ECLI:DE:BFH:2023:U.141123.IXR10.22.0
BFH IX. Senat
EStG § 22 Nr 2, EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr 1 S 1, EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr 1 S 3, EStG VZ 2018 , GG Art 6 Abs 1
vorgehend FG Münster, 19. Mai 2022, Az: 8 K 19/20 E
Leitsätze
NV: Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes liegt nicht vor, wenn eine Nutzungsüberlassung (auch) an den geschiedenen Ehegatten erfolgt (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, u.a. Senatsurteil vom 14.02.2023 – IX R 11/21, BFHE 280, 1, BStBl II 2023, 642, Rz 29 ff.).
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 19.05.2022 – 8 K 19/20 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
- Streitig ist, ob der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt ist, wenn der veräußernde Ehegatte nach dem Scheitern der Ehe aus der zuvor gemeinsam bewohnten Immobilie ausgezogen ist, der andere Ehegatte und die beiden gemeinsamen Kinder dort jedoch wohnen bleiben.
- Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit dem xx.xx.1989 mit Frau … (Kindesmutter) verheiratet. Aus der Ehe entstammen zwei in den Jahren 1994 und 2000 geborene Kinder. Die Ehe wurde am xx.xx.2014 geschieden.
- Der Kläger und die Kindesmutter waren je hälftige Miteigentümer der Immobilie A-Straße in B-Stadt (Immobilie). Die Immobilie diente dem Kläger und der Kindesmutter sowie den gemeinsamen Kindern während des Bestehens der Ehe als gemeinsames Familienheim. Der Kläger zog infolge der Trennung von der Kindesmutter aus der Immobilie aus. In 2016 zog auch der ältere Sohn in eine eigene Wohnung.
- Zur endgültigen Vermögensauseinandersetzung übertrug die Kindesmutter im Rahmen der Ehescheidung aufgrund der Scheidungsfolgenvereinbarung vom xx.xx.2014 (Urkundenrolle Nr. xxx des Notars … ‑‑Scheidungsfolgenvereinbarung‑‑) ihren Miteigentumsanteil an der Immobilie auf den Kläger. Nach der Scheidungsfolgenvereinbarung stand der Kindesmutter jedoch das Recht zu, die Immobilie bis zum 31.12.2018 unentgeltlich zu nutzen. Eine Verlängerung des Nutzungsrechts bis zum 31.12.2019 war vorgesehen, falls der jüngste Sohn unmittelbar nach dem Abitur ein freiwilliges soziales Jahr in B-Stadt absolvieren und dann noch im mütterlichen Haushalt leben würde. Die Scheidungsfolgenvereinbarung enthält zudem den Hinweis, dass das mietfreie Wohnen eine Unterhaltsleistung des Klägers darstelle. Als Gegenleistung für den Erwerb des hälftigen Miteigentums stellte der Kläger die Kindesmutter von allen gemeinsamen Verbindlichkeiten inklusive der Darlehensverbindlichkeiten, für die Grundschulden bestellt worden waren, frei und leistete einen zusätzlichen Ausgleichsbetrag in Höhe von … €.
- Mit notariellem Kaufvertrag vom xx.xx.2018 (Urkundenrolle Nr. xxx des Notars …) verkaufte der Kläger die Immobilie. Als Kaufpreis wurden … € vereinbart, wovon … € auf das Inventar entfielen.
- Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte in Hinblick auf die Veräußerung der Immobilie bei der Einkommensteuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 2018 Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft in Höhe von … €. Eine Steuerbefreiung wegen einer Eigennutzung des Klägers liege nicht vor. Auch im Einspruchsverfahren versagte das FA diese (Einspruchsentscheidung vom 04.12.2019).
- Dem folgte auch das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1207 abgedruckten Gründen (Urteil vom 19.05.2022 – 8 K 19/20 E).
- Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, mit der er insbesondere die Verletzung materiellen Rechts (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und 3 EStG) rügt. Ihm, dem Kläger, habe es an der Gewinnerzielungsabsicht gefehlt. Die Überlassung der Nutzung an die Kinder habe im Vergleich zur Nutzung durch die Kindesmutter im Vordergrund gestanden. Hingegen sei die Überlassung an die Kindesmutter für einen vorübergehenden, befristeten Zeitraum unschädlich gewesen. In Anbetracht dessen, dass er sich im Rahmen der Scheidungsfolgenvereinbarung zu Unterhaltsleistungen an die Kindesmutter verpflichtet habe, sei dem Nutzungsrecht keine eigenständige Bedeutung zugekommen. Die beiden Kinder hätten die Immobilie als eigene Wohnung im Sinne des Gesetzes genutzt. Die Kinder hätten über eine eigene Küche verfügt, die lediglich zeitweise von der Kindesmutter mitgenutzt worden sei. Es komme nicht darauf an, ob einzelne Bereiche der Immobilie unabhängig voneinander veräußerbar seien. Ferner sei diese Wertung durch Art. 6 des Grundgesetzes (GG) geboten. Andernfalls sei er ‑‑der Kläger‑‑ bereits im Rahmen der Scheidung noch vor seinem Auszug verpflichtet gewesen, die Immobilie zu veräußern. Dies wäre zum Nachteil der Kinder gewesen. Vielmehr sei sein Auszug zum Wohle der Kinder erfolgt, die durch die Trennung der Eltern in besonderer Weise psychisch belastet worden seien.
- Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG Münster vom 19.05.2022 – 8 K 19/20 E aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2018 vom 17.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.12.2019 dahin zu ändern, dass keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften berücksichtigt werden. - Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
- Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht erkannt, dass der Kläger im Streitjahr (2018) ein nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbares privates Veräußerungsgeschäft getätigt hat (dazu unter 1.). Entgegen der Ansicht der Revision hat der Kläger das Wirtschaftsgut im maßgeblichen Zeitraum nicht im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG zu eigenen Wohnzwecken genutzt (dazu unter 2.).
- 1. Der Kläger hat im Streitjahr sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG erzielt.
- a) Nach § 22 Nr. 2 EStG zählen zu den sonstigen Einkünften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 EStG. Dazu gehören gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (zum Beispiel Erbbaurecht, Mineralgewinnungsrecht), bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.
- b) So verhält es sich in Hinblick auf die Veräußerung des von der Kindesmutter erworbenen Miteigentumsanteils an der Immobilie. Dass die im Jahr 2018 erfolgte Veräußerung des im Jahr 2014 im Rahmen der Scheidungsfolgenvereinbarung erworbenen Miteigentumsanteils innerhalb der zehnjährigen Haltefrist stattgefunden hat, bedarf keiner weitergehenden Erörterung.
- c) Die Einkünfteerzielungsabsicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht zu überprüfen (Senatsurteil vom 20.08.2013 – IX R 38/11, BFHE 242, 386, BStBl II 2013, 1021, Rz 30, m.w.N.). Dieses Merkmal des Steuertatbestands wird durch die Zehnjahresfrist in typisierender Weise objektiviert (vgl. Senatsurteil vom 25.08.2009 – IX R 60/07, BFHE 226, 252, BStBl II 2009, 999, unter II.1.b, m.w.N.). Gesichtspunkte, die eine erneute Befassung des Senats mit dieser Frage erforderten, enthält der Vortrag des Klägers nicht und sind auch nicht von Amts wegen ersichtlich.
- 2. Der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist nicht einschlägig.
- a) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nimmt Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden, von der Besteuerung aus.
- Nach der Senatsrechtsprechung setzt der Ausdruck „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ in beiden Alternativen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG voraus, dass eine Immobilie zum Bewohnen dauerhaft geeignet ist und vom Steuerpflichtigen auch bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude zumindest auch selbst nutzen; unschädlich ist, wenn er es gemeinsam mit seinen Familienangehörigen oder einem Dritten bewohnt (Senatsurteile vom 21.05.2019 – IX R 6/18, Rz 16; vom 24.05.2022 – IX R 28/21, Rz 15 und vom 14.02.2023 – IX R 11/21, BFHE 280, 1, BStBl II 2023, 642, Rz 26, m.w.N.).
- b) Ein Gebäude wird nach der Senatsrechtsprechung auch zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn der Steuerpflichtige es einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind (oder mehreren einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kindern) unentgeltlich zu Wohnzwecken überlässt (Senatsurteile vom 21.05.2019 – IX R 6/18, Rz 18; vom 24.05.2022 – IX R 28/21, Rz 17 sowie vom 14.02.2023 – IX R 11/21, BFHE 280, 1, BStBl II 2023, 642, Rz 28). Keine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG liegt hingegen vor, wenn die Überlassung nicht ausschließlich an ein einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind (oder mehrere einkommensteuerlich zu berücksichtigende Kinder), sondern zugleich an einen Dritten (zum Beispiel die Kindesmutter beziehungsweise den Kindesvater) erfolgt (Senatsurteile vom 24.05.2022 – IX R 28/21, Rz 18 sowie vom 14.02.2023 – IX R 11/21, BFHE 280, 1, BStBl II 2023, 642, Rz 29, m.w.N.; vgl. u.a. Jachmann-Michel, juris – Die Monatszeitschrift 2023, 300; Christopeit, Familie und Recht 2023, 316; Menges, Betriebs-Berater 2023, 279).
- Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer als eigene zuzurechnen, weil es ihm obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 26.01.1994 – X R 94/91, BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544, unter 1.b). Soweit die höchstrichterliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Begriff der „eigenen Wohnzwecke“ tatbestandlich auf die Vorschrift des § 32 EStG abgestellt hat, erfolgt dies vor dem Hintergrund der Annahme, dass der Gesetzgeber ‑‑aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung‑‑ bei den nach dieser Vorschrift zu berücksichtigenden Kindern typisierend eine Unterhaltspflicht und das Entstehen von Aufwendungen unterstellt (Senatsurteile vom 24.05.2022 – IX R 28/21, Rz 24 und vom 14.02.2023 – IX R 11/21, BFHE 280, 1, BStBl II 2023, 642, Rz 30). Vor welchem Hintergrund beziehungsweise in welchem Umfang die Nutzungsüberlassung (auch) an den Dritten erfolgt, ist demnach unbeachtlich.
- c) Nach diesen Maßstäben nutzte der Kläger die Immobilie nicht unmittelbar zu eigenen Wohnzwecken. Der Kläger ist infolge der Trennung von der Kindesmutter aus der Immobilie ausgezogen.
- Dem Kläger kann auch keine mittelbare Nutzung zu Wohnzwecken aufgrund der Überlassung der Immobilie an seine Kinder als eigene zugerechnet werden. Neben den Kindern bewohnte zugleich die Kindesmutter die Immobilie. Die Nutzung durch die Kindesmutter kann dem Kläger nicht als Eigennutzung zugerechnet werden. Es fehlt an einer entsprechenden rechtlichen Grundlage für die Zurechnung der Nutzung durch die Kindesmutter als eigene Nutzung durch den Kläger. Die Regelung in der Scheidungsfolgenvereinbarung, dass die mietfreie Nutzung der Wohnung eine Unterhaltsleistung darstelle, stellt keine relevante rechtliche Grundlage dar. Denn eine Nutzung zu „eigenen Wohnzwecken“ im Sinne des Einkommensteuerrechts liegt nur vor, wenn unterhaltsberechtigte Personen ‑‑wie Kinder‑‑ typischerweise zur Lebens- oder Wirtschaftsgemeinschaft des Steuerpflichtigen gehören. Dies ist bei dauernd getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten, die nicht mehr Teil einer Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft sind, indes nicht der Fall. Der laufende Unterhalt ist vielmehr regelmäßig durch Zahlung einer Geldrente zu gewähren (§ 1361 Abs. 4 bzw. § 1585 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑; Senatsurteil vom 14.02.2023 – IX R 11/21, BFHE 280, 1, BStBl II 2023, 642, Rz 39; BFH-Urteil vom 26.01.1994 – X R 17/91, BFHE 173, 352, BStBl II 1994, 542, unter 1.).
- d) Soweit der Kläger im Revisionsverfahren vorgebracht hat, sich in einer Zwangslage befunden zu haben, da beide Eltern bei der Gestaltung der Scheidungsfolgenvereinbarung primär die Beibehaltung des häuslichen Umfeldes für die durch die Trennung und anstehende Scheidung der Eltern psychisch belasteten Kinder im Fokus gehabt hätten, kommt es auf die Beweggründe für die Überlassung einer Immobilie an einen Dritten nach den genannten Maßstäben nicht an. Im Übrigen handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen. Dieses kann im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (§ 118 Abs. 2 FGO).
- e) Auch Art. 6 GG verhilft der Revision nicht zum Erfolg (vgl. aber Sagmeister, Deutsches Steuerrecht 2011, 1589, 1591, zur Wohnnutzung auf der Grundlage des § 1568a BGB). Der Kläger hat die zum Wesen der Ehe und Familie gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft durch seinen Auszug und spätere Scheidung aufgelöst. Zwar lässt Art. 6 Abs. 1 GG auch der geschiedenen Ehe Schutz zukommen. Gleichwohl kann der Gesetzgeber einer bestehenden Ehe Vorteile einräumen, die er einer geschiedenen Ehe vorenthält. Nur bei zusammenlebenden Ehegatten kann er davon ausgehen, dass sie grundsätzlich zusammen eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der die Ehegatten jeweils an den Einkünften wie Lasten des anderen teilhaben (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.10.2003 – 1 BvR 246/93, 1 BvR 2298/94, BVerfGE 108, 351, unter C.I.2.b, m.w.N.).
- 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.