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II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Umsatzsteueränderungsbescheide 2000 bis 2002 vom 15. September 2010 sowie der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2011, soweit sie die Umsatzsteuerbescheide 2000 bis 2002 betrifft (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen sei, weil die Voraussetzungen einer Änderung der aufgrund der steuerlichen Außenprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheide vom 9. Januar 2009 nach § 174 Abs. 4 und 5 AO vorgelegen hätten. Einer Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 2000 bis 2002 durch die Bescheide vom 15. September 2010 steht entgegen, dass bereits zuvor, nämlich mit Ablauf des 12. Februar 2009, Festsetzungsverjährung eingetreten ist. |
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1. Die Änderung einer Steuerfestsetzung ist nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist zulässig (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). |
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a) Die reguläre Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2000 und 2001 begann mit Ablauf des Jahres 2003, die für das Jahr 2002 mit Ablauf des Jahres 2004, weil der Kläger seine Umsatzsteuererklärungen 2000 und 2001 am 21. November 2003, die Umsatzsteuererklärung 2002 am 1. Juli 2004 abgegeben hatte. Die Festsetzungsfrist für die Jahre 2000 und 2001 endete daher regulär mit Ablauf des 31. Dezember 2007, die für 2002 mit Ablauf des 31. Dezember 2008 (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO). |
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b) Allerdings wurde der Fristablauf durch den Beginn der Außenprüfung im Jahr 2005 nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO gehemmt bis zu dem Zeitpunkt, an dem die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Da der Kläger gegen die auf Grund der Außenprüfung ergangenen Umsatzsteueränderungsbescheide 2000 bis 2002 vom 9. Januar 2009 keinen Einspruch eingelegt hat, sind diese mit Ablauf des 12. Februar 2009 unanfechtbar geworden (§§ 122 Abs. 2 Nr. 1, 355 Abs. 1 AO). Zu diesem Zeitpunkt und damit bereits vor Bekanntgabe der Änderungsbescheide vom 15. September 2010 war Festsetzungsverjährung eingetreten. |
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2. Eine Änderung der Umsatzsteuerbescheide 2000 bis 2002 nach § 174 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 AO war gegenüber dem Kläger nicht zulässig. |
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a) Ob die Voraussetzungen einer Änderung nach § 174 Abs. 4 AO dem Grunde nach überhaupt vorliegen, kann der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht entscheiden. Das FG hat keine Tatsachen festgestellt, die eine Entscheidung ermöglichen, ob die Bescheide vom 9. Januar 2009 aufgrund irriger Beurteilung der Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft ergangen sind. |
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b) Der Senat kann gleichwohl durchentscheiden, weil eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO jedenfalls daran scheitert, dass es sich bei dem Kläger um einen Dritten handelt, der am Änderungsverfahren der GmbH nicht i.S. von § 174 Abs. 5 AO beteiligt war. |
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aa) Zwar ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO grundsätzlich unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden. Gegenüber Dritten gilt das gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO aber nur, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren. Eine Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO). |
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bb) Dritter i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO ist jeder, der im zu ändernden fehlerhaften Bescheid nicht als Steuerschuldner angegeben wird. Darunter fällt jeder, der nicht aus eigenem Recht an dem Steuerfestsetzungs- und Rechtsbehelfsverfahren beteiligt ist. Maßgeblich ist dabei allein die formale Stellung im Verfahren (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2013 V R 5/12, BFHE 244, 494, m.w.N.). Danach war der Kläger im Verhältnis zur GmbH Dritter i.S. von § 174 Abs. 5 AO, denn in den an die GmbH gerichteten Umsatzsteuerbescheiden wird nur die GmbH als Steuerschuldnerin bezeichnet. |
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cc) Ein Dritter ist an dem zur Änderung oder Aufhebung führenden Verfahren beteiligt, wenn er Verfahrensbeteiligter i.S. des § 359 AO ist, also Einspruchsführer oder Hinzugezogener, oder wenn er durch eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Aufhebung oder Änderung der Bescheide hingewirkt hat. |
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(1) Der Kläger ist nicht Hinzugezogener i.S. des § 174 Abs. 5 i.V.m. § 360 AO. Insoweit wird auf das Urteil des Senats vom 12. Februar 2015 in dem Revisionsverfahren V R 42/14 verwiesen. |
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(2) Über die formale Beteiligung i.S. des § 359 AO oder § 57 FGO hinaus ist ein Dritter auch dann "beteiligt" i.S. des § 174 Abs. 5 AO, wenn er durch eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Aufhebung oder Änderung des Bescheides hingewirkt hat, z.B. indem er den entsprechenden Aufhebungs- oder Änderungsantrag gestellt hatte; auch in diesem Fall ist eine schützenswerte Vertrauensposition nicht gegeben (BFH-Urteil vom 20. November 2013 X R 7/11, BFH/NV 2014, 482). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall ebenfalls nicht vor. Nicht der Kläger, sondern die GmbH hat eine Änderung der an sie gerichteten Umsatzsteuerfestsetzung 2000 bis 2002 betrieben. Dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Mitgesellschafter und Mitgeschäftsführer in das von der GmbH betriebene Verfahren eingeschaltet und dadurch auf die bevorstehenden Korrekturen tatsächlich vorbereitet war, ist unerheblich (BFH-Urteil vom 5. Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817). |
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c) Entgegen der Auffassung des FG folgt eine Verfahrensbeteiligung des Klägers auch nicht aus den Grundsätzen von Treu und Glauben oder dem Verbot des Rechtsmissbrauchs. |
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aa) Zwar ist der Grundsatz von Treu und Glauben ein in allen Rechtsgebieten allgemein anerkannter Grundsatz. Er gebietet es innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses für Steuergläubiger wie Steuerpflichtige gleichermaßen, dass jeder auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nimmt. Mit diesem Grundsatz nicht zu vereinbaren ist insbesondere ein widersprüchliches Verhalten; das Verbot des "venire contra factum proprium" gilt auch im Steuerrecht (vgl. BFH-Urteile in BFHE 244, 494; vom 5. November 2009 IV R 40/07, BFHE 227, 354, BStBl II 2010, 720; vom 29. Januar 2009 VI R 12/06, Rz 15, juris, m.w.N.; vom 18. April 2007 XI R 47/05, BFHE 217, 18, BStBl II 2007, 736). |
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bb) Allerdings haben diese Grundsätze lediglich rechtsbegrenzende Wirkung innerhalb bestehender Schuldverhältnisse und setzen demnach eine Identität der Rechtssubjekte voraus. Sie können nicht dazu führen, dass Steueransprüche oder -schulden überhaupt erst zum Entstehen oder Erlöschen gebracht werden (BFH-Urteile in BFHE 244, 494; vom 29. Januar 2009 VI R 12/06, BFH/NV 2009, 1105; vom 8. Februar 1996 V R 54/94, BFH/NV 1996, 733). Das Verhalten des Klägers im Besteuerungsverfahren der GmbH kann ihm deshalb nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben im eigenen Besteuerungsverfahren entgegengehalten werden, weil er insoweit nicht für sich, sondern für die GmbH gehandelt hat. |
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cc) Im Übrigen hat sich der Kläger nicht rechtsmissbräuchlich verhalten. Das Ergebnis widerstreitender Festsetzungen kann im Einzelfall hinzunehmen sein (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 1995 IV R 72/94, BFH/NV 1996, 209). Dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Mitgesellschafter und Mitgeschäftsführer der GmbH in das von dieser betriebene Verfahren eingeschaltet war und dadurch von den bevorstehenden Korrekturen Kenntnis gehabt und diese tatsächlich vorbereitet hat, kann ihm im Hinblick auf sein eigenes Besteuerungsverfahren nicht angelastet werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817). |
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Es ist auch nicht Aufgabe und Zweck der allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben, eine unvorteilhafte Verfahrensbehandlung durch die Finanzbehörde aufzufangen (BFH-Urteile in BFHE 244, 494; in BFHE 227, 354, BStBl II 2010, 720, unter II.1.b bb). Das FA konnte den Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide bestimmen und hatte damit auch den Zeitpunkt des Eintritts der Festsetzungsverjährung in der Hand. |
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Im Rahmen des Grundsatzes von Treu und Glauben ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass das FA die entstandene Rechtsunsicherheit durch die im Zuge der steuerlichen Außenprüfung von ihm vertretenen wechselnden Rechtsansichten zumindest mitverursacht hat. |
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. |
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