BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 17.1.2013, IX B 74/12 – Darlegung eines Gehörsverstoßes – Mietvertrag unter nahen Angehörigen – Überraschungsentscheidung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 17.1.2013, IX B 74/12

Darlegung eines Gehörsverstoßes – Mietvertrag unter nahen Angehörigen – Überraschungsentscheidung

Gründe

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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative der Finanzgerichtsordnung –FGO–) begehren, haben sie schon nicht –wie erforderlich– die behauptete Divergenz durch das Gegenüberstellen einander widersprechender abstrakter Rechtssätze aus der Entscheidung der Vorinstanz einerseits und den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits erkennbar gemacht. Die Revision ist auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO wegen eines Rechtsfehlers des Finanzgerichts (FG), der zu einer „greifbar gesetzwidrigen“ Entscheidung geführt hat, zuzulassen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 28. August 2007 VII B 357/06, BFH/NV 2008, 113, m.w.N.). Im Streitfall wenden sich die Kläger nach dem sachlichen Gehalt ihres Beschwerdevorbringens nur gegen die –der einschlägigen Rechtsprechung des BFH folgende– erstinstanzliche Entscheidung des FG und setzen ihre eigene Rechtsauffassung an die Stelle des FG; mit einer dahin gehenden Rüge wird keine greifbare Gesetzwidrigkeit bezeichnet.
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2. Die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
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a) Die Kläger machen zu Unrecht geltend, das FG habe den Sachverhalt nicht ausreichend erforscht und damit § 76 Abs. 1 FGO verletzt. Hierzu hätte u.a. dargelegt werden müssen, weshalb in der mündlichen Verhandlung keine entsprechenden Anträge gestellt wurden, da ein Verfahrensmangel nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden kann, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Einhaltung die Prozessbeteiligten verzichten können und –wie im Streitfall– auch verzichtet haben, indem sie ihre Verletzung nicht gerügt haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung –ZPO–). Anders kann dies bei einem fachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten nur dann sein, wenn er aufgrund des Verhaltens des FG die Rüge für entbehrlich halten durfte (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Februar 2003 III B 117/02, BFH/NV 2003, 810). Die durch eine Rechtsanwältin vertretenen Kläger haben in der mündlichen Verhandlung vor dem FG weder das Übergehen von Beweisanträgen noch die Verletzung einer von Amts wegen –auch ohne entsprechenden Beweisantrag– gebotenen Sachaufklärung gerügt. Sie haben auch keinen Sachverhalt geschildert, aufgrund dessen eine solche Rüge entbehrlich hätte sein können.
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b) Die gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht vor.
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aa) Rechtliches Gehör wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (vgl. § 96 Abs. 2 FGO); darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (§ 155 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 ZPO; vgl. BFH-Beschluss vom 1. Juli 2003 III B 94/02, BFH/NV 2003, 1591). Andererseits verpflichtet das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, das Gericht nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung einzelner Umstände offen zu legen (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235); das Gericht ist insbesondere nicht verpflichtet, der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 2008  2 BvR 2062/07, Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 1056).
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bb) Die vor dem FG fachkundig vertretenen Kläger hatten in der mündlichen Verhandlung hinreichend Gelegenheit, zu den im Streitfall streitigen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Darüber hinaus ist nicht dargetan, dass gerade die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht weiter thematisierte Frage der Verfügungsberechtigung der Klägerin (als Vermieterin) über das Konto ihrer Mutter (als Mieterin) auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Mai 2007 VI B 119/06, BFH/NV 2007, 1697, m.w.N.). Denn das FG hat seine Gesamtwürdigung, aufgrund derer der Mietvertrag der Klägerin mit ihrer Mutter steuerrechtlich nicht anerkannt wurde, auch auf eine Reihe weiterer Indizien (etwa die Mitbenutzung der vermieteten Räume durch die Vermieterin und ihre Familie, die Absicherung des Hausrats der Mieterin durch eine von der Vermieterin abgeschlossene Versicherung und die Hinnahme von Unregelmäßigkeiten bei den geschuldeten Mietzinszahlungen) gestützt.
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cc) Das FG hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör auch nicht durch Erlass einer sog. Überraschungsentscheidung verletzt. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (BFH-Beschluss vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Danach liegt im Streitfall keine Überraschungsentscheidung vor. Die sachkundig vertretenen Kläger waren gehalten, alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte –hierzu zählt auch der allein in der Sphäre der Kläger liegende Umstand der Verfügungsberechtigung der Klägerin über das Konto der Mieterin– von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einzurichten (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2006 IX B 50/06, BFH/NV 2007, 1135, m.w.N.).
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c) Aus den vorstehend unter cc) genannten Gründen liegt auch der behauptete Verstoß gegen die gerichtliche Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) nicht vor.

Quelle: bundesfinanzhof.de