BFH-Urteil vom 4.10.1989 (VI R 44/88) BStBl. 1990 II S. 321

BFH-Urteil vom 4.10.1989 (VI R 44/88) BStBl. 1990 II S. 321

1. Der Senat hält daran fest, daß die Gründung eines doppelten Haushalts dann beruflich veranlaßt ist, wenn beide Ehegatten bereits vor ihrer Heirat an verschiedenen Orten berufstätig waren, an ihren Beschäftigungsorten wohnten und nach der Eheschließung eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung gemacht haben.

2. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn die Ehegatten schon vor der Eheschließung zusammengelebt und die spätere Familienwohnung an einem der beiden Beschäftigungsorte gemeinsam bewohnt haben.

EStG § 9 Abs. 1 Nr. 5; GG Art. 6 Abs. 1.

Vorinstanz: FG des Saarlandes

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) lebten seit 1975 in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammen in W. Der Kläger beteiligte sich finanziell und auch persönlich am gemeinsamen Haushalt. Seit 1978 war die Lebensgemeinschaft auf Dauer angelegt. Seit 1981 sind die Kläger verlobt, seit März 1985 verheiratet.

Die Kläger beziehen beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger war seit 1978 bei der Firma M in Z beschäftigt. Im Jahre 1983 nahm er eine Tätigkeit bei der Hauptniederlassung des Unternehmens in D an, weil sein Geschäftsbereich in Z nicht mehr fortgeführt wurde. Er bemüht sich jedoch, eine seiner Ausbildung entsprechende Stellung in der Nähe von Z zu finden.

In D bewohnt der Kläger ein Zimmer als Untermieter; Dusche und Toilette werden von mehreren Untermietern gemeinsam benutzt. Jedes Wochenende kehrt er in die gemeinsame Wohnung nach W zurück.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 1985 machten die Kläger Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung für das gesamte Kalenderjahr in Höhe von …. DM geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA -) erkannte die doppelte Haushaltsführung jedoch erst ab dem Zeitpunkt der Eheschließung, also ab März 1985, an und ließ dementsprechend nur Mehraufwendungen in Höhe von …. DM zum Abzug zu.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß ledige Arbeitnehmer keinen doppelten Haushalt führen, da sie sich nicht gleichzeitig an zwei Orten aufhalten könnten. Der Kläger habe auch nicht mit einem von ihm finanziell abhängigen Angehörigen zusammengelebt, so daß aus diesem Grunde die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung bejaht werden könnten (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 20. Juni 1975 VI R 72/74, BFHE 116, 41, BStBl II 1975, 649). Denn Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft seien keine Angehörigen im vorbezeichneten Sinne. Davon könne man nur bei natürlicher oder gesetzlicher Verwandtschaft sprechen.

Der Umstand, daß die Kläger seit 1981 verlobt seien, führe zu keiner anderen Beurteilung. Denn auch Verlobte gehörten nicht zu Angehörigen in diesem Sinne, da sie gegenüber ihrem Partner nicht unterhaltsberechtigt seien und demnach nicht finanziell von ihm abhängen könnten.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Senat hat im Urteil vom 22. September 1988 VI R 53/85 (BFHE 155, 77, BStBl II 1989, 293) entschieden, daß eine doppelte Haushaltsführung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG u.a. einen „Familienhausstand“ voraussetzt. Er hat dies zusammenfassend aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH zu § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG sowie aus dem Tatbestandsmerkmal der „Familienheimfahrt“ gefolgert. Weiter hat er in diesem Urteil ausgesprochen, daß ein Familienhausstand in diesem Sinne nicht vorliegt, wenn bei Begründung der doppelten Haushaltsführung in dem außerhalb des Beschäftigungsortes eingerichteten Haushalt nur eine Person lebt, mit der der Steuerpflichtige lediglich kirchlich, nicht aber standesamtlich verheiratet ist. Er hat schließlich in dieser Entscheidung noch darauf hingewiesen, daß auch Verlobte keinen Familienhausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG unterhalten.

Hieran hält der Senat fest. Für den vorliegenden Fall folgt daraus, daß das Zusammenleben der Kläger vor ihrer Eheschließung in einem gemeinsamen Hausstand kein „Familienhausstand“ des Klägers war. Durch die Aufsplittung des gemeinsamen Hausstands anläßlich der Versetzung des Klägers im Jahre 1983 konnte deshalb keine doppelte Haushaltsführung entstehen. Hieran hat sich – vor der Eheschließung – auch im Streitjahr nichts geändert.

Zu Recht ist das FG jedoch davon ausgegangen, daß seit der Eheschließung der Kläger im März 1985 eine doppelte Haushaltsführung des Klägers vorliegt. Zwar vermochte die Heirat allein keine doppelte Haushaltsführung des bereits auswärts beschäftigten und dort wohnenden Klägers zu begründen; denn die Eheschließung ist grundsätzlich ein privater Vorgang (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306). Wäre nur der Kläger berufstätig, so unterschiede sich der Streitfall nicht von demjenigen, daß vor der Eheschließung an verschiedenen Orten lebende Partner ihre Wohnungen nach der Eheschließung beibehalten und die Wohnung des nicht berufstätigen Ehegatten zur Familienwohnung machen (vgl. auch insoweit Urteil in BFHE 155, 77, BStBl II 1989, 293).

Im vorliegenden Fall gilt aber deshalb etwas anderes, weil die Klägerin im Streitjahr ebenfalls berufstätig war. Grundsätzlich sind allerdings Ereignisse, die die Person des einen Ehegatten betreffen, für das Dienstverhältnis des anderen Ehegatten als privat veranlaßt anzusehen. Hiervon hat der Senat aber dann eine Ausnahme zugelassen, wenn beide Eheleute vor der Eheschließung an verschiedenen Orten berufstätig waren, an den Beschäftigungsorten wohnten und nach der Heirat eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung gemacht haben (Urteil vom 13. Juli 1976 VI R 172/74, BFHE 119, 281, BStBl II 1976, 654). Er hat dies unter verfassungskonformer Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG damit begründet, daß sonst ein Arbeitnehmer und eine Arbeitnehmerin, die beide bereits vor ihrer Eheschließung berufstätig waren und noch keinen doppelten Haushalt begründen konnten, von einem entsprechenden Werbungskostenabzug ausgeschlossen wären. Diese Rechtsauffassung hat der Senat wiederholt bestätigt (BFH-Urteile vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79, BFHE 135, 37, BStBl II 1982, 297; vom 2. Oktober 1987 VI R 149/84, BFHE 151, 78, BStBl II 1987, 852, und vom 22. September 1988 VI R 184/85, BFH/NV 1989, 220).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Sie gilt auch für Fälle der hier vorliegenden Art. Denn für die Beurteilung des Werbungskostenabzugs ab dem Zeitpunkt der Eheschließung kann es keinen Unterschied machen, ob die späteren Ehegatten vor ihrer Eheschließung bereits am Beschäftigungsort eines Partners zusammengelebt oder erst nach der Heirat an einem der beiden Beschäftigungsorte einen gemeinsamen Hausstand begründet haben. Auch im letzteren Fall kann der Werbungskostenabzug in verfassungskonformer Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG (Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG -) nicht versagt werden, da die Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft trotz ihrer beiderseitigen Berufstätigkeit vor ihrer Eheschließung keine doppelte Haushaltsführung begründen konnten.

Obwohl mithin das FG zutreffend die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung ab der Eheschließung der Kläger bejaht und für den vorhergehenden Zeitraum verneint hat, kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Denn das FG hätte noch prüfen müssen, ob die vom Kläger bis zur Eheschließung geltend gemachten Kosten für Heimfahrten nach W als Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG) berücksichtigt werden können. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kommt es für die Anerkennung derartiger Aufwendungen nicht mehr auf die Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Wohnung an (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1985 VI R 7/83, BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221).

Die Vorentscheidung, die diesen Gesichtspunkt nicht berücksichtigt hat, ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Bei der erneuten Verhandlung der Sache wird das FG auch zu beachten haben, daß der Kläger (für die Zeit bis zur Eheschließung) – über die im Rahmen der doppelten Haushaltsführung geltend gemachten Aufwendungen für Heimfahrten hinaus – ggf. auch weitere, tatsächlich durchgeführte Heimfahrten geltend machen kann.


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