Prozesszinsen nach § 236 AO als Kapitaleinkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG

Beschluss vom 17. Mai 2021, VIII B 88/20

ECLI:DE:BFH:2021:B.170521.VIIIB88.20.0

BFH VIII. Senat

EStG § 20 Abs 1 Nr 7 , AO § 236 , EStG VZ 2014 , FGO § 115 Abs 2 Nr 1

vorgehend FG München, 14. Juli 2020, Az: 2 K 2370/19

Leitsätze

NV: Es ist nicht klärungsbedürftig, dass Prozesszinsen auf erstattete Einkommensteuer zu den Erträgen aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 14.07.2020 – 2 K 2370/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Aufgrund eines gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999 erfolgreich geführten Klageverfahrens erhielt die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) im Streitjahr 2014 neben zu viel gezahlter Einkommensteuer auch Erstattungszinsen in Höhe von insgesamt … € ausgezahlt.
  2. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) setzte diese Zinsen im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 17.05.2016 als steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung an.
  3. Mit dem dagegen erhobenen Einspruch machte die Klägerin geltend, in dem ausgezahlten Betrag seien Prozesszinsen nach § 236 der Abgabenordnung (AO) in Höhe von … € enthalten, die nicht steuerbar und daher zu Unrecht als steuerpflichtige Kapitalerträge erfasst worden seien. Der Einspruch blieb ohne Erfolg, ebenso die nachfolgend erhobene Klage.
  4. Mit der gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) erhobenen Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie wegen Vorliegens eines Verfahrensfehlers.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde ist unbegründet.
  2. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) noch liegt ein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
  3. 1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. wenn die Beantwortung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung dem allgemeinen Interesse dient (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 21.04.1999 – I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254). Es muss sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handeln, die im Revisionsverfahren auch geklärt werden könnte. Am Klärungsbedarf fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12.05.2005 – V B 146/03, BFHE 209, 105, BStBl II 2005, 714). Im Übrigen kommt eine Zulassung der Revision nicht schon deshalb in Betracht, weil es zu der konkret im Streitfall zu beurteilenden Rechtsfrage noch keine BFH-Entscheidung gibt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 20.04.2000 – V B 156/99, BFH/NV 2000, 1347; vom 23.01.2001 – V B 129/00, BFH/NV 2001, 940).
  4. 2. Danach liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht vor.
  5. a) Die Klägerin wirft als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung die Frage auf, „ob Prozesszinsen gemäß § 236 AO … dem nichtsteuerbaren Bereich zuzuordnen sind oder wie Erstattungszinsen steuerpflichtige Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen sind (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG)“.
  6. b) Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits anhand des Gesetzes und der bisherigen Rechtsprechung des BFH eindeutig so zu beantworten ist, wie es das FG in der angefochtenen Entscheidung getan hat.
  7. aa) Zu den nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG zur Einkommensteuer heranzuziehenden Einkünften aus Kapitalvermögen gehören gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG auch Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, soweit sie nicht einer anderen Einkunftsart zuzurechnen sind (§ 20 Abs. 8 EStG). Sonstige Kapitalforderungen jeder Art im Sinne der Vorschrift sind alle auf einen Geldbetrag gerichteten Forderungen, die nicht schon nach einem anderen Tatbestand des § 20 Abs. 1 EStG zu erfassen sind. Hierzu zählt nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, da hierauf geleistete Zinsen als Gegenleistung dafür gezahlt werden, dass der Steuerpflichtige dem Fiskus –wenn auch gezwungenermaßen– Kapital zur Nutzung überlassen hat, zu dessen Leistung er letztlich nicht verpflichtet war (vgl. BFH-Urteile vom 18.02.1975 – VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; vom 08.04.1986 – VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557; vom 08.11.2005 – VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527, und vom 12.11.2013 – VIII R 36/10, BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168). Auch Prozesszinsen i.S. des § 236 AO werden wie andere Zinsen dafür gezahlt, dass dem Gläubiger die Möglichkeit der Kapitalnutzung entzogen ist. Für die einkommensteuerliche Einordnung unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG macht es daher weder einen Unterschied, ob die Pflicht zur Abgeltung der Kapitalnutzung auf vertraglicher oder gesetzlicher Grundlage beruht, noch, ob es sich bei den Prozesszinsen der Sache nach um eine besondere Art des Schadensersatzes handelt. Jedenfalls ist wirtschaftlich und steuerrechtlich die nach § 236 AO in Zinsform zu erbringende Leistung an den Steuerpflichtigen als Entgelt für die erzwungene Kapitalüberlassung an das FA anzusehen (BFH-Urteil in BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557, unter 1.b).
  8. bb) Aus dem von der Klägerin in Bezug genommenen BFH-Urteil vom 15.06.2010 – VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503) zur Steuerpflicht von Erstattungszinsen nach § 233a AO folgt nichts anderes, weil der Gesetzgeber mit der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 vom 08.12.2010 –JStG 2010– (BGBl I 2010, 1768), die Erstattungszinsen i.S. des § 233a AO ausdrücklich dem steuerbaren Bereich zuweist, dieser Rechtsprechung die Grundlage entzogen hat. Soweit die Klägerin vorträgt, die gesetzliche Klarstellung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG beziehe sich lediglich auf Erstattungszinsen i.S. des § 233a AO, nicht aber auf Prozesszinsen i.S. des § 236 AO, beruht dies darauf, dass der BFH mit seinem Urteil in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 lediglich die Steuerbarkeit von Erstattungszinsen nach § 233a AO in Zweifel gezogen hatte und deshalb aus Sicht des Gesetzgebers auch nur insoweit eine klarstellende gesetzliche Regelung veranlasst war. Aus der Normierung (nur) der Erstattungszinsen i.S. des § 233a AO als Kapitaleinkünfte in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 kann deshalb nicht abgeleitet werden, dass die Frage der Steuerbarkeit von Prozesszinsen i.S. des § 236 AO klärungsbedürftig wäre. Wie der BFH bereits entschieden hat, ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 die Rechtslage mit Wirkung für die Vergangenheit so regeln wollte, wie sie bis zum Ergehen des BFH-Urteils in BFHE 230, 109, BStBl 2011, 503 der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprach (BFH-Urteile vom 15.04.2015 – VIII R 30/13, juris, Rz 35, sowie in BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168, Rz 30; zur Steuerpflicht von Prozesszinsen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG a.F. vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557).
  9. c) Der weiteren von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage, ob aus der Anrechnungsvorschrift des § 236 Abs. 4 AO eine Umqualifikation von Erstattungs- in Prozesszinsen folgt, kommt bereits deswegen keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie für die angefochtene Entscheidung –wie das FG ausdrücklich ausgeführt hat– nicht entscheidungserheblich war und deshalb in einem künftigen Revisionsverfahren auch nicht klärungsfähig wäre (vgl. hierzu: BFH-Beschluss vom 14.12.2011 – X B 85/11, BFH/NV 2012, 749, m.w.N.).
  10. 3. Die Klägerin macht schließlich zu Unrecht geltend, das FG habe eine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 und § 76 Abs. 2 FGO). Eine solche Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (z.B. BFH-Beschluss vom 02.04.2002 – X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht indes nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (BFH-Beschluss vom 25.05.2000 – VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235). Danach liegt im Streitfall keine Überraschungsentscheidung vor. Die Bedeutung des BFH-Urteils in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 für die hier streitgegenständliche Frage der Steuerbarkeit von Prozesszinsen nach § 236 AO ist vom FG nicht erst im Endurteil in das Verfahren eingebracht worden, sondern war schon im Klageverfahren Gegenstand der wechselseitigen Erörterungen (vgl. z.B. Schriftsatz des FA vom 20.11.2019).
  11. 4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
  12. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.