann der BFH nur daraufhin überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (z.B. §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs –BGB–) beachtet und nicht gegen Denkgesetze (Gesetze der Logik) und Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 745, m.w.N.). Ein solcher revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß ist jedoch im Streitfall nicht ersichtlich und wird auch vom FA nicht vorgetragen. |
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b) Das FG ist zu Recht auch davon ausgegangen, dass die Klägerin selbst unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht gehindert war, ihren Einspruch zurückzunehmen (§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO) und dabei auch eine möglicherweise erteilte Zustimmung oder einen Antrag i.S. von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu widerrufen bzw. zurückzunehmen. Gleichfalls zutreffend hat das FG auch die Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung einer Zustimmung zur streitbefangenen Änderung verneint. |
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aa) Der Grundsatz von Treu und Glauben (Verbot des "venire contra factum proprium"), der in § 242 BGB nur unzulänglich zum Ausdruck kommt (Jauernig/Mansel, BGB, 13. Aufl., § 242 BGB, Rz 1), gilt auch im Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990; vom 17. Juni 1992 X R 47/88, BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174; vom 8. Februar 1995 I R 127/93, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764; vom 29. Januar 2009 VI R 12/06, BFH/NV 2009, 1105; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O, § 4 AO Rz 125, 139). Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses für Steuergläubiger wie Steuerpflichtigen gleichermaßen u.a., dass jeder auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt (z.B. BFH-Urteil in BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174, m.w.N.). |
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bb) Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFH/NV 2002, 745) verstößt die Rücknahme des Einspruchs gemäß § 362 Abs. 1 Satz 1 AO nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und kann nicht als eine illoyale Rechtsausübung angegriffen werden. Ebenso wie der Kläger den Einspruch einlegen kann, kann er ihn auch wieder zurückziehen. Das Institut von Treu und Glauben hat nicht die Funktion, verfahrensmäßige Fehler des FA aufzufangen. Die besonderen Umstände des Streitfalles rechtfertigen hiervon keine Ausnahme, selbst wenn man in dem von der Klägerin eingelegten Einspruch zugleich einen Antrag oder eine Zustimmung i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sähe. |
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(1) Die Klägerin hat sich im Ausgangsverfahren darauf berufen, dass ihr Einspruch gegen den Änderungsbescheid vom 20. Dezember 2001 unzulässig sei, weil sie durch jenen Bescheid nicht beschwert gewesen sei. Bei Unzulässigkeit des Einspruchs schiede die Annahme einer illoyalen Rechtsausübung der Klägerin schon deshalb aus, weil dem FA eine Überprüfung des angegriffenen Bescheids in der Sache versagt wäre. Wird nämlich keine Beschwer geltend gemacht, so ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen; ist der Einspruch unzulässig, so ist auch eine "Verböserung" (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO) unzulässig (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 350 AO Rz 30 und § 358 AO Rz 4, 9 und 24 ff.). In dieser Situation führte die Rücknahme des Einspruchs auch dann nicht zu einem Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn in dem Einspruch zugleich ein Antrag oder eine Zustimmung i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO läge. Denn auf diese Weise verhindert der Steuerpflichtige lediglich eine einseitige Begünstigung des FA dergestalt, dass es trotz eines unzulässigen Einspruchs "verbösernd" in der Sache entscheiden könnte. Insoweit genießt das FA keinen Schutz seines Vertrauens darauf, dass ihm die Möglichkeit einer inhaltlichen Änderung des Bescheids nach § 172 AO vom Steuerpflichtigen –ggf. auch im Wege einer nachträglich erteilten Zustimmung– offen gehalten wird. |
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Allerdings ist zweifelhaft, ob die Klägerin durch den Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 nicht beschwert gewesen ist. Zwar ist auch bei Gewinnfeststellungsbescheiden ein Einspruch nur zulässig, wenn eine Beschwer i.S. von § 350 AO gegeben ist. Sie liegt grundsätzlich nur vor, wenn geltend gemacht wird, der Gewinn sei zu hoch oder der Verlust zu niedrig festgestellt worden (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 350 AO Rz 12; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 350 AO Rz 117). Allerdings kann die Beschwer auch in der einheitlichen Feststellung eines zu niedrigen Gewinns liegen, wenn sich diese in anderen Veranlagungszeiträumen zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 1989 IX R 190/85, BFHE 159, 439, BStBl II 1990, 460; Senatsbeschluss vom 9. September 2005 IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 10. Aufl., § 350 Rz 5; von Beckerath in Beermann/Gosch, FGO § 40 Rz 218; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 40 Rz 97, jeweils m.w.N.). Die zwischen den Beteiligten zunächst streitige Frage des Bestehens einer Organschaft betrifft einen mehrere Veranlagungszeiträume umfassenden Zeitraum. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass aufgrund des Prinzips der Abschnittbesteuerung für jeden Veranlagungszeitraum die Besteuerungsgrundlagen –dazu zählt auch das Bestehen einer Organschaft– selbständig festzustellen sowie der Sachverhalt und die Rechtslage ohne Bindung an die frühere Beurteilung neu zu prüfen sind (vgl. Senatsurteil vom 3. September 2009 IV R 38/07, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.). Auch hat die Klägerin selbst keine ihr nachteiligen steuerlichen Auswirkungen vorgetragen. Allerdings hat der BFH eine Beschwer auch schon allein darin gesehen, dass eine vom Steuerpflichtigen behauptete Rechtsposition allgemein mit steuerrechtlich verbindlicher Wirkung festgestellt oder geleugnet wird (z.B. BFH-Urteile vom 14. Juni 1994 VIII R 20/93, BFH/NV 1995, 318, und vom 22. November 1994 VIII R 63/93, BFHE 177, 28, BStBl II 1996, 93, jeweils m.w.N.; vgl. auch von Beckerath in Beermann/ Gosch, FGO § 40 Rz 212 f.; Gräber/von Groll, a.a.O., § 48 Rz 9). Ob die Klägerin jedenfalls nach den zuletzt genannten Maßstäben durch den geänderten Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 beschwert gewesen ist, weil das FA darin vom Nichtbestehen einer Organschaft ausgegangen ist, kann jedoch offenbleiben, denn die angegriffene FG-Entscheidung hat schon aus nachfolgenden Gründen zutreffend eine Bindung der Klägerin nach Treu und Glauben verneint. |
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(2) Das FA hatte –worauf das FG unter Bezug auf das BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 745 zutreffend hingewiesen hat– im Streitfall unabhängig vom Einspruchsverfahren die Möglichkeit, die Anerkennung der Organschaft auch verwaltungsverfahrensmäßig so abzuwickeln, dass das Ergebnis der Organgesellschaft bei der Klägerin als Organträger hätte erfasst werden können. Über die Vorschriften des § 174 Abs. 4, Abs. 5 AO wäre es dem FA im Zuge der Änderung des gegen die GmbH gerichteten Körperschaftsteuerbescheids für das Streitjahr ohne Weiteres und auf dem vom Gesetz vorgesehenen Weg möglich gewesen, für die Klägerin eine dem materiellen Recht entsprechende Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 1993 zu erreichen; dazu bedurfte es keines Antrags der Klägerin, denn die rechtmäßige Feststellung von Besteuerungsgrundlagen kann wie die rechtmäßige Steuerfestsetzung nicht vom Willen und der Zustimmung des Steuerpflichtigen abhängen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Streitfall ein anderes FA für die (Ertrags-)Besteuerung der GmbH zuständig gewesen ist. Anders als die –im Streitfall gleichfalls nicht mehr einschlägige– Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 3 AO setzt die Vorschrift des § 174 Abs. 4 AO das FA auch nicht dem Risiko des Ablaufs der für die "andere Steuerfestsetzung" –hier der GmbH– geltenden Festsetzungsfrist aus. Ist Treu und Glauben schon grundsätzlich kein Institut, verfahrensmäßige Fehler des FA aufzufangen (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 745), so war die Klägerin auch angesichts der im Streitfall gegebenen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des FA nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehalten, dem FA eine gesetzeskonforme Feststellung offenzuhalten. |
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2. Ist im Streitfall keine illoyale Rechtsausübung der Klägerin ersichtlich, so kann offenbleiben, ob –wie das FA meint– einem Dritten gegenüber eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ausnahmsweise auch dann möglich ist, wenn der Dritte entgegen § 174 Abs. 5 AO nicht zum Verfahren hinzugezogen worden ist. |
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3. Soweit das FG im Übrigen davon ausgegangen ist, dass (auch) nicht die Voraussetzungen einer Änderung nach den §§ 164 Abs. 2, 173 Abs. 1 Nr. 1, 174 Abs. 3 und 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 AO vorgelegen haben, ist dies zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Der erkennende Senat sieht deshalb insoweit von weiteren Ausführungen ab. |
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