Kürzung der Verpflegungspauschalen auch bei Nichteinnahme zur Verfügung gestellter Mahlzeiten

Urteil vom 07. Juli 2020, VI R 16/18

ECLI:DE:BFH:2020:U.070720.VIR16.18.0

BFH VI. Senat

EStG § 8 Abs 2 S 8 , EStG § 8 Abs 2 S 9 , EStG § 9 Abs 4a S 6 , EStG § 9 Abs 4a S 7 , EStG § 9 Abs 4a S 8 , EStG § 9 Abs 4a S 12 , EStG VZ 2015

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 12. Dezember 2017, Az: 5 K 432/17

Leitsätze

Die Verpflegungspauschalen sind auch dann zu kürzen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mahlzeiten zur Verfügung stellt, diese vom Arbeitnehmer aber nicht eingenommen werden.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 12.12.2017 – 5 K 432/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr (2015) Berufssoldat bei der Bundeswehr. Er unterhielt mit seiner Ehefrau und seinen Kindern in X einen eigenen Hausstand. Seit dem 01.10.2013 war der Kläger in Y stationiert und hatte dort auch eine Wohnung angemietet.
  2. Die Bundeswehr stellte dem Kläger in der Kaserne in Y Frühstück, Mittag- und Abendessen zur Verfügung. Für die Inanspruchnahme des Mittag- und des Abendessens hatte der Kläger eine Zuzahlung in Höhe von jeweils 3 €, für die Inanspruchnahme des Frühstücks eine solche in Höhe von 1,63 € pro Mahlzeit zu leisten. Nahm der Kläger eine Mahlzeit nicht ein, erhielt er 150 % des Sachbezugs als steuerpflichtiges Trennungsgeld. Im Streitjahr nahm der Kläger nur das Mittagessen in der Kaserne ein.
  3. Der Kläger war vom 10.11.2014 bis 09.12.2014 krankgeschrieben. Vom 01.06.2015 bis 13.07.2015 war er wegen eines Lehrgangs und wegen Urlaubs nicht in der Kaserne tätig. Vom 08.10.2015 bis 12.11.2015 war er wegen einer Übung und eines anschließenden Urlaubs ebenfalls nicht in der Kaserne anwesend. Unter Berücksichtigung der jeweils nach vierwöchiger Unterbrechung neu beginnenden Dreimonatsfrist gemäß § 9 Abs. 4a Sätze 6, 7 und 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung machte der Kläger u.a. folgende Verpflegungsmehraufwendungen geltend:für den Zeitraum                        10.12.2014 bis 09.03.2015                        19 Tage à 12 €                   228 €        28 Tage à 24 €        672 €        abzgl. 41 x 3 € Mittagessen          123 €                    777 €                                für den Zeitraum                        14.07.2015 bis 13.10.2015                        25 Tage à 12 €        300 €        39 Tage à 24 €        936 €        abzgl. 57 x 3 € Mittagessen171 €        1.065 €                                für den Zeitraum                        15.11.2015 bis 15.02.2016                        11 Tage à 12 €        132 €        12 Tage à 24 €        288 €        abzgl. 19 x 3 € Mittagessen 57 €        363 €gesamt:                2.205 €
  4. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte im Einspruchsverfahren Verpflegungsmehraufwendungen lediglich in Höhe der vom Kläger für die Mittagessen geleisteten Zuzahlungen an. Die weiterhin geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 2.205 € ließ er nicht zum Werbungskostenabzug zu.
  5. Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1533 veröffentlichten Gründen ab.
  6. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
  7. Er beantragt,
    das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 01.08.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.01.2017 dahin zu ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 2.205 € bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden.
  8. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.
  9. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Einen Antrag hat es nicht gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision des Klägers ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die dem Kläger dem Grunde nach zustehenden Verpflegungspauschalen auch im Hinblick auf die vom Kläger nicht eingenommenen, ihm aber von seinem Arbeitgeber i.S. von § 9 Abs. 4a Sätze 8 und 12 EStG zur Verfügung gestellten Mahlzeiten zu kürzen waren.
  2. 1. Der Senat entscheidet gemäß § 90 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung. Kläger und FA haben wirksam auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Ein entsprechender Verzicht des BMF liegt zwar nicht vor; er ist aber auch nicht erforderlich (s. Senatsurteil vom 11.11.2010 – VI R 17/09, BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969, Rz 11, m.w.N.).
  3. 2. Mehraufwendungen des Arbeitnehmers für die Verpflegung sind nach Maßgabe von § 9 Abs. 4a EStG als Werbungskosten abziehbar. Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist nach § 9 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine nach Abwesenheitszeiten gestaffelte Verpflegungspauschale anzusetzen. Nach § 9 Abs. 4a Satz 6 EStG ist der Abzug der Verpflegungspauschalen auf die ersten drei Monate einer längerfristigen beruflichen Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte beschränkt. Gemäß Satz 7 führt eine Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte zu einem Neubeginn, wenn sie mindestens vier Wochen dauert. Wird dem Arbeitnehmer anlässlich oder während einer Tätigkeit außerhalb seiner ersten Tätigkeitsstätte vom Arbeitgeber oder auf dessen Veranlassung von einem Dritten eine Mahlzeit zur Verfügung gestellt, sind die Verpflegungspauschalen gemäß § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG um 20 % für Frühstück und um jeweils 40 % für Mittag- und Abendessen zu kürzen. Hat der Arbeitnehmer für die Mahlzeit ein Entgelt gezahlt, mindert dieser Betrag den Kürzungsbetrag nach Satz 8 (§ 9 Abs. 4a Satz 10 EStG). Die Verpflegungspauschalen nach den Sätzen 3 und 5, die Dreimonatsfrist nach den Sätzen 6 und 7 sowie die Kürzungsregelungen nach den Sätzen 8 bis 10 gelten entsprechend auch für den Abzug von Mehraufwendungen für Verpflegung, die bei einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen, soweit der Arbeitnehmer vom eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG abwesend ist; dabei ist für jeden Kalendertag innerhalb der Dreimonatsfrist, an dem gleichzeitig eine Tätigkeit i.S. des Satzes 2 oder des Satzes 4 ausgeübt wird, nur der jeweils höchste in Betracht kommende Pauschbetrag abziehbar (§ 9 Abs. 4a Satz 12 EStG).
  4. 3. Das FG ist hiernach zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen im Rahmen seiner doppelten Haushaltsführung dem Grunde nach als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehen konnte. Die verschiedenen, jeweils mehr als vierwöchigen Unterbrechungen seiner beruflichen Tätigkeit in der Kaserne in Y führten jeweils zu einem Neubeginn des Dreimonatszeitraums, auf den der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen bei einer längerfristigen beruflichen Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte beschränkt ist. Da dies zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, sieht der Senat insoweit von einer weiteren Begründung ab.
  5. 4. Das FG hat ferner zu Recht entschieden, dass die Verpflegungspauschalen nach § 9 Abs. 4a Sätze 8 und 12 EStG im Hinblick auf die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Mahlzeiten zu kürzen waren. Dies gilt auch in Bezug auf Frühstück und Abendessen, obwohl der Kläger diese Mahlzeiten nicht in der Kaserne eingenommen hat.
  6. Das Zurverfügungstellen einer Mahlzeit durch den Arbeitgeber (oder auf dessen Veranlassung durch einen Dritten) i.S. von § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG erfordert nicht, dass der Arbeitnehmer die Mahlzeit auch tatsächlich einnimmt (ebenso BMF-Schreiben vom 24.10.2014, BStBl I 2014, 1412, Rz 75; Fuhrmann in Korn, § 9 EStG Rz 336; Köhler in Bordewin/Brandt, § 9 EStG Rz 1420; ähnlich bereits Senatsurteile vom 18.05.1990 – VI R 67/88, BFHE 161, 61, BStBl II 1990, 909, und vom 14.09.1993 – VI R 40/93, zur anteiligen Kürzung der in den Lohnsteuer-Richtlinien genannten Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwand beim Angebot zur Teilnahme an einer Gemeinschaftsverpflegung). Aus welchen Gründen der Arbeitnehmer eine ihm von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Mahlzeit nicht einnimmt, ist insoweit ebenfalls unerheblich.
  7. a) Schon nach dem Wortsinn beinhaltet das „zur Verfügung stellen“ einer Mahlzeit lediglich ihre Bereitstellung. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, die angebotene bzw. bereitgestellte Mahlzeit anzunehmen. Ob der Arbeitnehmer die Mahlzeit tatsächlich auch annimmt (in Besitz nimmt), ist für die Frage, ob die Mahlzeit zur Verfügung gestellt wurde, ohne Bedeutung. Das Annehmen einer Mahlzeit durch den Arbeitnehmer ist nach der Wortbedeutung etwas anderes als das Zurverfügungstellen, Bereitstellen oder Abgeben derselben durch den Arbeitgeber.
  8. b) Die Auslegung nach dem Gesetzeswortlaut wird durch den Gesetzeszweck bestätigt. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der gesetzlichen Neuregelung der Verpflegungsmehraufwendungen in § 9 Abs. 4a EStG eine Vereinfachung gegenüber der früheren Rechtslage.
  9. Wurden einem Arbeitnehmer bei einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit Mahlzeiten zur Verfügung gestellt, blieb der Werbungskostenabzug nach der bis 2013 geltenden Rechtslage in Höhe der Verpflegungspauschalen davon unberührt. Der geldwerte Vorteil musste jedoch im Gegenzug beim Arbeitnehmer als Sachbezug versteuert werden. Diese Rechtslage wurde mit der Reform des steuerlichen Reisekostenrechts ab dem Veranlagungszeitraum 2014 grundlegend neu gestaltet. Steht dem Arbeitnehmer dem Grunde nach der Werbungskostenabzug in Form von Verpflegungspauschalen zu, so unterbleibt gemäß § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG nunmehr die Lohnversteuerung der üblichen, nach § 8 Abs. 2 Satz 8 EStG zu bewertenden Mahlzeiten. Im Gegenzug sind die Verpflegungspauschalen gemäß § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG entsprechend zu kürzen.
  10. Durch den Verzicht auf die Besteuerung des geldwerten Vorteils einerseits bei gleichzeitiger Kürzung des Werbungskostenabzugs andererseits wollte der Gesetzgeber insbesondere die Arbeitgeber und die Finanzverwaltung im Besteuerungsverfahren von Verwaltungsaufwand entlasten (BTDrucks 17/10774, S. 12 und 16). Dieses gesetzgeberische Ziel würde zu einem nicht unerheblichen Teil verfehlt, wenn Arbeitgeber und Finanzverwaltung jeweils im Einzelnen aufzeichnen und feststellen müssten, ob der Arbeitnehmer eine ihm zur Verfügung gestellte Mahlzeit auch tatsächlich eingenommen hat. Zwar weist der Kläger in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass der Arbeitgeber im Hinblick auf die Regelung in § 9 Abs. 4a Satz 10 EStG aufzuzeichnen hat, ob der Arbeitnehmer für eine ihm zur Verfügung gestellte Mahlzeit (tatsächlich) ein Entgelt gezahlt hat. Dies ändert aber nichts daran, dass durch die fehlende Notwendigkeit, die tatsächliche Einnahme der zur Verfügung gestellten Mahlzeiten zu dokumentieren, eine erhebliche Steuervereinfachung auf Seiten des Arbeitgebers und eine Verwaltungsvereinfachung auf Seiten der Finanzbehörden eintritt. Die Zahlung eines Entgelts durch den Arbeitnehmer ist im Übrigen im Lohnkonto auch wesentlich einfacher zu erfassen und zu buchen als die Nichteinnahme einer zur Verfügung gestellten Mahlzeit.
  11. Des Weiteren will § 9 Abs. 4a EStG den Mehraufwand typisierend festlegen, der über das hinausgeht, was ein Arbeitnehmer für seine Verpflegung ohnehin während eines normalen Arbeitstags an der ersten Tätigkeitsstätte bzw. bei einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung aufwendet (BTDrucks 17/10774, S. 15). Denn die jedem Steuerpflichtigen täglich entstehenden Aufwendungen für Verpflegung stellen steuerlich grundsätzlich nicht abziehbare Kosten der Lebensführung dar. Als Werbungskosten kommen nur die Mehraufwendungen für die Verpflegung in Betracht.
  12. Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mahlzeiten zur Verfügung, konnte der Gesetzgeber typisierend davon ausgehen, dass dem Arbeitnehmer insoweit für seine Verpflegung keine Mehraufwendungen entstehen. Es ist daher nur folgerichtig, in einem solchen Fall die ebenfalls im Wege der Typisierung festgelegten Verpflegungspauschalen (anteilig) zu kürzen, wie dies § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG anordnet. Nimmt der Arbeitnehmer eine ihm zur Verfügung gestellte Mahlzeit –aus welchen Gründen auch immer– nicht ein, ändert dies nichts daran, dass es bei typisierender Betrachtung auch in einem solchen Fall an einem beruflich veranlassten Verpflegungsmehraufwand fehlt, wenn sich der Arbeitnehmer anderweitig verpflegt.
  13. c) Nach diesen Maßstäben ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.
  14. Die dem Kläger dem Grunde nach zustehenden Verpflegungspauschalen waren wegen der ihm von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Mahlzeiten (Frühstück, Mittag- und Abendessen) gemäß § 9 Abs. 4a Sätze 8 und 12 EStG um insgesamt 100 % auf 0 € zu kürzen.
  15. Die Zurverfügungstellung erfolgte im Streitfall zwar nicht während einer Tätigkeit außerhalb der ersten Tätigkeitsstätte des Klägers (§ 9 Abs. 4a Satz 8 EStG), wie dieser zu Recht anmerkt. Die Bundeswehr stellte dem Kläger die Mahlzeiten aber „bei einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung“ zur Verfügung (§ 9 Abs. 4a Satz 12 EStG). In diesem Fall gilt die Kürzungsregelung des § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG entsprechend.
  16. Nach der gesetzlichen Regelung in § 9 Abs. 4a Sätze 8 und 12 EStG ist es für die Kürzung der Verpflegungspauschalen auch ohne Bedeutung, dass der Kläger nicht verpflichtet war, an der Gemeinschaftsverpflegung in der Kaserne teilzunehmen. Maßgeblich ist allein, dass die Bundeswehr dem Kläger die entsprechenden Mahlzeiten (Frühstück, Mittag- und Abendessen) zur Verfügung gestellt hat. Dies hat das FG für den Senat mangels entsprechender Verfahrensrügen gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellt.
  17. Die vom Kläger für die eingenommenen Mittagessen (tatsächlich) gezahlten Entgelte in Höhe von jeweils 3 € mindern nach § 9 Abs. 4a Sätze 10 und 12 EStG den Kürzungsbetrag. Dies hat das FA bereits in der Einspruchsentscheidung berücksichtigt.
  18. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.