VI R 45/04 – Aufteilung einer Gesamtschuld nach Tod eines Ehegatten – Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.1.2008, VI R 45/04

Aufteilung einer Gesamtschuld nach Tod eines Ehegatten – Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses

Leitsätze

Bei zusammen veranlagten Ehegatten, die Gesamtschuldner rückständiger Steuern sind, kann auch der Ehegatte, der Gesamtrechtsnachfolger seines verstorbenen Ehepartners ist, eine Aufteilung der Steuern nach den §§ 268 ff. AO beantragen.

Tatbestand

 
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde mit ihrem im Dezember 2001 verstorbenen Ehemann zusammen zur Einkommensteuer 1986 bis 1999 und zur Vermögensteuer 1986 bis 1990 veranlagt. Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Ehemannes.
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Nachdem die festgesetzten Steuerbeträge nicht in vollem Umfang gezahlt worden waren, leitete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) Vollstreckungsmaßnahmen ein. Daraufhin beantragte die Klägerin die Aufteilung der Steuerrückstände gemäß den §§ 268 ff. der Abgabenordnung (AO). Mit Bescheid vom 22. Mai 2003 lehnte das FA den Antrag ab. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1813 veröffentlichten Gründen, die rückständige Einkommensteuer 1986 bis 1999 und Vermögensteuer 1986 bis 1990 aufzuteilen.
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Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Das FA beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Nach Auskunft des FA hat das Amtsgericht X am 21. September 2007 den Antrag der Klägerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass ihres Ehemannes mangels Masse abgewiesen.

Entscheidungsgründe

 
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II. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat das FA zu Recht verpflichtet, die von der Klägerin begehrte Aufteilung der Steuerrückstände vorzunehmen.
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1. Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer oder zur Vermögensteuer veranlagt worden sind (§ 26b des Einkommensteuergesetzes bzw. § 14 des Vermögensteuergesetzes) und deshalb gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 AO Gesamtschuldner sind, können auf Antrag im Vollstreckungsverfahren so gestellt werden, als seien sie Einzelschuldner. Nach § 268 AO kann jeder der Ehegatten beantragen, dass die Vollstreckung wegen der genannten Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO bei einer Aufteilung der Steuern ergibt. Auf diese Weise soll der einzelne zusammen veranlagte Ehegatte im Fall der Vollstreckung nicht schlechter gestellt werden als ein nicht zusammen veranlagter und deshalb im Vollstreckungsverfahren als Einzelschuldner zu behandelnder Steuerpflichtiger (vgl. z.B. Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vorbemerkungen zu §§ 268 bis 280 AO Rz 2; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler –HHSp–, § 268 AO Rz 2); auch wenn die Aufteilung der Gesamtschuld nicht zu einer Aufteilung in Teilschulden führt, wird jeder Gesamtschuldner im Vollstreckungsverfahren nur mit dem Steuerbetrag in Anspruch genommen, der seinem Anteil an dem gesamten Einkommen oder dem gesamten Vermögen entspricht (vgl. Geist in Beermann/ Gosch, AO § 268 Rz 2 und 11 f.). Die Vorschrift des § 268 AO folgt aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Benachteiligung von Ehegatten (z.B. Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., Vor §§ 268 ff. Rz 2 und § 268 Rz 1). Der Gesetzgeber darf zwar grundsätzlich von der Gesamthaftung der zusammen veranlagten Ehegatten ausgehen. Dem Ehegatten muss jedoch das Recht gegeben werden, durch Antrag die Aufteilung der rückständigen Schuld herbeizuführen, wenn gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden. Denn die Ehegatten dürfen nicht in einer Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) widersprechenden Weise dadurch benachteiligt werden, dass jeder für die Schulden des andern aufkommen muss (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 1961  1 BvL 29/57, 1 BvL 20/60, BVerfGE 12, 151, BStBl I 1961, 55, unter D. II. 5.).
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2. Ist die Aufteilung einer Gesamtschuld nach Maßgabe der §§ 269 ff. AO Voraussetzung und rechnerische Grundlage für die Beschränkung der Vollstreckung nach § 268 AO, so ist nach Auffassung des erkennenden Senats in erweiternder und auch verfassungskonformer Auslegung des § 268 AO eine solche Aufteilung auch dann zulässig und –auf Antrag– geboten, wenn bei Bestehen einer Gesamtschuld von zusammen zur Einkommensteuer oder Vermögensteuer veranlagten Ehegatten ein Ehepartner verstirbt und der überlebende Ehegatte dessen Gesamtrechtsnachfolger wird. Nach § 268 AO steht jedem zusammen veranlagten Ehegatten in eigener Person ein Antragsrecht zu. Dieses Antragsrecht geht nicht durch den Tod des anderen Ehegatten, den der überlebende Ehegatte als Gesamtrechtsnachfolger beerbt hat, verloren (vgl. auch Müller-Eiselt in HHSp, § 268 AO Rz 16).
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a) Bei Gesamtrechtsnachfolge gehen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 AO die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 AO haben Erben für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten einzustehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) geht von einer grundsätzlich unbeschränkten, aber auf den Nachlass beschränkbaren Erbenhaftung aus (vgl. z.B. MünchKommBGB/Siegmann, 5. Aufl., Vor § 1967 Rz 2; BFH-Urteil vom 11. August 1998 VII R 118/95, BFHE 186, 328, BStBl II 1998, 705, unter II. A. 3.): Gemäß § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten. Damit steht den Gläubigern bis zur Beschränkung der Haftung der Zugriff auf das Gesamtvermögen des Erben offen, zu dem Nachlass und Eigenvermögen des Erben beim Erbschaftserwerb verschmelzen (vgl. MünchKommBGB/Siegmann, 5. Aufl., § 1967 Rz 1). Als Mittel der Beschränkung der Haftung sieht § 1975 BGB Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz (§§ 315 ff. der Insolvenzordnung –InsO–) vor. Auch ohne diese Maßnahmen kann der Erbe allein durch Erhebung der Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB die Haftungsbeschränkung herbeiführen. Nach § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Erbe die Befriedigung eines Nachlassgläubigers insoweit verweigern, als der Nachlass nicht ausreicht. Voraussetzung ist u.a., dass die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wegen Mangels einer den Kosten entsprechenden Masse nicht tunlich ist (§ 26 Abs. 1 InsO; vgl. auch z.B. MünchKommBGB/Siegmann, 5. Aufl., § 1990 Rz 2; Andres in Andres/Leithaus, InsO, 1. Aufl., vor § 315 Rz 6, m.w.N.). Die Erhebung der Dürftigkeitseinrede bewirkt keine Trennung der Vermögensmassen, sondern nur, dass eine Vollstreckung der Nachlassgläubiger in das Eigenvermögen des Erben unmöglich wird (vgl. z.B. MünchKommBGB/Siegmann, 5. Aufl., § 1990 Rz 11; Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl., § 1990 Rz 1 und 7; Andres, a.a.O., m.w.N.). Die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses darf auch gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht werden, allerdings allein im Zwangsvollstreckungsverfahren (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. Juni 1981 I B 18/81, BFHE 133, 494, BStBl II 1981, 729, und vom 30. Juni 1999 II B 113/98, BFH/NV 2000, 56).
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b) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen kann auch nach dem Tod eines zusammen veranlagten Ehegatten ein Bedürfnis bestehen, eine fortbestehende Gesamtschuld im Wege der Aufteilung dem Erblasser und dem Erben zuzuordnen. Ein dahingehender Antrag des überlebenden Ehegatten, der Gesamtrechtsnachfolger seines verstorbenen Ehepartners ist, ist jedenfalls nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar handelt es sich bei Eigenvermögen des Erben und Nachlass zivilrechtlich nicht um zwei getrennte Vermögensmassen (anderer Ansicht wohl Müller-Eiselt, a.a.O.). Die Aufteilung einer Steuerschuld kann jedoch –anders als das FA meint– bereits vor und außerhalb einer Nachlassverwaltung oder einer Nachlassinsolvenz erforderlich sein, um die Höhe der Nachlassverbindlichkeiten zuverlässig feststellen zu können. Ein Bedürfnis für eine Aufteilung zeigt aber auch beispielhaft die vom FA mitgeteilte weitere Entwicklung im Streitfall: Nach Abweisung des Antrags der Klägerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass ihres Ehemannes mangels Masse könnte die Klägerin nunmehr Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des FA wegen Steuerschulden des Erblassers gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 AO die Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB entgegenhalten. Als Erbin hat sie zwar weiter für die Steuerschulden des Erblassers einzustehen, nach Erhebung der Dürftigkeitseinrede aber nur mit dem Nachlass. Soweit mit Erhebung der Einrede die Zwangsvollstreckung in das Eigenvermögen der Klägerin ausgeschlossen ist, bedarf es einer Aufteilung der streitbefangenen Gesamtschuld auf die Klägerin und ihren verstorbenen Ehegatten. Die Aufteilung bildet –wie in dem von § 268 AO erfassten Normalfall– auch hier die Grundlage für das weitere Vollstreckungsverfahren.
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c) Diese Auslegung und Anwendung von § 268 AO ist aber auch verfassungsrechtlich geboten. Aus dem Verbot der Benachteiligung von Ehegatten (Art. 6 Abs. 1 GG) folgt auch, dass Ehegatten gegenüber nicht verheirateten Steuerpflichtigen nicht benachteiligt werden dürfen. Waren Erblasser und Gesamtrechtsnachfolger nicht miteinander verheiratet, so steht –anders als bei zusammen veranlagten Ehegatten– bereits ohne Aufteilung fest, welche Steuerschulden zum Nachlass gehören; damit ist bereits eine wesentliche Vorfrage einer möglichen Haftungsbeschränkung auf den Nachlass geklärt. Eine gleichwertige Rechtsposition muss auch der überlebende Ehegatte herbeiführen können, indem er noch nach dem Tod seines Ehegatten einen Antrag nach § 268 AO stellt. Im Übrigen ließe sich auch gleichheitsrechtlich nicht begründen, warum ein unmittelbar vor dem Tod eines zusammen veranlagten Ehegatten gestellter Antrag nach § 268 AO im Vollstreckungsverfahren zu einer anderen Rechtsposition führen sollte als ein erst nach dem Tod des Ehepartners von dem überlebenden Ehegatten gestellter Aufteilungsantrag.

Quelle: bundesfinanzhof.de


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