Rüge der fehlerhaften gerichtlichen Hinzuschätzung von Einnahmen mit der Nichtzulassungsbeschwerde

Beschluss vom 05. März 2020, VIII B 30/19

BFH VIII. Senat

FGO § 115 Abs 2 Nr 2 , FGO § 115 Abs 2 Nr 3 , FGO § 116 Abs 3 S 3 , AO § 162 Abs 2 , FGO § 96 Abs 1 S 1 , GG Art 103 Abs 1 , FGO § 76 Abs 1 S 1

vorgehend Hessisches Finanzgericht , 13. Dezember 2018, Az: 6 K 940/17

Leitsätze

NV: Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler). Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist. Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung zur Zulassung der Revision, wenn sich das Ergebnis der Schätzung als offensichtlich realitätsfremd darstellt. Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdebegründung darzulegen.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 13.12.2018 – 6 K 940/17 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legt die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügend dar.

1. Der Kläger stützt die Beschwerde zwar darauf, der Streitfall werfe Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO auf, er erläutert aber nicht schlüssig, dass die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes erfüllt sind.

a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche, abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 07.02.2017 – X B 79/16, BFH/NV 2017, 774, Rz 11).

b) Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) sind die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen bestehen. Das Finanzgericht (FG) hat seine Schätzungsbefugnis im Streitfall darauf gestützt, dass das vom Kläger freiwillig geführte Kassenbuch verschiedene Mängel aufweise und daher nicht zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen herangezogen werden könne (Blatt 19 bis 25 des FG-Urteils). Ob die vom FG dargelegten Mängel und Unrichtigkeiten vorliegen, was der Kläger bestreitet, betrifft den Streitfall als Einzelfall, nicht aber eine abstrakte Rechtsfrage i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 774, Rz 13). Gleiches gilt für die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob das FG-Urteil die von der Rechtsprechung des BFH geforderte Begründungstiefe für die Annahme der Schätzungsbefugnis und die Schätzung eines Unsicherheitszuschlags zu den geschätzten Einnahmen aufweist.

2. Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler). Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist. Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung zur Zulassung der Revision, wenn sich das Ergebnis der Schätzung als offensichtlich realitätsfremd darstellt. Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdebegründung darzulegen (BFH-Beschluss vom 21.01.2009 – X B 125/08, BFH/NV 2009, 951, unter 6.a).

Der Kläger trägt in der Beschwerdebegründung vor, dass aus seiner Sicht massive Zweifel an der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt –FA–) im Prüfungsbericht herangezogenen Begründung für eine Schätzungsbefugnis und die Höhe der Hinzuschätzung bestehen. Er führt auf Seite 3 seiner Beschwerdebegründung jedoch selbst aus, dass das FG sich die Begründung des FA gar nicht zu eigen gemacht hat, weshalb hierin auch keine willkürlich falsche Rechtsanwendung des FG liegen kann. Umstände, in denen der Kläger einen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler des FG im Streitfall sieht, werden hingegen nicht dargelegt. Gleiches gilt für das Vorbringen des Klägers, das FG habe zu Unrecht eine private Nutzbarkeit des Wohnmobils des Klägers bejaht und zu Unrecht die Benzinkosten des PKW Citroen nicht als Betriebsausgaben anerkannt. Der Kläger führt zwar aus, dass er die Würdigung des FG für materiell unrichtig hält, er begründet aber nicht, dass und warum auch ein qualifizierter Rechtsanwendungsfehler vorliegt.

3. Der Kläger legt auch keine zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensfehler des FG i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO hinreichend dar.

a) Die Rüge, das FG habe beantragte Beweise nicht erhoben und hierdurch seine Pflicht zur Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, wird nicht schlüssig begründet.

Die Rüge mangelnder Sachaufklärung des FG durch Nichterhebung angebotener Beweise gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer die ermittlungsbedürftigen Tatsachen (Beweisthemen), die angebotenen Beweismittel, die genauen Fundstellen (Schriftsatz oder Terminsprotokoll, in denen die Beweismittel benannt worden sind, die das FG nicht erhoben hat), das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme, inwieweit das Urteil des FG aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann, darlegt und ausführt, dass –sofern die Voraussetzungen des § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind– bei nächster sich bietender Gelegenheit die Nichterhebung der Beweise gerügt worden ist oder dass die Absicht des FG, die angebotenen Beweise nicht zu erheben, nicht rechtzeitig erkennbar war, um dies noch vor dem FG rügen zu können (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 951, unter 4.a).

Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird vom Kläger nicht erläutert. Er rügt zwar, das FG habe –von ihm namentlich benannte– Amtsträger zu den der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen in der Außenprüfung zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen und insbesondere zur Ermittlung der Höhe nicht erklärter Bareinnahmen des Klägers durch die Prüfer als Zeugen vernehmen müssen. Das FG hat jedoch in der Vorentscheidung dargelegt, die in der Außenprüfung herangezogene Bargeldverkehrsrechnung könne zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht herangezogen werden (Blatt 28 des Urteils), hat eine eigene gerichtliche Hinzuschätzung von Einnahmen und Umsätzen vorgenommen und hat auf dieser Grundlage auch den Beweisantrag des Klägers abgelehnt (Blatt 55 bis 57 des Urteils). In seiner Beschwerdebegründung setzt sich der Kläger weder mit der Begründung des FG zur Ablehnung des Beweisantrags auseinander, noch erläutert er, warum das FG-Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen kann, obwohl das FG die Bargeldverkehrsrechnung für die Ermittlung der Höhe der Hinzuschätzung als unerheblich angesehen hat.

b) Auch eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs wird nicht dargelegt.

Das Gericht hat aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes und § 96 Abs. 2 FGO heraus die Pflicht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG seine Überzeugung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zugrunde zu legen. Zum Gegenstand des Verfahrens gehören alle rechtserheblichen Umstände tatsächlicher Art, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren; das FG darf weder Umstände, die zum Gegenstand des Verfahrens gehören, ohne zureichenden Grund ausblenden, noch darf es seine Überzeugung auf Umstände gründen, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens zählen. Das FG muss insbesondere den Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Beteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 06.02.2019 – VIII B 23/18, BFH/NV 2019, 402, Rz 4). Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat. Anders liegt es allerdings dann, wenn aus den besonderen Umständen des Falles deutlich wird, dass dies nicht der Fall ist oder das FG Vorbringen ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Zumindest wesentliche Tatsachen und Rechtsausführungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet sein. Dies gilt auch im Hinblick auf die Frage, ob das Ergebnis einer Schätzung noch schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig ist (BFH-Beschluss vom 26.02.2018 – X B 53/17, BFH/NV 2018, 820, Rz 10).

Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt aber nicht bereits deshalb vor, weil das FG den ihm vorliegenden Vortrag und Akteninhalt nicht entsprechend der klägerischen Vorstellungen würdigt. Insoweit handelt es sich um die Behauptung materiell-rechtlicher Fehler des FG durch die Kläger, die im Beschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich sind (Senatsbeschluss in BFH/NV 2019, 402, Rz 10). Dies gilt auch hier. Der Kläger macht geltend, seine Geldverkehrsrechnung und der Inhalt der in der mündlichen Verhandlung übergebenen fünf Leitz-Ordner sei von der „Gegenseite“ (dem FA) zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Insoweit legt er aber schon keinen Verfahrensfehler des FG dar, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zur Zulassung der Revision führen könnte; Verfahrensfehler des FA im Besteuerungsverfahren sind insoweit unerheblich. Mit dem Vortrag, das FG habe im Rahmen der Begründung der Schätzungsbefugnis auf Blatt 32 der Vorentscheidung das Verrechnungskonto und das geschäftliche Girokonto verwechselt, rügt der Kläger die rechtliche Würdigung des FG, nicht aber einen Verstoß des FG gegen das rechtliche Gehör.

c) Aus dem pauschalen Vorhalt des Klägers, das FG habe gegen die Hinweispflicht des FG gemäß § 76 Abs. 2 FGO verstoßen, ist nicht erkennbar, worin er diesen Verstoß konkret sieht. Die Rüge wird damit nicht schlüssig begründet.

d) Die Rüge, dem Kläger sei kein unterschriebenes Urteil übermittelt worden, begründet keinen Verfahrensfehler. Dem Unterschriftserfordernis des § 105 Abs. 1 Satz 2 FGO unterliegt lediglich die bei den Gerichtsakten verbleibende Urschrift der Entscheidung. Die Beteiligten erhalten regelmäßig nach §§ 105 Abs. 1, 104 Abs. 1, 155 FGO i.V.m. § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur eine Abschrift (BFH-Beschluss vom 17.07.2019 – II B 35-37/18, BFH/NV 2019, 1300, Rz 23). Gleiches gilt für das ohne Unterschrift übermittelte Protokoll zur mündlichen Verhandlung.

e) Soweit der Kläger geltend macht, das Sitzungsprotokoll sei unvollständig, legt er ebenfalls keinen Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar. Abgesehen davon, dass eine Protokollberichtigung (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4, § 164 Abs. 1 ZPO) grundsätzlich nur durch das FG vorgenommen werden kann, genügt auch insoweit das Vorbringen des Klägers den Anforderungen an eine schlüssig begründete Verfahrensrüge nicht. Der –auch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG– rechtskundig vertretene Kläger hätte im Rahmen der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde für die Begründung eines Verfahrensfehlers des FG u.a. darlegen müssen, weshalb er von der Möglichkeit, eine Berichtigung des Protokolls beim FG zu beantragen, keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BFH-Beschluss vom 28.09.2010 – IX B 65/10, BFH/NV 2011, 43, Rz 2).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.