|
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). |
|
|
Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es der Klage stattgegeben hat und zur Abweisung der Klage auch hinsichtlich der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 2002 bis Dezember 2007 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO); der Aufhebungsbescheid vom 28. September 2012/25. Februar 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Mai 2013 ist auch hinsichtlich dieses Zeitraums rechtmäßig. |
|
|
1. Die Revision der Klägerin ist zulässig. Der Senat geht zugunsten der Klägerin davon aus, dass sie die Revision innerhalb der Frist der §§ 116 Abs. 7 Satz 2, 120 Abs. 1 FGO eingelegt hat. |
|
|
Die Revision der Klägerin ist aber unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin das Kindergeld für K und B für die Monate Januar 2002 bis Januar 2012 zu Unrecht bezogen hat, weil nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindenden Feststellungen des FG K und B in den Streitjahren weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten, sondern im Haushalt des Vaters in der Türkei lebten. |
|
|
a) Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG steht demjenigen, der –wie die Klägerin– einen inländischen Wohnsitz hat, Kindergeld nur für die Kinder zu, die im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die Türkei zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten (BFH-Urteile vom 15. Juli 2010 III R 6/08, BFHE 230, 545, BStBl II 2012, 883, Rz 11; vom 27. September 2012 III R 55/10, BFHE 239, 109, BStBl II 2014, 473, Rz 11). |
|
|
b) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Das setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen insbesondere das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig nutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit –wenn auch in größeren Zeitabständen– aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungs- bzw. Besuchszwecken reicht nicht aus (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile in BFHE 230, 545, BStBl II 2012, 883, Rz 12; vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; vom 28. April 2010 III R 52/09, BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013, jeweils m.w.N.). Ob ein Kind seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, hat das FG unter Berücksichtigung der Umstände des Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen. Der BFH kann die Entscheidung des FG nur eingeschränkt überprüfen. Ist die tatsächliche Würdigung des FG verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und verstößt sie auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, ist sie für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, selbst wenn die Wertung des FG nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (BFH-Urteile in BFHE 230, 545, BStBl II 2012, 883, Rz 13; in BFH/NV 2009, 564, m.w.N.). |
|
|
c) Die Würdigung des FG, dass die Kinder B und K im Zeitraum Januar 2002 bis Januar 2012 weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG hatten die Aufenthalte der Kinder B und K in Deutschland keinen Wohn-, sondern lediglich Besuchscharakter. |
|
|
d) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG verfassungsgemäß und unionrechtskonform (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 23. Februar 1994 1 BvR 1105/91, nicht veröffentlicht; BFH-Urteile in BFHE 230, 545, BStBl II 2012, 883, Rz 45; vom 26. Februar 2002 VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912, Leitsatz). |
|
|
e) Aus dem SozSichAbk Türkei steht der Klägerin schon deshalb kein Kindergeld zu, weil deutsche Staatsangehörige –wie die Klägerin– nicht von dessen Anwendungsbereich umfasst sind (BFH-Urteil in BFHE 239, 109, BStBl II 2014, 473, Rz 18). Hieraus ergibt sich auch keine Ungleichbehandlung gegenüber in Deutschland lebenden türkischen Eltern, deren Kinder in der Türkei leben, weil auf der Grundlage des SozSichAbk Türkei für in der Türkei lebende Kinder generell kein Kindergeld in Höhe der Beträge des § 66 Abs. 1 EStG gezahlt werden kann (BFH-Urteil in BFHE 239, 109, BStBl II 2014, 473, Rz 21). |
|
|
f) Aus den Diskriminierungsverboten des europäisch-türkischen Assoziationsrechts ergibt sich kein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld. Insoweit verweist der Senat auf die BFH-Urteile in BFHE 230, 545, BStBl II 2012, 883, Rz 13 ff.; in BFHE 239, 109, BStBl II 2014, 473, Rz 13 ff.). |
|
|
2. Die Revision der Familienkasse ist begründet; das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 2002 bis Dezember 2007 nicht aufheben durfte, weil insoweit Festsetzungsverjährung eingetreten sei. |
|
|
a) Dabei hat das FG zu Recht entschieden, dass sich die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf fünf Jahre verlängert hat, weil der Klägerin zumindest eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 1 AO) vorzuwerfen ist. Gemäß § 378 Abs. 1 AO handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Die Klägerin hat die Finanzbehörden pflichtwidrig i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 378 Abs. 1 AO über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Entgegen § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG unterließ sie es, der Familienkasse den Umzug ihrer Kinder in die Türkei und ihre dortige Einschulung mitzuteilen. Mit dem nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gewährten Kindergeld erlangte die Klägerin für sich einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil (§ 370 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 378 Abs. 1 AO). Die unterbliebene Mitteilung war auch ursächlich für die Auszahlung des Kindergeldes bis Januar 2012. |
|
|
b) Die Annahme des FG, für die Monate Januar 2002 bis einschließlich Dezember 2007 sei Festsetzungsverjährung eingetreten, hält angesichts dieser Feststellungen einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Da die Verfolgung der von der Klägerin begangenen Steuerverkürzung noch nicht verjährt war, wurde der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt (BFH-Urteile vom 18. Dezember 2014 III R 13/14, BFH/NV 2015, 948; vom 26. Juni 2014 III R 21/13, BFHE 247, 102, BStBl 2015, 886). |
|
|
aa) Nach § 171 Abs. 7 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO endet die Festsetzungsfrist in Fällen der Steuerhinterziehung oder der leichtfertigen Steuerverkürzung nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. |
|
|
bb) Gemäß § 384 AO verjährt die Verfolgung von Steuerordnungswidrigkeiten nach den §§ 378 bis 380 AO in fünf Jahren. Dabei beginnt die Verfolgungsverjährung erst mit der letztmals zu Unrecht erlangten Kindergeldzahlung (BFH-Urteile in BFHE 247, 102, BStBl II 2015, 886, Leitsatz, und Rz 13 ff.; in BFH/NV 2015, 948, Leitsatz, und Rz 22, 23). Die Festsetzungsfrist war somit bei Erlass des Aufhebungsbescheids vom 28. September 2012/25. Februar 2013 noch nicht abgelaufen. |
|
|
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und 2 FGO. |
|