|
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Einkommensteuerfestsetzungen 2001 und 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern sind. |
|
|
1. Die Vorentscheidung verletzt § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. |
|
|
a) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob es sich bei dem Umstand, dass der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers ausgewiesene Bruttolohn in den Streitjahren auch auf diesen entfallende Nachteilsausgleichszahlungen enthält, um eine dem FA nachträglich bekanntgewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO handelt. Denn auch bei rechtzeitiger Kenntnis um diese Sonderzahlungen an die aufnehmende Versorgungskasse und deren –anteilige– Erfassung in den Lohnsteuerbescheinigungen des Klägers wäre das FA bei der ursprünglichen Veranlagung zu keiner niedrigeren Steuer gelangt. |
|
|
b) Seit dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) vertritt die höchstrichterliche Finanzrechtsprechung die Auffassung, dass ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C. II. am Anfang). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO scheidet hingegen aus, wenn die Unkenntnis der später bekanntgewordenen Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich (rechtserheblich) gewesen ist, weil das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuer gelangt wäre (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C. II. 2. b). |
|
|
Rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 AO ist nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung, sondern der Umstand, dass das FA bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist. Demnach ist die nachträgliche Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismittel strikt von der Korrektur von Rechtsfehlern abzugrenzen. Insbesondere dürfen über den Umweg des § 173 Abs. 1 AO Rechtsfehler der Finanzbehörde weder zu Lasten (Nr. 1) noch zu Gunsten des Steuerpflichtigen (Nr. 2) berichtigt werden. Das Kriterium der Rechtserheblichkeit (Kausalität) der neuen Tatsache bei der ursprünglichen Veranlagung schließt demnach aus, dass die Beteiligten des Steuerschuldverhältnisses mit Hilfe eines Änderungsbescheids eine neue Tatsache zum bloßen Anlass oder Vorwand nehmen, ihre geläuterte Rechtsansicht nachträglich durchzusetzen (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Der Gesetzgeber hat vielmehr dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit in solchen Fällen Vorrang vor der materiellen Richtigkeit der ergangenen Verwaltungsentscheidung eingeräumt (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). |
|
|
c) Maßgebend für die Frage nach der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache oder eines neuen Beweismittels ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des FA über die Steuerfestsetzung abgeschlossen wird, d.h. im Normalfall der Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens (bei EDV-mäßiger Abwicklung der Steuerfestsetzung) oder der Verfügung zum Steuerbescheid (BFH-Urteile vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1047, und vom 20. Juni 2001 VI R 70/00, BFH/NV 2001, 1527; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 173 Rz 29, 47, m.w.N.). |
|
|
d) Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und den die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA gegolten haben (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 15. März 2007 III R 57/06, BFH/NV 2007, 1461; in BFH/NV 2001, 1527; vom 15. Dezember 1999 XI R 22/99, BFH/NV 2000, 818; Senatsbeschluss vom 10. Oktober 2007 VI B 48/06, BFH/NV 2008, 191, m.w.N.). Liegen unmittelbar zu der umstrittenen Rechtslage weder eine Rechtsprechung des BFH noch bindende Verwaltungsanweisungen vor, so ist aufgrund anderer Umstände abzuschätzen, wie das FA in Kenntnis des vollständigen Sachverhalts entschieden hätte (vgl. auch BFH-Urteil vom 10. März 1999 II R 99/97, BFHE 188, 276, BStBl II 1999, 433). Hierzu rechnet beispielsweise das Vorgehen der Finanzbehörden in Parallelverfahren (BFH-Urteil vom 9. August 1989 X R 7/84, BFH/NV 1990, 613). Darüber hinaus sind auch interne Schreiben und Mitteilungen (BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 117/95, BFH/NV 1997, 853), etwa eines Landesfinanzministeriums an den Bundesminister der Finanzen, zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 15. Dezember 1999 XI R 22/99, BFH/NV 2000, 818, und XI R 38/99, BFH/NV 2000, 820). Deshalb ist das FG bei der Ermittlung der Verwaltungsauffassung auch nicht an bestimmte Beweismittel gebunden (BFH-Urteile in BFH/NV 2000, 818, und in BFH/NV 2000, 820; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 57b). Das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse sind hingegen für die Frage, ob die Veränderung im Tatsächlichen oder in der rechtlichen Beurteilung liegt, aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen ohne Bedeutung. Subjektive Fehler der FÄ und damit des einzelnen Bearbeiters, wie sie sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht denkbar sein mögen, sind für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekanntgewordenen Tatsache unbeachtlich (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1988 I R 216/85, BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715). |
|
|
Demgegenüber hat das FG im Streitfall den hypothetischen Kausalverlauf allein nach den idealtypischen individuellen Rechtskenntnissen des zuständigen Veranlagungssachbearbeiters und nicht nach der in den Streitjahren herrschenden Verwaltungsauffassung beurteilt. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben. |
|
|
2. Die Sache ist spruchreif. |
|
|
Die Klage wird abgewiesen. Dass der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers ausgewiesene Bruttolohn in den Streitjahren auch auf diesen entfallende Nachteilsausgleichszahlungen enthält, ist bei der ursprünglichen Veranlagung nicht rechtserheblich gewesen. |
|
|
a) Im Streitfall wäre das FA bei den Veranlagungen 2001 und 2002 auch bei rechtzeitiger Kenntnis des Umstands, dass der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers ausgewiesene Bruttoarbeitslohn in den Streitjahren auch die auf ihn entfallenden Nachteilsausgleichszahlungen enthielt, zu keiner anderen Steuer gelangt. Es hätte insbesondere nicht den Entlohnungscharakter der streitigen Sonderzahlungen verneint, sondern vielmehr die Ausgleichszahlungen im Zeitpunkt der streitigen Veranlagungen als steuerbaren Arbeitslohn beurteilt. Nach dem Urteil des Senats in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532 fließt zwar den Arbeitnehmern kein Arbeitslohn zu, wenn der Arbeitgeber beim Wechsel zu einer anderen umlagefinanzierten Zusatzversorgungskasse Sonderzahlungen leistet. Im Streitfall erfolgte die abschließende Zeichnung der Eingabewertbögen zu den Einkommensteuerbescheiden 2001 und 2002 unstreitig jedoch jeweils vor der Veröffentlichung des BFH-Urteils in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532 in der Ausgabe Nr. 11 des BStBl II 2006, das am 24. Juli 2006 ausgegeben wurde. |
|
|
b) Bei rechtzeitiger Kenntnis von der im Bruttolohn des Klägers enthaltenen anteiligen Sonderumlage hätte das FA entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung diese Zahlungen als Arbeitslohn erfasst und der Besteuerung unterworfen. Dies ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen die Revisionsverfahren VI R 32/04 und VI R 148/98 geführt und in diesen Verfahren stets die Auffassung vertreten hat, dass es sich bei Sonderumlagen in Versorgungssysteme um Arbeitslohn handele. Darüber hinaus ist die Auffassung der Finanzbehörden, dass der Nachteilsausgleich als Arbeitslohn zu erfassen sei, u.a. in der Mitteilung für den Lohnsteueraußendienst Nr. 12/2001 vom 5. Dezember 2001 niedergelegt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist insoweit ohne Bedeutung, ob der zuständige Veranlagungssachbearbeiter diese Mitteilung kannte und berücksichtigt hätte. Insoweit ist ausreichend, dass aus diesem internen Schreiben die Rechtsauffassung der Verwaltung hervorgeht. Dies gilt gleichermaßen für den Schriftwechsel des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen und der Steuerberatungsgesellschaft der Zusatzversorgungskasse der Landeshauptstadt A. Auch aus diesen Schreiben ist zweifelsfrei ersichtlich, dass die Landesfinanzbehörden im Streitfall bei der Besteuerung von Zukunftssicherungsleistungen nicht nach allgemeinen Umlagezahlungen und dem sogenannten Nachteilsausgleich unterschieden hätten. |
|
|
Schließlich weist das FA auch zu Recht darauf hin, dass sich aus der Gesetzesbegründung des Jahressteuergesetzes 2007 die in den Streitjahren herrschende Verwaltungsauffassung ergibt. Dort ist ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung Sonderzahlungen des Arbeitgebers, die er anlässlich der Überführung einer Mitarbeiterversorgung in eine Zusatzversorgungskasse leistet, als steuerpflichtiger Arbeitslohn beurteilt worden sind (BTDrucks 16/2712, 45 f.). Aufgrund dieser feststehenden Verwaltungsübung ist nicht ersichtlich, dass das FA im Streitfall bei rechtzeitiger Kenntnis um die Sonderzahlungen an die aufnehmende Versorgungskasse und deren –anteilige– Erfassung in den Lohnsteuerbescheinigungen des Klägers die streitige Einkommensteuer niedriger festgesetzt hätte. |
|
|
Folglich hätte die streitige Änderung der Einkommensteuerbescheide 2001 und 2002 mangels Rechtserheblichkeit dieses Umstands nicht durchgeführt werden dürfen. Damit war die Klage auch insoweit abzuweisen. |
|
|
3. Die Revision der Kläger wegen Einkommensteuer 2003 und 2004 ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass das FA nicht zur streitigen Änderung der Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 verpflichtet war, und damit die Klage insoweit zu Recht abgewiesen. Das FA hätte auch bei rechtzeitiger Kenntnis um den sogenannten Nachteilsausgleich den Arbeitslohn des Klägers nicht um diese Sonderzahlungen an die Y-Zusatzversorgungskasse gemindert, sondern die Steuer ebenso (falsch) festgesetzt, wie dies in Unkenntnis dieses Umstands geschehen ist (vgl. unter II. 2. der Gründe). |
|