Keine Verengung der Gutachtenmethodik auf Bausubstanzgutachten zum Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG) – Urteil vom 28. Juli 2021, IX R 25/19

ECLI:DE:BFH:2021:U.280721.IXR25.19.0

BFH IX. Senat

EStG § 7 Abs 4 S 2 , EStG VZ 2009 , EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011 , EStG VZ 2012 , EStG VZ 2013 , EStG VZ 2015 , EStDV § 11c Abs 1 , EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 7

vorgehend FG Düsseldorf, 12. Juli 2019, Az: 3 K 3307/16 F

Leitsätze

1. NV: Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG) jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint; erforderlich ist insoweit, dass aufgrund der Darlegungen des Steuerpflichtigen der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden kann.

2. NV: Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 12.07.2019 – 3 K 3307/16 F wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, in welcher Höhe die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) in den Streitjahren (2009 bis 2013 sowie 2015) Absetzungen für Abnutzung (AfA) für von ihr vermietete Immobilien geltend machen kann.
  2. Die Klägerin erwarb im Jahr 2002 ein Grundstück in X, D-Straße, das mit einem zu Mietzwecken genutzten und aus mehreren Einzelgebäuden (Gebäude Nr. 1, 2 und 3) bestehenden Wohn- und Geschäftshaus bebaut ist. Im Rahmen ihrer Erklärungen über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre 2009 und 2010 machte die Klägerin AfA für das Gebäude und die Außenanlagen in Höhe von 21.106 € jährlich geltend.
  3. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) erließ am 23.07.2015 gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Feststellungsbescheide für die Streitjahre 2009 und 2010, in denen er den Angaben der Klägerin zur Höhe der AfA für das Gebäude und die Außenanlagen folgte. Wegen Nichtabgabe der jeweiligen Feststellungserklärungen erließ das FA gleichzeitig Feststellungsbescheide für die Streitjahre 2011 bis 2013, in denen die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO im Wege der Schätzung feststellt wurden.
  4. Die Klägerin legte gegen die Feststellungsbescheide für die Streitjahre 2009 bis 2013 Einspruch ein; im Zuge der Einspruchsbegründung reichte die Klägerin neben den Steuererklärungen für die Jahre 2011 bis 2013 ein von einem –zum Sachverständigen für Grundstücksbewertung bestellten– Gesellschafter der Klägerin angefertigtes Gutachten vom 31.08.2015 zur Bestimmung der Restnutzungsdauer des Wohn- und Geschäftshauses ein. Die Klägerin begehrte aufgrund dieses Gutachtens nunmehr wegen einer ihrer Auffassung nach verkürzten Nutzungsdauer der Gebäude (§ 7 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes –EStG–) einen jährlichen Abzug von AfA in Höhe von jeweils 35.763 €.
  5. Mit Einspruchsentscheidung vom 24.10.2016 stellte das FA die Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung für die Streitjahre 2009 bis 2013 mit Blick auf eine –mittlerweile zwischen den Beteiligten nicht mehr streitige– veränderte Aufteilung des Kaufpreises auf Gebäude einerseits und Grund und Boden andererseits in geänderter Höhe fest. Die von der Klägerin begehrte Anwendung einer kürzeren Nutzungsdauer (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG) lehnte das FA ab.
  6. Für das Streitjahr 2015 erließ das FA unter dem 18.04.2018 einen gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, in dem die Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung nach § 162 AO schätzweise in Höhe von 500 € festgestellt wurden; hierbei berücksichtigte das FA wiederum einen AfA-Betrag in Höhe von 21.106 €. Der hiergegen von der Klägerin eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Klägerin hat unter dem 23.11.2016 (betreffend die Streitjahre 2009 bis 2013) und dem 7.11.2018 (betreffend das Streitjahr 2015) Klage erhoben.
  7. Im finanzgerichtlichen Verfahren hat das Finanzgericht (FG) Beweis erhoben „über die tatsächliche Nutzungsdauer der Gebäude Nr. 1 und Nr. 2, D-Straße in X in den Streitjahren 2009 bis 2013“ durch Einholung eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken. Der Sachverständige hat „nach Abwägung, reiflicher Überlegung sowie in Kenntnis und Auswertung der einschlägigen Kataloge zu den Lebensdauern von Bauteilen“ das Modell gemäß Anlage 4 (Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen) der Sachwertrichtlinie (SW-RL) vom 05.09.2012 (Bundesanzeiger, Amtlicher Teil, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Veröffentlichungsdatum 18.10.2012 B1) zur Ermittlung der Nutzungsdauer für das geeignetste Verfahren gehalten, um die im Beweisbeschluss des FG genannten Fragen „sachgerecht und fundiert zu beantworten“; die gewählte Methode ermögliche die erforderliche „sachverständige Würdigung des Einzelfalls“. Ausgehend von diesem Modell und der –durch Inaugenscheinnahme geprüften– Bauweise der zu begutachtenden Gebäude Nr. 1 und Nr. 2 hat der Sachverständige die aus seiner Sicht angemessene „technische Lebensdauer“ des Rohbaus der zu bewertenden Gebäude mit insgesamt 70 Jahren angesetzt und hierbei zwischenzeitlich durchgeführte Modernisierungen (Dacherneuerung, Wärmedämmung, Modernisierung der Fenster und Außentüren, des Leitungssystems sowie der Heizungsanlage, Erneuerung von Bädern, Decken, Fußböden und Treppen sowie die Verbesserung der Grundrissgestaltung) ausdrücklich berücksichtigt. Ferner wurde berücksichtigt, dass vor Ort an den begutachteten Gebäuden festgestellte Baumängel und Bauschäden zwar teilweise substantieller Natur waren, ihnen jedoch kein maßgeblicher Einfluss auf die zu ermittelnde Nutzungsdauer zukam. Im Ergebnis ermittelte der Sachverständige die verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer des Gebäudes Nr. 1 mit 34 und des Gebäudes Nr. 2 mit 32 Jahren.
  8. Das FG gab den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1673 veröffentlichten Urteil statt. Es folgte in seiner Entscheidung den Ausführungen des –in der mündlichen Verhandlung eingehend befragten– Sachverständigen und verwarf den Einwand des FA, dass das vom Sachverständigen angewandte Verfahren der Gebäudesachwertermittlung (§§ 21 ff. i.V.m. § 6 Abs. 6 der Immobilienwertermittlungsverordnung –ImmoWertV– vom 19.05.2010, BGBl I 2010, 639) der Verkehrswertermittlung diene und daher im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG keine Anwendung finden könne; ein rechtlich bedeutender Unterschied zwischen der (Rest-)Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Restnutzungsdauer i.S. des § 6 Abs. 6 ImmoWertV bestehe, so das FG, nicht. Da § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG dem Steuerpflichtigen grundsätzlich die Möglichkeit eröffne, eine kürzere Restnutzungsdauer nachzuweisen, müsse der Nachweis dafür jedenfalls unter Anwendung einer gutachterlich anerkannten Methodik erbracht werden dürfen; insbesondere sei das vom FA geforderte „Bausubstanzgutachten“ kein sachgerechteres Verfahren für die Ermittlung der Nutzungsdauer eines Gebäudes i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG.
  9. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des FA.
  10. Zur Begründung führt das FA aus: Die (verkürzte) tatsächliche Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG sei gemäß § 11c Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden könne; sie werde bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, die die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen könnten. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer sei als die technische Nutzungsdauer, könne der Steuerpflichtige sich auch hierauf berufen. Für die Annahme einer kürzeren technischen Nutzungsdauer genüge es allerdings nicht, dass lediglich einzelne unselbständige Teile des Gebäudes zur Erneuerung oder Ersetzung anstünden. Erforderlich sei vielmehr, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile, d.h. insbesondere des Rohbaus, das Gebäude in seiner Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Ein nicht zeitgemäßer Wohnstandard reiche indes für die Annahme einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht aus. Auch bloße subjektive Einschätzungen einer möglichen weiteren Entwicklung in Bezug auf die Vermietbarkeit rechtfertigten keinen Ansatz einer von der Regeltypisierung abweichenden Nutzungsdauer.
  11. Die im Sachverständigengutachten ermittelte (modellhafte) wirtschaftliche Restnutzungsdauer im Rahmen der Verkehrswertermittlung nach dem Sachwertverfahren sei nicht gleichzusetzen mit der Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG; diese sei vielmehr lediglich eine Rechengröße bei der Wertfeststellung und stelle nicht das eigentliche Ziel der Schätzung –wie bei der Bestimmung der tatsächlichen Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG– dar. Deutlich werde dies insbesondere durch die Annahme unterschiedlicher Nutzungsdauern im Rahmen der Wertermittlung für gleichartige Objekte in den unterschiedlichen Modellbeschreibungen der Gutachterausschüsse; in der Neukonzeption der ImmoWertV 2022 (s. BRDrucks 407/21) sei überdies beabsichtigt, längere Nutzungsdauern als Rechengrößen vorzugeben. Vor diesem Hintergrund sei die SW-RL keine geeignete Grundlage zur Schätzung einer tatsächlichen Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG sei, da die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls dadurch nicht abgebildet werden.
  12. Die Ausführungen des Sachverständigen enthielten keine Ausführungen zur Substanz des Rohbaus bzw. zum technischen Verschleiß der tragenden Teile, sondern erschöpften sich in einem auf Ausstattungsstandard, Modernisierungsgrad und Gebäudealter basierenden typisierten Punkteraster; ein Rückschluss auf eine verkürzte technische Nutzungsdauer sei daher nicht möglich. Auch der Umstand, dass die Klägerin das Wohn- und Geschäftshaus mittlerweile zu einem hohen Preis veräußert habe, zeige, dass von einem relevanten technischen Verschleiß nicht ausgegangen werden könne. Diesen hätte die Klägerin auf andere Weise, etwa mit einem Bausubstanzgutachten, belegen müssen. Da ein solches nicht vorgelegt worden sei, habe die Klägerin ihre Pflicht zum Nachweis der kürzeren Nutzungsdauer nicht erbracht.
  13. Das FA beantragt,
    das Urteil des FG vom 12.07.2019 – 3 K 3307/16 F aufzuheben und die Klage abzuweisen.
  14. Die Klägerin beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Die Entscheidung des FG, das eine i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer der maßgeblichen Gebäude angenommen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
  2. 1. Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt (AfA in gleichen Jahresbeträgen, § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG); die Absetzung bemisst sich hierbei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG). Abweichend hiervon bestimmt sich die AfA für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude nach den festen Prozentsätzen des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG; die Regelung stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG dar.
  3. Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Abs. 1 EStDV der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob den AfA eine die gesetzlich (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG) vorgesehenen, typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 04.03.2008 – IX R 16/07, BFH/NV 2008, 1310, m.w.N.).
  4. 2. Es ist Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer –im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten (vgl. BFH-Urteil vom 11.08.1993 – X R 82/90, BFH/NV 1994, 169)– darzulegen und gegebenenfalls –im Rahmen der ihm obliegenden Feststellungslast– nachzuweisen. Die Würdigung der insoweit von Klägern dargelegten Umstände obliegt dann im Klageverfahren dem FG als Tatsacheninstanz (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 28.10.2008 – IX R 16/08, BFH/NV 2009, 899, und in BFH/NV 2008, 1310, jeweils m.w.N.; BFH-Beschluss vom 22.04.2013 – IX B 181/12, BFH/NV 2013, 1267; s.a. Hessisches FG, Zwischenurteil vom 14.05.2007 – 4 K 1716/04, EFG 2008, 202, bestätigt durch BFH-Urteil vom 23.09.2008 – I R 47/07, BFHE 223, 56, BStBl II 2009, 986).
  5. a) Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint; erforderlich ist insoweit, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten –z.B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen– geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 EStDV), im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist.
  6. b) Die Bestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein (Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, § 7 EStG Rz 307; Blümich/Brandis, § 7 EStG Rz 524; Pfirrmann in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 7 Rz 89; Bartone in Korn, § 7 EStG Rz 173), ob er sich mit dem typisierten AfA-Satz nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zufriedengibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und darlegt. Auszugehen ist im Rahmen der vom FA durchzuführenden Amtsermittlung –bei der nach § 88 Abs. 1 Satz 2 AO auch alle für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen sind– von der Schätzung des Steuerpflichtigen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstellt. Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen nicht Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, ist sie nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt (vgl. BFH-Urteil vom 28.09.1971 – VIII R 73/68, BFHE 103, 468, BStBl II 1972, 176; FG Köln vom 23.01.2001 – 8 K 6294/95, EFG 2001, 675, rechtskräftig; Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 7 Rz E 54).
  7. Vor diesem Hintergrund ist –entgegen der Auffassung des FA– die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), seitens des Steuerpflichtigen nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer, selbst wenn ein solches Gutachten möglicherweise den technischen „Verschleiß“ eines Gebäudes im Einzelfall nachvollziehen könnte. Denn das –erst vor einigen Jahren entwickelte– ERAB-Verfahren, mit dem der Zustand eines jeden relevanten Bauelements von Gebäuden erfasst und durch eine quantitative Größe dargestellt wird, definiert mit Hilfe qualitäts- und schadensbezogener Merkmale sowie zugehöriger Merkmalsausprägungen lediglich einen baustoffspezifischen Wert – den sog. Abnutzungsvorrat. Dies dient in erster Linie der Bewertung der Bauelementqualitäten für die Entwicklung einzelfallbezogener Instandhaltungsstrategien unter Berücksichtigung vorhandener ökologischer und ökonomischer Rahmenbedingungen (s. näher Schönfelder, Zustandsermittlung von Immobilien mittels Verfahren ERAB, 2012). Ungeachtet des Umstands, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG das neuartige ERAB-Verfahren nicht vor Augen haben konnte, legt die Revision schon nicht hinreichend dar, dass allein ein Bausubstanzgutachten dieses Zuschnitts den vom Steuerpflichtigen im Rahmen der Anwendung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG glaubhaft zu machenden „technischen Verschleiß“ eines Gebäudes zutreffend abbilden kann; überdies ist nicht ersichtlich, dass das ERAB-Verfahren (auch) über die wirtschaftliche Entwertung oder etwaige rechtliche Nutzungsbeschränkungen, welche ebenfalls die erforderliche Schätzung der Nutzungsdauer beeinflussen können, Auskunft geben kann (ebenso Blum/Weiss, Die steuerliche Betriebsprüfung 2020, 3, 6).
  8. Wählt der Steuerpflichtige oder ein von diesem oder von dem FG beauftragter Sachverständiger daher aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann dies –gegebenenfalls unter Berücksichtigung entsprechender Anpassungen (vgl. BFH-Beschluss vom 19.01.2018 – X B 60/17, BFH/NV 2018, 530)– Grundlage für die im Einzelfall erforderliche Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein, soweit aus der gewählten Methode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind. Da im Rahmen der Schätzung nur die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer verlangt werden kann, würde eine Verengung der Gutachtenmethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast überspannen.
  9. 3. Nach diesen Grundsätzen hält das angefochtene Urteil des FG revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
  10. a) Das FG ist zur Ermittlung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht allein von der –durch ein Privatgutachten unterlegten– Schätzung der Klägerin und auch nicht von der abweichenden, durch ein Gutachten des Bausachverständigen unterlegten Schätzung des FA ausgegangen, sondern hat –zu Recht– einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken zu Rate gezogen. Das vom Gutachter vorgelegte Sachverständigengutachten ist auch von seinem Ausgangspunkt her nicht zu beanstanden. Zwar ist das vom Sachverständigen angewandte Modell zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen auf der Grundlage von Anlage 4 der SW-RL nicht primär darauf gerichtet, die tatsächliche Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu ermitteln; vorliegend haben die sachverständigen Ausführungen im Gutachten sowie die ergänzenden Erläuterungen des Gutachters in der mündlichen Verhandlung indes dem FG die Möglichkeit gegeben, sich eine sichere Überzeugung über die im Einzelfall anzuwendenden Schätzungsgrundlagen zu bilden.
  11. b) Das FG hat dabei dem Umstand, dass die vom Gutachter angewandte Ermittlungsmethode lediglich eine modellhafte wirtschaftliche Restnutzungsdauer zugrunde legt, zu Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass damit der nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG angemessene Schätzungsrahmen verlassen wurde, geht es im Rahmen der erforderlichen Schätzung doch letztlich nur darum nachzuweisen, dass die von Gesetzes wegen anzunehmende typische Nutzungsdauer im Einzelfall unzutreffend und eine kürzere Nutzungsdauer mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.
  12. Anders als das FA vorträgt, sind die Feststellungen der Vorinstanz nicht lückenhaft. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Beteiligten keine Einwendungen gegen die vom Sachverständigen im Rahmen des angewandten Modells getroffenen Feststellungen im Einzelnen erhoben haben. Diese den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen hat das FA nicht angegriffen. Darüber hinaus hat das FG auch den Bedarf für weitere Anpassungen des Sachverständigengutachtens überprüft. Zu Unrecht geht die Revision zudem davon aus, dass ein bestehender technischer Verschleiß der maßgeblichen Gebäude nicht hinreichend im Sachverständigengutachten Berücksichtigung gefunden habe. Der Gutachter hat anhand bestehender, von ihm begutachteter Baumängel und vom Grundstückseigentümer vorgenommener Modernisierungen die „technische Lebensdauer“ der begutachteten Objekte ermittelt; dessen Feststellungen hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als Grundlage für seine Schätzung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG genommen. Nach den insoweit vom FG gezogenen Schlussfolgerungen ist mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit von einer auf 34 bzw. 32 Jahre verkürzten Nutzungsdauer der Gebäude Nr. 1 und Nr. 2 auszugehen.
  13. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.